Beschränkung der allgemeinen Wehrpflicht auf Männer
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
26. 06. 2006
Aktenzeichen
6 B 9/06
Die Beschränkung der allgemeinen Wehrpflicht auf Männer nach Art. 12a Abs. 1 und 4 GG beruht auf sachlichen Gründen und steht nicht im Widerspruch zum Diskriminierungsverbot in Art. 14 EMRK.
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 23. November 2005 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe:
Die Entscheidung kann gemäß § 101 Abs. 3 VwGO ohne mündliche Verhandlung ergehen. Der vom Kläger mit Schriftsatz vom 3. März 2006 gestellte und nicht mit einer eigenständig tragenden Begründung versehene Antrag gibt keine Veranlassung, von dem Grundsatz abzuweichen, dass Entscheidungen, die nicht Urteile sind, ohne vorherige mündliche Verhandlung getroffen werden. Das Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde ist im Übrigen, wie die Regelungen in § 133 Abs. 3 Satz 3 und Abs. 5 VwGO zeigen, auf eine Entscheidung ohne mündliche Verhandlung angelegt. Die ausschließlich auf den Revisionszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Nichtzulassungsbeschwerde bleibt ohne Erfolg. Es fehlt an der erforderlichen Darlegung von Zulassungsgründen.
Eine solche Darlegung setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlichen noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. Beschluss vom 19. August 1997 BVerwG 7 B 261.97 Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 26). Eine solche Rechtsfrage ist in keinem der drei Rügevorbringen (1. - 3.) enthalten.
1. Für grundsätzlich klärungsbedürftig hält der Kläger, ob die Wehrpflicht den aus Art. 3 GG folgenden Grundsatz der Wehrgerechtigkeit verletze. Zwar habe der Gesetzgeber durch das Wehrpflichtgesetz vom 30. Mai 2005 der bislang bestehenden Beeinträchtigung der Wehrgerechtigkeit Rechnung getragen, ohne diese allerdings im erforderlichen Umfang zu beseitigen. Von den Angehörigen seines Jahrgangs würden wegen des zurück gegangenen Bedarfs der Bundeswehr nicht alle verfügbaren Wehrpflichtigen zum Wehrdienst herangezogen.
Diese Rüge ist unbegründet, weil die für klärungsbedürftig gehaltene Frage nach der Wehrgerechtigkeit in der Rechtsprechung des Senats bereits beantwortet worden ist. In seinem Urteil vom 19. Januar 2005 BVerwG 6 C 9.04 (BVerwGE 122, 331) hat der Senat entschieden, dass die Einberufung von Wehrpflichtigen im Jahre 2004 den Anforderungen der Wehrgerechtigkeit entsprach, welche die umfassende und gleichmäßige Heranziehung der Wehrpflichtigen zu einer Dienstleistung gebietet und welche nur gewährleistet ist, wenn die Zahl derjenigen, die tatsächlich Wehrdienst leisten, der Zahl derjenigen, die nach Maßgabe der Bestimmungen des Wehrpflichtgesetzes für den Wehrdienst zur Verfügung stehen, zumindest nahe kommt (a.a.O. S. 337 ff.). Nach dem von der Beklagten seinerzeit im erstinstanzlichen Verfahren vorgelegten Zahlenmaterial, dessen Richtigkeit damals weder vom Verwaltungsgericht noch vom Kläger in Zweifel gezogen worden ist, war die Wehrgerechtigkeit bei der Einberufung der verfügbaren Wehrpflichtigen in der Zeit vor den erheblichen Kürzungen des Personals der Bundeswehr nach 2000 eindeutig gewahrt. In den nachfolgenden Jahren bis 2003 nahm nach den Angaben der Beklagten die Zahl der Plätze, die für Grundwehrdienstleistende einschließlich der einen freiwilligen zusätzlichen Wehrdienst Leistenden