Zeitpunkt des Schadenseintritts bei der Beurteilung anwaltlichen Fehlverhaltens

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

09. 07. 1992


Aktenzeichen

IX ZR 50/91


Leitsatz des Gerichts

Führt das fehlerhafte Prozeßverhalten eines Rechtsanwalts zu einer für den Mandanten nachteiligen gerichtlichen Entscheidung, ist ein Schaden regelmäßig nicht eingetreten und damit ein Ersatzanspruch nicht entstanden, solange nicht auszuschließen ist, daß die Entscheidung in einem weiteren Rechtszug zugunsten des Mandanten korrigiert wird.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. macht gegen den Bekl. einen Schadensersatzanspruch wegen angeblicher Verletzung anwaltlicher Pflichten geltend. Sie ließ in den Jahren 1983/84 von dem Bauunternehmer E (fortan: Auftragnehmer) den Rohbau für ein Vierfamilienhaus errichten. Nach ihrer Behauptung war dafür ein Pauschalpreis von 100000 DM vereinbart. Die Kl. zahlte 99000 DM, 1000 DM behielt sie „wegen Baumängeln“ ein. Anfang 1985 stellt ihr der Auftragnehmer 153200,61 DM in Rechnung und verlangte von ihr im Klagewege 54200,61 DM nebst Zinsen. In diesem Rechtsstreit wurde die Kl. in erster Instanz von dem Bekl. vertreten. Die Klageerwiderung stützte dieser zunächst auf die Pauschalpreisvereinbarung sowie auf Mängel in der Bauausführung der Hauseingangstreppe und eines Stahlbetonsturzes. Zu diesen Mängeln holte das LG gem. § 273 LGO vor dem auf den 27. 2. 1986 bestimmten Haupttermin ein Sachverständigengutachten ein. Erst mit Schriftsätzen vom 31. 1. und 18. 2. 1986 berief sich der Bekl. für die Kl. auf umfangreiche Mängel. In der mündlichen Verhandlung erhob das LG Beweis über die behauptete Pauschalpreisabrede und über die Mängel, zu deren Feststellung es vorbereitend einen Sachverständigen bestellt hatte. Der Vorsitzende wies den Bekl. darauf hin, daß das Vorbringen zu weiteren Mängeln möglicherweise verspätet sei. Daraufhin erklärte dieser zu Protokoll: „Die in den Schriftsätzen vom 31. 1. 1986, 18. 2. 1986 gerügten Mängel und Ansprüche werden nicht mehr im vorliegenden Verfahren geltend gemacht. Hiervon ausgenommen sind die Mängel an der Treppe und der Stahlstütze." Durch Urteil vom 20. 3. 1986 - der Kl. zu Händen des Bekl. zugestellt am 29. 4. 1986 - gab das LG der Klage im wesentlichen statt und begründete dies damit, daß nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ein Pauschalpreis nicht vereinbart worden, sondern nach Einheitspreisen abzurechnen gewesen sei. Die Berufung der Kl. wurde durch Urteil des OLG vom 20. 1. 1987, das mit Ablauf der Revisionsfrist rechtskräftig wurde, zurückgewiesen. Das Gericht ließ in der Entscheidung das Vorbringen der Kl. zur fehlenden Prüffähigkeit der Schlußrechnung, zu falschen Massenberechnungen und zu umfangreichen Mängeln als verspätet nicht zu. In dem vorliegenden Rechtsstreit, der mit einem dem Bekl. am 13. 4. 1989 zugestellten Mahnbescheid über 92000 DM nebst Zinsen eingeleitet wurde, nimmt die Kl. den Bekl. wegen angeblicher Verletzung seiner anwaltlichen Pflichten in Anspruch. Sie wirft ihm vor, es schuldhaft unterlassen zu haben, den vom OLG im Vorprozeß als verspätet nicht zugelassenen Sachvortrag rechtzeitig einzuführen. Ferner rügt sie, der Bekl. habe den Sachvortrag zu den Mängelrügen eigenwillig zurückgenommen und schuldhaft davon abgesehen, ein Versäumnisurteil gegen sie ergehen zu lassen oder eine Widerklage zu erheben, um eine Zurückweisung wegen Verspätung zu vermeiden.

LG und OLG haben die Klage abgewiesen. Die Revision der Kl. führte zur Aufhebung und Zurückverweisung der Sache an das BerGer.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Das BerGer. meint, der Klageanspruch sei mit Ablauf des 20. 3. 1989 verjährt.

