Fehlerhafte Vollziehung einer Einstweiligen Verfügung wegen fehlender Vollmacht der Gegenkanzlei

Gericht

LG Hamburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

15. 11. 2006


Aktenzeichen

324 O 618/06


Tenor

  1. Die einstweilige Verfügung vom 13.9.2006 wird aufgehoben und der ihr zugrundeliegende Antrag zurückgewiesen.

  2. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.

  3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
    Der Antragsteller darf die Kostenvollstreckung durch die Antragsgegnerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Antragsgegnerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Antragsgegnerin betreibt die Aufhebung der einstweiligen Verfügung der Kammer vom 13.9.2006 gemäß § 927 ZPO, mit der ihr die Verbreitung bestimmter Äußerungen über den Antragsteller untersagt worden war.

Im Verlag der Antragsgegnerin erscheint die Zeitschrift ... . In der Ausgabe vom 14.8.2006 wurde ein Beitrag mit der Überschrift ... veröffentlicht, der sich u.a. mit dem Antragsteller befasst (Anl ASt 1).

Auf eine Abmahnung des Antragstellers wegen dieses Beitrages antworteten die jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin mit Schreiben vom 14. und 16.8.2006. Im Schreiben vom 14.8.2006 hieß es u.a.: "... wir vertreten ... . Entsprechende Bevollmächtigung ist versichert. Zu Ihrem Schreiben vom 14.8.2006, welches uns unsere Mandantin zur Beantwortung zuleitete:..." (Anl ASt 9).

Am 13.9.2006 erwirkte der Antragsteller den Erlass einer einstweiligen Verfügung, mit der der Antragsgegnerin verschiedene Äußerungen aus dem genannten Bericht verboten wurden. Sowohl in dem auf deren Erlass gerichteten Antrag als auch in der einstweiligen Verfügung selbst war die Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin im Passivrubrum angeführt, sc. als ... bzw. als ... . Zwischen den Parteien ist streitig, zu welchem Zeitpunkt eine Bevollmächtigung dieser Kanzlei durch die Antragsgegnerin erfolgte und wann die Antragsgegnerin Kenntnis von der einstweiligen Verfügung erlangte.

Der Beschluss vom 13.9.2006 ging dem Antragsteller am 14.9.2006 zu. Mit Schreiben vom 15.9.2006 übersandte dieser den Beschluss an die Gerichtsvollzieherverteilerstelle beim AG München mit der Bitte um Zustellung an die Antragsgegnerin selbst (Anl ASt 12).

Am 20.09.2006 übergab die Gerichtsvollzieherin ... die einstweilige Verfügung an die Bürovorsteherin der Prozess bevollmächtigten der Antragsgegnerin, nachdem sie sich zuvor an die Poststelle oder den Empfang der im gleichen Gebäude residierenden Antragsgegnerin gewandt hatte, wo der Beschluss indes nicht ent¬- gegen genommen worden war; die Gerichtsvollzieherin übersandte dem Antragsteller am selben Tag Unterlagen sowie ihre Kostenrechnung mit dem Bemerken "nach erfolgter Zustellung" (Anl. ASt 13).

Im vorliegenden Verfahren begehrt die Antragsgegnerin die Aufhebung der einstweiligen Verfügung gemäß § 927 ZPO mangels Zustellung innerhalb der Vollziehungsfrist. Sie trägt zur Begründung u.a. vor, dass ihre Prozessbevollmächtigten vorprozessual nur zur Beantwortung des Abmahnschreibens bevollmächtigt gewesen seien. Sie behauptet dazu, dass ihr die einstweilige Verfügung bis zum 17.10.2006 tatsächlich nicht zugegangen sei. Die Bürovorsteherin ihrer Prozessbevollmächtigten sei nicht in der Lage, das Vorliegen einer Prozessvollmacht bei Entgegennahme zu überprüfen, ihr Pförtner am Empfang habe die Gerichtsvollzieherin aufgrund des Rubrums des Beschlusses an ihre späteren Prozessbevollmächtigten verwiesen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die durch Beschluss des Landgerichts Hamburg vom 13.9.2006 (324 O 618/06) erlassene einstweilige Verfügung aufzuheben.

