Formwirksames Testament durch eigenhändige Änderungen auf Kopie eines eigenhändigen Testaments
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
25. 10. 2005
Aktenzeichen
31 Wx 72/05
Ein formwirksames Testament kann auch dadurch hergestellt werden, dass der Testierende die Fotokopie eines von ihm eigenhändig geschriebenen und unterschriebenen Testaments eigenhändig ändert, wenn der im vorhandenen Original und auf dessen Kopie niedergelegte Text ein einheitliches Ganzes bildet. Unter dieser Voraussetzung können auch Änderungen in Form von eigenhändigen Durchstreichungen des fotokopierten Textes Teil eines formwirksamen Testaments sein.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die geschiedene Erblasserin ist im Alter von 76 Jahren kinderlos verstorben. Ihre noch lebenden leiblichen Verwandten sind die Bet. zu 2 bis 4, die Kinder zweier Onkel mütterlicherseits. Der Bet. zu 1 ist ein langjähriger Bekannter der Erblasserin. Die Erblasserin hat am 9. 9. 2002 ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes Testament errichtet, in dem sie den Bet. zu 1 als Testamentsvollstrecker und Haupterben (zu 55%) neben einem weiteren Erben M K (zu 45%) einsetzte. Dieses Testament ergänzte sie durch das Testament vom 12. 9. 2002. Am 18. 9. 2002 errichtete die Erblasserin ein eigenhändig geschriebenes und unterschriebenes dreiseitiges Testament, in dem sie den Bet. zu 1 zum Alleinerben und zum Testamentsvollstrecker für die anschließend aufgeführten zwei Vermächtnisse einsetzte. Das Originaltestament vom 18. 9. 2002 (DIN A 5-Format) übergab die Erblasserin dem Bet. zu 1 zur Aufbewahrung, nachdem sie zuvor Kopien angefertigt hatte, die sie bei sich aufbewahrte. Auf einer Kopie des Testaments vom 18. 9. 2002 (gefaltetes DIN A 4-Format) brachte die Erblasserin mit blauem Kugelschreiber verschiedene Änderungen und Ergänzungen an, die nachfolgend auszugsweise wiedergegeben werden. So ergänzte sie die Überschrift „Testament“ auf S. 1 wie folgt: „Am 6. Okt. 2002 (Testament)sänderung.“ Die in den nachfolgenden Absätzen erfolgte Einsetzung des Bet. zu 1 zum Alleinerben und Testamentsvollstrecker ist mit blauem Kugelschreiber durchgestrichen. Die S. 2 bis 8 wurden von der Erblasserin jeweils mit den Überschriften versehen „… Testamentsänderung vom 9. 10. 2002“. Die S. 2 bis 5 blieben leer. Auf S. 6 (Kopie von S. 2 des Originaltestaments) strich die Erblasserin die Einsetzung des Bet. zu 1 zum Vermögensverwalter durch. Auf S. 7 (Kopie von S. 3 des Originaltestaments) änderte sie den Originalwortlaut durch Ergänzung und Durchstreichung dahin, dass es statt „Es ist auch das gemeinsame Anliegen vom Erblasser und Erben (den Einödhof zu bewahren)“ heißt: „Es weiterhin das Anliegen vom Erblasser ist …“ Auf S. 7 und 8 folgen handschriftliche Ergänzungen, die eine Bestätigung des Geschriebenen, Ortsangabe, Datum und erneute Unterschrift sowie die Absicht einer weiteren Bestätigung und eine Datumskorrektur (5. statt 9. 10. 2002) enthalten. Am 6. 10. 2002 errichtete die Erblasserin ein eigenhändig geschriebenes, nicht unterschriebenes Patiententestament, in dem sie auf S. 2 schrieb: „Eine völlig unerwartete unheilbare schwere Krebsgeschwür-Operation zwang mich zur Änderung meines persönlichen letzten Willens, also meines Testaments … Das bedeutet, dass ich selbst, schon in Schmerzbehandlung im Sinne der Hospizbewegung mein Vermögen ganz dort einbringen werde, nicht nur als meinen letzten Weg, sondern als Mitglied oder Ausbau- oder Spender-Erblasser. Und zwar sofort, nachdem ich ein schon laufendes Hospiz gefunden habe …“
Es liegen widersprechende Erbscheinsanträge des Bet. zu 1 und der Bet. zu 2 bis 4 vor. Der Bet. zu 1 ist der Auffassung, das Testament vom 5. 10. 2002 entfalte keine Rechtswirkungen, die Erblasserin hätte bei dessen Abfassung keinen Testierwillen gehabt, sondern nur einen Entwurf fertigen wollen, ferner sei die Testamentsform nicht eingehalten. Er beantragte die Erteilung eines Erbscheins als Alleinerbe auf Grund des Testaments vom 18. 9. 2002. Die Bet. zu 2 bis 4 beantragten einen gemeinschaftlichen Erbschein auf Grund gesetzlicher Erbfolge zu Gunsten des Bet. zu 2 zu ½ und der Bet. zu 3 und 4 zu je ¼. Sie sind der Ansicht, dass es sich bei dem Testament vom 5. 10. 2002 um ein wirksames Widerrufstestament handele, das dem Erblasserwillen entspricht.
