Äußerung: „erhebliche Wahrnehmungsstörungen”

Gericht

LG Bonn


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

06. 06. 2005


Aktenzeichen

9 O 31/05


Tenor


Tenor:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

3) Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des beizutreibenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand:

Gegenstand des Verfahrens ist die Geltendmachung von Schadenersatz und Schmerzensgeld anlässlich der Weitergabe von Fotos sowie der begehrte Widerruf einer Bemerkung.

Die Klägerin ist Staatsanwältin. Im Jahr 2003 wandte sie sich an die Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler. Hintergrund war, dass sie die Tätigkeit der Ärzte in der Frauenklinik in J anlässlich einer Entbindung im Sommer 2003 überprüfen lassen wollte.

Am 04.12.2003 unterschrieb die Klägern eine "Entbindungserklärung von der ärztlichen Schweigepflicht zum Antrag auf Überprüfung einer ärztlichen Behandlung". Darin heißt es: "[...] Ärzte, die mich zur Zeit oder im weiteren Verlauf dieses Verfahrens untersuchen/behandeln [...], entbinde ich hiermit gegenüber der Gutachterkommission, den von ihr hinzugezogenen Gutachtern und weiteren Verfahrensbeteiligten von ihrer beruflichen Schweigepflicht."

Die Gutachterkommission setzte den Beklagten als Gutachter ein. Dieser untersuchte die Klägerin am 20.07.2004. Bei dieser Untersuchung wurden mit einer Digitalkamera u. a. mehrere Fotos vom Intimbereich der Klägerin gefertigt.

Am selben Tag wandte sich die Klägerin an die Gutachterkommission und bat, den Beklagten wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. In dem Schreiben der Klägerin spielten die gefertigten Fotos keine Rolle, vielmehr ging es um Äußerungen des Beklagten gegenüber der Klägerin, die Frauenklinik in J betreffend. Mit Schreiben vom 25.07.2004 wandte sich die Klägerin an den Beklagten und bat, die gefertigten Fotoaufnahmen sofort vollständig zu vernichten und entsprechende Datensätze zu löschen. Dies geschah nicht.

Am 09.08.2004 sandte die Gutachterkommission das Ablehnungsgesuch der Klägerin an den Beklagten und bat ihn um Stellungnahme binnen 2 Wochen. Weiter heißt es in dem Anschreiben: "Ihre Ablehnung als Sachverständiger wegen Besorgnis der Befangenheit erscheint unter der Voraussetzung, dass die Ausführungen der Antragstellerin zutreffen, begründet. Wir bitten Sie deshalb, den Gutachtenauftrag mit den Akten ggf. unerledigt zurückzureichen, damit ein anderer Sachverständiger beauftragt werden kann."

In dem Antwortschreiben des Beklagten vom 16.08.2004 nahm dieser Bezug auf das Befangenheitsgesuch der Klägerin. Am Ende des Schreibens steht "Meines Erachtens bestehen erhebliche Wahrnehmungsstörungen bei [der Klägerin], die durch das Schreiben bezüglich der Vorstellung in meiner Abteilung auffällig wurden."

In dem "Nachsatz" heißt es: "Ein verschlossener und "versiegelter" Umschlag mit den Bildern von Frau Q ist diesem Schreiben beigefügt. Frau Q hatte mit Schreiben vom 25.07 2004 um die Vernichtung der Bilder gebeten. Da ich nicht beurteilen kann, ob ich aus juristischer Sicht diesem Wunsch nachkommen muss, versichere ich an dieser Stelle, dass darüber hinaus sämtliche Datensätze gelöscht wurden.

Die Bilder sind- wie erwähnt- in einem gut verschlossenen Umschlag beigefügt [...]. Ich möchte ausdrücklich betonen dass von mir aus diese Bilder durch Sie vernichtet werden können.[...]"

