Weisung zur Verlängerung der Berufungsfrist
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
14. 06. 2006
Aktenzeichen
IV ZB 36/05
Zu den Anforderungen an eine mündliche Weisung des Rechtsanwalts an sein Büro, einen Antrag auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist vorzubereiten.
Die Rechtsbeschwerde der Kläger gegen den Beschluss des 3. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 27. Juli 2005 wird verworfen.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens einschließlich der Kosten des Streithelfers.
Streitwert: 235.000 €
Gründe:
I. Die Kläger, deren auf § 2287 BGB gestützte Klage auf Herausgabe von Grundstücken durch Urteil des Landgerichts vom 11. März 2005 abgewiesen worden war, haben die Frist zur Berufungsbegründung versäumt. Das landgerichtliche Urteil wurde ihrem Prozessbevollmächtigten am 31. März 2005 zugestellt. Am 19. April 2005 wurde rechtzeitig Berufung eingelegt. Die Frist zur Begründung der Berufung lief am 31. Mai 2005 ab. Erst am 1. Juni 2005 ging ein Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Kläger von diesem Tage beim Berufungsgericht ein, mit dem eine Verlängerung der Berufungsbegründungfrist wegen Urlaubs und Arbeitsüberlastung des alleinigen Sachbearbeiters um einen Monat beantragt wurde.
Nach einem Hinweis auf den Fristablauf wurde am 24. Juni 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt; am 29. Juni 2005 ging die Berufungsbegründung ein. Zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags wurde vorgetragen, eine sonst stets zuverlässige Rechtsanwaltsfachangestellte habe den Ablauf der Berufungsfrist (am Montag, dem 2. Mai 2005,) und die Frist zur Berufungsbegründung nebst zugehörigen Vorfristen zwar in der Handakte zutreffend berechnet und als erledigt notiert; bei der Eintragung im Fristenkalender habe sie das Ende der Berufungsbegründungsfrist aber nicht auf den 31. Mai 2005 vermerkt, sondern auf den 2. Juni 2005. Der sachbearbeitende Rechtsanwalt war vom 19.-30. Mai 2005 berufs- und urlaubsbedingt ortsabwesend. Im Hinblick darauf habe er zuvor "in der Kanzlei" verfügt, dass in dieser Sache eine Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen Monat beantragt werden solle. Entgegen der Weisung sei dieser Antrag aber weder dem sachbearbeitenden Rechtsanwalt noch vor dem 19. Mai 2005 vorgelegt worden noch seinem Vertreter in der Kanzlei in der Zeit seiner Abwesenheit, sondern wegen des unrichtig im Kalender eingetragenen Fristablaufs erst am 1. Juni 2005.
Das Berufungsgericht hat durch den angefochtenen Beschluss den Antrag auf Wiedereinsetzung zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Zwar habe sich der Anwalt darauf verlassen dürfen, dass die in der Handakte zutreffend berechnete und mit einem Erledigungsvermerk versehene Frist von seinem Büro beachtet werde; zur Einsicht auch in den Fristenkalender sei er nicht verpflichtet. Da der Klägervertreter aber nicht dargelegt habe, dass er die Vorlage eines Verlängerungsantrags schriftlich verfügt habe, sei davon auszugehen, dass diese Verfügung nur mündlich erfolgte. Wenn ein so wichtiger Vorgang wie die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist nur durch mündliche Anweisung veranlasst werde, seien zusätzliche organisatorische Vorkehrungen erforderlich, damit die Anweisung sofort erledigt und nicht etwa wegen anderer Arbeiten zurückgestellt werde oder in Vergessenheit gerate. Das Fehlen solcher Vorkehrungen zeige sich hier daran, dass der Verlängerungsantrag dem sachbearbeitenden Anwalt erst am 1. Juni 2005 und nicht - wie es seiner Anweisung entsprochen hätte - noch vor seiner Abwesenheit vorgelegt und auch nicht einem Kollegen während seiner Abwesenheit zur Unterschrift gegeben worden sei.
II. Die gemäß §§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 Satz 1 ZPO statthafte und rechtzeitig erhobene Rechtsbeschwerde war als unzulässig zu verwerfen, da die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Sie wäre auch unbegründet.
1. Nach Ansicht der Beschwerde kommt der Frage, ob bei einer mündlich erteilten Anweisung besondere organisatorische Vorkehrungen gegen ein Vergessen zu treffen sind, grundsätzliche Bedeutung zu. Das Berufungsgericht stütze sich insoweit auf Entscheidungen, in denen der Rechtsanwalt ein Empfangsbekenntnis über die Urteilszustellung unterzeichnet und zurückgegeben, seine Bürokraft aber lediglich mündlich beauftragt hatte, das (für die Berechnung der Rechtsmittelfristen erforderliche) Zustellungsdatum in den Handakten zu vermerken (BGH, Beschlüsse vom 5. November 2002 - VI ZR 399/01 - NJW 2003, 435 unter II 1 a; vom 17. September 2002 - VI ZR 419/01 - NJW 2002, 3782 unter II 1 a; vom 4. November 2003 - VI ZB 50/03 - NJW 2004, 688 unter II 2 a bb; BAG NJW 2003, 1269, 1270). Diese ausdrücklich von dem Grundsatz abweichenden Entscheidungen, dass sich ein Rechtsanwalt auf die Befolgung seiner Anweisungen verlassen dürfe, auch wenn sie mündlich erteilt werden, könnten nicht auf Fälle wie den vorliegenden übertragen werden, in denen es um eine - noch dazu erste - Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist gehe. Eine solche Verlängerung könne noch am letzten Tag der zu verlängernden Frist beantragt werden, mithin an dem Tag, an dem die Handakte wegen des Fristablaufs ohnehin vorgelegt werde. Auch in einem Beschluss des BGH vom 11. Februar 1998 (XII ZB 184/97 - NJW-RR 1998, 787 unter II 2 a und c) sei eine mündliche Einzelanweisung, die sich auf den Weg der Beförderung eines derartigen Verlängerungsantrags an das zuständige Gericht bezog, als ausreichend angesehen worden. Zumindest müsse die Beschwerde zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zugelassen werden.