zur Verfügung standen, um mehr als ein Viertel, ab. Da der Grundwehrdienst weniger als ein Jahr dauert, lag die Zahl der tatsächlich Einberufenen über der Zahl der zur Verfügung stehenden Plätze; jene Zahl verringerte sich in den Jahren von 2000 bis 2005 in noch stärkerem Umfang. Das Bundesministerium der Verteidigung nahm im Frühjahr 2003 die erheblich verringerte Personalstärke der Bundeswehr zum Anlass, dem System der gesetzlichen Wehrdienstausnahmen mit Wirkung vom 1. Juli 2003 im Verwaltungswege weitere Ausnahmen hinzuzufügen. Mit der Verabschiedung des Änderungsgesetzes vom 27. September 2004 hat sich der Gesetzgeber für die weitgehend unveränderte Übernahme der Ausnahmen in das Wehrpflichtgesetz entschieden. Damit ist er seiner Anpassungspflicht schon mit Rücksicht auf die übliche Dauer eines Gesetzgebungsverfahrens, aber auch in Anbetracht der Komplexität des Themas, noch rechtzeitig nachgekommen (a.a.O. S. 341 ff.). Der Senat hält die gesetzlichen Neuregelungen, die auch in die Neubekanntmachung des Wehrpflichtgesetzes vom 30. Mai 2005 (BGBl I S. 1465) eingegangen sind, für sachgerecht und unter dem Gesichtspunkt der Wehrgerechtigkeit nicht für bedenklich (a.a.O. S. 343 f.). Die Ausführungen in der Beschwerdebegründung geben keinen Anlass für eine abweichende Beurteilung.
2. Im Wege der Grundsatzrüge bringt der Kläger außerdem vor, er vertrete weiterhin die Auffassung, dass die nur für Männer bestehende Wehrpflicht eine geschlechtsbezogene Diskriminierung darstelle.
Diese Frage ist nicht grundsätzlich klärungsbedürftig, weil sie in der ständigen Rechtsprechung des erkennenden Senats bereits beantwortet worden ist. Der Senat hat zu der Frage der Beschränkung der Wehr- und Ersatzdienstpflicht auf Männer u.a. in seinem Urteil vom 10. November 1999 BVerwG 6 C 30.98 (BVerwGE 110, 40, 52 f.) wie folgt Stellung genommen: Dass Frauen anders als Männer in Friedenszeiten nicht zu einem Pflichtdienst herangezogen werden, beruht auf der Entscheidung des Verfassungsgebers in Art. 12a GG. Diese Vorschrift hat gleichen verfassungsrechtlichen Rang wie Art. 3 Abs. 2 und 3 GG; sie wäre somit selbst als Ausnahmeregelung gerechtfertigt, wenn man in der Dienstpflicht für Männer eine „Benachteiligung“ im Sinne des Art. 3 Abs. 3 GG zu sehen hätte (BVerfG, Beschluss vom 20. Dezember 1960 1 BvL 21/60 BVerfGE 12, 45, 52 f.; Beschluss vom 27. Dezember 2000 BVerwG 6 B 63.00 ).
3. Der Kläger hält ferner das Verhältnis von Art. 12a Abs. 1 GG zu Art. 14 EMRK für grundsätzlich klärungsbedürftig. Mit der Unterzeichnung der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten habe die Bundesrepublik Deutschland sich verpflichtet, ihre Verfassung den Normen der Konvention entsprechend anzupassen. Nach Art. 14 EMRK sei der Genuss der in dieser Konvention anerkannten Rechte und Freiheiten ohne Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts, der Rasse, der Hautfarbe, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, des Vermögens, der Geburt oder eines sonstigen Status zu gewährleisten. Danach habe die Bundesrepublik Deutschland sich verpflichtet, dass eine Diskriminierung insbesondere wegen des Geschlechts nicht erfolge. Gegen diese Bestimmung verstoße Art. 12a Abs. 1 GG in eklatanter Weise.
Die Rüge führt ungeachtet nicht geringer Zweifel daran, ob überhaupt eine grundsätzlich klärungsbedürftige Rechtsfrage formuliert worden ist nicht zum Erfolg.
