Unterkellerter Wintergarten als Nachteil für benachbarten Wohnungseigentümer
Gericht
BVerfG
Art der Entscheidung
Beschluss über Verfassungsbeschwerde
Datum
22. 12. 2004
Aktenzeichen
1 BvR 1806/04
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Zurückweisung eines Antrags auf Unterlassung von Bauarbeiten und Beseitigung von Fundamenten in einem Wohnungseigentumsverfahren. Die Bf. und ihr Ehemann sowie die Ag. des Ausgangsverfahrens sind die Wohnungseigentümer einer aus drei Wohnungen bestehenden Wohnanlage mit zwei Gebäuden. Den jeweiligen Gebäuden vorgelagert sind Sondernutzungsrechte an gärtnerisch oder als Terrasse genutzten Grundstücksflächen. Im Sommer 2002 begann die Ag. auf der Grundlage einer Baugenehmigung mit den Fundamentarbeiten zur Errichtung eines unterkellerten Wintergartens auf der ihr zugewiesenen Sondernutzungsfläche unmittelbar an der Grenze zu der der Bf. als Sondernutzungsrecht zugewiesenen Fläche. Der Wintergarten weist nach der Planung von der Gebäudewand aus eine Tiefe von etwa fünf Metern in den Garten und eine Höhe von etwa drei Metern auf.
Das AG gab dem Antrag der Bf. auf Unterlassung der Bauarbeiten und Beseitigung der Fundamente statt. Das LG hob die Entscheidung des AG auf und wies den Antrag der Bf. zurück. Nach dem Ergebnis des Augenscheins werde die Bf. nicht über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß i.S. des § 14 Nr. 1 WEG hinaus beeinträchtigt. Nach dem Eindruck, den sich das Gericht im Rahmen des Augenscheins in Verbindung mit den vorgelegten Bauplänen habe verschaffen können, sei keine nachteilige Veränderung des optischen Gesamteindrucks gegeben. Der Wintergarten wirke jedenfalls nicht störend, sondern füge sich nach Konstruktion und verwendeten Materialien vom architektonischen Standpunkt aus gut in die vorhandene Bebauung ein und harmoniere mit dem auch ansonsten sehr gepflegten Eindruck des Anwesens. Auf die Wahrung der Abstandsflächen gem. Art. 6ff. BayBauO komme es nicht an; die Einhaltung drittschützender Normen sei erst dann relevant, wenn § 22 WEG wirksam abbedungen sei, was vorliegend nicht der Fall sei. Das BayObLG wies die sofortige weitere Beschwerde zurück (2 Z BR 65/04 [unveröff.]). Ob eine Beeinträchtigung i.S. des § 22 I 2 i.V. mit § 14 Nr. 1 WEG vorliege, sei weitgehend eine Frage der tatrichterlichen Würdigung, die vom RechtsbeschwerGer. nur auf Rechtsfehler überprüft werden könne. Solche Fehler seien hier nicht zu erkennen. Auch wenn der Anbau eines Wintergartens im Regelfall das optische Gesamtbild negativ beeinträchtige, schließe dies nicht aus, dass der Tatrichter im Einzelfall zu einer anderen Würdigung komme. Auf die Wahrung der Abstandsflächen komme es nicht an, mangels abweichender Vereinbarung der Wohnungseigentümer verbleibe es bei § 22 I WEG. Danach seien Vorschriften über Abstandsflächen, seien es solche, die für Gebäude auf unterschiedlichen Grundstücken gelten, seien es solche für mehrere Gebäude auf einem Grundstück, nicht anzuwenden.
Die Bf. rügte mit ihrer Verfassungsbeschwerde u.a. die Verletzung von Art. 14 I GG durch die beiden Beschlüsse. Die Kammer hat die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung angenommen und ihr nach § 93c I 1 i.V. mit § 93a II lit.b BVerfGG stattgegeben.
Auszüge aus den Gründen:
II. 2. Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen gegen das Grundrecht der Bf. aus Art. 14 I GG.
a) Das durch Art. 14 I GG gewährleistete Eigentum, zu dem das dem einzelnen Rechtsträger durch das bürgerliche Recht zugeordnete Grundstückseigentum gehört, ist in seinem rechtlichen Gehalt durch Privatnützigkeit und die grundsätzliche Verfügungsbefugnis des Eigentümers über den Eigentumsgegenstand gekennzeichnet (vgl. BVerfGE 52, 1 [30] = NJW 1980, 985; BVerfGE 98, 17 [35] = NJW 1998, 3033). Der so umrissene Schutz des Art. 14 I GG steht Wohnungseigentümern auch untereinander zu (s. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1995, 1665 [1666]). Art. 14 I 1 GG bindet nicht nur den Gesetzgeber bei der inhaltlichen Ausgestaltung des Eigentums (Art. 14 I 2 GG). Auch die Fachgerichte haben bei Auslegung und Anwendung der gesetzlichen Vorschriften die durch die Eigentumsgarantie gezogenen Grenzen zu beachten (vgl. BVerfGE 18, 85 [92f.] = NJW 1964, 1715; BVerfGE 68, 361 [372f.] = NJW 1985, 2633; BVerfGE 79, 292 [303] = NJW 1989, 970).
