Empfehlung eines Anlageobjekts durch Kreditinstitut
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 03. 2006
Aktenzeichen
XI ZR 63/05
Die Bewertung und Empfehlung eines Anlageobjekts durch ein Kreditinstitut muss ex ante betrachtet vertretbar sein. Das Risiko, dass sich eine auf-grund anleger- und objektgerechter Beratung getroffene Anlageentschei-dung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 12. Zivilsenats in Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 20. Januar 2005 aufgehoben.
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Einzel-richters der 4. Zivilkammer des Landgerichts Darm-stadt vom 9. Dezember 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten der Rechtsmittelverfahren zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin nimmt die beklagte Sparkasse aus eigenem und ab-getretenem Recht ihres Ehemannes, eines Elektrotechnikers, auf Scha-densersatz wegen fehlerhafter Anlageberatung in Anspruch.
Die Klägerin erbte von ihren Eltern ein Vermögen in Höhe von ca. 4 Millionen DM. 1,2 bis 1,3 Millionen DM wollte sie für drei bis fünf Jahre anlegen. Sie und der Zedent eröffneten 1998 zu gleichen Teilen ein Wertpapierdepot bei der Beklagten und erwarben zu 50% des Anlagebe-trages Aktienfonds- und zu 30% Immobilienfondsanteile, die sämtlich von einer Fondsgesellschaft des D.-verbandes emittiert worden waren. Der Rest wurde bei niedriger Verzinsung liquide angelegt. Zunächst stiegen die Kurse und führten zu erheblichen Gewin-nen. Im Frühjahr 2000 setzte ein Kursverfall ein. Deshalb erkundigte sich der Zedent am 30. Mai 2000, als die Anlage insgesamt noch in der Ge-winnzone lag, bei der Beklagten, ob ein Verkauf ratsam sei. Der Leiter der Wertpapierabteilung der Beklagten äußerte die Erwartung, dass die Börse sich wieder nach oben entwickeln werde, und riet von einem Ver-kauf ab. Da der Kursverfall sich fortsetzte, fanden am 17. August 2000, 23. Oktober 2000, 9. Januar 2001 und 8. Februar 2001 Gespräche mit ähnlichem Inhalt statt. Am 21. März 2001 verkauften die Klägerin und der Zedent alle Fondsanteile.
Die Klägerin meint, die Empfehlung der Beklagten, die Fondsantei-le nicht zu verkaufen, sei eine Beratungspflichtverletzung gewesen, und verlangt den Ersatz der Differenz zwischen dem Wert der Papiere am 30. Mai 2000 und dem am 21. März 2001. Das Landgericht hat die Klage auf Zahlung von 164.734 € nebst Zinsen abgewiesen. Das Berufungsge-richt hat ihr stattgegeben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision ver-folgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Beru-fungsurteils und zur Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klägerin habe gegen die Beklagte Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch die fehlerhafte Beratung am 30. Mai 2000 entstan-den sei. Die Parteien hätten einen Anlageberatungsvertrag geschlossen, der nicht mit der Einrichtung des Depots geendet habe. Der Rat, die Pa-piere nicht zu verkaufen, sei objektiv falsch und aus damaliger Sicht nicht vertretbar gewesen. Da nach dem Vortrag der Beklagten am 30. Mai 2000 nicht absehbar gewesen sei, ob das Sinken der Kurse eine Regulierung aufgeblähter Kurse oder eine beginnende Talfahrt gewesen sei, sei es allein richtig gewesen, zum Verkauf zu raten. Die Papiere zu halten, wäre nur dann vertretbar gewesen, wenn zu erwarten gewesen wäre, dass die Kurse innerhalb des geplanten Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren zumindest das Niveau vom 30. Mai 2000 über-schreiten würden. Da aber nach dem Vortrag der Beklagten nicht abseh-bar gewesen sei, ob die Talfahrt beendet gewesen sei, habe die Gefahr weiterer Verluste bestanden. Dass auch ein Fachmann die Börsenent-wicklung nicht mit Sicherheit voraussagen könne, verstehe sich von selbst. Er müsse den Anleger aber über Risiken aufklären und darauf hinweisen, dass nicht absehbar sei, ob die Talfahrt beendet sei. Außer-dem habe es damals ernst zu nehmende Stimmen gegeben, die vor ei-nem Kurseinbruch gewarnt hätten. Selbst wenn es auch andere Auffas-sungen gegeben haben sollte, hätte die Beklagte die Klägerin über diese unterschiedlichen Meinungen informieren müssen.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung im wesentli-chen Punkt nicht stand. Der Klägerin steht gegen die Beklagte kein Schadensersatzanspruch wegen positiver Vertragsverletzung, der allein in Betracht kommenden Anspruchsgrundlage, zu.
