Sachverhalt zur Ermittlung der Verwechslungsgefahr

Gericht

EuGH


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

23. 03. 2006


Aktenzeichen

C‑206/04 P


Entscheidungsgründe

1 Mit ihrem Rechtsmittel beantragt die Muelhens GmbH & Co. KG die Aufhebung des Urteils des Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften vom 3. März 2004 in der Rechtssache T‑355/02 (Muelhens/HABM – Zirh International [ZIRH], Slg. 2004, II‑791, im Folgenden: angefochtenes Urteil), mit dem ihre Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Zweiten Beschwerdekammer des Harmonisierungsamts für den Binnenmarkt (Marken, Muster und Modelle) (HABM) vom 1. Oktober 2002 (Sache R 247/2001‑3) abgewiesen wurde, mit der ihr Widerspruch gegen die Anmeldung des Wortzeichens „ZIRH“ zurückgewiesen worden war (im Folgenden: streitige Entscheidung).


Rechtlicher Rahmen

2 Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 40/94 des Rates vom 20. Dezember 1993 über die Gemeinschaftsmarke (ABl. 1994, L 11, S. 1) bestimmt:

„Auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke ist die angemeldete Marke von der Eintragung ausgeschlossen,

b) wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet besteht, in dem die ältere Marke Schutz genießt; dabei schließt die Gefahr von Verwechslungen die Gefahr ein, dass die Marke mit der älteren Marke gedanklich in Verbindung gebracht wird.“

3 In Artikel 8 Absatz 2 der Verordnung Nr. 40/94 heißt es:

„‚Ältere Marken‘ im Sinne von Absatz 1 sind

a) Marken mit einem früheren Anmeldetag als dem Tag der Anmeldung der Gemeinschaftsmarke, gegebenenfalls mit der für diese Marken in Anspruch genommenen Priorität, die den nachstehenden Kategorien angehören:

i) Gemeinschaftsmarken;

…“

4 Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 ist im Wesentlichen wortgleich mit Artikel 4 Absatz 1 Buchstabe b der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1).


Vorgeschichte des Rechtsstreits

5 Am 21. September 1999 meldete die Zirh International Corp. (im Folgenden: Zirh International) das Wortzeichen „ZIRH“ für Waren und Dienstleistungen der Klassen 3, 5 und 42 des Abkommens von Nizza über die internationale Klassifikation von Waren und Dienstleistungen für die Eintragung von Marken vom 15. Juni 1957 in revidierter und geänderter Fassung beim HABM als Gemeinschaftsmarke an.

6 Am 24. Mai 2000 erhob die Rechtsmittelführerin gemäß Artikel 42 der Verordnung Nr. 40/94 Widerspruch gegen die Anmeldung hinsichtlich aller darin beanspruchten Waren und Dienstleistungen. Der Widerspruch war auf ein als ältere Gemeinschaftsmarke eingetragenes Wortbildzeichen mit dem Wortbestandteil „SIR“ und einem Wappen für Waren der Klasse 3 im Sinne des Abkommens von Nizza gestützt, die folgender Beschreibung entsprechen: „Parfümerien, ätherische Öle, Kosmetik, Haarwässer, Zahnpasta, Seifen“ (im Folgenden: ältere Marke).

7 Mit Entscheidung vom 29. Juni 2001 wies die Widerspruchsabteilung des HABM den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, dass selbst dann, wenn die fraglichen Waren und Dienstleistungen über die gleichen Absatzwege oder Verkaufsstätten vertrieben würden, die Unterschiede zwischen den Marken gegenüber deren möglicher klanglicher Ähnlichkeit in einigen Amtssprachen der Europäischen Union eindeutig überwögen, so dass keine Verwechslungsgefahr bestehe.

8 Am 10. Juli 2001 legte die Klägerin gegen diese Entscheidung Beschwerde ein. Mit der streitigen Entscheidung, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wurde, bestätigte die Zweite Beschwerdekammer des HABM die Entscheidung der Widerspruchsabteilung und schloss sich ihrer Begründung an.


Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

9 Mit am 4. Dezember 2002 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangener Klageschrift hat die Rechtsmittelführerin eine Klage auf Aufhebung der streitigen Entscheidung erhoben. Sie machte als einzigen Klagegrund eine fehlerhafte Anwendung des Begriffes der Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 geltend.

10 Das Gericht hat in den Randnummern 33 bis 43 des angefochtenen Urteils zunächst die einschlägige Regelung und die Rechtsprechung zur Verwechslungsgefahr in Erinnerung gebracht.

11 Es hat sodann alle relevanten Umstände des Falles umfassend gewürdigt und dabei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente der Marken berücksichtigt. Es ist zu dem Ergebnis gelangt, dass die klangliche Ähnlichkeit der Marken weitgehend neutralisiert werde. Das Gericht hat ausgeführt:

„44 Zum optischen Vergleich der kollidierenden Marken ist erstens festzustellen, dass die Wortbestandteile dieser beiden Marken zwar den zweiten und dritten Buchstaben – die Buchstaben ‚ir‘ – gemeinsam haben, aber nicht unerhebliche optische Unterschiede aufweisen. Ihr erster Buchstabe – ‚s‘ oder ‚z‘ – unterscheidet sich nämlich. Zudem enthalten die Wortbestandteile eine unterschiedliche Zahl von Buchstaben, da sich an die Buchstaben ‚ir‘ bei der angemeldeten Marke der Buchstabe ‚h‘ anschließt. Überdies ist dem Wortzeichen der älteren Marke ein Wappen beigefügt, während die angemeldete Marke ausschließlich aus einem Wortzeichen in normaler Schrift besteht. Bei der optischen Gesamtwürdigung der fraglichen Zeichen rufen diese somit wegen ihrer jeweiligen besonderen Bestandteile einen unterschiedlichen Gesamteindruck hervor.

45 In Bezug auf die klangliche Ähnlichkeit bestreitet das HABM nicht, dass sich die in beiden Marken enthaltenen Wortbestandteile in einigen Amtssprachen der Europäischen Union ähneln. Wie das HABM in Punkt 26 seiner Klagebeantwortung zutreffend ausgeführt hat, wird die ältere Marke in vielen Mitgliedstaaten höchstwahrscheinlich englisch ausgesprochen, weil ‚sir‘ ein bekanntes englisches Wort ist, das auch das nicht anglophone Publikum kennt. Auch wenn die angemeldete Gemeinschaftsmarke in einigen Sprachen verschieden ausgesprochen werden kann, ist – wie vom HABM eingeräumt – davon auszugehen, dass sich die fraglichen Marken in ihrem Klang zumindest in den anglophonen Ländern und in Spanien ähneln, da die jeweiligen Unterschiede zwischen der Aussprache im Englischen und im Spanischen nicht besonders ausgeprägt sind. In klanglicher Hinsicht sind die Marken daher in diesen Ländern als ähnlich anzusehen.

46 Was den Vergleich der Bedeutung der kollidierenden Marken anbelangt, so bestreitet die Klägerin die Würdigung dieses Punktes durch das HABM nicht. Wie das HABM zutreffend ausführt, besteht keine Ähnlichkeit in der Bedeutung, da der Durchschnittsverbraucher der Mitgliedstaaten wahrscheinlich an das englische Wort ‚sir‘ denken wird, da dieses in Europa weithin bekannt ist. Da das Wort ‚zirh‘ in keiner der elf Amtssprachen der Europäischen Union eine erkennbare Bedeutung hat, wird das allgemeine Publikum es als Neuschöpfung auffassen. Somit ist festzustellen, dass in Bezug auf die Bedeutung keine Ähnlichkeit zwischen beiden Marken besteht.