Dieses Verhalten veranlasste die Klägerin zu einem weiteren Schreiben an den Beklagten, in dem sie ihn aufforderte die Bilder von der Gutachterkommission zurückzuerlangen und direkt an sie, die Klägerin, herauszugeben. Da sich der Beklagte hierauf nicht meldete, beauftragte die Klägerin ihre Prozessbevollmächtigte, die den Beklagten mit Schreiben vom 08.09.2004 anschrieb. Dem Schreiben fügte sie eine Vollmacht der Klägerin bei, die erteilt worden war, unter anderem zur "Vertretung ... bei außergerichtlichen Verhandlungen aller Art" sowie zur "Abgabe und Entgegennahme von einseitigen Willenserklärungen..." In dem Antwortschreiben des Beklagten an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom 23.09.2004 nahm dieser ausführlich zu den Vorwürfen Stellung. Bei dieser Stellungnahme erwähnte er auch Einzelheiten des persönlichen Gesprächs anlässlich der Untersuchung vom 20.07.2004.

Die Klägerin ihrerseits verzichtete am 12.09.2004 gegenüber der Gutachterkommission vorübergehend auf die Herausgabe der Bilder.

Die Klägerin behauptet der Beklagte habe bei Fertigung der Fotos angegeben, diese würden für eine Kollegin benötigt, die das Gutachten erstatten solle, derzeit aber urlaubsbedingt abwesend sei. Die Klägerin ist der Auffassung, der Beklagte habe ihre Persönlichkeitsrechte verletzt und gegen die ärztliche Schweigepflicht verstoßen.

Die Klägerin beantragt,

1) Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägern ein angemessenes Schmerzensgeld. dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, welches jedoch nicht unter 15.900,- € liegen sollte sowie 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 18.12.2004 zu zahlen.

2) Es wird festegestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche weiteren Schäden, die ihr aus den Ereignissen vorn 16.08.2004 sowie 23.09.2004 sowohl in materieller als auch in immaterieller Hinsicht erwachsen, zu ersetzen hat, soweit diese Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

3) Der Beklagte wird verurteilt. seine im Schreiten vom 16.08.2004 gegenüber der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler aufgestellte Behauptung, die Klägerin würde unter "erheblichen Wahrnehmungsstörungen" leiden, durch schriftliche Erklärung gegenüber der Gutachterkommission für ärztliche Behandlungsfehler zu widerrufen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte trägt vor, die Fotos seien gefertigt worden, um den Vorher-NachherZustand zu dokumentieren. Von einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin könne keine Rede sein.

Hinsichtlich der Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst ihrer Anlagen sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 28.04.2005 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zwar zulässig, jedoch unbegründet.

Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Schmerzensgeld.

Ein Anspruch aus § 823 I iVm § 253 BGB wegen der Herausgabe der Fotos an die Gutachterkommission anlässlich des Schreibens vom 16.08.2004 besteht nicht. Eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin durch die Weitergabe der Fotos ist nicht gegeben. Zwar umfasst das Recht des einzelnen auf Achtung seiner Persönlichkeit auch die Untersagung der Veröffentlichung oder Weitergabe von Fotos an Dritte, d. h. das Recht am eigenen Bild. Dies gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Im vorliegenden Fall gilt die Besonderheit, dass die gefertigten Fotos im Rahmen ärztlicher Untersuchungen erfolgen und zu einem medizinischen Gutachten gehören, damit auch Teil der Patientenunterlagen eines Arztes geworden sind. Ein Anspruch auf Herausgabe solcher Unterlagen besteht grundsätzlich nicht. Ein Arzt hat insofern nach anerkannter Rechtsprechung nur die Pflicht, die Unterlagen zur Einsicht freizugeben oder für den Patienten Ablichtungen hiervon zu fertigen (LG Karlsruhe, NJW-RR 2001, 236; LG Dortmund, NJW 2001, 2773).

Die Klägerin hatte hier auch eingewilligt, dass Fotos u. a. auch von ihrem Intimbereich gefertigt werden. Dabei spielt es keine erhebliche Rolle, ob die Bilder, wie von ihr vorgetragen vom Beklagten für eine urlaubsabwesende Kollegin oder generell für die ärztliche Dokumentation und zur Beurteilung eines "Vorher-Nachher-Zustands" gefertigt wurden. Gerade bei einem medizinischen Sachverständigengutachten ist es insoweit üblich, Fotos von dem "Ist-Zustand" des/der Patienten(in) zu machen, damit diese in einem späteren etwaigen Gerichtsverfahren verwendet werden können und eine konkrete Vorstellung vom Gesundheitszustand des Patienten und etwaiger Schäden gebildet werden kann. Der Beklagte war im übrigen unstreitig von der Gutachterkommission aufgefordert worden, alle Dokumente die Klägerin betreffend herauszugeben; insoweit war er auch verpflichtet, die Unterlagen und auch Bilddokumentationen vollständig der Kommission als Auftraggeber des Gutachtens zu überlassen.