1. Rechtsfehlerfrei ist allerdings die Auffassung des Berufungsge-richts, zwischen den Parteien sei ein Beratungsvertrag zustande gekommen.
Dabei kommt es nicht auf den vor dem Erwerb der Fondsanteile geschlossenen Beratungsvertrag an. Daraus ergaben sich über die Anla-geentscheidung der Klägerin hinaus keine fortdauernden Überwachungs- und Beratungspflichten der Beklagten hinsichtlich der erworbenen Wert-papiere (vgl. OLG Karlsruhe WM 1992, 577; OLG Düsseldorf WM 1994, 1468, 1469; OLG Düsseldorf ZIP 2003, 471, 473; Balzer, in: Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankverkehr Rdn. 7.80; Horn, in: Hellner/Steuer, Bankrecht und Bankpraxis Rdn. 7/1278). Derartige Pflich-ten resultierten auch nicht aus dem Depotvertrag (vgl. Senat, Urteil vom 23. November 2004 - XI ZR 137/03, WM 2005, 270, 271 m.w.Nachw.).
Zwischen den Parteien ist aber ein neuer Beratungsvertrag ge-schlossen worden, als der Zedent sich am 30. Mai 2000 bei der Beklag-ten erkundigte, ob ein Verkauf der Anteile ratsam sei, und die Beklagte ihm riet, die Papiere zu halten. Tritt ein Anleger an eine Bank heran, um über die Anlage eines Geldbetrages beraten zu werden, so wird das dar-in liegende Angebot zum Abschluss eines Beratungsvertrages still-schweigend durch die Aufnahme des Beratungsgesprächs angenommen (Senat BGHZ 123, 126, 128; Urteile vom 9. Mai 2000 - XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442 und vom 25. Juni 2002 - XI ZR 218/01, WM 2002, 1683, 1686). Dasselbe gilt, wenn ein Kunde sich - wie hier - nach getrof-fener Anlageentscheidung bei der Bank erkundigt, wie er sich angesichts fallender Kurse verhalten soll (vgl. LG Essen NJW-RR 1993, 1392, 1394; Balzer, in: Welter/Lang, Handbuch der Informationspflichten im Bankver-kehr Rdn. 7.80).
2. Rechtlich nicht haltbar ist hingegen die Auffassung des Beru-fungsgerichts, die Beklagte habe ihre Pflichten aufgrund des Beratungs-vertrages verletzt.
a) Inhalt und Umfang der Beratungspflichten hängen von den Um-ständen des Einzelfalls ab. Die Beratung muss anleger- und objektge-recht sein (Senat BGHZ 123, 126, 128). Maßgeblich sind einerseits der Wissensstand, die Risikobereitschaft und das Anlageziel des Kunden und andererseits die allgemeinen Risiken, wie etwa die Konjunkturlage und die Entwicklung des Kapitalmarkts, sowie die speziellen Risiken, die sich aus den besonderen Umständen des Anlageobjekts ergeben. Wäh-rend die Aufklärung des Kunden über diese Umstände richtig und vollständig zu sein hat (Senat, Urteil vom 9. Mai 2000 - XI ZR 159/99, WM 2000, 1441, 1442), muss die Bewertung und Empfehlung eines An-lageobjektes unter Berücksichtigung der genannten Gegebenheiten ex ante betrachtet lediglich vertretbar sein (Nobbe, in: Horn/Schimansky, Bankrecht 1998 S. 235, 248). Das Risiko, dass sich eine Anlageent-scheidung im Nachhinein als falsch erweist, trägt der Kunde (BGH, Urteil vom 4. Februar 1987 - IVa ZR 134/85, WM 1987, 531, 532). Auch Börsentipps liegen nicht im Rahmen der vertraglichen Haftung einer Bank für Rat und Auskunft (BGH, Urteil vom 18. Juni 1971 - I ZR 83/70, WM 1971, 987, 989).
b) Gemessen hieran hat die Beklagte ihre Beratungspflichten nicht verletzt.
