Verletzung des Rechts am eigenen Bild durch Nachstellen einer bekannten Filmszene - Der blaue Engel

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

01. 12. 1999


Aktenzeichen

I ZR 226/97


Leitsatz des Gerichts

In der Abbildung eines Doppelgängers, der einer berühmten Person täuschend ähnlich sieht, liegt ein Bildnis dieser Person. Das Gleiche gilt, wenn der Eindruck, es handele sich um die berühmte Person, nicht auf Grund einer Ähnlichkeit der Gesichtszüge, sondern auf andere Weise (hier durch Nachstellen einer berühmten Szene mit Marlene Dietrich aus dem Film „Der blaue Engel“) erzeugt wird. Die Abbildung der nachgestellten Szene kann dann nur mit Einwilligung der berühmten Person und nach deren Tod in den folgenden zehn Jahren nur mit Einwilligung der Angehörigen zu Werbezwecken verwendet werden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl., eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, verfolgt den Zweck, die Persönlichkeit und das Lebenswerk der am 6. 5. 1992 verstorbenen Schauspielerin Marlene Dietrich zu schützen und deren Rechte wahrzunehmen. Zu diesem Zweck hat Maria Riva - einziges Kind und Alleinerbin von Marlene Dietrich - der Kl. sämtliche ihr zustehenden Rechte an dem Werk, der Persönlichkeit und dem Bild ihrer Mutter einschließlich möglicher Zahlungsansprüche wegen der Verletzung von Persönlichkeitsrechten übertragen. Die Bekl., die unter der Marke „T“ Computer, Fotokopiergeräte und andere Elektroartikel vertreibt, verwandte im Jahre 1993 in einer Zeitungsanzeige für ein Fotokopiergerät die Fotografie einer nachgestellten Szene aus dem 1930 gedrehten Film „Der blaue Engel“, in dem Marlene Dietrich die Hauptdarstellerin war: In der weithin bekannten Originalszene ist Marlene Dietrich in der Rolle der Barsängerin in aufreizender Pose sitzend - das rechte Bein nach oben gezogen und abgewinkelt - zu sehen, während sie das Lied „Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt“ singt. In dem Werbefoto ist diese Szene mit einer ähnlich gekleideten Person nachgestellt. Die Schlagzeile des Werbetexts lautet: „Vom blauen Engel schwärmen genügt uns nicht“. Am Ende des Textes folgt eine Kopie des landläufig ebenfalls als „Blauer Engel“ bezeichneten Umweltzeichens. Eine Zustimmung von Maria Riva zur Verwendung dieses Bildes lag nicht vor. Die Kl. nimmt die Bekl. - nachdem diese sich zwar strafbewehrt verpflichtet hatte, die Verbreitung der Werbeanzeige künftig zu unterlassen, weitergehende Ansprüche aber geleugnet hatte - im Wege der Stufenklage auf Auskunft über die Werbekampagne und auf Zahlung einer angemessenen Lizenzvergütung in Anspruch.

Das LG hat die Klage abgewiesen (LG München I, AfP 1997, 554). Die Berufung der Kl. hatte keinen Erfolg (OLG München, BB 1997, 1971 = ZUM-RD 1997, 449). Mit ihrer Revision verfolgte die Kl. ihre Klageanträge erfolgreich weiter.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. hat ausgeführt, die Zubilligung eines Anspruchs auf Zahlung einer Lizenzgebühr wegen der wirtschaftlichen Auswertung des Bildnisses eines Verstorbenen widerspreche dem Rechtscharakter des allgemeinen Persönlichkeitsrechts.