Schließlich fehlte es hinsichtlich der (Nicht-) Herausgabe bzw. Übersendung der Bilder an die Gutachterkommission an einem rechtswidrigen oder schuldhaften Eingriff des Beklagten in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin. lm Rahmen seines Gutachtenauftrags unter Berücksichtigung der hierzu gegebenen Einwilligung der Klägerin war er zunächst (vertraglich) seinem Auftraggeber auch als Arzt verpflichtet. Dazu gehörte sowohl die ordnungsgemäße Untersuchung der Klägerin und die Erstellung des Gutachtens, als auch andererseits die ordnungsgemäße Verwaltung ihm überlassener oder von ihm selbst gefertigter Krankenunterlagen, wozu - wie dargelegt - auch die Bilddokumentation gehörte. Die Übersendung der Unterlagen an die Kommission nach Ende des Auftrags beinhaltete daher weder ein vertrags-, noch ein rechtswidriges, geschweige denn ein schuldhaftes Verhalten, auch wenn die Klägerin zuvor persönlich die Herausgabe verlangte. Hierauf bestand kein Anspruch, abgesehen davon hat die Klägerin gegenüber der Kommission darin auch am 12.9.2004 "vorübergehend" auf die Herausgabe der Bilder verzichtet.

Ein Anspruch der Klägerin auf Schmerzensgeld aus § 823 II BGB iVm § 203 I Nr. 1 StGB. § 253 BGB scheidet damit ebenfalls aus.

Die Klägerin hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Schmerzensgeld wegen des Schreibens des Beklagten an die Prozessbevollmächtigte der Klägerin vom 23.09.2004. Ein Anspruch aus § 823 II BGB, § 203 I Nr. 1 StGB iVm § 253 BGB ist auch insoweit nicht gegeben. Der Beklagte hat sich nicht der Verletzung der ärztlichen Schweigepflicht schuldig gemacht. Es ist weder der objektive (rechtswidrige), noch der subjektive Tatbestand des § 203 I StGB erfüllt. Denn der Beklagte konnte davon ausgehen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin die Tatsachen hinsichtlich der Untersuchung kannte. Er verließ sich darauf, dass diese Tatsachen der umfassend beauftragten und bevollmächtigen Rechtsanwältin gegenüber nicht geheim sind. Die Rechtsanwältin der Klägerin hatte ihm selbst eine entsprechende Vollmacht zur Kenntnis gegeben, welche die Vertretung bei außergerichtlichen Verhandlungen aller Art beinhaltete. Aus diesem Grunde durfte der Beklagte die Rechtsanwältin gleichsam als verlängerten Arm der Klägerin betrachten, mit der er sich anstelle der Klägerin auseinandersetzen musste. Die Preisgabe der Tatsache, dass die Klägerin nach der "Schließmuskelfunktion" gefragt hatte, gehört inhaltlich zu der gesamten Auseinandersetzung, da es sich gerade um die Untersuchung vom 20.07.2004 drehte. Selbst wenn der Tatbestand des § 203 I Nr. 1 StGB im übrigen erfüllt wäre, so wäre das Verhalten des Beklagten hier gerechtfertigt, weil überdies von einer mutmaßlichen Einwilligung auszugehen war. Ein rechtswidrig, schuldhaftes Verhalten des Beklagten ist nicht erkennbar.

Aus den gleichen Gründen hat auch der Klageantrag zu 2) keinen Erfolg. Denn mangels einer Verletzung des § 823 BGB kommt kein Schadensersatzanspruch wegen der Handlungen vom 16.08.2004 oder 23.09.2004 in Betracht. Weitere Anspruchsgrundlagen sind nicht ersichtlich.

