Keine Veröffentlichung des BND-Berichts gegen bespitzelten Journalisten

Gericht

VG Berlin


Art der Entscheidung

Beschluss


Datum

23. 05. 2006


Aktenzeichen

VG 2 A 72.06


Tenor

Der Antragsgegnerin wird untersagt, die in dem Bericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst enthaltenen personenbezogene Daten über den Antragsteller zu veröffentlichen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Der Wert des Verfahrensgegenstandes wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.

Entscheidungsgründe


Gründe

Der Antragsteller, ein Journalist, wendet sich gegen die Veröffentlichung des Berichts des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst, soweit darin Ihn betreffende personenbezogene Daten enthalten sind.

Der Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutz hat Erfolg.

Der Antrag ist zulässig, insbesondere ist der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO eröffnet. Der Streit über die Veröffentlichung personenbezogener Daten durch die Antragsgegnerin bzw. das Parlamentarische Kontrollgremium ist eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit; die Veröffentlichung steht im Zusammenhang mit der öffentlich-rechtlichen Kontrollaufgabe des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Diese Streitigkeit ist nicht verfassungsrechtlicher Art, da hierzu nur Streitigkeiten über Rechtsbeziehungen zwischen Verfassungsorganen zueinander zählen, nicht dagegen über Rechtsbeziehungen zwischen Bürger und Staat, selbst wenn ein Verfassungsorgan daran beteiligt ist (vgl. Bayrischer VGH, BayVBl. 1999, 631 m.w.N.; von Albedyll in: Bader/Funke-Kaiser/Kuntze/v. Albedyll, VwGO, 3. Aufl. 2005, § 40 Rdnrn. 83 ff.).

Der Antrag ist auch begründet. Nach § 123 Abs. 1 VwGO kann das Gericht auf Antrag, auch schon vor Klageerhebung, eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechtes des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Der Antragsteller hat mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache - und um eine solche geht es ihm vorliegend - notwendigen Wahrscheinlichkeit einen Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht (§ 123 Abs. 3 VwGO i.V.m. § 920 Abs. 2 ZPO).

Der Anordnungsanspruch des Antragstellers auf die begehrte Unterlassung ergibt sich aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG. Die Grundrechte schützen den Bürger vor rechtswidrigen Beeinträchtigungen jeder Art. Infolgedessen kann der Bürger, wenn ihm eine derartige Rechtsverletzung droht, gestützt auf das jeweilige Grundrecht, Unterlassung verlangen (vgl. BVerwGE 82, 76). Der öffentlich-rechtliche

Unterlassungsanspruch setzt voraus, dass ein rechtswidriges Handeln einer öffentlichen Stelle droht, das in ein subjektives Recht des Betroffenen eingreift. Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Veröffentlichung der in dem Bericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer aber die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst enthaltenen personenbezogenen Daten des Antragstellers ist rechtswidrig, da hierfür eine gesetzliche Grundlage fehlt und der Antragsteller in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung aus Artikel 2 Abs. 1 i.V.m. Artikel 1 Abs. 1 GG verletzt wird.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts gewährleistet das Grundrecht insoweit die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden (BVerfGE 103, 21 [32 f.]). Hierzu zählen alle Informationen über die Privatsphäre des Antragstellers, d.h. alle Angelegenheiten, die wegen ihres Informationsinhalts typischerweise als "privat" eingestuft werden, weil Ihre öffentliche Erörterung oder Zurschaustellung als unschicklich gilt, das Bekanntwerden als peinlich empfunden wird oder nachteilige Reaktionen der Umwelt auslöst (BVerlGE 101, 361 [382] m.w.N.). Ferner gehören hierzu alle Informationen aus dem privaten Rückzugsbereich, d.h. aus dem eigenen häuslichen Bereich sowie weiteren Örtlichkeiten, die von der breiten Öffentlichkeit deutlich abgeschieden sind; entscheidend ist insofern, ob der Einzelne eine Situation vorfindet oder schafft, in der er begründetermaßen und damit auch für Dritte erkennbar davon ausgehen darf, den Blicken der Öffentlichkeit nicht ausgesetzt zu sein (a.a.O.). Außerdem schützt Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG das Recht am gesprochenen Wort, auch wenn es außerhalb des privaten Rückzugsbereichs, etwa in Büro- oder Sitzungsräumen geführt wurde, aber nicht für fremde Ohren bestimmt war (BVerwGE 121; 115). Nach diesen Maßstäben sind die vom Antragsteller mit seiner Antragsschrift (Seite 6. Nr. 3) genannten Informationen vom Schutz des Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasste personenbezogene Daten. Ausgenommen hiervon wären lediglich Angaben über Art und Weise von Kontakten des Antragstellers mit Mitarbeitern des Bundesnachrichtendienstes, soweit diese nicht im privaten Rückzugsbereich im oben genannten Sinne stattgefunden haben, ,etwa über ein Treffen in einem öffentlich zugänglichen Hotelrestaurant; geschützt sind aber die Gesprächsinhalte dieser Kontakte.

Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung ist zwar nicht schrankenlos gewährleistet. Grundsätzlich muss der Einzelne Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen (BVerfGE 65, 1 [43 f.]). Diese Beschränkungen bedürfen nach Artikel 2 Abs. 1 GG jedoch einer verfassungsmäßigen gesetzlichen Grundlage (a.a.O.), aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkungen klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entsprechen (BVerfGE 45, 400 [420]). Hieran fehlt es. Für die Veröffentlichungen der in dem Bericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst enthaltenen personenbezogenen Daten des Antragstellers durch die Antragsgegnerin bzw. das Parlamentarische Kontrollgremium fehlt eine gesetzliche Grundlage. Das Gesetz über die parlamentarische Kontrolle nachrichtendienstlicher Tätigkeit des Bundes (Kontrollgremiumgesetz - PKGrG) vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453). zuletzt geändert mit Gesetz vom 20. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254), regelt Aufgabe, Befugnisse und Pflichten des Parlamentarischen Kontrollgremiums ausschließlich gegenüber der Bundesregierung und den Nachrichtendiensten bzw. dem Deutschen Bundestag, nicht aber gegenüber Dritten. So hat das Parlamentarische Kontrollgremium nach § 8 Satz 1 PKGrG allein dem Deutschen Bundestag turnusmäßig Bericht zu erstatten; die Vorschriften der §§ 5 Abs. 1 Satz 5, 2 c PKGrG bieten keine hinreichend klare gesetzliche Grundlage für Einschränkungen des informationellen Selbstbestimmungsrechts des Einzelnen.

Auch die verfassungsrechtliche Aufgabenstellung des Parlaments rechtfertigt nicht die Grundrechtseingriffe. Das Gericht verkennt nicht die Bedeutung der Kontrollaufgaben des Parlaments gegenüber der Bundesregierung und Ihrer Nachrichtendienste; dies schließt auch die Befugnis zur Information und Aufklärung der Öffentlichkeit mit ein. Personenbezogene Daten dürfen dabei jedoch unter Berücksichtigung des Grundsatze der Verhältnismäßigkeit in der Regel nur zur Abwehr von Gefahren für die Allgemeinheit bekannt gemacht werden (vgl. BVerwGE 82, 76 [80]). Derartiges hat die Antragsgegnerin hier nicht vorgetragen.

Ein Anordnungsgrund ist ebenfalls glaubhaft gemacht. Die Antragsgegnerin hat nicht ausgeschlossen, dass der Bericht des Bundesrichters a.D. Gerhard Schäfer über die Bespitzelung von Journalisten durch den Bundesnachrichtendienst unmittelbar nach der morgen stattfindenden Beratung des Parlamentarischen Kontrollgremiums veröffentlicht wird (Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 22. Mai 2006). Die Veröffentlichung zunächst abzuwarten, kann dem Antragsteller nicht zugemutet werden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Verfahrensgegenstandes folgt aus §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 3 GKG. Die Kammer bringt im Hinblick auf die vom Antragsteller erstrebte Vorwegnahme der Hauptsache den vollen Auffangstreitwert in Ansatz.


Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Beschluss ist die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zulässig.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, einzulegen. Die Frist für die Einlegung der Beschwerde endet zwei Wochen nach Zustellung dieses Beschlusses.

Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Beschlusses zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg, Hardenbergstraße 31, 10623 Berlin, einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.

Für das Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht besteht Vertretungszwang; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Danach muss sich jeder Beteiligte, soweit er einen Antrag stellt, durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt als Bevollmächtigten vertreten lassen. Juristische Personen des öffentlichen Recht und Behörden können sich auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt sowie Diplomjuristen im höheren Dienst, Gebietskörperschaften auch durch Beamte oder Angestellte mit Befähigung zum Richteramt der zuständigen Aufsichtsbehörde oder des jeweiligen kommunalen Spitzenverbandes des Landes, dem sie als Mitglied zugehören, vertreten lassen.

Gegen den Streitwertbeschluss ist die Beschwerde zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.

Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Berlin, Kirchstraße 7, 10557 Berlin, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Sie ist spätestens innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat.

Rechtsgebiete

Presserecht