Mit Beschluss vom 25. 7. 2003 erließ das AG einen Vorbescheid, in dem es die Erteilung eines Alleinerbscheins zu Gunsten des Bet. zu 1 ankündigte. Zur Begründung ist ausgeführt, dass das Testament vom 5. 10. 2002 die Voraussetzungen für ein wirksames Widerrufstestament nicht erfülle, da die Veränderung lediglich auf einer Fotokopie vorgenommen worden seien. Auf die gegen den Vorbescheid gerichtete Beschwerde der Bet. zu 2 bis 4 hob das LG mit Beschluss vom 5. 7. 2005 den Vorbescheid auf und wies gleichzeitig das AG an, den Bet. zu 2 bis 4 einen gemeinschaftlichen Erbschein zu erteilen, wonach die Erblasserin vom Bet. zu 2 zu ½ und von den Bet. zu 3 und 4 zu je ¼ gesetzlich beerbt worden ist. Diesen Beschluss hat der Bet. zu 1 mit der weiteren Beschwerde angefochten. Die zulässige weitere Beschwerde hatte in der Sache keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
1. Das LG hat ausgeführt, die Erblasserin habe wirksam im Testament vom 5. 10. 2002 den Widerruf der im vorangegangenen Testament vom 18. 9. 2002 erfolgten Einsetzung des Bet. zu 1 zum Alleinerben und zum Testamentsvollstrecker erklärt.
Die Anforderungen an ein gültiges Testament seien erfüllt, da ein Testierwillen in Form eines Aufhebungswillens der Erblasserin vorgelegen habe. Dies ergäbe sich durch Auslegung, wobei zur Auslegung auch die Kopie des Originaltestaments heranzuziehen sei. Das Durchstreichen der Einsetzung des Bet. zu 1 zum Alleinerben auf der Testamentskopie sei durch die Erblasserin selbst erfolgt. Auch die konkrete Gestaltung spräche für einen Testierwillen. Außerdem habe sie ihren Widerrufswillen bezüglich der Erbeinsetzung des Bet. zu 1 dadurch zum Ausdruck gebracht, dass sie auf S. 7 die Worte „gemeinsame“ sowie „Erben“ eigenhändig durchgestrichen habe. Die Erblasserin habe den Widerruf der Erbeinsetzung des Bet. zu 1 erklären wollen. In der gebotenen Gesamtschau seien daher die von der Erblasserin auf der Kopie vorgenommenen Änderungen als wirksames Widerrufstestament zu werten. Da die Erblasserin die Änderungen auf der Kopie nicht nur eigenhändig geschrieben, sondern auch mit Ort, Datum und Unterschrift versehen habe, sei in der Abänderung kein Entwurf zu sehen. Für einen verbindlichen Testierwillen spräche auch die Datumskorrektur.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung jedenfalls im Ergebnis stand (§ 27 I FGG, § 546 ZPO).
