Entziehung der Fahrerlaubnis vor Abschluss des Strafverfahrens
Gericht
OVG Koblenz
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
10. 05. 2006
Aktenzeichen
10 B 10371/06
Entscheidet die Fahrerlaubnisbehörde über die Entziehung der Fahrerlaubnis wegen eines Sachverhalts, der Gegenstand eines Strafverfahrens ist, in dem die Fahrerlaubnisentziehung in Betracht kommt, vor dem rechtskräftigen Abschluss dieses Strafverfahrens, verletzt ihre Entscheidung stets den Fahrerlaubnisinhaber in seinen Rechten. Daran ändert sich auch durch einen späteren rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens nichts.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Dem Ast. wurde wegen der Anhängigkeit eines Strafverfahrens, welches eine Verkehrsstraftat zum Gegenstand hatte, die Fahrerlaubnis entzogen. Die Ag. ordnete den Sofortvollzug des Bescheides an. Der Ast. legte dagegen Widerspruch ein und suchte um die Gewährung von einstweiligem gerichtlichen Rechtsschutz nach.
Das VG lehnte den Antrag ab. Die dagegen eingelegte Beschwerde des Ast. hatte Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
… Das VG hätte dem Ast. den begehrten vorläufigen Rechtsschutz nicht versagen dürfen, weil sich die Verfügung der Ag. vom 20. 12. 2005 als offensichtlich rechtswidrig erweist. Sie verletzt den Ast. in seinen Rechten, weil sie ergangen ist, ohne dass die Ag. in diesem Zeitpunkt zur Entscheidung über die Entziehung der Fahrerlaubnis befugt gewesen wäre.
Gemäß § 3 III StVG darf die Fahrerlaubnisbehörde in einem Fahrerlaubnisentziehungsverfahren den Sachverhalt, der Gegenstand eines gegen den Inhaber der Fahrerlaubnis gerichteten Strafverfahrens ist, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis nach § 69 StGB in Betracht kommt, nicht berücksichtigen, solange das Strafverfahren anhängig ist. Mit dieser und der im nachfolgenden Absatz 4 getroffenen, die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde an die in dem Strafverfahren ergehende gerichtliche Entscheidung betreffenden Regelung sollen bei Vorrangigkeit des Strafverfahrens widersprüchliche Entscheidungen von Fahrerlaubnisbehörden und Gerichten vermieden werden. Der Fahrerlaubnisbehörde fehlt dementsprechend in den in Absatz 3 genannten Fällen - sofern das betreffende Strafverfahren nicht vorher eingestellt wird - bis zu dessen rechtskräftigem Abschluss die Entscheidungsbefugnis (vgl. z.B. Hentschel, StraßenverkehrsR, 36. Aufl., § 3 StVG Rdnr. 16; Janiszewski/Jagow/Burmann, StraßenverkehrsR, 19. Aufl., § 3 StVG Rdnr. 10). Insbesondere lässt sich daraus, dass die Bindung der Fahrerlaubnisbehörde ein Strafverfahren voraussetzt, in dem die Entziehung der Fahrerlaubnis „in Betracht kommt“, nicht herleiten, dass die Fahrerlaubnisbehörde bereits über die Entziehung der Fahrerlaubnis entscheiden kann, wenn in dem Strafverfahren nach Maßgabe der strafgerichtlichen Rechtsprechung infolge der inzwischen verstrichenen Zeit keine Entziehung der Fahrerlaubnis mehr möglich ist. Ob eine Entziehung der Fahrerlaubnis „in Betracht kommt“, beurteilt sich vielmehr allein danach, ob das Strafverfahren eine Straftat zum Gegenstand hat, die von ihrer Art her eine Entziehung der Fahrerlaubnis zu rechtfertigen vermag, ob es mit anderen Worten in dem Strafverfahren um eine Straftat geht, wie sie gem. § 69 I StGB für eine Entziehung der Fahrerlaubnis vorausgesetzt ist. In einem solchen Strafverfahren haben sich die Urteilsgründe nämlich nicht nur dazu zu verhalten, aus welchem Grund auf eine Entziehung der Fahrerlaubnis erkannt worden ist; die Urteilsgründe müssen vielmehr für den Fall, dass die Fahrerlaubnis nicht entzogen worden ist, stets ergeben, weshalb von dieser Maßregel Abstand genommen worden ist (§ 267 VI 2 StPO). Wird dabei - rechtskräftig - festgestellt, dass sich der Angeklagte nicht als ungeeignet zum Führen eines Kraftfahrzeugs erwiesen hat bzw. dass er nicht mehr als ungeeignet zu betrachten ist, entfällt auch eine Entziehung der Fahrerlaubnis durch die Fahrerlaubnisbehörde (vgl. zum Vorstehenden z.B. Janiszewski/Jagow/Burmann, § 3 StVG Rdnr. 12; Hentschel, § 3 StVG Rdnr. 28).