47 Folglich besteht weder in optischer Hinsicht noch in der Bedeutung Ähnlichkeit zwischen den Marken SIR und ZIRH. In klanglicher Hinsicht ähneln sich die fraglichen Marken in einigen Ländern. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung nicht auszuschließen ist, dass allein die klangliche Ähnlichkeit der Marken eine Verwechslungsgefahr hervorrufen kann (Urteil [des Gerichtshofes vom 22. Juni 1999 in der Rechtssache C‑342/97,] Lloyd Schuhfabrik Meyer, [Slg. 1999, I-3819,] Randnr. 28, und Urteil des Gerichts vom 15. Januar 2003 in der Rechtssache T‑99/01, Mystery Drinks/HABM – Karlsberg Brauerei [MYSTERY], Slg. 2003, II‑43, Randnr. 42).

48 Wie bereits in den Randnummern 39 und 42 ausgeführt, ist aber eine umfassende Beurteilung aller relevanten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen, bei der auf den Gesamteindruck abzustellen ist, den die fraglichen Marken hervorrufen, wobei ihre unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente besonders zu berücksichtigen sind.

49 Nach der Rechtsprechung des Gerichts kann eine klangliche Ähnlichkeit durch Bedeutungsunterschiede zwischen den fraglichen Marken neutralisiert werden. Für eine solche Neutralisierung ist erforderlich, dass zumindest eine der fraglichen Marken in der Wahrnehmung der maßgebenden Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, so dass diese Verkehrskreise sie ohne weiteres erfassen können (Urteil [des Gerichts vom 14. Oktober 2003 in der Rechtssache T‑292/01, Pash Textilvertrieb und Einzelhandel] [BASS], [Slg. 2003, II-4335,] Randnr. 54).

50 Im vorliegenden Fall trifft dies, wie in Randnummer 46 dargelegt, für den Wortbestandteil der älteren Marke SIR zu. Diese Einschätzung wird nicht dadurch entkräftet, dass dieser Wortbestandteil kein Merkmal der Waren bezeichnet, für die die Eintragung der fraglichen Marke vorgenommen wurde. Dies hindert die maßgebenden Verkehrskreise nämlich nicht daran, die Bedeutung dieses Wortbestandteils der älteren Marke ohne weiteres zu erfassen. Es genügt, dass eine der fraglichen Marken eine solche Bedeutung hat, um, wenn die andere Marke keine solche Bedeutung oder nur eine ganz andere Bedeutung hat, eine klangliche Ähnlichkeit zwischen diesen Marken weitgehend zu neutralisieren (in diesem Sinne auch Urteil BASS, Randnr. 54).

51 Diese Neutralisierung wird im vorliegenden Fall dadurch bestätigt, dass die Marken SIR und ZIRH auch optische Unterschiede aufweisen. Wie das HABM in diesem Zusammenhang zutreffend dargelegt hat, ist der Grad der klanglichen Ähnlichkeit zwischen zwei Marken von geringerer Bedeutung, wenn es sich um Waren handelt, die so vermarktet werden, dass die maßgebenden Verkehrskreise beim Erwerb die sie kennzeichnende Marke gewöhnlich auch optisch wahrnehmen (in diesem Sinne auch Urteil BASS, Randnr. 55).

52 Dies ist bei den Waren, um die es im vorliegenden Fall geht, entgegen dem Vorbringen der Klägerin der Fall. Ihre Ausführungen, wonach der Absatz der von der älteren Marke erfassten Waren nicht ausschließlich aufgrund von deren Erscheinungsbild erfolge und ihre Waren in erheblichem Umfang über Parfümerien, Frisör- und Schönheitssalons vertrieben würden, ändern nichts an diesem Ergebnis.

53 Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin nicht dargetan hat, dass ihre Waren gewöhnlich so vermarktet werden, dass die maßgebenden Verkehrskreise die Marke nicht optisch wahrnehmen. Sie beschränkt sich auf die Behauptung, dass es einen traditionellen Absatzweg über Parfümerien, Frisör- und Schönheitssalons gebe, bei dem der Verbraucher die Ware nicht unmittelbar an sich nehmen, sondern nur von einem Verkäufer erhalten könne.