Zutreffend ist das LG zu dem Ergebnis gelangt, dass die Erblasserin am 5. 10. 2002 wirksam ein Testament errichtet hat, das ihre früheren Testamente vom 18. 9. 2002 und 9. 9. 2002 insoweit aufhebt, als es zu ihnen in Widerspruch steht.
a) Der Erblasser kann ein Testament durch eine eigenhändig geschriebene und unterschriebene Erklärung errichten (§ 2247 I BGB).
„Eigenhändigkeit“ i.S. von § 2247 BGB bedeutet, dass der Erblasser den gesamten Wortlaut des Testaments mit der Hand selbst schreiben muss (BayObLG, FamRZ 1990, 441 [442]). Dieses Formerfordernis ist unerlässlich, um die Echtheit des Testaments auf Grund der individuellen Merkmale, die die Handschrift eines jeden Menschen aufweist, überprüfen zu können (BayObLG, FamRZ 1990, 441 [442]; BGHZ 47, 68 [70] = NJW 1967, 1124; Staudinger/Baumann, BGB, 2003, § 2247 Rdnr. 33).
(aa) Dieses Formerfordernis ist bei der als Testament vom 5. 10. 2002 vorgelegten handschriftlich ergänzten Fotokopie jedenfalls hinsichtlich der fotokopierten Schriftzüge nicht erfüllt.
Anders als die mittels Blaupause, Kohlepapier o.Ä. hergestellten Durchschriften sind solche Schriftzüge vom Schreiber nicht selbst unmittelbar geformt, die sich als auf fototechnischem Weg gewonnenes Abbild des Originals darstellen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2002, 633 [634]; Staudinger/Baumann, § 2247 Rdnr. 29).
(bb) Jedoch kann der eigenhändige Teil eines teils eigenhändig, teils mechanisch geschriebenen Testaments dann gültig sein, wenn der formgerecht verfasste Teil für sich einen abgeschlossenen Sinn ergibt und der Wille des Erblassers nicht entgegensteht (vgl. RG, Recht 1921, Nr. 582; Staudinger/Baumann, § 2247 Rdnr. 29).
Da jedoch die fragmentarischen handschriftlichen Ergänzungen und insbesondere die Durchstreichungen auf dem Schriftstück vom 5. 10. 2002 isoliert betrachtet unverständlich und ohne eigenen Aussagegehalt sind, stellen auch die handschriftlichen Durchstreichungen und Ergänzungen der Kopie für sich genommen keinen gültigen Testamentsteil dar.
Dies hat das LG verkannt. Es hat allein die handschriftlichen Änderungen vom 5. (6./9.) 10. 2002 (im Folgenden: 5. 10. 2002) auf der Fotokopie des Testaments vom 18. 9. 2002 als gem. § 2247 BGB formwirksam errichtetes Widerrufstestament gewürdigt.
cc) Gleichwohl ist das Ergebnis des LG zutreffend, dass die Erblasserin am 5. 10. 2002 ein formwirksames Testament errichtet hat. Denn die an diesem Tag handschriftlich auf der Fotokopie erstellten Ergänzungen und Durchstreichungen stellen im Zusammenhang mit dem Originaltestament vom 18. 9. 2002 ein formwirksames Testament dar.
(1) Die formwirksame Errichtung eines eigenhändig geschriebenen ordentlichen Testaments muss weder in einem einheitlichen Akt noch in einer einzigen Urkunde erfolgen (§§ 2231 Nr. 2, 2247 BGB, vgl. BayObLGZ 1992, 181 [187] = NJW-RR 1992, 1225). Vielmehr kann der Erblasser auch das zur Errichtung eines formgerechten Testaments benutzen, was er als früheres Testament niedergeschrieben hat, um es durch eigenhändige Ergänzung so zu vollenden, dass es sein nunmehr gewolltes Testament darstellt. Für die Formgültigkeit kommt es insoweit nur darauf an, dass im Todeszeitpunkt eine die gesamten Erklärungen nach dem Willen des Erblassers deckende Unterschrift vorhanden ist (vgl. BayObLGZ 1984, 194 [196, 197]). Es ist daher unschädlich, wenn die Niederschrift auf mehreren, nicht miteinander verbundenen Blättern erfolgt, sofern diese inhaltlich ein Ganzes sind und eine einheitliche Willenserklärung enthalten (vgl. BayObLG, FamRZ 1991, 370 [371]; Staudinger/Baumann, § 2247 Rdnr. 53). Maßgeblich ist daher, dass die letztwillige Verfügung am Ende der erforderlichen Form entspricht und der Erblasser sie als seine rechtsverbindliche letztwillige Verfügung ansah und als solche behandelt wissen wollte (vgl. BayObLGZ 1970, 174 [178, 179]).