b) Nach diesen Maßstäben stehen die angegriffenen Entscheidungen mit Art. 14 I GG nicht im Einklang, weil sie bei der Auslegung des § 22 I 2 i.V. mit § 14 Nr. 1 WEG die Ausstrahlungswirkung des Eigentumsrechts der Bf. nicht beachten und eine Beeinträchtigung ihrer Rechte mit verfassungsrechtlich nicht vertretbarer Begründung verneinen.
aa) Im Streit ist im vorliegenden Fall die Frage, ob die Ag. des Ausgangsverfahrens den unterkellerten Wintergarten ohne Zustimmung der Bf. bauen durfte. Nach § 22 I 1 WEG ist für bauliche Veränderungen über die ordnungsmäßige Instandhaltung des Gemeinschaftseigentums hinaus die Zustimmung aller Wohnungseigentümer notwendig. § 22 I 2 WEG sieht hierfür dann eine Ausnahme vor, wenn durch die Veränderung die Rechte des oder der anderen Wohnungseigentümer „nicht über das in § 14 bestimmte Maß hinaus beeinträchtigt werden“.
Unter § 22 I WEG fallende Maßnahmen können nach S. 2 der Vorschrift i.V. mit § 14 Nr. 1 WEG gegen den Willen anderer Wohnungseigentümer daher nur verwirklicht werden, soweit diesen kein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil erwächst. Als Nachteil wird hierbei jede nicht ganz unerhebliche Beeinträchtigung verstanden (BGHZ 116, 392 [396] = NJW 1992, 978; Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., [2003], § 22 Rdnr. 127; Weitnauer/Lüke, WEG, 9. Aufl. [2005], § 14 Rdnr. 2). Diese Generalklausel gibt Raum für eine die betroffenen Grundrechte berücksichtigende Auslegung. Bei sich gegenüberstehenden Grundrechten der Wohnungseigentümer ist eine fallbezogene Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen erforderlich (vgl. BVerfG [3. Kammer des Ersten Senats], NJW 1995, 1665 [1666]).
bb) Diese Bedeutung des Eigentumsrechts der Bf. aus Art. 14 I GG bei der Auslegung des Tatbestandsmerkmals „Nachteil“ wurde von den Gerichten verkannt. Das LG verneint einen Nachteil schon deswegen, weil eine optische Beeinträchtigung nicht vorliege. Auf die Wahrung der Abstandsflächen komme es nicht an. Zwar ist die in den angegriffenen Entscheidungen vertretene Auffassung, öffentlich-rechtliche Vorschriften - auch solche, die dem Schutz des Nachbarn dienen - fänden im Verhältnis der Wohnungseigentümer untereinander keine Anwendung, sofern nicht § 22 I WEG abbedungen sei (so auch Weitnauer/Lüke, § 22 Rdnr. 2; Niedenführ/Schulze, WEG, 6. Aufl. [2002], § 22 Rdnr. 30), verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Wenn aber nachbarschützende baurechtliche Regelungen, zu denen gerade auch die Vorschriften über Abstandsflächen gezählt werden (vgl. BVerwG, ZflR 1997, 227 = NVwZ-RR 1997, 516 [517]; s. auch Bärmann/Pick/Merle, § 13 Rdnr. 159), in der Wohnungseigentümergemeinschaft keine Anwendung finden, so muss der notwendige Schutz des Eigentumsrechts der Wohnungseigentümer untereinander durch eine sorgfältige Abwägung im Rahmen des § 22 I WEG sichergestellt werden. Dem werden die angegriffenen Beschlüsse nicht gerecht.
(1) Die landgerichtliche Entscheidung lässt mit der Argumentation, mit der sie eine Beeinträchtigung durch den geplanten Wintergarten verneint, eine Berücksichtigung der Rechte der Bf. nicht erkennen.