54 Selbst wenn man unterstellt, dass Parfümerien, Frisör- und Schönheitssalons wichtige Absatzwege für die Waren der Klägerin darstellen können, steht fest, dass die Waren auch dort im Allgemeinen in Regalen dargeboten werden, die es den Verbrauchern ermöglichen, sie in Augenschein zu nehmen. Somit ist zwar nicht ausgeschlossen, dass die fraglichen Waren auch auf mündliche Bestellung verkauft werden können, doch kann dies nicht als ihre gewöhnliche Vertriebsweise angesehen werden.“

12 Das Gericht ist daher in Randnummer 55 des angefochtenen Urteils zu dem Ergebnis gelangt, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen den fraglichen Marken nicht hoch genug sei, um anzunehmen, dass die maßgeblichen Verkehrskreise glauben könnten, die betreffenden Waren stammten vom selben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen. Demgemäß hat das Gericht die von der Rechtsmittelführerin erhobene Klage abgewiesen.


Das Rechtsmittel

13 Die Rechtsmittelführerin beantragt, das angefochtene Urteil und die streitige Entscheidung aufzuheben und dem HABM die Kosten aufzuerlegen. Mit einem einzigen, aus zwei Teilen bestehenden Rechtsmittelgrund rügt sie einen Verstoß gegen Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94. Im Rahmen beider Teile des Rechtsmittelgrundes erhebt sie jeweils zwei Rügen.

14 Das HABM und die Zirh International beantragen, das Rechtsmittel zurückzuweisen und der Rechtsmittelführerin die Kosten aufzuerlegen.


Zum ersten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes (Verwechslungsgefahr)

Zur ersten Rüge

– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

15 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass Verwechslungsgefahr zwischen den Marken gegeben sei, da die Waren und Dienstleistungen teils ähnlich, teils identisch und die Zeichen klanglich ähnlich seien. Wie der Gerichtshof in Randnummer 28 des Urteils Lloyd Schuhfabrik Meyer festgestellt habe, bestehe Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 bei offensichtlicher Ähnlichkeit hinsichtlich eines der sensorischen Kriterien. Im vorliegenden Fall resultiere die Verwechslungsgefahr aus der klanglichen Ähnlichkeit.

16 Das HABM tritt der Beurteilung der Zeichenähnlichkeit durch die Rechtsmittelführerin nicht entgegen. Es meint jedoch, im Urteil Lloyd Schuhfabrik Meyer sei nur die Möglichkeit bejaht worden, dass die klangliche Ähnlichkeit allein eine Verwechslungsgefahr begründe.

– Würdigung durch den Gerichtshof

17 Vorab ist daran zu erinnern, dass nach der siebten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 40/94 das Vorliegen von Verwechslungsgefahr von einer Vielzahl von Umständen abhängt, insbesondere dem Bekanntheitsgrad der Marke auf dem Markt, der gedanklichen Verbindung, die das benutzte oder eingetragene Zeichen zu ihr hervorrufen kann, sowie dem Grad der Ähnlichkeit zwischen der Marke und dem Zeichen und zwischen den damit gekennzeichneten Waren und Dienstleistungen.

18 Das Bestehen von Verwechslungsgefahr beim Publikum ist unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des konkreten Falles umfassend zu beurteilen (vgl. in diesem Sinne zur Richtlinie 89/104 Urteile vom 11. November 1997 in der Rechtssache C‑251/95, Sabèl, Slg. 1997, I‑6191, Randnr. 22, und vom 22. Juni 2000 in der Rechtssache C‑425/98, Marca Mode, Slg. 2000, I‑4861, Randnr. 40).

19 Bei dieser umfassenden Beurteilung ist hinsichtlich der Ähnlichkeit der Marken in Bild, Klang oder Bedeutung auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind (vgl. zur Richtlinie 89/104 u. a. Urteile Sabèl, Randnr. 23, und Lloyd Schuhfabrik Meyer, Randnr. 25).