(2) Das LG hat festgestellt, dass das Originaltestament vom 18. 9. 2002 und die Änderungen vom 5. 10. 2002 auf der Kopie von der Erblasserin stammen, sowohl die eingefügten fragmentarischen Ergänzungen als auch die Durchstreichungen auf S. 1, 6 und 7, die die Stellung des Bet. zu 1 als Erbe, Testamentsvollstrecker und Vermögensverwalter betrafen. Seine Erkenntnis des eigenhändigen Durchstreichens beruhte insoweit sowohl auf dem äußeren Schriftbild der Urkunde („blauer Kugelschreiber“) als auch in der diese Durchstreichung bestätigenden Änderung des Testaments auf S. 7 und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
(3) Das LG hat auch im Ergebnis zu Recht angenommen, dass die Erblasserin am 5. 10. 2002 eine einheitliche Willenserklärung abgegeben hat. Dies ergibt sich allerdings nicht, wie das LG meint, aus dem Zusammenhang von Kopie und den dort angebrachten Veränderungen, sondern aus der Verklammerung des im Original und dessen Fotokopie niedergelegten Texts zu einem einheitlichen Ganzen.
Da der Erblasser früher Geschriebenes handschriftlich auf weiteren Blättern zu einem formgültigen Testament ergänzen kann, ist zu folgern, dass diese Ergänzung auch auf einer hierzu gefertigten Kopie erfolgen kann; dies gilt insbesondere dann, wenn für die Erblasserin - wie hier - hierfür ein Bedürfnis besteht, weil sie das Original weggegeben hatte und zudem schwer krank war (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 2003, 653 [655]).
Eine Verklammerung des im Original und auf dessen Fotokopie niedergelegten Textes zu einem einheitlichen Ganzen kann sich aus ihrem inneren Zusammenhang ergeben, der für den Leser erkennbar durch die Anordnung der Ergänzungen auf der Fotokopie des Originaltexts dargestellt worden ist.
Gleiches muss auch für Änderungen in Form von eigenhändigen Durchstreichungen gelten: Denn es besteht kein sachlich gravierender Unterschied zwischen einer Änderung in Form von Wortergänzungen und Bestätigungen einer weiterhin gewollten und dem bloßen Durchstreichen einer nicht mehr gewollten Verfügung.
Eigenhändige Durchstreichungen, auch von Teilen des Testaments, sind grundsätzlich zulässig (arg. aus § 2255 BGB, vgl. Staudinger/Baumann, § 2247 Rdnrn. 54, 55).
Die Änderungen vom 5. 10. 2002 auf der Kopie sind nur im Zusammenhang mit dem Originaltestament vom 18. 9. 2002 lesbar und ergeben auch nur so einen Sinn.
Für den Leser erkennbar sollten im Testament vom 18. 9. 2002 getroffene Verfügungen abgeändert werden, dabei diente die Kopie des Originaltestaments hierfür als Vorlage. Eine Verklammerung des auf Original und dessen Fotokopie handschriftlich niedergelegten Texts ergibt sich daher aus ihrem inneren Zusammenhang.
b) Zutreffend gelangt das LG auf Grund der von ihm festgestellten Tatsachen durch Auslegung zu der Annahme, dass die Erblasserin bei Erstellung dieser einheitlichen Willenserklärung vom 5. 10. 2002 auch Testierwillen hatte und nicht nur einen Entwurf fertigen wollte.