Die dreijährige Verjährungsfrist des § 51 BRAO habe mit Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 20. 3. 1986 begonnen. An diesem Tage sei ein - unterstellter - Schadensersatzanspruch entstanden. Von nun an habe er geltend gemacht und notfalls im Wege der Klage - auch der Feststellungsklage - durchgesetzt werden können. Daß der Schaden durch eine Rechtsmitteleinlegung nachträglich habe begrenzt werden oder ganz fortfallen können, stehe der Feststellungsklage nicht entgegen; Dauerhaftigkeit eines zunächst eingetretenen Schadens sei nicht Voraussetzung für deren Zulässigkeit. Der Schaden sei auch nicht erst mit Zustellung des erstinstanzlichen Urteils oder mit seiner Rechtskraft eingetreten. Entstanden sei der Schaden, sobald sich die Vermögenslage im Vergleich zum früheren Vermögensstand verschlechtert habe. Dies sei schon mit der Verkündung des Urteils geschehen, denn dessen Existenz sei bereits als Passivposten bei der Vermögensbewertung zu berücksichtigen gewesen. Jedenfalls sei in diesem Zeitpunkt eine Vermögensgefährdung eingetreten, die für den Verjährungsbeginn dem Vermögensschaden gleichstehe, ohne daß es darauf ankomme, von welchem Zeitpunkt an konkret eine Vollstreckung aus dem Urteil gedroht habe. Auf die Rechtskraft könne für die Schadensentstehung nicht abgestellt werden, denn diese besage nur etwas über die Endgültigkeit des eingetreten Schadens, auf die es jedoch nicht ankomme.

II. Den Erwägungen des BerGer. zum Schadenseintritt vermag der Senat im Streitfall, in dem es um einen Anwaltsfehler im Rahmen eines Prozeßmandates geht, nicht beizupflichten.

Nach § 51 Fall1 BRAO verjährt der vertragliche Schadensersatzanspruch des Mandanten gegen den Rechtsanwalt in drei Jahren von dem Zeitpunkt an, in dem der Anspruch entstanden ist. Ein Schadensersatzanspruch ist im Hinblick auf die allgemeine Regel in § 198 S. 1 BGB entstanden, wenn der Rechtsanwalt die pflichtwidrige schadenstiftende Handlung begangen und einen Schaden herbeigeführt hat. Ein Schaden ist eingetreten, wenn die Vermögenslage des Auftraggebers infolge der Handlung im Vergleich mit dem früheren Vermögensstand schlechter geworden ist (BGHZ 100, 228 (231) = NJW 1987, 1887 = LM § 198 BGB Nr. 18; BGH, LM § 256 ZPO Nr. 161 = WM 1990, 695 (699); BGH, NJW-RR 1990, 459 = LM § 51 BRAO Nr. 15 = WM 1990, 815 (816)). Dabei muß nicht feststehen, ob ein Schaden bestehenbleibt und damit endgültig wird (BGHZ 114, 150 (153) = NJW 1991, 2828 = LM H. 2/1992 SteuerberatG Nr. 41)). Ferner ist unerheblich, ob der Schaden sogleich in vollem Umfang eingetreten ist. Der aus einem bestimmten Ereignis erwachsene Schaden ist vielmehr als ein einheitliches Ganzes aufzufassen, und für den Ersatz dieses Schadens gilt eine einheitliche Verjährungsfrist, soweit schon beim Auftreten des ersten Schadens bei verständiger Würdigung mit weiteren Schäden gerechnet werden kann (vgl. BGHZ 50, 21 (24) = NJW 1968, 1324 = LM § 479 BGB Nr. 4; BGH, NJW 1979, 264 = LM § 209 BGB Nr. 38; BGHZ 100, 228 (231 f.) = NJW 1987, 1887 = LM § 198 BGB Nr. 18; BGHZ 114, 150 (153) = NJW 1991, 2828 = LM H. 2/1992 SteuerberatG Nr. 41). Ob und wann der Kl. von dem Schaden erfahren hat, ist unerheblich (RGZ 153, 101 (107); BGHZ 94, 380 (385) = NJW 1985, 2250 = LM § 51 BRAO Nr. 8; BGHZ 114, 150 (153) = NJW 1991, 2828 = LM H. 2/1992 SteuerberatG Nr. 41; Eckert, NJW 1989, 2081; Vollkommer, AnwaltshaftungsR, Rdnr. 457). Am Eintritt des Schadens und damit an der Entstehung eines Schadensersatzanspruches als Voraussetzung des Verjährungsbeginns fehlt es hingegen, wenn offen ist, ob ein pflichtwidriges Verhalten zu einem Schaden führt. Dann handelt es sich nicht um einen gegenwärtigen, sondern allenfalls um einen künftigen Schaden, der - weil noch nicht eingetreten - für den Beginn der Verjährung nicht erheblich ist (vgl. BGHZ 100, 228 (232) = NJW 1987, 1887 = LM § 198 BGB Nr. 18).