20 Nach der Beurteilung des durch die beiden Zeichen hervorgerufenen Gesamteindrucks hat das Gericht in Randnummer 47 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Zeichen weder in optischer Hinsicht noch in der Bedeutung, dass sie aber in klanglicher Hinsicht ähnlich seien, und in diesem Zusammenhang hat es nicht ausgeschlossen, dass allein die klangliche Ähnlichkeit Verwechslungsgefahr begründen kann.

21 Tatsächlich lässt sich nicht ausschließen, dass allein die klangliche Ähnlichkeit der Marken eine Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 hervorrufen kann (vgl. zur Richtlinie 89/104 Urteil Lloyd Schuhfabrik Meyer, Randnr. 28). Jedoch ist daran zu erinnern, dass das Bestehen von Verwechslungsgefahr im Rahmen einer umfassenden Beurteilung hinsichtlich der Ähnlichkeit der Zeichen in Bedeutung, Bild und Klang zu ermitteln ist. Dabei ist die Würdigung einer etwaigen klanglichen Ähnlichkeit nur einer der relevanten Umstände im Rahmen dieser umfassenden Beurteilung.

22 Folglich kann aus Randnummer 28 des Urteils Lloyd Schuhfabrik Meyer nicht hergeleitet werden, dass notwendig immer dann Verwechslungsgefahr vorläge, wenn nur eine klangliche Ähnlichkeit der beiden Zeichen besteht.

23 Das Gericht hat daher zu Recht im Rahmen der umfassenden Beurteilung der Verwechslungsgefahr den durch die beiden Zeichen hervorgerufenen Gesamteindruck hinsichtlich ihrer etwaigen Ähnlichkeiten in Bedeutung, Bild und Klang geprüft.

24 Die erste Rüge im Rahmen des ersten Teils des einzigen Rechtsmittelgrundes ist daher als nicht begründet zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge

– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

25 Nach Auffassung der Rechtsmittelführerin genügt die klangliche Ähnlichkeit, um eine Verwechslungsgefahr zu begründen, wenn die mit den Marken gekennzeichneten Waren bei ihrem Kauf nicht stets optisch ausschließlich „nach Sicht“ gekauft werden. Im Fall der betroffenen Waren gebe es aber für die Verbraucher in einer Reihe von Verkaufsstätten keine Selbstbedienung, sondern sie müssten dort bei einem Verkäufer nach den Waren ausdrücklich fragen. Auch der telefonische Kauf dieser Waren sei sehr weit verbreitet. In all diesen Fällen kenne der Verbraucher, der die Marke „SIR“ nur klanglich wahrnehme, nicht die visuellen Merkmale der mit dieser Marke gekennzeichneten Produkte.

26 Das HABM hält die klangliche Ähnlichkeit im vorliegenden Fall nicht für entscheidend, da die fraglichen Waren normalerweise „nach Sicht“ gekauft würden. Die Waren würden so vertrieben, dass die maßgeblichen Verkehrskreise die Marke beim Kauf als visuelles Produktkennzeichen wahrnähmen. Obgleich es auch möglich erscheine, dass mündlich auf die Waren Bezug genommen werde, bilde doch der eine mündliche Bestellung voraussetzende Absatzweg für die fraglichen Waren nicht die typische oder durchschnittliche Kaufsituation. Daher bestehe keine Verwechslungsgefahr im Sinne von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94.

– Würdigung durch den Gerichtshof

27 Zur zweiten Rüge der Rechtsmittelführerin, die die Auswirkungen der jeweiligen Vertriebsweise der in Frage stehenden Waren betrifft, ist festzustellen, dass das Rechtsmittel insoweit in Wirklichkeit darauf zielt, dass der Gerichtshof die vom Gericht vorgenommene Beurteilung des Sachverhalts durch seine eigene ersetzt.