(aa) Ohne Erfolg bleibt die Rüge der sofortigen weiteren Beschwerde, das LG habe Beweisangebote nicht beachtet. Das bezieht sich insbesondere auf die Behauptungen, die Erblasserin habe es abgelehnt, einen Notar zu rufen oder sich das Originaltestament aushändigen zu lassen, ferner sei ihr Verhältnis zu den Bet. zu 2 bis 4 zerrüttet gewesen. Richtig ist zwar, dass sich das LG hiermit nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat. Es hat diesen Vortrag offenbar nicht als erheblich angesehen.
Das begegnet im Ergebnis keinen durchgreifenden Bedenken. Die Richtigkeit dieses Vortrags unterstellt, kann er die auf den Wortlaut des Testaments und die Berücksichtigung sonstiger Umstände gestützte Auslegung des LG nicht ernsthaft in Frage stellen. Denn fehlende Bereitschaft der Erblasserin, mit Hilfe eines Notars ein der äußeren Form nach verbessertes Testament zu erstellen, kann ebenso für ihren Willen und ihre Überzeugung sprechen, das erstellte habe bereits Gültigkeit; ebenso wie sie das Originaltestament deswegen nicht zur Abänderung herausverlangt haben könnte, weil sie die Änderungen auch auf dessen Kopie als endgültig und wirksam ansah. Da sie unter Berücksichtigung der in dem Patiententestament abgegebenen Erklärung beabsichtigte, ihr Vermögen „sofort“ einer Hospizbewegung zu übertragen, kommt ihrem Verhältnis zu möglichen gesetzlichen Erben in Bezug auf einen am 5. 10. 2002 dokumentierten Testierwillen keine erhebliche Bedeutung zu.
Das LG hat auch bei der Beweiswürdigung die bei den Beschwerdegegnern liegende materielle Beweislast für die Gültigkeit des Testaments nicht verkannt (vgl. BayObLGZ 1970, 173 [181]).
(bb) Ebenso sind Rechtsfehler des LG bei der Bejahung des Vorhandenseins eines Testierwillens nicht erkennbar.
Das mit Unterschrift und Datumsangabe abgefasste einheitliche Testament vom 5. 10. 2002 lässt nach der nicht zu beanstandenden Auffassung des LG inhaltlich keinen Zweifel, dass die Vorstellung der Erblasserin über die Verteilung ihres Nachlasses darin bereits einen fertigen Ausdruck gefunden hat.
Zwar hat sie keine Erbeinsetzung vorgenommen und vier als „Testamentsänderung“ überschriebene Seiten leer gelassen. Aus diesem Freilassen kann nicht auf einen Entwurfscharakter der Verfügung insgesamt geschlossen werden. Denn zum einen ist es durchaus denkbar, dass die Erblasserin die bei der Fertigung einer DIN A 4-Kopie aus einer DIN A 5-Vorlage entstehenden Leerteile einer Seite nur deswegen nummeriert und mit einer Überschrift versehen hat, um die Seiten zu ordnen und dem Testament einen einheitlichen Charakter zu geben.
Zum anderen würde auch die Annahme, die Erblasserin habe vier Seiten deswegen frei gelassen, um sie später zu ergänzen, nicht gegen die Wertung des Verfassten als formwirksames Testament sprechen. Denn entscheidend ist, dass die Erblasserin am 5. 10. 2002 gemeint hat, sie hätte erstmal abschließend und gültig verfügt, auch wenn sie es dabei für sich offen gelassen haben mag, eventuell später noch Ergänzungen anzubringen. Von dieser Annahme ist das LG rechtsfehlerfrei ausgegangen.
Die Erblasserin hat ferner die zwei im Originaltestament verfügten Vermächtniseinsetzungen und die Einsetzung des Bet. zu 1 zum „Krankenanwalt“ ausdrücklich bestätigt und ihn als Vermögensverwalter entlassen; und sie hat darüber hinaus die Durchstreichung seiner Erbeinsetzung und auch die bewusste Nichteinsetzung eines anderen Erben durch die Ausbesserung auf S. 7 (statt: „das gemeinsame Anliegen von Erblasser und Erben“ in „das Anliegen vom Erblasser ist“) bekräftigt.