Der EMRK kommt als nach Art. 59 Abs. 2 GG in die deutsche Rechtsordnung transformiertes Recht lediglich der Rang eines einfachen Bundesgesetzes zu (BVerfG, Beschlüsse vom 26. März 1987 2 BvR 589/79, 740/81 und 284/85 BVerwGE 74, 358 ). Normen der EMRK verleihen somit keine Rechte von Verfassungsrang. Sie verdrängen insbesondere nicht als höherrangiges Recht die Regelungen in Art. 12a Abs. 1 und Abs. 4 Satz 2 GG, wonach Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden können, Frauen dagegen „auf keinen Fall“ zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden dürfen. Sie sind bei der Interpretation des nationalen Rechts, und zwar auch des Verfassungsrechts, allerdings zu berücksichtigen (BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 2 BvR 1481/04 BVerfGE 111, 307 Rn. 30 ff.).
Nach Art. 14 EMRK ist der Genuss der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten, die insbesondere im Geschlecht, in der Rasse, Hautfarbe, Sprache, Religion, in den politischen oder sonstigen Anschauungen, in nationaler oder sozialer Herkunft, in der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, im Vermögen, in der Geburt oder im sonstigen Status begründet ist. Nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ergänzt Art. 14 EMRK die anderen Normen der Konvention und der Protokolle. Er hat keine selbständige Bedeutung, weil er nur im Hinblick auf den „Genuss der Rechte und Freiheiten“, die sie garantieren, Wirkung entfaltet. Er kann zwar auch dann Bedeutung erlangen, wenn diese anderen Vorschriften nicht verletzt sind. Insoweit entfaltet er eine autonome Wirkung. Doch kann er nicht angewendet werden, wenn der Sachverhalt des Rechtsstreits nicht unter den Tatbestand mindestens einer dieser Vorschriften fällt (EGMR EuGRZ 1995, 392, 393; EGMR NJW 2005, 875, 877). Um festzustellen, ob eine als diskriminierend gerügte Maßnahme sich auf die Gewährleistung des Genusses eines Konventionsrechts bezieht, ist im Einzelfall Art und Ausmaß der Ausübung solcher Rechte zu bestimmen. Die Vertragsstaaten haben nämlich nur den Genuss der Rechte zu gewährleisten, die sie anerkannt haben (Peukert, in: Frowein/Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl. 1996, Art. 14 Rn. 3).
Eine solche Betroffenheit in einem von der Konvention garantierten Recht oder einer Freiheit hat der Kläger zwar nicht dargetan. In Bezug auf den Wehrdienst ergibt sich diese jedoch unmittelbar aus dem Konventionstext. Nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. b) EMRK gilt nämlich nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit im Sinne von Art. 4 Abs. 2 und Abs. 3 EMRK eine Dienstleistung militärischer Art, zu welcher der vom Kläger abgelehnte Pflichtwehrdienst zählt. Die Regelung in Art. 4 Abs. 3 EMRK gehört zu dem von Art. 14 EMRK geschützten Genussbereich der Konvention. Art. 4 Abs. 3 EMRK hat nämlich nicht die Aufgabe, die Ausübung des in Art. 4 Abs. 2 EMRK garantierten Rechts zu „beschränken“, sondern den Inhalt dieses Rechts zu „umreißen“: Er bildet mit Abs. 2 eine Gesamtheit und hebt hervor, was „nicht als Zwangs- oder Pflichtarbeit gilt“, was diese Begriffe also nicht umfassen. Somit trägt er zur Interpretation des Abs. 2 bei. Seine vier Unterabsätze heben trotz ihrer Verschiedenheit auf den Grundgedanken des Allgemeininteresses, der gesellschaftlichen Solidarität und der Üblichkeit ab (EGMR, EuGRZ 1995, 392, 393). Daher zählt der militärische Pflichtdienst zu dem vom Diskriminierungsverbot umfassten Genussbereich i.S.v. Art. 14 EMRK.