Das Recht am eigenen Bild sei als besondere Erscheinungsform des allgemeinen Persönlichkeitsrechts mit dem Träger des Rechts so eng verknüpft, dass es nicht übertragen oder vererbt werden könne. Die für den postmortalen Persönlichkeitsschutz notwendige Eingriffsintensität sei bei der im vorliegenden Fall unautorisierten rein kommerziellen Nutzung des Bildes zu verneinen. Trotz einer fortschreitenden Kommerzialisierung bestehe für die Anerkennung eines vererblichen Vermögensrechts an der Person keine Veranlassung. Der postmortale Schutz müsse auf den Schutz des Wert- und Achtungsanspruchs gegen die Herabwürdigung und Erniedrigung des Verstorbenen beschränkt bleiben. Die nächsten Angehörigen seien bei einer unautorisierten Werbung mit dem Bilde eines Verstorbenen durch den Unterlassungsanspruch ausreichend geschützt. Die Zubilligung eines Anspruchs auf Lizenzgebühr berge die Gefahr, dass das Persönlichkeitsrecht von den Angehörigen als eigene Verdienstquelle missbraucht werde. Da der postmortale Persönlichkeitsschutz auf den Schutz ideeller Interessen beschränkt sei, lasse sich der Anspruch auf Zahlung einer Vergütung auch nicht unter dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung begründen.

II. Die gegen diese Beurteilung gerichteten Angriffe der Revision haben Erfolg. Die Abweisung der auf Auskunftserteilung und Zahlung gerichteten Klage kann keinen Bestand haben. Die Kl. kann von der Bekl. die beanspruchte Auskunftserteilung verlangen. Der Anspruch auf Auskunftserteilung und Rechnungslegung über alle zur Schadensberechnung erforderlichen Angaben ist als Hilfsanspruch zum Schadensersatzanspruch anerkannt. Maria Riva hat der im Jahre 1994 gegründeten Kl. alle Zahlungsansprüche wegen der Verletzung des Persönlichkeitsrechts von Marlene Dietrich und damit sowohl die ihr zustehenden Schadensersatzansprüche als auch die damit verbundenen Hilfsansprüche wirksam abgetreten. Ihr stand gegenüber der Bekl. zum Zeitpunkt der Abtretung dem Grunde nach ein Schadensersatzanspruch nach § 823 I BGB zu. Um diesen Anspruch beziffern zu können, benötigt sie die beanspruchte Auskunft.

1. Der Senat hat mit Urteil vom heutigen Tage in einer Parallelsache (BGH, NJW 2000, 2195 [in diesem Heft] - Marlene Dietrich) ausgesprochen, dass das durch § 823 I BGB geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und seine besonderen Erscheinungsformen wie das Recht am eigenen Bild dem Schutz nicht nur ideeller, sondern auch kommerzieller Interessen an der Persönlichkeit dienen und diese vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts vererblich sind. Damit steht den Erben jedenfalls für die in § 22 S. 2 KUG genannte Frist von zehn Jahren die kommerzielle Nutzung des über den Tod hinaus geschützten Rechts am eigenen Bild zu. Sie können - neben den Angehörigen (§ 22 S. 3 KUG) - Abwehransprüche und im Falle einer unbefugten Verwendung - anders als die Angehörigen - Bereicherungs- und gegebenenfalls Schadensersatzansprüche geltend machten.

2. Die Bekl. hat dadurch, dass sie die Fotografie der nachgestellten Szene aus dem Film „Der blaue Engel“ ohne die erforderliche Einwilligung zu Werbezwecken veröffentlichte, die vermögenswerten Bestandteile des Rechts von Marlene Dietrich am eigenen Bild verschuldet verletzt. Sie ist daher zum Schadensersatz verpflichtet.

a) Der geltend gemachte, aber noch nicht bezifferte Schadensersatzanspruch setzt entgegen der Auffassung des BerGer. keine besondere Eingriffsintensität der Rechtsverletzung voraus. Zwar kommen bei einer Verletzung ideeller Interessen Entschädigungsansprüche nur zu Lebzeiten des Trägers des Persönlichkeitsrechts und nur bei schwer wiegenden Beeinträchtigungen in Betracht. Bei einer Verletzung materieller Interessen, wie sie hier in Rede steht, gilt dies aber nicht. Wer die vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts schuldhaft verletzt, haftet ebenso wie bei der Verletzung anderer vermögenswerter Ausschließlichkeitsrechte für den eingetretenen Schaden, ohne dass es darauf ankäme, wie schwer wiegend der Eingriff war.

b) Das LG, auf dessen Begründung das BerGer. ergänzend Bezug genommen hat, hat zutreffend angenommen, dass die Veröffentlichung der Fotografie der nachgestellten Szene aus dem Film „Der blaue Engel“ Marlene Dietrichs Recht am eigenen Bild verletzt.