(a) Im Rahmen der tatrichterlichen Ermittlungen stellt das LG lediglich fest, dass der Wintergarten „jedenfalls nicht störend“ wirke, sondern sich „nach Konstruktion und verwendeten Materialien vom architektonisch-ästhetischen Standpunkt aus gut in die vorhandene Bebauung“ einfüge „und entsprechend mit dem auch ansonsten sehr gepflegten Zustand des Anwesens“ harmoniere. Die Anforderungen an die tatrichterliche Sachverhaltserforschung und Beweiswürdigung waren im vorliegenden Fall bei Verneinung einer Zustimmungspflicht hoch anzusetzen. Wie auch das RechtsbeschwerGer. zu Grunde legte, wird bereits der Bau eines reinen Wintergartens für sich i.d.R. als zustimmungspflichtige Beeinträchtigung i.S. des § 22 I 2 WEG angesehen (s. auch Engelhardt, in: MünchKomm, 4. Aufl. [2004], § 22 WEG Rdnr. 16 [Stichwort „Wintergarten“]; Bärmann/Pick/Merle, § 22 Rdnr. 242; Weitnauer/Lüke, § 22 Rdnr. 10); das Gleiche soll grundsätzlich für die Unterkellerung einer Terrasse gelten (vgl. Engelhardt, in: MünchKomm, § 22 WEG Rdnr. 16 Stichwort „Terrasse - Unterkellerung“).
(b) Ein Überblick über die Fälle, in denen die Rechtsprechung bisher eine Beeinträchtigung i.S. des § 22 I 2 WEG angenommen hat, zeigt, dass die Schwelle der Beeinträchtigung insgesamt eher niedrig angesetzt wurde. So soll nicht nur die Anbringung von Außenspiegeln (Engelhardt, in: MünchKomm, § 22 WEG Rdnr. 16 Stichwort „Außenspiegel“), Regenrinnen (Engelhardt, in: MünchKomm, § 22 WEG Rdnr. 16 Stichwort „Balkon - Brüstung“), Balkonverglasungen (BayObLG, NJW-RR 1993, 337), Katzennetzen (OLG Zweibrücken, NZM 1998, 376) und Markisen (BayObLG, NJW-RR 1986, 178) an der Fassade zustimmungsbedürftig sein, sondern im Garten auch die Aufstellung von Gartenhäuschen (BayObLG, NJW-RR 1988, 591; NJW-RR 1992, 975 [976]) und Geräteschuppen (Engelhardt, in: MünchKomm, § 22 WEG Rdnr. 16 Stichwort „Garten - Geräteschuppen“), die Errichtung eines 60 cm hohen Jägerzaunes (OLG Düsseldorf, NJWE-MietR 1997, 111), das Anbringen von grünen Sichtschutzmatten an einen Maschendrahtzaun zwischen zwei Sondernutzungsflächen (BayObLG, NZM 2000, 678 = NJW-RR 2000, 1324; s. auch OLG Köln, NZM 1999, 178 [zur Zustimmungsbedürftigkeit der Errichtung einer Sichtschutzwand an der Grenze zweier in Sondernutzung befindlicher Gartenflächen]) und schließlich die Verlegung von Trittplatten (Engelhardt, in: MünchKomm, § 22 WEG Rdnr. 16 Stichwort „Garten - Trittplatten“). Obwohl in allen Fällen letztlich die einzelfallbezogene tatrichterliche Würdigung ausschlaggebend für die Wertung als zustimmungsbedürftige Maßnahme war, lässt sich aus dieser Aufzählung doch die generelle Tendenz ablesen, die Schwelle für die Annahme einer Beeinträchtigung i.S. des § 22 I 2 WEG niedrig anzusetzen. Dies entspricht im Übrigen auch dem Charakter der Vorschrift als Ausnahmeregelung.
(c) Verglichen mit den hier aufgezählten Beispielen stellt schon der reine Umfang der kombinierten Maßnahme Kellerbau/Wintergarten eine so erhebliche Umgestaltung der Gartenfläche dar, dass die Anforderungen an die Tatsachenermittlung und Beweiswürdigung bei einer von der Regel abweichenden Beurteilung als optisch neutrale oder verbessernde Gestaltung sehr hoch anzusetzen waren. Die aufgeführten, vom LG getroffenen Feststellungen sind demgegenüber auffallend kurz und lückenhaft. So fehlen Feststellungen zu der Veränderung der Proportionen sowohl von verbleibender Freifläche zu überbauter Fläche als auch der beiden Haushälften zueinander durch den einseitigen Anbau. Konstruktion, Grundmaße und Architektur des aus zwei versetzt angeordneten Hälften bestehenden Ensembles werden nicht näher untersucht. Es erscheint auch nicht widerspruchsfrei, wenn das LG einerseits in Betracht zieht, dass der geplante Wintergarten den Gesamteindruck wesentlich verändern könne, und andererseits befindet, dass der Wintergarten sich gut in die Bebauung einfüge. Ohne vertiefende Erläuterung lässt es sich nicht nachvollziehen, wie sich ein Bauwerk in den Charakter der vorhandenen Bebauung einfügen und diesen zugleich wesentlich ändern kann.
(2) Die Mängel der landgerichtlichen Entscheidung setzen sich in der Entscheidung des BayObLG fort, da dieses die Fehler des landgerichtlichen Urteils nicht behebt, sondern feststellt, es seien keine Rechtsfehler erkennbar.
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