Eine Unterscheidung ist i.S.v. Art. 14 EMRK diskriminierend, wenn sie „einer objektiven und vernünftigen Rechtfertigung entbehrt“, d.h. wenn sie nicht ein „legitimes Ziel“ verfolgt oder wenn „zwischen den angewendeten Mitteln und dem verfolgten Ziel keine vernünftige Beziehung der Verhältnismäßigkeit besteht“. Dabei verfügen die Vertragsstaaten über einen gewissen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Frage, ob und in welchem Umfang Unterschiede zwischen den Sachverhalten, die im Übrigen ähnlich sind, eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen. Jedoch können nur gewichtige Gründe den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte veranlassen, eine allein auf dem Geschlecht beruhende unterschiedliche Behandlung für mit der Konvention vereinbar zu erachten (EGMR, EuGRZ 1995, 392, 393). Der Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hat nicht ausgeschlossen, dass noch Gründe für eine unterschiedliche Behandlung von Männern und Frauen hinsichtlich der Inanspruchnahme für einen obligatorischen Dienst nach Art. 4 Abs. 3 Buchst. d) EMRK bestehen könnten, es aber für entscheidend gehalten, dass die entsprechende Dienstpflicht nicht „nur rechtlich und theoretisch“ besteht (a.a.O. S. 394). Diesen Anforderungen genügt die vom Kläger angegriffene Wehrpflicht.
Der Wehrdienst als Pflichtdienst für Männer wird in der Bundesrepublik Deutschland nicht nur rechtlich und theoretisch, sondern auch tatsächlich und praktisch eingefordert und erbracht. Seiner auf dem Wehrpflichtgesetz beruhenden Einführung liegen vom Gesetz- und Verfassungsgeber für wesentlich gehaltene und in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannte Differenzierungsüberlegungen zugrunde. Die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht knüpft an eine freiheitlich-demokratische Tradition an, die bis auf die Französische Revolution von 1789 und die Reformzeit in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass es Pflicht aller männlichen Staatsbürger ist, für den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft, deren personale Träger auch sie selbst sind, einzutreten (BVerfG, Urteil vom 13. April 1978 2 BvF 1/77 u.a. BVerfGE 48,127).
Nach Art. 12a Abs. 1 GG können Männer zum Dienst in den Streitkräften verpflichtet werden. Dagegen dürfen Frauen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden (Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG). In Anbetracht der Eindeutigkeit dieser Regelung besteht bereits vom Text der Verfassungsnorm her für eine am konventionsrechtlichen Grundsatz der Nichtdiskriminierung orientierte Auslegung kein Spielraum. Eine solche Auslegung ist für den militärischen Pflichtdienst aber auch gemäß Art. 14 i.V.m. Art. 4 Abs. 3 Buchst. b) EMRK nicht geboten. Denn für die Beschränkung der allgemeinen Wehrpflicht auf Männer lassen sich sachliche Gründe finden, die vor Art. 14 EMRK standhalten. Solche Gründe können darin erblickt werden, dass Frauen typischerweise nach wie vor im familiären Bereich größeren Belastungen ausgesetzt sind als Männer. Dies rechtfertigt es, Frauen in Friedenszeiten von einer Dienstverpflichtung ganz auszunehmen, wie dies in Art. 12a Abs. 1 und 4 GG geschehen ist. Davon unberührt ist, dass der Ausschluss der Frauen auch vom freiwilligen bewaffneten Dienst in den Streitkräften nicht mehr zeitgemäß ist, so dass der Verfassungsgeber ihn durch die Neufassung des Art. 12a Abs. 4 Satz 2 GG beseitigt hat (vgl. zur Gesamtproblematik: Gornig, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck, Grundgesetz, Band 1, 5. Aufl. 2005, Art. 12a Rn. 149 und 155). Angesichts dessen besteht zwischen der Regelung in Art. 12a GG einerseits und derjenigen in Art. 14 EMRK andererseits kein Widerspruch.
4. Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, diejenige über den Streitwert auf § 52 Abs. 2 GKG.
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