Der Antragsteller beantragt,

diesen Antrag zurückzuweisen.

Der Antragsteller behauptet, die einstweilige Verfügung sei der Antragsstellerin im Wege der routinemäßigen Post von den Prozessbevollmächtigten am 21.9.2006 zugegangen. Er ist zudem der Ansicht, dass die Berufung auf einen Zustellungsmangel rechtsmissbräuchlich sei; die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin seien praktisch deren "In-House-Rechtsabteilung". Der Antragsteller behauptet, dass die Poststelle der Antragsgegnerin die Gerichtsvollzieherin mit der Begründung, für "derartiges" seien die Prozessbevollmächtigten zuständig, auf eine Zustellung an ihre Prozessbevollmächtigten verwiesen habe; hierzu verweist der Antragsteller auf eine Erklärung der Gerichtsvollzieherin (Anl ASt 14). Eventuelle Zustellungsmängel seien jedenfalls nach der Bestellung der Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin geheilt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Parteien zur Akte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

I.
Der zulässige Antrag auf Aufhebung der einstweiligen Verfügung vom 13.9.2006 ist begründet. Die einstweilige Verfügung ist aufzuheben, da sie nicht innerhalb der Vollziehungsfrist zugestellt wurde.

Gem. §§ 927 Abs.1, 936 ZPO kann eine einstweilige Verfügung u. a. aufgehoben werden, wenn veränderte Umstände vorliegen. Es stellt einen solchen veränderten Umstand dar, wenn die einstweilige Verfügung nicht vollzogen wurde und nicht mehr vollzogen werden kann (vgl. Zöller / Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 927 Rn.6). Dies ist hier der Fall:

Eine einstweilige Anordnung, die wie hier einen Unterlassungsanspruch sichert, wird dadurch vollzogen, dass sie dem Schuldner im Wege des Parteibetriebs zugestellt wird (Zöller / Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 929 Rn.13). Die hierfür eingeräumte Frist betrug im vorliegenden Fall gemäß § 929 Abs.2 ZPO einen Monat ab dem 14.9.2006, da die einstweilige Verfügung dem Antragsteller an diesem Tag zugestellt worden war; diese Frist endete gemäß §§ 222 Abs.1, 2 ZPO, 187 Abs.1, 188 Abs.2 BGB am Montag, den 16.10.2006. Der Antragsteller hat indes nicht glaubhaft gemacht, dass der Antragsgegnerin die einstweilige Verfügung bis zu diesem Termin zugestellt wurde, insbesondere erfolgte keine wirksame Zustellung durch die Gerichtsvollzieherin ... am 20.9.2006. Entgegen §§ 51, 166, 170 Abs.2 und 3 ZPO erfolgte die Zustellung durch die Gerichtsvollzieherin nicht an Leiter oder gesetzliche Vertreter der Antragsgegnerin; tatsächlich ausgehändigt wurde die einstweilige Verfügung vielmehr unstreitig den jetzigen Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin. Dies stellte aber keine wirksame Zustellung gemäß §§ 172 Abs.1, 191 ZPO dar, denn der Antragsteller hat nicht glaubhaft gemacht, dass die die Kanzlei der Rechtsanwälte ... von der Antragsgegnerin zu diesem Zeitpunkt schon bevollmächtigt waren, insbesondere bestand auch nicht der Anschein einer Prozessvollmacht. Ein solcher Anschein wird nicht dadurch erweckt, dass vorgerichtlich auf ein Mahnschreiben geantwortet wird, wenn nicht eindeutig und unmissverständlich auf eine eventuelle Prozessvollmacht hingewiesen wird (HansOLG WRP 2006 909; GRUR 1998, 175). Die Formulierung "entsprechende Bevollmächtigung wird versichert" genügt dem nicht, denn diese ist nicht eindeutig auf eine Bevollmächtigung für gerichtliche Verfahren bezogen (vgl. Zöller / Vollkommer, ZPO, 25.Aufl., § 922 Rn.11). Hinzu kommt, dass die weitere Formulierung des Schreibens vom 14.8.2006 (Anl ASt 9) gerade Zweifel zu wecken geeignet war, dass eine Prozessvollmacht besteht, denn dort heißt es, dass der Kanzlei der Rechtsanwälte ... das Abmahnschreiben des Antragstellers "zur Beantwortung zugeleitet" worden sei; dieser Formulierung mag dem Adressaten sogar eine entsprechende Beschränkung der Vollmacht signalisieren, steht aber jedenfalls der Annahme einer eindeutigen Mitteilung einer Prozessvollmacht entgegen. Auch aus der Tatsache, dass die Prozessbevollmächtigten die Antragsgegnerin in Pressesachen regelmäßig vertreten, ergibt sich kein Vollmachtsanschein für den Antragsteller. Dass auch der Antragsteller nicht davon ausging, dass bereits bei der versuchten Zustellung der einstweiligen Verfügung eine Prozessvollmacht für die Kanzlei der Rechtsanwälte ... bestand, zeigt zudem die Tatsache, dass er die Gerichtsvollzieherin mit einer Zustellung gerade an die Antragsgegnerin selbst beauftragte. ...