Eine im vorbezeichneten Sinne „zur Unzeit“ ergangene Entziehungsverfügung wird nicht dadurch nachträglich „geheilt“, dass später in dem Strafverfahren rechtskräftig festgestellt wird, dass der Fahrerlaubnisinhaber zum Führen eines Kraftfahrzeugs - immer noch - ungeeignet ist, oder doch ein Urteil ergeht, in welchem es an einer ausdrücklichen Feststellung mangelt, der Betreffende sei - inzwischen wieder - zur Kraftfahrzeugführung geeignet. Mit der „Sperre“ für eine Befassung der Fahrerlaubnisbehörde mit der Angelegenheit ist klar zum Ausdruck gebracht, dass diese Behörde immer erst anschließend und unter Berücksichtigung allein der zu diesem Zeitpunkt gegebenen Sachlage sich ein eigenständiges Urteil über die Eignung des betreffenden Fahrerlaubnisinhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen bilden soll und alsdann eine Entscheidung in eigener Zuständigkeit zu treffen hat, ob und wie auf die in ihre Würdigung einzustellenden Umstände rechtlich zu reagieren ist. Dabei ist namentlich zu sehen, dass die zu einem bestimmten Zeitpunkt festzustellende Ungeeignetheit keineswegs ein unveränderliches Tatbestandsmerkmal ist, die Fahreignung vielmehr in einem späteren Zeitpunkt auf Grund der nunmehr zusätzlich in den Blick zu nehmenden Tatsachen - auch der bloße Zeitablauf kann insoweit von Bedeutung sein - anders zu bewerten sein kann. Auch ist denkbar, dass es nun zur Feststellung der Ungeeignetheit zunächst weiterer Ermittlungen bedarf. Bei dieser Rechtslage kann eine im oben dargestellten Sinne „verfrühte“ Entscheidung keinen Bestand haben und nicht als erst nach Erlangung der Befugnis hierzu getroffene Entscheidung fortgelten. Für ein vorläufiges Rechtsschutzverfahren bedeutet dies, dass der begehrte Eilrechtsschutz zu gewähren ist.
Nach alledem sei abschließend und ungeachtet des Umstands, dass auch die Ag. selbst hiervon ausgegangen ist und noch ausgeht, nur nochmals ausdrücklich festgestellt, dass hier in der Tat ein „Fall des § 3 III StVG“ vorlag. Das folgt daraus, dass ein nur gelegentlicher Cannabiskonsum, wie ihn der Ast. - für die Vergangenheit - selbst einräumt und die Ag. ihrem Vorgehen zu Grunde gelegt hat, für sich allein eben nicht ausreicht, um die Ungeeignetheit zum Führen eines Kraftfahrzeugs feststellen zu können, sondern es dazu des zusätzlichen Nachweises einer Teilnahme am Straßenverkehr unter Cannabiseinfluss bedarf. Dies aber war der Vorgang, der im Strafverfahren vor dem AG Pirmasens untersucht wurde.
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