Die Klägerin hat darüber hinaus auch keinen Anspruch auf Widerruf der inkriminierten Äußerung des Beklagten vom 16.08.2004 gegenüber der Gutachterkommission aus §§ 823 I, 1004 I S. 2 BGB. Ein solcher Widerrufsanspruch setzt eine unwahre Tatsachenbehauptung oder eine als Schmähkritik zu verstehende Meinungsäußerung voraus. Im vorliegenden Fall liegt eine Meinungsäußerung vor, die von dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit nach Art. 5 I GG gedeckt ist und keine Schmähkritik darstellt. Ein rechtswidriger Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Klägerin liegt nicht vor.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist jede beanstandete Äußerung in dem Gesamtzusammenhang zu beurteilen, in dem sie gefallen ist. Sie darf nicht aus dem sie betreffenden Kontext herausgelöst und einer rein isolierten Betrachtung zugeführt werden (vgl. BGH NJW 1994, 2614; NJW 1996, 1131). Eine Meinungsäußerung ist durch Elemente des Dafürhaltens und der subjektiven Einschätzung des Mitteilenden geprägt (vgl. BVerfG NJW 1992,1439). Nach diesen Maßstäben stellt sich die Äußerung des Beklagten als Meinung dar. Denn sie erfolgte im letzten Absatz eines Schreibens an die Gutachterkommission anlässlich einer Stellungnahme, zu der er aufgefordert worden war. Diese Stellungnahme bezog sich auf ein Befangenheitsgesuch der Klägerin, in dem sie nicht unerhebliche Vorwürfe gegenüber dem Beklagten geäußert hatte. Nachdem der Beklagte zu diesen ausführlich Stellung genommen hatte, erfolgte zuletzt die wertende Äußerung der "erheblichen Wahrnehmungsstörungen" bei der Klägerin. Ein Tatsachengehalt, der dem Beweis zugänglich wäre, ist insofern nicht erkennbar.

Die Äußerung des Beklagten ist vom Grundrecht des Art. 5 GG gedeckt. Die vorzunehmende Güter- und Interessenabwägung führt dazu, dass die Äußerung des Beklagten nicht gegen das Persönlichkeitsrecht der Klägerin verstößt. Denn es handelt sich nicht um eine Schmähkritik. Eine Schmähkritik liegt vor, wenn die persönliche Kränkung und Herabsetzung das sachliche Anliegen völlig in den Hintergrund drängt, wenn es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache, sondern um die bloße Diffamierung des Betroffenen geht, der jenseits überspitzter Kritik herabgesetzt und gleichsam an den Pranger gestellt werden soll (Palandt-Sprau, 63. Aufl. § 823 RN 102). Davon kann hier keine Rede sein. Vielmehr ging es dem Beklagten darum, zu den Vorwürfen der Klägerin, wonach er befangen sei, Stellung zu nehmen. Das Schreiben ist insoweit von Sachlichkeit geprägt, wobei sich der Beklagte andererseits gegen die Beschuldigungen der Klägerin zur Wehr setzte. Hierbei sind auch seine Beweggründe zu berücksichtigen. Er, der als Gutachter von der Gutachterkommission eingesetzt wurde, musste sich mit dem Vorwurf der Befangenheit auseinandersetzen und sich vor der Gutachterkommission hierfür rechtfertigen. Dass er dann im letzten Absatz die fragliche Kritik gegenüber der Klägerin äußert, erfolgte zu seiner "Rechtfertigung''. Auch wenn die Äußerung als pauschale Wertung der Sachlichkeit entbehrte, war sie aufgrund dar erhobenen Vorwürfe, der sich der Beklagte durch die Klägerin zu Unrecht ausgesetzt sah, von Artikel 5 GG gedeckt und zwar im Rahmen einer legitimen Verteidigung und in Wahrnehmung seiner Interessen in einem gegen ihn gerichteten Verfahren; es gelten insoweit keine anderen Grundsätze wie in einem Rechtsstreit (Prozess), in denn der Beschuldigte seine Rechte und Interessen ungehindert wahrnehmen und sich verteidigen darf (vg. hierzu auch BVerfGE in NJW-RR2001, 411; OLG München NJW RR 2001, 765 sowie Palandt/Sprau, BGB Kmtr., 64. Aufl. § 823 RN 104 mit weiteren Nachweisen).

Nach alledem war die Klage mit der Kostenfolge des § 91 I S. 1 ZPO abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 709 S. 1 ZPO.

Streitwert:

Klageantrag zu 1.): 15.900,-- €

Klageantrag zu 2.): 1000,-- €

Klageantrag zu 3.): 2000,-- €

GESAMT: 18.900,-- €

Rechtsgebiete

Äußerungsrecht