Schließlich ist es nicht rechtsmissbräuchlich, dass sich die Antragsgegnerin auf die fehlerhafte Zustellung beruft. Insbesondere liegt kein Sachverhalt vor, der einer Zustellungsvereitelung durch die Antragsgegnerin vergleichbar wäre. Zwar hatte sich die Gerichtsvollzieherin unstreitig zunächst in die Räumlichkeiten der Antragsgegnerin begeben, war dort jedoch - vom Empfang oder von der Poststelle - an die Kanzlei der Rechtsanwälte ... worden. Die Behauptung des Antragstellers, dass der Gerichtsvollzieherin hierbei gesagt worden sei, dass "für derartige Sachen" - also generell - die "Anwälte ... zuständig" seien, ist indes unsubstantiiert, denn aus der vom Antragsteller selbst vorgelegten Stellungnahme der Gerichtsvollzieherin (Anl ASt 14) ergibt sich, dass der ausdrückliche Grund für die Verweisung an die Kanzlei der Rechtsanwälte ... die Tatsache war, dass diese im Passivrubrum der einstweiligen Verfügung aufgeführt war; wären diese tatsächlich Prozessbevollmächtigte gewesen, wäre indes eine Zustellung in der Tat bei der Kanzlei ... zu bewirken gewesen. Die Ursache für diese unrichtige Angabe im Passivrubrum hat indes der Antragsteller selbst gesetzt, indem er - im Widerspruch zum Inhalt seines sodann erteilten Zustellungsauftrages - die Kanzlei der Rechtsanwälte ... in seiner Antragsschrift als Prozessbevollmächtigte der Antragsgegnerin aufgeführt hatte; allein diese Angabe, deren Richtigkeit das Gericht weder überprüfen musste noch konnte, da der Antragsteller hier über weitergehende Erkenntnisse verfügen kann, als sich aus der Akte ergeben, hat zu der unrichtigen Angabe im Passivrubrum geführt. Es ist auch keine Rechtspflicht ersichtlich, nach der die Prozessbevollmächtigten der Antragsgegnerin verpflichtet gewesen wären, auf die fehlerhafte Zustellung vor Ablauf der Vollziehungsfrist hinzuweisen. Eine solche ergibt sich insbesondere nicht aus § 14 BORA; das Risiko einer fehlerhaften Übermittlung der einstweiligen Verfügung trägt vielmehr der Antragsteller, auch wenn diese ihm aus dem Rücklauf der Gerichtsvollzieherin nicht erkennbar war.

II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr.6, 711. 709 Satz 2 ZPO.


Buske
Zink
Dr. Weyhe

Rechtsgebiete

Verfahrens- und Zwangsvollstreckungsrecht