Im vorliegenden Rechtsstreit geht es nicht um einen Schaden des Mandanten, der durch ein außerprozessuales Fehlverhalten des Rechtsanwalts verursacht wurde und über den ein Rechtsstreit geführt wird. Vielmehr steht allein in Rede, wann ein Schaden entstanden ist, der dem Mandanten durch ein fehlerhaftes Prozeßverhalten des Rechtsanwalts zugefügt wird, das zu einer dem Mandanten nachteiligen erstinstanzlichen Entscheidung führt. Hier ist ein Schaden regelmäßig nicht schon mit der Verkündung einer solchen Entscheidung, sondern erst dann eingetreten, wenn diese Entscheidung in einem weiteren Rechtszug nicht mehr zugunsten des Mandanten geändert werden kann. Erst dann ist der Prozeß verloren.

Im Streitfall war der Kl. mithin durch das dem Bekl. zur Last gelegte Verhalten so lange ein Schaden nicht entstanden, als es nicht ausgeschlossen war, daß die Werklohnklage des Auftragnehmers der Kl. ohne Erfolg blieb, weil ein Rechtsmittelgericht die Frage der Pauschalpreisvereinbarung anders wertete, oder daß über das Vorbringen der Kl. zur mangelnden Prüffähigkeit der Schlußrechnung, zum fehlerhaften Aufmaß und zu Mängeln in der Sache entschieden wurde. Diese Möglichkeiten bestanden hier nicht nur bis zur Verkündung der landgerichtlichen Entscheidung vom 20. 3. 1986 (vgl. in diesem Zusammenhang BGH, NJW-RR 1990, 1241 = LM § 675 BGB Nr. 156 = WM 1990, 1917 (1921)), sondern jedenfalls bis zur Verkündung des Berufungsurteils vom 20. 1. 1987. Vorher stand weder fest, ob die Annahme des LG, eine Pauschalpreisabrede sei nicht getroffen worden, Bestand haben würde, noch war als sicher davon auszugehen, daß die Rügen der Kl. zur Prüffähigkeit der Schlußrechnung, zum Aufmaß und zur Mangelhaftigkeit der Arbeiten nicht zur Entscheidung zugelassen würden. Insbesondere die Zulassung oder Nichtzulassung neuen Vorbringens nach § 528 ZPO hängt von einer Vielzahl von Umständen ab, deren Bewertung durch ein Rechtsmittelgericht sich nicht mit Sicherheit voraussagen läßt. So entscheiden nicht nur Vortrag sowie Art und Zahl der Beweismittel darüber, ob es zu einer Verzögerung kommt, sondern auch die Frage, mit welchen Fristen ein Gericht im Einzelfall seine Termine bestimmt (vgl. BGH, WM 1985, 819 f.; BGH, NJW 1987, 260 = LM § 189 GVG Nr. 1 = VersR 1987, 259; auch BVerfGE 81, 264 (269 ff.) = NJW 1990, 2373). Zudem ist eine dem Gesetz nicht entsprechende Berücksichtigung von neuem Tatsachenvortrag mit Rechtsmitteln nicht angreifbar (vgl. BGH, NJW 1991, 1896 = LM H. 1/1992 § 528 ZPO Nr. 43 = WM 1991, 1142 m. w. Nachw.). Vor dem Zeitpunkt, in dem der Rechtsstreit über den Werklohn des Auftragnehmers der Kl. in der Berufungsinstanz entschieden war, stand sonach nicht fest, daß von einer Pauschalpreisvereinbarung nicht auszugehen und das behauptete pflichtwidrige Verhalten des Bekl. - das Vorbringen der Kl. als richtig unterstellt - ursächlich für den Erfolg der Werklohnklage geworden war. Frühestens damit kann bei der Kl. infolge der behaupteten Pflichtverletzungen ein Schaden eingetreten und ein Schadensersatzanspruch entstanden sein. Vor der Verkündung der Entscheidung vom 20. 1. 1987 konnte dessen Verjährung nicht beginnen. Dann aber wurde diese durch den dem Bekl. am 13. 4. 1989 zugestellten Mahnbescheid gem. § 209 II Nr. 1 BGB unterbrochen.

Etwas anderes könnte nur gelten, wenn bereits vor der Verkündung des Berufungsurteils festgestanden hätte, daß infolge des behaupteten anwaltlichen Fehlverhaltens ein Schaden der Kl. eingetreten war. Dafür ist jedoch nichts vorgetragen. Insbesondere ist nicht ersichtlich, daß die Kl. durch eine Vollstreckung des landgerichtlichen Urteils einen Schaden erlitten hätte, zumal das Urteil nur gegen Sicherheitsleistung des Auftragnehmers vorläufig vollstreckbar war.

Nach alledem kann das Berufungsurteil keinen Bestand haben.

Rechtsgebiete

Anwalts-, Notar-, Steuerberater- und anderes Berufsrecht

Normen

BRAO § 51