Sie hat der Klägerin keine unrichtigen oder unvollständigen Infor-mationen über die Anlageobjekte erteilt. Da die Klägerin ihre Anlageent-scheidung bereits getroffen und in bestimmte Fondsanteile investiert hat-te, war eine erneute Aufklärung über die damit verbundenen, von der Klägerin zu tragenden Risiken nicht erforderlich. Die Klägerin erwartete eine solche Aufklärung auch nicht, sondern wollte von der Beklagten wissen, ob angesichts der von ihr erkannten sinkenden Kurse ein Ver-kauf der Anteile ratsam sei.
Die auf diese Frage erteilte Empfehlung der Beklagten, die Anteile nicht zu verkaufen, war entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts ex ante betrachtet nicht unvertretbar.
Das Berufungsgericht geht rechts-fehlerfrei davon aus, dass im Zeitpunkt der Raterteilung am 30. Mai 2000 objektiv nicht vorhersehbar war, ob die Kurse weiter fallen oder innerhalb des Anlagezeitraums von noch höchstens drei Jahren das Niveau vom 30. Mai 2000 überschreiten würden. In dieser Situation handelte die Be-klagte nicht pflichtwidrig, indem sie aufgrund ihrer Erfahrung und lang-jährigen Beobachtung der Kursentwicklung von einem entsprechenden Wiederanstieg der Kurse innerhalb der nächsten drei Jahre ausging und diese Entwicklung ihrer Empfehlung gegenüber der Klägerin zugrunde legte. Den Feststellungen des Berufungsgerichts und dem Sachvortrag der Parteien sind keine Umstände zu entnehmen, die diese Erwartung grundsätzlich oder jedenfalls angesichts der vom Berufungsgericht an-genommenen Aufblähung oder Überhitzung der Börse ex ante betrachtet als unvertretbar erscheinen lassen könnten.
Die Beklagte musste der Klägerin, anders als das Berufungsgericht meint, auch nicht mitteilen, dass nicht absehbar sei, ob der Kursverfall beendet sei. Das Berufungsgericht geht selbst - rechtsfehlerfrei - davon aus, es verstehe sich von selbst, dass auch ein Fachmann die Börsen-entwicklung nicht mit Sicherheit voraussehen könne. Auf eine Selbstver-ständlichkeit muss eine beratende Bank aber nicht ausdrücklich hinweisen.
Es bestand auch keine Pflicht der Beklagten, die Klägerin auf un-terschiedliche Meinungen über die künftige Kursentwicklung, insbeson-dere auf ernst zu nehmende Stimmen, die vor einem Kurseinbruch warn-ten, hinzuweisen. Aus der Unsicherheit der künftigen Kursentwicklung folgt zwangsläufig, dass hierzu unterschiedliche Auffassungen vertreten werden können. Auch dies musste die Beklagte deshalb nicht besonders erwähnen. Dass eine Bank, die für eine Anlageempfehlung das Vertrau-en ihres Kunden in Anspruch nimmt, diesen über kritische Stimmen in der Wirtschaftspresse unterrichten muss (Senat, Urteil vom 6. Juli 1993 - XI ZR 12/93, WM 1993, 1455, 1457, insoweit in BGHZ 123, 126 ff. nicht abgedruckt), rechtfertigt keine andere Beurteilung. Die Beklagte hat der Klägerin zwar empfohlen, bestimmte Fondsanteile nicht zu verkaufen. Bei dieser Empfehlung ging es aber, ebenso wie bei der zugrunde lie-genden Anfrage der Klägerin, nicht um die Einschätzung der Fondsantei-le als solcher, sondern allein um eine ersichtlich unsichere Prognose der künftigen Kursentwicklung.
III.
Das Berufungsurteil war daher aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind, konnte der Senat in der Sache selbst entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und das landgerichtliche Ur-teil wieder herstellen.
Nobbe
Müller
Joeres
Ellenberger
Schmitt
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen