Die Formulierung „offenbar” als Hinweis auf eine Meinungsäußerung

Gericht

LG Berlin


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

30. 11. 2006


Aktenzeichen

27 O 745/06


Tenor

  1. Die Klage wird abgewiesen.

  2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils beizutreibenden Betrages zuzüglich 10% vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand

Der Kläger ist Drehbuchautor des Films "...". der erstmals am 19. Mai 2006 um 20.40 Uhr auf dem Fernsehsender "arte" ausgestrahlt wurde.

Die Beklagte ist Verlegerin der ...Zeitschrift ..., in deren Ausgabe ... auf Seite 127 Folgendes über den Film "..." geäußert wurde:

Der Film "21 Gramm", eine US-amerikanische Produktion, wurde im Oktober 2004 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt. Sowohl im Film "21 Gramm", als auch im Film ... steht eine Organtransplantation im Mittelpunkt.

Der Drehbuchvertrag zu ... wurde am 4. März 2004 zwischen dem Kläger und der Produktionsfirma Polyphon geschlossen, Unter IX. des Vertrages heißt es unter Ziffer 2.4 b) "Der Urheber gewährleistet ferner, dass das Werk, dessen Inhalt oder Teile des Werkes nicht widerrechtlich urheberrechtlich geschützten Werken anderer Urheber entnommen sind" Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf Anlage A 3 verwiesen.

Der Kläger sieht sich durch den Artikel schwerwiegend in seinem Persönlichkeitsrecht verletzt. Er behauptet. die Idee zu dem Film ..., sei bereits 2002 entstanden. Das Drehbuch zu dem Film beruhe auf einem Zeitungsartikel, in dem es um einen Israeli gegangen sei, der bei einem Selbstmordanschlag ums Leben gekommen und dessen Niere einem Palästinenser transplantiert worden sei. Die Idee zu dem Film stamme vom Producer K.D. Zeisberg. Er ist der Ansicht, dass eine Tatsachenbehauptung vorliege. Durch die Art der Darstellung und den Gesamteindruck werde beim Leser der Eindruck erweckt, dass es sich bei dem dem Film zugrunde liegenden Drehbuch nicht um ein eigenes Werk des Klägers handle. Die Beklagte trage auch eine erweiterte Darlegungs- und Substanziierungspflicht bezüglich der Unwahrheit der Äußerung, weil sie eine negative Tatsache geltend mache. Da der Film "21 Gramm" erst im Oktober 2004 im deutschen Fernsehen ausgestrahlt worden sei, sei davon auszugehen, dass der Verfasser der Fernsehkritik den Film gar nicht gesehen und seine Behauptungen "ins Blaue hinein" aufgestellt habe. Es sei nicht ausgeschlossen, dass durch den Beitrag ein erheblicher Schaden entstanden sei. Zudem hält er eine Entschädigung von mindestens 5000,00 € für angemessen

Der Kläger beantragt,

die Beklagte zu verurteilen,

  1. ihre in der ... aufgestellte Behauptung: "Drehbuchautor ... ließ sich offenbar von ‚21 Gramm’, dem US-Hit mit Sean Penn und Naomi Watts, inspirieren. So unrühmlich dieser Ideenklau auch sein mag... " sowie "Gut geklaut ist hab gewonnen" zu widerrufen und den Widerruf in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlossenen Ausgabe der Fernsehprogrammzeitschrift ... wie folgt in einer vom Gericht zu bestimmenden Größe und Aufmachung zu veröffentlichen:

    "Widerruf

    In ... erschien ein Kommentar zu dem Fernsehfilm ... . Der Kommentar enthält eine falsche Tatsachenbehauptung: falsch ist, dass sich der Drehbuchautor ... von "21 Gramm", dem US-Hit mit Sean Penn und Naomi Watts inspirieren ließ und hieraus seine Ideen geklaut habe. Diese Behauptungen werden als unwahr widerrufen."

    hilfsweise

    die vorgenannte Behauptung wie folgt richtig zu stellen:

    "Richtigstellung

    Auf Seite 127 der Ausgabe 10/06 hatte ... den Film ... mit dem Schlagwort "Gut geklaut ist halb gewonnen" kommentiert und geschrieben, dass sich der Drehbuchautor ... offenbar von "21 Gramm", den US-Hit mit Sean Penn und Naomi Watts, hatte inspirieren lassen. Der dadurch erweckte Eindruck, der Drehbuchautor ... habe die Ideen zu seinem Film ... aus dem Film "21 Gramm" geklaut, ist unrichtig. Der Verlag."

  2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm denjenigen Schaden zu ersetzen, der ihm aus der Verbreitung der in Ziffer 1. genannten Behauptung entstanden ist und künftig entstehen wird,

  3. die Beklagte zu verurteilen, an ihn zum Ausgleich des ihm durch die Veröffentlichung der in Ziffer 1 genannten Behauptung entstandenen immateriellen Schadens einen Betrag zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, dass sich der Kläger mit seiner Klage unzulässigerweise gegen eine Meinungsäußerung richte. Es gehe um eine Spielfilmkritik. Für den Leser sei erkennbar, dass es sich um eine subjektive Bewertung des Redakteurs handle. Durch die Verwendung des Begriffs "offenbar" werde für jeden Leser deutlich, dass der Kritiker die Inspiration durch die Idee des Films "21 Gramm" nur vermute. Außerdem beziehe sich "sich inspirieren lassen" auf innere Beweggründe, die einer Berichtigung nicht zugänglich seien. Schließlich habe der Kläger nicht ansatzweise die Unwahrheit der angeblichen Tatsachenbehauptungen dargelegt oder gar unter Beweis gestellt. Die Filme ... und "21 Gramm" wiesen erhebliche Parallelen auf. Diese bestünden nicht nur darin, dass beide Filme über Organtransplantationen berichteten, die zu einem moralischen Dilemma führten, sondern auch die Konstruktion beider Filme sei gleich. Der begehrte Widerruf könne zudem schon deshalb nicht mit Erfolg durchgesetzt werden, weil die Erstmitteilung verfälscht wiedergegeben werde. Der Feststellungsantrag sei schließlich mangels rechtswidriger Behauptung unbegründet: außerdem sei ihr, der Beklagten, kein Verschulden zur Last zu legen Eine Geldentschädigung scheide aus, weil jedenfalls keine schwerwiegende Rechtsverletzung ersichtlich sei.

