Rechtsmissbräuchliche Einstellung der Belieferung einer Tankstelle mit Kraftstoffen
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
11. 01. 2006
Aktenzeichen
VIII ZR 396/03
Ein Mineralölunternehmen handelt rechtsmissbräuchlich, wenn es die Belieferung einer Tankstelle mit Kraftstoffen unter Berufung auf ein Zurückbehaltungsrecht wegen offener Forderungen gegen den Tankstellenbetreiber einstellt, diesen aber gleichzeitig an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenzprodukte zu vertreiben, festhält und ihm dadurch den Betrieb der Tankstelle und damit die Erzielung von Einnahmen unmöglich macht.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 6. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 24. September 2003 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als zum Nachteil der Beklagten erkannt worden ist.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Freiburg vom 22. Januar 2003 geändert. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Anschlussrevision der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand:
Die Beklagten schlossen im November 1996/Januar 1997 mit der
Rechtsvorgängerin der Klägerin (im Folgenden nur: Klägerin) einen Tankstellenvertrag,
nach dessen Bestimmungen ihnen als Handelsvertretern der Vertrieb
der Erzeugnisse der Klägerin in deren Namen und für deren Rechnung
oblag. Der Vertrag sieht in Nr. 11 eine Laufzeit von zehn Jahren vor, die von der
Klägerin mittels einer Option um zweimal fünf Jahre verlängert werden kann.
Die Beklagten vermieteten der Klägerin zugleich das im Eigentum der Beklagten
zu 2 stehende Betriebsgrundstück und die darauf errichtete Tankstelle. Der
Vertrieb von Konkurrenzprodukten ist den Beklagten nach Nr. 10 des Vertrages
verboten.
Gegen Ende des Jahres 2000 kam es zu Abrechnungsdifferenzen zwischen
den Parteien, die nicht bereinigt wurden. Die Klägerin forderte mit
Schreiben vom 30. November 2001 Zahlung eines von ihr errechneten Fehlbetrages
von 101.926,44 DM bis zum 5. Dezember 2001 und drohte den Beklagten
die fristlose Kündigung des Tankstellenvertrages an. Am 12. Dezember
2001 stellte sie die Kraftstoffbelieferung der von den Beklagten betriebenen
Tankstelle ein. Die Beklagten verlangten unter der Androhung, den Vertrag ihrerseits
fristlos zu kündigen, die unverzügliche Wiederaufnahme der Belieferung
und erklärten, nachdem weitere Lieferungen ausgeblieben waren, am
13. Dezember 2001 die fristlose Kündigung des Vertragsverhältnisses. Sie vertreiben
seither Kraft- und Schmierstoffe anderer Lieferanten.
Die Klägerin hat daraufhin Klage auf Feststellung des Fortbestands des
Tankstellenvertrages, auf Unterlassung des Bezugs, der Lagerung und des Vertriebs
fremder Kraft- und Schmierstoffe sowie - im Wege der Stufenklage - auf
Auskunft über die seit 20. Dezember 2001 auf dem Tankstellengrundstück verkauften
Kraft- und Schmierstoffe erhoben.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten
hat das Oberlandesgericht die Auskunftsklage abgewiesen; die weitergehende
Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der vom Senat zugelassenen
Revision erstreben die Beklagten die vollständige Abweisung der Klage. Die
Klägerin tritt dem entgegen und wendet sich mit der Anschlussrevision gegen
die Abweisung der Auskunftsklage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hat Erfolg. Die Anschlussrevision der Klägerin
ist dagegen unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt
begründet:
Der Tankstellenvertrag der Parteien sei wirksam. Er verstoße weder gegen
europäisches noch gegen nationales Kartellrecht. Auch die AGBrechtlichen
Einwände der Beklagten gegen die Vertragsdauer seien nicht begründet.
Die zehnjährige Grundlaufzeit des Vertrages, auf die allein es für das
Feststellungsbegehren ankomme, sei unbedenklich. Die vertragliche Regelung
stehe in Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, nach der
bei Bierbezugsverpflichtungen eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte
Laufzeit von zehn Jahren nicht unangemessen sei. Diese Rechtsprechung
sei auf Tankstellenverträge übertragbar. Im vorliegenden Fall müsse dazu
noch berücksichtigt werden, dass die Beklagten ein erhebliches Eigeninteresse
an einer längerfristigen Vermietung der Tankstelle mit sicheren Mieteinnahmen
gehabt hätten.
Durch die fristlose Kündigung der Beklagten sei das Vertragsverhältnis
nicht beendet worden, da es an einem wichtigen Grund zur außerordentlichen
Kündigung fehle. Die Einstellung weiterer Lieferungen durch die Klägerin im
Dezember 2001 stelle keinen Kündigungsgrund dar, da die Klägerin sich wegen
einer Forderung in Höhe von mindestens 55.335,01 DM auf ein Zurückbehaltungsrecht
nach § 273 BGB berufen könne. Auf das von den Beklagten beanstandete
Unterbleiben einer geordneten Provisionsabrechnung könne eine außerordentliche Kündigung ebenfalls nicht gestützt werden, weil es dazu einer
erfolglosen Abmahnung bedurft hätte, zu der nichts vorgetragen sei. Da der
Tankstellenvertrag somit fortbestehe, sei auch der Unterlassungsantrag begründet.