Eine Stütze findet diese Annahme des LG auch in dem „Patiententestament“ der Erblasserin vom 6. 10. 2002, das als formfreie Erklärung zur Auslegung ihres Willens heranzuziehen ist. Hier bestätigt sie die einen Tag zuvor vorgenommene Änderung ihres Testaments und begründet sie mit der völlig unerwarteten Krebsoperation. Diese Bestätigung im Zusammenhang mit der danach folgenden Ankündigung, ihr Vermögen in die Hospiz-Bewegung einzubringen, „und zwar sofort“ belegt auch ihren tags zuvor niedergelegten Testierwillen dem Grund und dem Inhalt nach.
Auch der handschriftlich verfasste Zusatz auf S. 8 der geänderten Kopie, in dem die Erblasserin die eingefügten Änderungen bestätigt und ankündigt, dass sie diese später nochmals in neu geschriebener Form bestätigen werde, bekräftigt die Annahme des LG. Denn wenn erwiesen ist, dass die Erblasserin jedenfalls schon die errichtete Urkunde als ihren wirksamen letzten Willen ansah, dann kann es für ihre Gültigkeit auf solche Nebenabsichten - wie eine Verbesserung wegen der äußeren Form - nicht ankommen (vgl. BayObLGZ 1970, 173 [181]).
c) Zutreffend ist das LG bei Auslegung des am 5. 10. 2002 vollendeten Testaments davon ausgegangen, dass die Erblasserin hierin keine Erbeinsetzung vorgenommen hat, sondern die am 18. 9. 2002 erfolgte Erbeinsetzung des Bet. zu 1 abgeändert hat.
Diese Auslegung lässt nach Schriftbild, Wortlaut und Sinn keinen Rechtsfehler erkennen und wird auch vom Bf. nicht gerügt.
3. Zu Recht ist das LG davon ausgegangen, dass mangels testamentarischer Erbeinsetzung gesetzliche Erbfolge eingetreten ist.
Das Testament vom 5. 10. 2002 steht hinsichtlich der Erbeinsetzung des Bet. zu 1 im Widerspruch zu dem früheren Testament vom 18. 9. 2002 und hebt es insoweit auf (§ 2258 I BGB).
Da in ihm überhaupt keine testamentarische Erbeinsetzung angeordnet wurde, ist es auch nicht als Widerruf eines Widerrufstestaments anzusehen (§ 2258 II BGB). Die im Testament vom 18. 9. 2002 angeordnete Erbeinsetzung des Bet. zu 1 als Alleinerbe hat zwar seine Einsetzung im Testament vom 9. 9. 2002 als Miterbe zu 55% abgeändert (§ 2258 I BGB). Die nun im Testament vom 5. 10. 2002 getroffene Verfügung, dass überhaupt keine Erbeneinsetzung erfolgt, lässt nicht das Testament vom 9. 9. 2002 insoweit wirksam werden, als es die Einsetzung des Miterben M K zu 45% betrifft, weil es durch Aufhebung jeglicher Erbeinsetzung in Widerspruch auch zu diesem Testament vom 9. 9. 2002 steht und es insoweit aufhebt.
Mangels Erbeinsetzung ist daher von gesetzlicher Erbfolge auszugehen. Die Bet. zu 2 bis 4 sind gesetzliche Erben dritter Ordnung (§ 1926 BGB). Die Erbteile richten sich nach Stämmen (§ 1926 V i.V. mit § 1924 II bis IV BGB).
Das LG hat daher zu Recht auf von den Bet. zu 2 bis 4 gestellten Antrag an das NachlassG hin den der materiellen Rechtslage nicht entsprechenden Vorbescheid des AG aufgehoben und das NachlassG zur Erbscheinserteilung in der verfügten Weise angewiesen.
Für diesen Antrag ist eine bestimmte Form nicht vorgeschrieben (vgl. Palandt/Edenhofer, BGB, 64. Aufl., § 2353 Rdnr. 11). Jedoch wird das NachlassG vor der Erbscheinserteilung zu prüfen haben, ob die erforderlichen Voraussetzungen erfüllt oder noch Förmlichkeiten nachzuholen sind (§§ 2354, 2356, 2357 BGB).
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