28 Die in den Randnummern 52 bis 54 des angefochtenen Urteils enthaltene Feststellung, dass die fraglichen Waren im Allgemeinen so vertrieben werden, dass die maßgeblichen Verkehrskreise sie optisch wahrnehmen können, ist nämlich eine Beurteilung des Sachverhalts, die sich der Nachprüfung durch den Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens entzieht. Nach den Artikeln 225 Absatz 1 EG und 58 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Daher ist allein das Gericht für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie die Beweiswürdigung zuständig. Somit ist die Würdigung dieser Tatsachen und Beweiselemente, sofern nicht der Fall ihrer Verfälschung vorliegt, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterläge (vgl. Urteil vom 15. September 2005 in der Rechtssache C‑37/03 P, BioID/HABM, Slg. 2005, I‑0000, Randnr. 43 und die dort zitierte Rechtsprechung).

29 Da die Rechtsmittelführerin keine Verfälschung des Sachverhalts und der Beweiselemente, mit denen das Gericht befasst war, geltend gemacht hat, ist die zweite Rüge im Rahmen des ersten Teils des einzigen Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen.

30 Daher ist zum ersten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes festzustellen, dass das Gericht Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 nicht verkannt hat.

31 Demnach ist der erste Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes als teils unbegründet, teils unzulässig zurückzuweisen.


Zum zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes (Neutralisierung der klanglichen Ähnlichkeit)

Zur ersten Rüge

– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

32 Die Rechtsmittelführerin macht geltend, dass der Ausgangspunkt der Darlegungen des Gerichts in den Randnummern 48 und 49 des angefochtenen Urteils verfehlt sei. Die klangliche Ähnlichkeit könne nämlich nicht durch visuelle und begriffliche Unterschiede neutralisiert werden.

33 Das HABM meint, dass der Gerichtshof, wenn er der vom Gericht im Urteil Phillips-Van Heusen/HABM – Pash Textilvertrieb und Einzelhandel (BASS) (Randnr. 54) vertretenen Auffassung zustimme, wonach eine klangliche Ähnlichkeit durch begriffliche und visuelle Unterschiede zwischen zwei Marken neutralisiert werden könne, sofern zumindest eine der Marken in der Wahrnehmung der maßgeblichen Verkehrskreise eine eindeutige und bestimmte Bedeutung habe, so dass diese Verkehrskreise sie ohne weiteres erfassen könnten, dieser Auffassung auch im vorliegenden Fall folgen müsse.

– Würdigung durch den Gerichtshof

34 Wie oben in Randnummer 19 in Erinnerung gebracht worden ist, ist bei der umfassenden Beurteilung der Ähnlichkeit der Marken in Bild, Klang oder Bedeutung auf den durch die Marken hervorgerufenen Gesamteindruck abzustellen, wobei insbesondere die unterscheidungskräftigen und dominierenden Elemente zu berücksichtigen sind.

35 Diese umfassende Beurteilung impliziert, dass die begrifflichen und visuellen Unterschiede zwischen zwei Zeichen die zwischen ihnen bestehenden klanglichen Ähnlichkeiten neutralisieren können, wenn zumindest eines der Zeichen eine eindeutige und bestimmte Bedeutung hat, so dass die maßgeblichen Verkehrskreise sie ohne weiteres erfassen können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006 in der Rechtssache C‑361/04 P, Ruiz-Picasso u. a./HABM, Slg. 2006, I‑0000, Randnr. 20).

36 Daher konnte das Gericht, nachdem es in den Randnummern 48 und 49 des angefochtenen Urteils festgestellt hatte, dass die umfassende Beurteilung auch eine Berücksichtigung der unterscheidungskräftigen und dominierenden Bestandteile der betreffenden Zeichen einschließt und dass die klanglichen Ähnlichkeiten durch die begrifflichen Unterschiede zwischen den Zeichen neutralisiert werden können, anschließend, ohne Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 zu verkennen, zu dem Ergebnis gelangen, dass der Grad der Ähnlichkeit zwischen den Zeichen nicht hoch genug ist, um annehmen zu können, dass die maßgeblichen Verkehrskreise glauben könnten, die betreffenden Waren stammten vom selben Unternehmen oder gegebenenfalls von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen.