9 Das Auskunftsbegehren sei dagegen abzuweisen, weil schon jetzt feststehe,
dass ein Anspruch der Klägerin auf Ersatz des ihr entgangenen Gewinns
oder auf Herausgabe des von den Beklagten erzielten Gewinns, zu dessen
Vorbereitung die Auskunft dienen solle, dem Grunde nach nicht bestehe. Für
einen Schadensersatzanspruch fehle es wegen des von der Klägerin aus freien
Stücken verhängten Lieferstopps an der erforderlichen adäquaten Kausalität
der Vertragsverletzung durch die Beklagten für den Gewinnentgang. Ein Bereicherungsanspruch
auf Herausgabe des von den Beklagten aus der Veräußerung
fremder Kraft- und Schmierstoffe erzielten Gewinns scheitere daran, dass
dieser nicht auf Kosten der Klägerin erzielt worden sei.
II.
Die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht der Klage stattgegeben
hat, greift die Revision der Beklagten mit Erfolg an.
1. Schon die Ausführungen des Berufungsgerichts zur Wirksamkeit der
zehnjährigen Grundlaufzeit des Tankstellenvertrages sind nicht unbedenklich,
soweit das Berufungsgericht sich für seine Auffassung auf die Rechtsprechung
des erkennenden Senats meint berufen zu können. Es trifft zwar zu, dass der
Senat in der vom Berufungsgericht angeführten Entscheidung BGHZ 147, 279
ausgesprochen hat, dass eine in Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbarte
Laufzeit einer Bierbezugsverpflichtung von zehn Jahren den Gastwirt jedenfalls
im Regelfall nicht unangemessen benachteiligt. Daran wird festgehalten.
Das Berufungsgericht hat aber übersehen, dass der Regelfall einer langjährigen Bierbezugsbindung dadurch gekennzeichnet ist, dass dem Gastwirt im
Zusammenhang mit einem derartigen Bierlieferungsvertrag regelmäßig ein Darlehen
in erheblicher Höhe - in dem dort entschiedenen Fall handelte es sich um
150.000 DM - zur Verfügung gestellt wird, das dem Aufbau oder der Fortführung
der Gastwirtschaft dient und das durch den kontinuierlichen Getränkebezug
amortisiert wird (BGHZ aaO S. 283). Dass die Klägerin in vergleichbarem
Umfang in den Vertrag oder in die der Beklagten zu 2 gehörende Tankstelle
investiert hat, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Davon hängt aber
nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats auch die Angemessenheit
langfristiger Bezugsbindungen in Tankstellenverträgen ab (BGHZ 143, 103,
116).
2. Die Frage, welche Folgerungen sich daraus für den Fall ergeben würden,
dass die Laufzeitregelung in Nr. 11 des Tankstellenvertrages als Allgemeine
Geschäftsbedingung anzusehen sein sollte, was das Berufungsgericht offen
gelassen hat, bedarf indessen keiner weiteren Erörterung; denn der Tankstellenvertrag
der Parteien ist jedenfalls durch die außerordentliche Kündigung der
Beklagten vom 13. Dezember 2001 beendet worden. Die von der Klägerin am
12. Dezember 2001 verhängte Liefersperre ist entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts als wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gemäß
§ 89a Abs. 1 HGB anzusehen.
a) Ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne des
§ 89a HGB ist nach allgemeiner Auffassung gegeben, wenn dem zur Kündigung
berechtigten Teil die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses bis zu dessen
Ablauf oder auch nur bis zu dem Zeitpunkt, zu welchem es durch ordentliche
Kündigung beendet werden könnte, nicht zumutbar ist (Senatsurteile vom
26. Mai 1999 - VIII ZR 123/98, WM 1999, 1986 unter II 2, und vom 17. Januar
2001 - VIII ZR 186/99, VersR 2001, 370 unter II 1; allgemein für Dauerschuld-
verhältnisse jetzt § 314 Abs. 1 Satz 2 BGB). Die Fortsetzung des Vertragsverhältnisses
ist für die Beklagten dadurch unzumutbar geworden, dass die Klägerin
am 12. Dezember 2001 die Belieferung der von ihnen betriebenen Tankstelle
eingestellt, die Beklagten aber gleichzeitig an dem vertraglichen Verbot, Konkurrenzprodukte
zu vertreiben, festgehalten und ihnen dadurch den Betrieb der
Tankstelle und damit die Erzielung von Einnahmen unmöglich gemacht hat.
