HILTI-Koffer

Gericht

Harmonisierungsamt für den Binnenmarkt


Art der Entscheidung

Entscheidung über Beschwerde


Datum

11. 01. 2006


Aktenzeichen

R 1/2005-4


Tatbestand


Sachverhalt:

Am 29. Oktober 2003 meldete die Beschwerdeführerin folgendes Zeichen als Gemeinschaftsmarke an:

Unter „Markenform“ wurde „dreidimensionale Marke“ angegeben, es wurde die Farbe „rot, RAL 3020“ beansprucht.

Nach Änderung der Klassifizierung beansprucht die Anmeldung nunmehr noch:

Klasse 7 – Koffer für Transport und Aufbewahrung von Bohrhämmern für Profis in der Baubranche, insbesondere aus Metall oder Kunststoff.

Am 30. Juli 2004 beanstandete der Prüfer die Anmeldung gemäß Artikel 7 Absatz 1 e) (ii) und Absatz 1 Buchstabe b) GMV.

Am 30. September 2004 nahm die Anmelderin Stellung und trat der Beanstandung voll entgegen. Zunächst beantragte sie im Hinblick darauf, dass der Prüfer die Marke als reine Warenformmarke angesehen habe, eine Änderung der Markenform von „dreidimensionale Marke“ in „sonstige“, da es sich tatsächlich um die Aufmachung der Ware, nämlich die räumliche Darstellung eines roten Koffers, handele. Somit bestehe die Marke nicht ausschließlich aus der Form der Ware, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Sie berief sich auf Verkehrsdurchsetzung und legte hierzu Gutachten der GfK Marktforschung für die Bundesrepublik Deutschland sowie des Instituts für Demoskopie Allensbach für Österreich und die Schweiz vor.

Mit Entscheidung vom 5. November 2004 wies der Prüfer die Anmeldung für alle beanspruchten Waren zurück.

Der Prüfer lehnte zunächst eine Änderung der Markenform in eine „Aufmachungsmarke“ gemäß Artikel 44 GMV ab.

Der Prüfer bejahte das Vorliegen eines Eintragungshindernisses gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV, da das Zeichen ausschließlich aus der Form der Ware bestehe, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Die Darstellung der Marke bestehe aus einem Koffer, der zur oberen Seite hin gewölbt ist sowie zwei Verschlüsse und einen Haltegriff aufweist. Hierbei handele es sich um rein funktionelle Elemente. Die Marke bestehe ausschließlich aus einer Form, die zur Erreichung von technischen Wirkungen, nämlich zur Aufbewahrung und zum Transport von Gegenständen erforderlich ist. Ob weitere Alternativen zur Erreichung dieses Ziels bestehen, sei nach der Rechtsprechung des EuGH nicht maßgebend. Aus der Verwendung einer bestimmten Farbe, hier der Signalfarbe rot, könne eine Schutzfähigkeit nicht hergeleitet werden.

Was das in dem Beanstandungsbescheid vom 30. Juli 2004 aufgeworfene Eintragungshindernis des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe b) GMV (mangelnde Unterscheidungskraft) angeht, führte der Prüfer aus, dass die Überprüfung der Unterscheidungskraft dahingestellt bleiben könne, da ein Eintragungshindernis zur Versagung der Schutzfähigkeit ausreichend sei. Im Ergebnis nahm der Prüfer nur noch auf den Zurückweisungsgrund des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV Bezug; auf den Vortrag der Anmelderin zur Verkehrsdurchsetzung ging er nicht ein.


Beschwerdegründe

Mit der am 27. Dezember 2004 eingereichten und am 7. März 2005 begründeten Beschwerde beantragt die Beschwerdeführerin, die angefochtene Entscheidung im gesamten Umfang aufzuheben, und verfolgt ihr erstinstanzliches Begehren voll umfänglich weiter.