37 Die erste Rüge im Rahmen des zweiten Teils des einzigen Rechtsmittelgrundes ist daher als nicht begründet zurückzuweisen.

Zur zweiten Rüge

– Vorbringen der Verfahrensbeteiligten

38 Die Rechtsmittelführerin trägt vor, dass die Hauptbedeutung der Marke „SIR“ nur bei ihrer Aussprache im Englischen klar zum Ausdruck komme. Bei ihrer Aussprache in jeder anderen Amtssprache der Europäischen Union ergebe die Marke keinerlei Sinn und sei ein reines Fantasiezeichen. Folglich hätte das Gericht nicht annehmen dürfen, dass eine der Marken eine eindeutige und bestimmte Bedeutung habe, um daraus zu schließen, dass die klangliche Ähnlichkeit durch die begrifflichen und visuellen Unterschiede zwischen den Marken neutralisiert werde. Damit habe das Gericht Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 rechtsfehlerhaft ausgelegt.

39 Das HABM ist der Ansicht, dass die Bildmarke „SIR“ eine eindeutige und bestimmte Bedeutung im Sinne des Urteils Phillips-Van Heusen/HABM – Pash Textilvertrieb und Einzelhandel (BASS) (Randnr. 54) habe. Daher habe das Gericht bei der Auslegung von Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 keinen Rechtsfehler begangen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

40 Zur zweiten Rüge der Rechtsmittelführerin, die sich auf die Beurteilung der begrifflichen und visuellen Unterschiede zwischen den Zeichen bezieht, ist festzustellen, dass das Rechtsmittel insoweit in Wirklichkeit darauf zielt, dass der Gerichtshof die vom Gericht vorgenommene Beurteilung des Sachverhalts durch seine eigene ersetzt.

41 Insoweit genügt der Hinweis, dass die in den Randnummern 50 und 51 des angefochtenen Urteils enthaltene Feststellung des Gerichts, dass die begrifflichen und visuellen Unterschiede zwischen den Zeichen ihre klangliche Ähnlichkeit neutralisieren, eine Beurteilung des Sachverhalts ist, die sich der Nachprüfung durch den Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittelverfahrens entzieht. Nach den Artikeln 225 Absatz 1 EG und 58 Absatz 1 der Satzung des Gerichtshofes ist das Rechtsmittel auf Rechtsfragen beschränkt. Daher ist allein das Gericht für die Feststellung und Beurteilung der relevanten Tatsachen sowie die Beweiswürdigung zuständig. Somit ist die Würdigung dieser Tatsachen und Beweiselemente, sofern nicht der Fall ihrer Verfälschung vorliegt, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofes im Rahmen eines Rechtsmittels unterläge (vgl. Urteil BioID/HABM, Randnr. 43 und die dort zitierte Rechtsprechung).

42 Da die Rechtsmittelführerin keine Verfälschung des Sachverhalts und der Beweiselemente, mit denen das Gericht befasst war, geltend gemacht hat, ist die zweite Rüge im Rahmen des zweiten Teils des einzigen Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen.

43 Daher ist auch zum zweiten Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes festzustellen, dass das Gericht Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung Nr. 40/94 nicht verkannt hat.

44 Demnach ist der zweite Teil des einzigen Rechtsmittelgrundes als teils unbegründet, teils unzulässig zurückzuweisen.

45 Da keiner der beiden Teile des einzigen Rechtsmittelgrundes durchgreift, ist das Rechtsmittel zurückzuweisen.


Kosten

46 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 der Verfahrensordnung auf das Rechtsmittelverfahren entsprechend anwendbar ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da das HABM und die Zirh International die Verurteilung der Rechtsmittelführerin beantragt haben und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

  1. Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

  2. Die Muelhens GmbH & Co. KG trägt die Kosten des Verfahrens.

Unterschriften.

Rechtsgebiete

Markenrecht