Eine derartige Knebelung des Vertragspartners, die über kurz oder lang zur
Vernichtung seiner wirtschaftlichen Existenz führen muss, ist auch dann
rechtsmissbräuchlich, wenn, wie es nach den Feststellungen des Berufungsgerichts
hier der Fall ist, gegen ihn eine Forderung besteht, derentwegen grundsätzlich
ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht werden kann (ebenso OLG
Nürnberg NJW 1972, 2270, 2271).
b) Dem lässt sich entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung
nicht entgegenhalten, die Klägerin hätte sich nicht darauf verweisen lassen
müssen, den Vertrag zu kündigen, anstatt von ihrem Zurückbehaltungsrecht
Gebrauch zu machen, weil dadurch ihre Ansprüche aus dem Tankstellenvertrag
für die Zukunft erloschen wären und die Beklagten sich auf diese Weise durch
ihr vertragswidriges Verhalten aus der vertraglichen Bindung hätten lösen können.
Denn die Klägerin hätte ihren Zahlungsanspruch einklagen können, ohne
auf ihre vertraglichen Rechte für die Zukunft verzichten zu müssen, und sie hätte
zudem, wie von den Beklagten angeboten, die weitere Belieferung der von
den Beklagten betriebenen Tankstelle von täglicher Barzahlung und von der
Erhöhung der von den Beklagten gestellten Bankbürgschaft abhängig machen
können. Dass diese Maßnahmen für die Beklagten weit weniger belastend gewesen
wären als die Einstellung der Belieferung bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung
des Konkurrenzverbots, zieht auch die Revisionserwiderung nicht in
Zweifel.
c) Die Revisionserwiderung bringt schließlich vor, die Beklagten hätten,
um weiter beliefert zu werden, nur ihre Verpflichtung aus dem Vertrag zu erfüllen
brauchen; sofern sie dazu wegen Unterschlagung der vereinnahmten Beträge
nicht in der Lage gewesen seien, könne dies nicht dazu führen, dass die
Klägerin von den ihr für diesen Fall vom Gesetz eingeräumten Rechten keinen
Gebrauch machen dürfte, unter denen die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts
nach § 273 BGB noch ein verhältnismäßig mildes Mittel sei. Mit diesen
Erwägungen ist das Vorgehen der Klägerin nicht zu rechtfertigen. Ob und in
welcher Höhe die Klägerin von den Beklagten im Dezember 2001 unter Verrechnung
gegenseitiger Forderungen Zahlung beanspruchen konnte, war zu
diesem Zeitpunkt und ist darüber hinaus auch weiterhin streitig. Selbst wenn ihr
Zahlungsverlangen in der vom Berufungsgericht errechneten Höhe von rund
55.000 DM berechtigt war, durfte die Klägerin zur Durchsetzung dieser Forderung
nicht ein Mittel einsetzen, das die Beklagten für den nicht unwahrscheinlichen
Fall, dass sie den Betrag binnen der von der Klägerin gewährten kurzen
Frist nicht würden aufbringen können, der Gefahr der Vernichtung ihrer wirtschaftlichen
Existenz aussetzte.
3. Eine Abmahnung, die einer außerordentlichen Kündigung wegen eines
- wie hier - dem Leistungsbereich zuzuordnenden wichtigen Grundes regelmäßig
vorauszugehen hat (Senatsurteil vom 16. Dezember 1998 – VIII ZR 381/97,
NJW-RR 1999, 539 unter III 2), haben die Beklagten der Klägerin gegenüber
am 12. Dezember 2001 ausgesprochen. In Anbetracht der völligen Abhängigkeit
ihres Tankstellenbetriebs von der weiteren Belieferung durch die Klägerin
war den Beklagten ein Zuwarten über den 13. Dezember 2001 hinaus nicht zuzumuten.
4. Da nach alledem der Tankstellenvertrag der Parteien durch die fristlose
Kündigung der Beklagten vom 13. Dezember 2001 beendet worden ist, erweisen sich sowohl der Antrag auf Feststellung des Fortbestands des Vertrages
als auch der Antrag auf Unterlassung des Bezugs, der Lagerung und des Vertriebs
von Kraftstoffen und Mineralölen anderer Lieferanten als unbegründet.
III.
18 Dem entsprechend muss auch die Anschlussrevision der Klägerin erfolglos
bleiben, ohne dass es eines Eingehens auf die von der Anschlussrevision
bekämpfte Auffassung des Berufungsgerichts bedarf, für den Gewinnentgang
der Klägerin sei das - vermeintlich - vertragswidrige Verhalten der Beklagten
nicht kausal.
IV.
Das angefochtene Urteil ist somit aufzuheben, soweit das Berufungsgericht
die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da
der Rechtsstreit zur Endentscheidung reif ist, entscheidet der Senat insoweit
abschließend in der Sache (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klage ist auch hinsichtlich
des Feststellungs- und des Unterlassungsantrags abzuweisen. Die Anschlussrevision
der Klägerin ist unbegründet und daher zurückzuweisen (§ 561 ZPO).
Dr. Deppert
Dr. Beyer
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Dr. Leimert
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