Entgegen der Ansicht der Bekl. handelt es sich bei dieser Fotografie um ein Bildnis von Marlene Dietrich. Ein Bildnis i.S. von § 22 S. 1 KUG ist die Darstellung einer Person, die deren äußere Entscheinung in einer für Dritte erkennbaren Weise wiedergibt (BGH, NJW 1965, 2148 = LM § 22 KunstUrhG Nr. 10 = GRUR 1966, 102 - Spielgefährtin I, m.w.Nachw.). Die Erkennbarkeit für Dritte entscheidet darüber, als wessen Bildnis eine Personendarstellung anzusehen ist: Die Abbildung eines Schauspielers in seiner Rolle ist als Bildnis des Schauspielers anzusehen, wenn er noch eigenpersönlich in Erscheinung tritt, d.h. erkennbar und identifizierbar bleibt (vgl. BGH, GRUR 1961, 138 [139] - Familie Schölermann; anders noch RGZ 103, 319 [320f.] - Asta Nielsen), oder wenn er durch die für ihn bekannte Aufmachung erkennbar wird (v. Gamm, UrhG, Einf. Rdnr. 104 m.w.Nachw.). Die Abbildung des Doppelgängers einer berühmten Person ist als Bildnis der berühmten Person anzusehen, wenn der Eindruck erweckt wird, bei dem Doppelgänger handele es sich um die berühmte Person selbst (vgl. KG, JW 1928, 363 [364] - Piscator; daran anschließend BGHZ 26, 52 [67] = NJW 1958, 459 = LM § 16 UWG Nr. 27 - Sherlock Holmes; Schricker/Gerstenberg/Götting, UrheberR, 2. Aufl., § 60/§ 22 KUG Rdnrn. 5, 10; anders Pietzko, AfP 1988, 209 [214f.]; Freitag, GRUR 1994, 345 [346]; diff. J. Helle, Besondere Persönlichkeitsrechte im PrivatR, 1991, S. 98ff.). Dabei ist nicht von Bedeutung, auf welchen Merkmalen des äußeren Erscheinungsbildes die Erkennbarkeit beruht. Diese muss sich nicht aus den Gesichtszügen, sondern kann sich auch aus anderen, die betreffende Person kennzeichnenden Einzelheiten ergeben (vgl. BGH, NJW 1979, 2205 = LM § 812 BGB Nr. 142 = GRUR 1979, 732 [733] - Fußballtor). Entgegen der Ansicht der Bekl. kommt es daher nicht darauf an, ob sich die auf dem Werbefoto abgebildete Person in ihren Gesichtszügen von Marlene Dietrich unterscheidet und ob die Szene nicht die Person Marlene Dietrichs, sondern den Film „Der blaue Engel“ symbolisieren soll. Entscheidend ist, dass die abgebildete Person erkennbar das äußere Erscheinungsbild Marlene Dietrichs in der von ihr in dem Film „Der blaue Engel“ gespielten Rolle nachahmt. Denn damit wird der Eindruck erweckt, es handele sich um eine Abbildung Marlene Dietrichs in dieser Rolle.

c) Das Bildnis Marlene Dietrichs ist ohne Zustimmung der Tochter von Marlene Dietrich als der Inhaberin der vermögenswerten Bestandteile des Persönlichkeitsrechts und - worauf es freilich zur Begründung der Schadensersatzverpflichtung nicht ankommt - als der Berechtigten nach § 22 S. 3 KUG verbreitet worden.

