Keine Ausgleichsleistungen bei verspätetem Flug
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
12. 07. 2006
Aktenzeichen
X ZR 22/05
Gründe:
1. Die Kläger machen Ansprüche aus einem Luftbeförderungsvertrag (Charterflug) geltend. Der Kläger zu 1 buchte bei der Beklagten für sich und seine Familie, die Kläger zu 2-5, einen Hin- und Rückflug von H. nach I. . Der Rückflug sollte am 10. August 2002 um 1.00 Uhr stattfinden. Die Klä- ger wurden erst um 10.00 Uhr nach H. befördert. Sie beanspruchen je- weils die Mindestausgleichssumme (je 150,-- €) nach Art. 4 der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr, Amtsblatt Nr. L 036 vom 8. Februar 1991, S. 5, die sie zumindest für entsprechend anwendbar halten, sowie nach Art. 6 dieser Verordnung jeweils 20,-- € für nichtgelieferte Mahlzeiten und Erfrischungen, insgesamt 200,-- € für nichterbrachte Hotelleistung und 5,60 € für ein Telefongespräch aus dem Wartebereich. Auf die sich hieraus ergebende Gesamtsumme rechnen sie eine vorgerichtliche Zahlung der Beklagten in Höhe von 350,-- € an.
Das Amtsgericht hat die sich hiernach ergebende Klageforderung abgewiesen, die Berufung der Kläger ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision, der die Beklagte entgegentritt, verfolgen die Kläger ihr Zahlungsbegehren weiter.
2. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Revision leitet die Notwendigkeit einer Entscheidung des Revisionsgerichts aus der Frage ab, ob die Verordnung (EWG) Nr. 295/91 des Rates vom 4. Februar 1991 über eine gemeinsame Regelung für ein System von Ausgleichsleistungen bei Nichtbeförderung im Linienflugverkehr - im Folgenden: VO Nr. 295/91 - auch auf den vorliegenden Fall (entsprechend) anwendbar ist. Dieser ist dadurch gekennzeichnet, dass der gebuchte Charterflug erst Stunden später stattfand.
Die VO Nr. 295/91 wurde durch die am 17. Februar 2005 in Kraft getretene Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und Annullierung oder großer Verspätung von Flügen (im Folgenden: VO Nr. 261/2004) aufgehoben und ersetzt. Die entscheidungserhebliche Rechtsfrage betrifft somit eine Vorschrift, die im Zeitpunkt der Entscheidung über die Revision nicht mehr gilt. Es ist allgemein anerkannt, dass eine Rechtsfrage, die Übergangsrecht oder auslaufendes Recht betrifft, in aller Regel keine grundsätzliche Bedeutung hat (BGH, Beschl. v. 12.11.2002 - XI ZB 15/02; BVerwG, Beschl. v. 20.12.1995 - 6 B 35.95, ZUM 1996, 898). Anderes gilt nur dann, wenn die Klärung für einen nicht überschaubaren Personenkreis in nicht absehbarer Zukunft von Bedeutung ist. Die Revisionskläger haben keine Anhaltspunkte für eine erhebliche Anzahl von Altfällen dargetan; diese sind auch sonst nicht ersichtlich.
3. Die Revision hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
a) Die VO Nr. 295/91, die als Gemeinschaftsrecht unmittelbar in jedem Mitgliedsstaat gilt und der in ihrem Anwendungsbereich, der sich nach dem Wortlaut bestimmt, Vorrang vor dem nationalen Recht zukommt (Art. 249 Abs. 2 EGV n.F., Art. 189 Abs. 2 EGV a.F.; BVerfGE 73, 378), beinhaltet nach Art. 1 eine Mindestregelung für den Fall, dass Fluggäste auf einem überbuchten Linienflug nicht befördert werden, obwohl sie hierfür einen gültigen Flugschein mit bestätigter Buchung vorweisen können. Eine "Nichtbeförderung" bzw. ein "Zurückweisen" i.S. Art. 2 a liegt deshalb nur vor, wenn ein Fluggast oder einzelne Fluggäste von der Teilnahme an einem durchgeführten Flug ausgeschlossen worden sind, weil dessen Kapazität beschränkt ist. Hier handelt es sich nicht um einen solchen Fall, sondern um einen Fall der Verspätung oder Annullierung (vgl. zur Abgrenzung Schmied, NJW 2006, 1841, 1842). Der von den Klägern gebuchte Flug fand neun Stunden später und mit einem anderen als dem zunächst vorgesehenen Flugzeug statt.
Eine analoge Anwendung der VO Nr. 295/91 auf Fälle der vorliegenden Art kommt nicht in Betracht. Nach ihrem eindeutigen Wortlaut und dem ihrer vorangestellten Begründungserwägungen soll die VO Nr. 295/91 einen Mindestausgleich gerade für die Unzuträglichkeiten schaffen, die durch Überbuchungen entstehen können. Mit Verspätung oder Annullierung befassen sich weder die verordneten Regelungen noch die Erwägungsgründe.
Entgegen der Auffassung der Revision kann etwas anderes auch nicht aus der am 17. Februar 2005, also erst nach dem zu beurteilenden Sachverhalt, in Kraft getretenen und daher hier nicht anwendbaren Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und Annullierung oder großer Verspätung von Flügen, Amtsblatt Nr. L 046 vom 17. Februar 2004, S. 1 (im Folgenden: VO Nr. 261/2004) hergeleitet werden. In Erwägungsgrund 3 dieser Verordnung hat der Verordnungsgeber vielmehr deutlich gemacht, dass Annullierungen und Verspätungen von der älteren Verordnung nicht umfasst waren und darin der Grund für die Neuregelung lag. Aus Erwägungsgrund 5 der VO Nr. 261/2004 ergibt sich zudem als Auffassung des Verordnungsgebers, dass die ältere Verordnung Nr. 295/91 nicht den Schutz von Fluggästen im Charterflugverkehr umfasste. Zu Recht hat das Berufungsgericht deshalb Ansprüche aus Art. 4 und 6 der VO Nr. 295/91 verneint.
b) Auch eine andere Rechtsgrundlage rechtfertigt die Zahlungsklage nicht. Ein allein in Betracht zu ziehender Schadensersatzanspruch scheitert bereits daran, dass die Kläger einen erstattungsfähigen Schaden nicht dargelegt haben. Pauschale Ausgleichszahlungen - hier 150,-- € pro Person - kennen weder das Abkommen zur Vereinheitlichung von Regeln über die Beförderung im internationalen Luftverkehr vom 12. Oktober 1929 (Warschauer Abkommen, RGBl. 1933 II 1039), das am 10. August 2002 noch anwendbar war, weil das (ersetzende) Übereinkommen vom 28. Mai 1999 zur Vereinheitlichung bestimmter Vorschriften über die Beförderung im internationalen Luftverkehr (Montrealer Abkommen, BGBl. 2004 II 458) erst später in Kraft getreten ist, noch das Bürgerliche Gesetzbuch. Auch fiktive Beträge für Übernachtung und nicht eingenommene Mahlzeiten sind hiernach nicht erstattungsfähig. Die Kläger könnten deshalb allenfalls 5,60 € Telefonkosten verlangen. Ein derartiger Schaden ist aber durch den außergerichtlich gezahlten Betrag von 350,-- € bereits abgegolten. Weitere Vermögenseinbußen sind nicht geltend gemacht.
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