Wegen der Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Die Klage ist im Ganzen unbegründet.


I.

Sowohl ein Widerrufs-, als auch ein Richtigstellungsanspruch scheitern daran, dass es sich bei der beanstandeten Äußerung "Kommt uns bekannt vor: Drehbuchautor ... ließ sich offenbar von ‚21 Gramm’, dem US-Hit mit Sean Penn und Naomi Watts, inspirieren. So unrühmlich dieser Ideenklau auch sein mag..." in ihrem Kontext insgesamt um eine Meinungsäußerung handelt und von der Richtigkeit des der Meinungsäußerung zugrunde liegenden Tatsachenkerns auszugehen ist.

Die Äußerung findet sich im Zusammenhang mit einer Filmkritik. Der Kritiker legt seinen Gedankengang offen, demzufolge er aus einer thematischen Parallele zwischen "21 Gramm" und ... darauf geschlossen hat, dass der Kläger sich "offenbar" von dem Film "21 Gramm" habe inspirieren lassen. Der Kritiker stellt, wie er auch durch "offenbar" unterstreicht, erkennbar gerade nicht eine Tatsachenbehauptung dahingehend auf, dass der Kläger die Idee tatsächlich in dem Sinne "geklaut" habe, dass er den Film "21 Gramm" also geradezu bewusst "kopiert" habe, sondern er mutmaßt ("offenbar") lediglich eine "Inspiration" und legt offen, wie er zu dieser Mutmaßung gelangt ist. Auch der Kläger räumt im Übrigen ein, dass der Autor der Filmkritik erkennbar spekuliert hat; das Spekulative wird für den Leser auch deutlich. Der Durchschnittsleser versteht im Übrigen, anders als es der Kläger meint, die Äußerung weder so, als werde dem Kläger eine konkrete Urheberrechtsverletzung vorgeworfen, noch entnimmt der Leser der Äußerung die Behauptung, das dem Film zugrunde liegende Drehbuch sei tatsächlich nicht "Werk" des Klägers. Der auf die Mutmaßung einer "Inspiration" folgende Satz, der mit "So unrühmlich dieser Ideenklau auch sein mag" beginnt, stellt ebenso wie die Schlussbewertung "Gut geklaut ist halb gewonnen" in ihrem Kontext keine eigenständige Tatsachenbehauptung auf, weil eindeutig auf die "offenbare" (also vermutete, gemeinte, angenommene) "Inspiration", die Gegenstand des vorangegangenen Satzes war, Bezug genommen wird, die der Kritiker den Parallelen beider Filme entnommen hat.

Soweit der Äußerung in ihrer Gesamtheit der Tatsachenkern zugrunde liegt, dass dem Zuschauer das Motiv des Films ... aus dem Film "21 Gramm" wegen gewisser Parallelen der Grundidee bekannt vorkommen kann, ist diese Behauptung im Kern unstreitig richtig. Auch der Kläger räumt ein, dass die Grundthematik beider Filme die gleiche ist. Die Spekulation des Kritikers ist also keinesfalls "ins Blaue hinein" erfolgt. Der darlegungs- und beweisbelastete Kläger hat schließlich nicht dargelegt, worum es genau in dem Film "21 Gramm" einerseits und in seinem Film andererseits geht. und warum es fern liegend sein soll, Parallelen zwischen den Filmen zu erkennen, die eine Inspiration des einen Films durch den anderen vermuten lassen. Bei der Äußerung handelt es sich nicht um Schmähkritik, weil die sachliche Auseinandersetzung mit den Inhalten des Films im Vordergrund steht und die Kritik auch einen sachlichen Kern, nämlich die gemeinsame Grundthematik beider Filme, hat.


II.

Auch der Feststellungsantrag ist unbegründet. Der Kläger hat bereits nicht ansatzweise substanziiert vorgetragen, dass ein materieller Schaden konkret droht. Er beschränkt sich auf bloße Mutmaßungen, insbesondere darauf, dass "nicht ausgeschlossen sei", dass er, der Kläger, als Drehbuchautor keine weiteren Drehbuchauftrage erhalten wird. Auf welche konkreten Tatsachen er dies stützt, bleibt offen. Er beschränkt sich auf Mutmaßungen, die im Übrigen auf der falschen Prämisse beruhen, dass er in der beanstandeten Filmkritik als "unseriöser Drehbuchautor" oder gar als "Lügner" hingestellt werde. Den Vorwurf der Unseriosität und der Lüge vermag der Durchschnittsleser der Filmkritik nicht zu entnehmen.


III.

Auch eine Geldentschädigung steht dem Kläger mangels Persönlichkeitsrechtsverletzung nicht zu. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Sätze 1 und 2 ZPO.


Becker
von Bresinsky
Bömer

Rechtsgebiete

Presserecht