d) Die Zustimmung war auch nicht entbehrlich. Zwar dürfen Bildnisse aus dem Bereich der Zeitgeschichte nach § 23 I Nr. 1 KUG ohne die nach § 22 KUG erforderliche Einwilligung verbreitet werden. Bei Marlene Dietrich handelt es sich - was auch die Revisionserwiderung nicht in Zweifel zieht - um eine so genannte absolute Person der Zeitgeschichte (vgl. BGHZ 20, 345, 349 = NJW 1956, 1554 = LM § 22 KunstUrhG Nrn. 1, 2, 3 L - Paul Dahlke; BGHZ 24, 200 [208] = NJW 1957, 1315 = LM § 823 [Ai] BGB Nr. 12 - Spätheimkehrer; BGHZ 131, 332 [336] = NJW 1996, 1128 = LM H. 6/1996 Art. 2 GrundG Nr. 66 - Caroline v. Monaco II). Auf die Ausnahmebestimmung des § 23 I Nr. 1 KUG kann sich jedoch derjenige nicht berufen, der mit der Veröffentlichung keinem schutzwürdigen Informationsinteresse der Allgemeinheit nachkommt, sondern durch Verwertung des Bildnisses eines anderen zu Werbezwecken allein sein Geschäftsinteresse befriedigen will (st.Rspr.; BGHZ 20, 345 [350] = NJW 1956, 1554 = LM § 22 KunstUrhG Nrn. 1, 2, 3 L - Paul Dahlke; BGH, NJW 1997, 1152 = LM H. 2/1997 § 22 KunstUrhG Nr. 23 = GRUR 1997, 125 [126] - Bob Dylan-CD, m.w.Nachw.). So liegt es hier. Die Verwendung des Bildnisses diente vorliegend nicht der Vermittlung von Informationen über das Leben oder das Schaffen von Marlene Dietrich, sondern ausschließlich der Werbung für Fotokopiergeräte.

e) Die Bekl. hat auch schuldhaft gehandelt. Dass in der Abbildung des Doppelgängers einer berühmten Person ein Bildnis dieser Person (§ 22 S. 1 KUG) liegen kann, ist seit langem in der Rechtsprechung anerkannt. Nichts anderes gilt, wenn der Eindruck, es handele sich um die berühmte Person, nicht auf Grund einer Ähnlichkeit der Gesichtszüge, sondern auf andere Weise erzeugt wird. Damit lag es für die Bekl. offen zu Tage, dass sie für die Verwendung der nachgestellten Szene aus dem Film „Der blaue Engel“ nach § 22 S. 3 KUG zumindest die Einwilligung der Angehörigen benötigte. Sie konnte bei Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt nicht annehmen, dass das Bildnis der kurz zuvor verstorbenen Marlene Dietrich ohne Zustimmung der Alleinerbin und einzigen Angehörigen für Werbezwecke verwendet werden dürfte (vgl. BGH, NJW 1971, 698 = LM § 847 BGB Nr. 41 = GRUR 1972, 97 [99] - Liebestropfen).

f) Die Bekl. hat der Kl. deshalb Schadensersatz zu leisten. Die aus abgetretenem Recht vorgehende Kl. kann den der Berechtigten entstandenen Schaden entweder konkret oder nach der Lizenzanalogie berechnen oder den Verletzergewinn herausverlangen (vgl. BGHZ 20, 345 [353f] = NJW 1956, 1554 = LM § 22 KunstUrhG Nrn. 1, 2, 3 L - Paul Dahlke). Um die für sie günstigste Art der Schadensberechnung wählen und den Schaden berechnen zu können, hat die Kl. Anspruch auf Auskunftserteilung in dem beantragten Umfang.

3. Unter den gegebenen Umständen bedarf es keiner Klärung, ob der Zedentin oder der Kl. auch die geltend gemachten Ansprüche aus § 1 UWG zustehen.

Rechtsgebiete

Wettbewerbsrecht

Normen

BGB § 823; KUG §§ 22, 23