2. Der vorliegende Fall bietet indessen unter keinem der nach § 574 Abs. 2 ZPO maßgebenden Gesichtspunkte Anlass zu einer Zulassung der Beschwerde. Vielmehr ist der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen des den Klägern nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschuldens ihres Anwalts mit Recht zurückgewiesen worden.
a) Die Rechtsprechung zur Notwendigkeit zusätzlicher organisatorischer Vorkehrungen gegen ein Vergessen nur mündlich erteilter Anweisungen ist nicht auf Fälle der Eintragung des Ablaufs einer Rechtsmittelfrist beschränkt. Zwar gilt sie nur für besonders wichtige Vorgänge; dazu ist aber auch die Absendung eines Schriftsatzes gerechnet worden, durch den die Berufungsbegründungsfrist gewahrt werden sollte (BGH, Beschluss vom 22. Juni 2004 - VI ZB 10/04 - NJW-RR 2004, 1361 unter 2). Hier sollte diese Frist zwar noch nicht endgültig durch Vorlage der Berufungsbegründung eingehalten, sondern zunächst gemäß § 520 Abs. 2 Satz 3 ZPO verlängert werden. Voraussetzung dafür ist der Eingang des Verlängerungsantrags vor Fristablauf; ohne diesen kann die abgelaufene Frist nicht mehr verlängert werden (BGHZ 83, 217, 221 f.; 116, 377, 378 f.; BGH, Beschluss vom 10. Juni 2003 - VIII ZB 126/02 - NJW 2003, 3418 unter II 2 a.E.). Damit ist der rechtzeitige Eingang des Verlängerungsantrags bei Gericht nicht weniger wichtig als die richtige Berechnung des Fristendes.
b) Ungeachtet der vom Berufungsgericht vermissten organisatorischen Vorkehrungen gegen ein Vergessen der mündlich erteilten Weisung war die hier vorgetragene mündliche Verfügung des Anwalts schon aus sich heraus nicht hinreichend präzis. Aus dem Klägervorbringen ergibt sich nicht, ob die Anweisung einer bestimmten Bürokraft persönlich erteilt worden ist und ob dies etwa die Angestellte war, die das Ende der Berufungsbegründungsfrist falsch in den Kalender eingetragen und den Verlängerungsantrag erst am 1. Juni 2005 zur Unterschrift vorgelegt hat. Ihrer eidesstattlichen Versicherung ist über die vorgetragene mündliche Verfügung des Anwalts nichts zu entnehmen. Unklar bleibt weiter, welche Anforderungen der Anwalt hinsichtlich des Zeitpunkts der Vorlage des Verlängerungsantrags gestellt hat. Wenn er gesagt haben sollte, der Antrag solle entweder noch ihm selbst vor seiner am 19. Mai 2005 beginnenden Ortsabwesenheit zur Unterschrift vorgelegt werden oder aber seinem Vertreter in der Zeit seiner Abwesenheit vom 19.-30. Mai 2005, wäre durch die Einräumung eines so langen Spielraums für die Erledigung des Auftrags die Gefahr eines Vergessens gegenüber zahlreichen anderen Verpflichtungen der betreffenden Bürokraft stark erhöht worden. Eine solche Einzelweisung bietet keine hinreichende Gewähr dafür, dass eine Fristversäumung zuverlässig verhindert wird (vgl. BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1998 - X ZB 20/98 - NJW 1999, 429 unter II 3).
c) Nach dem Klägervorbringen ist nicht ausgeschlossen, dass der Anwalt überhaupt nicht mehr verlangt hat als eine zeitlich von ihm nicht näher eingegrenzte Vorbereitung des Verlängerungsantrags. Wenn der Bürokraft nicht vorgegeben war, wann der Antrag zur Unterschrift vorgelegt werden sollte, hat der Anwalt die von ihm im Hinblick auf den Verlängerungsantrag als einer fristgebundenen Prozesshandlung eigenverantwortlich wahrzunehmenden Pflichten versäumt, den Zeitpunkt des Fristablaufs zu überprüfen und die Einhaltung der Frist zu sichern (vgl. BGH, Beschlüsse vom 17. März 2004 - IV ZB 41/03 - NJW-RR 2004, 1150 unter II; vom 19. Februar 1991 - VI ZB 2/91 - NJW-RR 1991, 827 unter II 2 b aa). Vielmehr blieb es der Bürokraft überlassen, wann sie den Verlängerungsantrag zur Unterschrift vorlegen würde. Diese wird sich auf die (fehlerhafte) Eintragung des Fristablaufs im Kalender verlassen haben. Für die Annahme, dass der Anwalt hier den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist selbst nicht kontrolliert hat, spricht der Umstand, dass er den Verlängerungsantrag noch am 1. Juni 2005 unterschrieben hat, also einen Tag nach Ablauf der Frist, und erst auf den Hinweis des Berufungsgerichts, dass die Frist versäumt sei, Wiedereinsetzung beantragt hat. Er hat gegenüber dem Berufungsgericht die unzutreffende Ansicht vertreten, ein Anwalt müsse bei Unterzeichnung eines solchen Verlängerungsantrags die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist nicht selbst überprüfen (Schriftsatz vom 11. Juli 2005 auf Seite 2).
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