Die Beschwerdeführerin insistiert, dass es sich nicht nur um die Form der Ware selbst, sondern um die Kombination der Form eines Koffers und des Farbtons RAL 3020 als kombinierte Form-Farbmarke handele. Dem Beschwerdeverfahren sei die angemeldete Markenform so zugrunde zu legen, wie sie die Anmelderin in ihrem Antrag beansprucht hat. Die Anmelderin habe davon ausgehen können, dass sie mit dem Ankreuzen des Kästchens „dreidimensionale Marke“, dem Benennen eines Farbanspruchs und dem Hinzufügen einer farbigen Abbildung die richtige, d. h. ihrer materiellen Qualifikation entsprechende Markenkategorie gewählt hatte. Die formelle Benennung einer Marke könne für den Markenanspruch und für die bei der Prüfung anzulegenden Kriterien nicht relevant sein.

Die Beschwerdeführerin meint, Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV sei schon deshalb nicht einschlägig, weil die Anmeldung eine bestimmte Farbe beanspruche. Anders als im EuGH-Fall „Philips/Remington“ handele es sich eben nicht um eine reine Formmarke. Durch die Gewährung von Markenschutz für den Gegenstand der Anmeldung werde Wettbewerbern auch nicht die Benutzung der Form des Koffers als solche entzogen.

Der Gegenstand der Anmeldung sei auch originär unterscheidungskräftig.

Jedenfalls sei der Gegenstand der Anmeldung gemäß Artikel 7 Absatz 3 GMV durchgesetzt. Die von der vorliegenden Marke beanspruchten Waren würden nur in Kombination mit Bohrgeräten angeboten. Die Anmelderin sei eine der wenigen Anbieterinnen von Bohrhämmern für professionelle Anwender und unter diesen führend. Bereits seit den 60er Jahren unterscheide sie ihre Produkte von denjenigen der Konkurrenten durch rote Koffer wie den in der Anmeldung abgebildeten. Auch verwende sie die Marke „roter Koffer“ auch in der Werbung seit Jahrzehnten.

Zum Nachweis für die Verkehrsdurchsetzung berief sie sich zum einen auf die im Prüfungsverfahren eingereichten Unterlagen und legte zum anderen ergänzend für alle weiteren der (bis zum 1. Mai 2004) 15 EG-Mitgliedstaaten erstellte Datenblätter vor, die die geografische Verteilung (Zahl der Verkäufe und der Hilti-Zentren), die Dauer der Benutzung, den Marktanteil und die Werbeaufwendungen der letzten 5 Jahre aufführen.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe

Zur Markenform

Wie auch von der Beschwerdeführerin im Rahmen ihres Vortrags zur Verkehrsdurchsetzung betont, handelt es sich bei der angemeldeten Marke um die Darstellung eines für Transport und Aufbewahrung von Bohrhämmern in der Baubranche geeigneten Koffers, also um die Darstellung der Form der Ware selbst. Eine ursprünglich von der Anmelderin beantragte Änderung der Markenkategorie ist vom Prüfer mit der angefochtenen Entscheidung abgelehnt worden und wird von der Beschwerdeführerin nun nicht mehr weiterverfolgt, so dass von dem Gegenstand der Anmeldung in der ursprünglich eingereichten Form, nämlich einer dreidimensionalen Marke mit Farbanspruch „rot, RAL 3020“ auszugehen ist. Welche Schlussfolgerungen sich daraus für die Prüfung der Schutzfähigkeit ergeben, steht auf einem ganz anderen Blatt.

Zu Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV

Dagegen kann die angefochtene Entscheidung nicht bestätigt werden, die das Eintragungshindernis des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV als gegeben ansieht.

Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) schließt solche Zeichen von der Eintragung aus, die ausschließlich aus der Form der Ware bestehen, die zur Erreichung einer technischen Wirkung erforderlich ist. Da anders als mangelnde Unterscheidungskraft dieses Eintragungshindernis nicht durch Verkehrsdurchsetzung überwunden werden kann, sind sonstige Elemente der angemeldeten Marke, seien es Formelemente oder die Wahl bestimmter Farben, nur dann geeignet, aus dem Anwendungsbereich dieser Bestimmung hinauszuführen, wenn sie für sich genommen unterscheidungskräftig sind, nicht jedoch schon dann, wenn sie lediglich in der Kombination mit den gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) GMV ausgeschlossenen Merkmalen Unterscheidungskraft begründen würden (Entscheidung der Nichtigkeitsabteilung vom 30. Juli 2004, 63 C, Rdn. 71, betreffend einen roten Lego-Baustein). In der Rechtsprechung ist nunmehr geklärt (Urteil des EuGH vom 18. Juni 2002, Rechtssache C-299/99, Philips/Remington, Slg. 2002 I-5475), dass

  • Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass eine Form, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen und gewählt wurden, um diese zu erfüllen, von allen frei verwendet werden kann;

  • diese Vorschrift verhindern will, dass Formen, deren wesentliche Merkmale einer technischen Funktion entsprechen, mit der Folge als Marke eingetragen zu werden, dass Mitbewerber daran gehindert werden, eine Ware mit einer solchen Funktion anzubieten oder zumindest die technische Lösung frei zu wählen, die sie einsetzen möchten, um ihre Ware mit einer solchen Funktion auszustatten;

  • die Form einer Ware, deren wesentliche funktionellen Merkmale nur der technischen Wirkung zuzuschreiben sind, von der Eintragung selbst dann ausgeschlossen ist, wenn die fragliche technische Wirkung durch andere Formen erzielt werden kann.

Der Begriff der Technik kann, wie im Patentrecht, im Sinne des Einsatzes beherrschbarer Naturkräfte zur Erreichung eines kausal übersehbaren Erfolgs ausgelegt werden (siehe Singer/Stauder, Kommentar zum Europäischen Patentübereinkommen, 2. Auflage, Artikel 52, Rdn. 17). Zudem muss die Form eine technische „Wirkung“ erreichen. Ganz unabhängig von der Frage der zur Verfügung stehenden Formalternativen verlangt Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV daher

  • dass eine bestimmte Form vorliegt,

  • dass diese Form eine bestimmte Wirkung erzielt,

  • dass der Eintritt oder Nichteintritt dieser Wirkungen, sei es auch nur zu einem bestimmten relevanten Grad, gerade von der Form abhängt und

  • dass diese Wirkung auf technischem und nicht etwa beispielsweise auf ästhetischem Gebiet liegt.

Der Gegenstand der Anmeldung besteht aus einem Koffer, der laut Warenverzeichnis zur Aufnahme von in der Baubranche verwendeten Bohrhämmern dient. Es mag sein, dass ein Koffer, um diese Funktion zu erfüllen, innen bestimmte Halterungen aufweisen muss. Diese sind jedoch in der von der Beschwerdeführerin eingereichten Wiedergabe der Marke nicht offenbart und nicht Gegenstand dieses Verfahrens. Zugrunde zu legen für die Prüfung sind lediglich die äußeren Formelemente des Koffers.

Da ein Koffer zum Transport von Gegenständen dient, stellt die Form eines Koffers für die Ware „Koffer“ zugleich dessen Funktion wie dessen Wesen dar. Jedoch hängt die Möglichkeit, Gegenstände in einem Behältnis zu transportieren, nicht von der Form des Behältnisses ab, sondern davon, ob dieses verschlossen werden kann und die ausreichende Größe für den zu transportierenden Gegenstand aufweist.

Weniger noch, die hier angemeldete Form eines Werkzeugkoffers ruft überhaupt keine Wirkungen lediglich kraft ihrer Form hervor. Die folgende Form ist noch nicht einmal, wie dies bei einem Geigenkasten der Fall wäre, an eine bestimmte Formgestaltung des zu transportierenden Gegenstands angepasst. Noch weniger wirkt sie sich auf die Gebrauchseigenschaften des zu transportierenden Gegenstandes aus. Ebenso wenig beeinflusst die vorliegende Kofferform – in technischer oder auch nur funktionaler Weise – die Eigenschaften von Koffern.

Die bloße Funktionalität eines Gegenstandes, also ein durch die Form der Ware hervorgerufener Vorteil bei der Haltbarkeit oder die Anpassung an die menschlichen Körperfunktionen (Ergonomie), fällt grundsätzlich nicht unter Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV. Eine „functionality doctrine“ wie im amerikanischen Recht, wo funktionale dreidimensionale Formen nur bei Verkehrsdurchsetzung eintragbar sind, ist dem Gemeinschaftsmarkenrecht so fremd. Wohl ist dagegen der funktionale Charakter einer Formgestaltung regelmäßig ein Gesichtspunkt, der, ohne zwangsläufig ausschlaggebend zu sein, gegen die ursprüngliche Unterscheidungskraft einer Formgestaltung im Rahmen des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe b) GMV spricht.

Das Erfordernis im Rahmen des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV, dass gerade eine bestimmte technische Wirkung durch eine ganz bestimmte Formgebung verursacht worden sein muss, steht im Einklang mit dem vom Gerichtshof im Urteil Philips/Remington betonten öffentlichen Interesse, technische Lösungen markenrechtlich frei zu halten, so dass für technische Lösungen nur ein zeitlich begrenzter Rechtsschutz – über Patente und allenfalls Geschmacksmuster – zur Verfügung steht. Dieses öffentliche Interesse ist durch die Gewährung von Markenschutz für Formen von Behältern wie Taschen, Koffern oder auch von Getränkeflaschen nicht berührt. Anders läge es wohl, wenn bestimmte Verschlussmechanismen für Taschen, Koffer oder Flaschen beansprucht würden. Der Unterschied zwischen technischer Wirkung einerseits und bloß funktionaler Formgestaltung andererseits kann auch am Beispiel der Waschmitteltabletten gezeigt werden: zwar ist die Form von Waschmitteltabletten von funktionalen Erwägungen (keine scharfen Ecken, Form, die sich der Aufnahmebox der Geschirrspülmaschine anpasst) diktiert, doch ist die Wirkung der Ware „Waschmittel“ nicht von der Form der Tablette abhängig.

Somit ist festzustellen, dass dem Gegenstand der Anmeldung der Zurückweisungsgrund des Artikels 7 Absatz 1 Buchstabe e) (ii) GMV nicht entgegensteht.

Da der Prüfer zwar nicht in der angefochtenen Entscheidung, wohl aber in dem Beanstandungsbescheid vom 30. Juli 2004 auf die Frage der ursprünglichen Unterscheidungskraft eingegangen ist und auch die Beschwerdeführerin in ihrer Beschwerdebegründung auf diese Frage eingegangen ist und umfangreiche Unterlagen zur Verkehrsdurchsetzung eingereicht hat, wird nunmehr zur abschließenden Beurteilung der Schutzfähigkeit der angemeldeten Marke durchentschieden (Artikel 62 Absatz 1 Satz 1, erste Alternative, GMV).

Zu Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b) GMV

Dem Gegenstand der Anmeldung fehlt die ursprüngliche Unterscheidungskraft gemäß Artikel 7 Absatz 1 Buchstabe b) GMV.

Die Form des Koffers ist im Wesentlichen rechtwinklig mit einem Tragegriff. Die Oberseite ist leicht gewölbt, und es handelt sich um unwesentliche Abwandlungen einer geometrischen Grundform für einen Koffer. Es handelt sich um eine Formgebung, die man von einem derartigen Koffer erwarten kann. Die Formgebung verfügt über keinerlei auffällige, besonders einprägsame Formmerkmale.

Je eher sich die angemeldete Form der Ware annähert, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung tritt, umso eher ist zu erwarten, dass der Form die Unterscheidungskraft fehlt. Nur eine Marke, die erheblich von der Norm oder Branchenüblichkeit abweicht und deshalb ihre wesentliche herkunftskennzeichnende Funktion erfüllt, besitzt auch Unterscheidungskraft (EuGH, Urteil vom 7. Oktober 2004 in der Rechtssache C-136/02 P, „Maglite“, Rdn. 31, ABl. HABM 2005, 474). Diesen Anforderungen genügt die angemeldete Formgebung zweifelsfrei nicht.

Auch die Farbgebung ist nicht unterscheidungskräftig. Einer einzelnen Farbe kommt gewöhnlich, sofern nicht im Hinblick auf die angemeldeten Waren oder Dienstleistungen besondere Umstände vorliegen, keine ursprüngliche Unterscheidungskraft zu (EuGH, Urteil vom 6. Mai 2003 in der Rechtssache C- 104/01, „Libertel“, Rdn. 65, ABl. HABM 2003, 1734). Solche besonderen Umstände sind hier nicht ersichtlich, ganz im Gegenteil. Die Farbe rot ist für Koffer aller Art durchaus üblich, wovon man sich, was den Bereich des Reisegepäcks betrifft, leicht selbst am Gepäckband des Flughafens überzeugen kann. Auch bei Koffern und Behältern, die im Baustellenbereich zum Einsatz kommen, wird rot als Signalfarbe verstanden oder dient zur Kennzeichnung von Erste-Hilfe-Behältern. Es gibt auch keinen Erfahrungssatz, dass Werkzeugkoffer immer in einer bestimmten Farbgebung gehalten wären mit der Folge, dass eine andere Farbgebung etwa besonders auffällig wäre.

Auch aus der Anwendung der nicht unterscheidungskräftigen Grundfarbe rot für eine bestimmte Form eines Koffers oder Behälters ergibt sich keine Kombinationswirkung, die das angemeldete Zeichen im rechtlichen Sinne unterscheidungskräftig machen könnte.

Zu Artikel 7 Absatz 3 GMV

Dagegen ist die Berufung der Beschwerdeführerin auf Verkehrsdurchsetzung (Artikel 7 Absatz 3 GMV) aufgrund der im Prüfungsverfahren und mit der Beschwerdebegründung eingereichten Unterlagen erfolgreich.

Was die Gutachten der GfK Marktforschung für die Bundesrepublik Deutschland und des Instituts für Demoskopie Allensbach für Österreich betrifft, ist zunächst festzuhalten, dass bei zutreffender Fragestellung Verkehrsbefragungen renommierter, unabhängiger Marktforschungsinstitute besonders wertvolle Beweismittel für die Prüfung einer Verkehrsdurchsetzung darstellen, weil es sich bei der Demoskopie nicht um frei-beliebige Empirie, sondern um die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse handelt und weil solche Institute grundsätzlich die Gewähr dafür bieten, dass die Befragten repräsentativ ausgewählt wurden und die Befragungen sachgerecht durchgeführt wurden, so dass aus den in der Repräsentativbefragung erzielten Ergebnissen zutreffend auf die Auffassung des relevanten Publikums in seiner Gesamtheit geschlossen werden kann (siehe dazu insbesondere Niedermann/Schneider, Der Beitrag der Demoskopie zur Entscheidfindung im schweizerischen Markenrecht, sic 2002, 815, 817).

Da sich die beanspruchten Waren an Personen richten, die Bohrhämmer transportieren und aufbewahren und die – so das Warenverzeichnis – „Profis in der Baubranche“ sind, war zutreffend, dass sowohl GfK als auch Allensbach Fachpublikum aus dem Hoch- und Tiefbau und so genannte „Entscheider“, also Personen, die allein oder zusammen mit anderen über die Anschaffung von Maschinen und Geräten im jeweiligen Betrieb entscheiden, befragt haben. Auch die Befragungsmethode, zunächst ohne stützende Erläuterungen den neutralen Koffer ohne Aufschrift vorzulegen bzw. nach der Farbgebung des Koffers zu fragen, danach nach einem bestimmten Hersteller und schließlich nach dessen namentlicher Nennung zu fragen, war lege artis.

Das GfK-Gutachten zeigt für Deutschland bei einem Bekanntheitsgrad von 83 % (bei Entscheidern 85 %) den sehr hohen Prozentsatz von 69 % (bei Entscheidern 73 %), die die Farbe rot für Werkzeug und Gerätekoffer für Bohrhämmer mit einem ganz bestimmten Hersteller in Verbindung bringen. Der Prozentsatz der Fehlzuordnungen ist mit 8 % sehr gering, während 59 % zutreffend den Hersteller „Hilti“, d. h. die Beschwerdeführerin genannt haben.

Das Allensbach-Gutachten bietet für Österreich ein ähnlich klares Bild. Auch hier besteht ein Bekanntheitsgrad von 87 % und ein Zuordnungsgrad zu einem einzigen Hersteller von 69 % sowie eine noch weitaus geringere Anzahl von Fehlzuordnungen von lediglich 3 %. 66 % bringen Koffer für Bohrhämmer in roter Farbe nur mit dem Hersteller Hilti in Verbindung. Das Gutachten hat auch die zurückliegende Bekanntheit ermittelt: beachtlich ist, dass 45 % der Befragten Koffer für Bohrhämmer in dieser Farbe schon seit über 15 Jahren kennen. 36 Diese Gutachten belegen somit eine außerordentlich starke Bekanntheit und Durchsetzung des Gegenstands der Anmeldung beim relevanten spezialisierten Publikum in Deutschland und Österreich.

Solche Durchsetzungsgrade sind nicht abstrakt entstanden, sondern das Ergebnis langjähriger Marktpräsenz, eines wesentlichen Marktanteils und hoher Investitionen in Werbung und Vertrieb. Die von der Beschwerdeführerin beigebrachten Aufstellungen über Zeitpunkt der Produkteinführung, Marktanteil, Umsatzzahlen und Werbeaufwendungen zeigen, dass in allen – bis zum 1. Mai 2004 alten 15-EG-Mitgliedstaaten ungefähr gleich hohe Werte erzielt wurden, wobei selbstverständlich ist, dass die Benutzung nicht in allen Mitgliedstaaten der Gemeinschaft gleich intensiv sein kann und wird. Es ist daher ohne weiteres zulässig und sachgerecht, bei Nachweis von Durchsetzungsgraden von 59 bzw. 66 % für Deutschland und Österreich bei annähernd vergleichbaren Umsätzen, Marktanteilen und Werbeaufwendungen in den anderen EGMitgliedstaaten auf dort ungefähr gleich hohe, jedenfalls über der 50 %-Marke liegende Durchsetzungsgrade zu schließen.

Da die eingereichten Unterlagen gemäß Artikel 76 GMV in freier Beweiswürdigung, d. h. ohne Bindung an feste Beweisregeln zu werten sind (so auch EuG, Urteil vom 7. Juni 2005 in der Rechtssache T-303/03, „Salvita/Solevita“, Rdn. 62), können die von der Beschwerdeführerin selbst stammenden, mit der Beschwerdebegründung eingereichten Aufstellungen Berücksichtigung finden, zumal die Gutachten von GfK und Allensbach eine starke Marktstellung zeigen und Unterlagen über Umsätze und Werbeaufwendungen regelmäßig nur aus der Sphäre des Anmelders selbst stammen können.

Die angefochtene Entscheidung ist somit aufzuheben und gleichzeitig dahin abzuändern, dass die Gemeinschaftsmarkenanmeldung mit dem Zusatz „erlangte Unterscheidungskraft kraft Benutzung“ (INID-Code 521) zur Veröffentlichung im Blatt für Gemeinschaftsmarken zuzulassen ist.


Tenor der Entscheidung

Aus diesen Gründen entscheidet


DIE KAMMER

wie folgt:

  1. Die angefochtene Entscheidung wird aufgehoben.

  2. Die Gemeinschaftsmarkenanmeldung Nr. 3 424 661 ist mit dem Zusatz „erlangte Unterscheidungskraft kraft Benutzung“ (INID-Code 521) zur Veröffentlichung im Blatt für Gemeinschaftsmarken zuzulassen.

Rechtsgebiete

Markenrecht