Berücksichtigung von Verlusten aus Vermietung und Verpachtung in einem anderen EU Mitgliedstaat
Gericht
EuGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 02. 2006
Aktenzeichen
C‑152/03
Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 52 EWG-Vertrag (später Artikel 52 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 43 EG) und 73b EG-Vertrag (jetzt Artikel 56 EG).
Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn und Frau Ritter-Coulais (im Folgenden: Eheleute Ritter‑Coulais) und dem Finanzamt Germersheim wegen der Einkommensteuer, zu der sie für das Jahr 1987 in Deutschland veranlagt wurden.
Rechtlicher Rahmen und Vorlagefragen
Die Eheleute Ritter-Coulais wurden als nach § 1 Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes in der 1987 geltenden Fassung (im Folgenden: EStG 1987) unbeschränkt Steuerpflichtige für das Steuerjahr 1987 in Deutschland zur Einkommensteuer veranlagt. Sie erzielten in Deutschland Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit als Lehrer an einem Gymnasium, wohnten aber in einem eigenen Einfamilienhaus in Frankreich. Zu dieser Zeit hatte Herr Ritter-Coulais die deutsche und Frau Ritter-Coulais die deutsche und die französische Staatsangehörigkeit.
Die Eheleute Ritter-Coulais begehrten gemäß § 32b Absatz 2 Nr. 2 EStG 1987 für die Festsetzung des Steuersatzes der Steuern, die sie für das genannte Steuerjahr schuldeten, die Berücksichtigung negativer Einkünfte (Verluste) wegen der Selbstnutzung ihres Wohnhauses.
Die genannten negativen Einkünfte gehören zu den Einkünften aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens, die nach Artikel 3 Absatz 1 des Abkommens vom 21. Juli 1959 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik zur Vermeidung der Doppelbesteuerungen und über gegenseitige Amts- und Rechtshilfe auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sowie der Gewerbesteuern und der Grundsteuern in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 9. Juni 1969 (im Folgenden: deutsch-französisches DBA) nur in dem Staat, in dem dieses Vermögen belegen ist – im Ausgangsverfahren: in Frankreich – besteuert werden können.
Nach Artikel 20 Absatz 1 Buchstabe a des deutsch-französischen DBA schränkt dieser Umstand das Recht der Bundesrepublik Deutschland allerdings nicht ein, diese Einkünfte bei der Festsetzung ihres Steuersatzes zu berücksichtigen.
So berücksichtigt die deutsche Steuerverwaltung nach § 32b Absätze 1 und 2 EStG 1987 ausländische Einkünfte bei der Festsetzung des Steuersatzes. Artikel 2a Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987 sieht jedoch vor, dass, wenn positive Einkünfte aus der Vermietung oder der Verpachtung von in einem anderen Staat belegenem unbeweglichen Vermögen fehlen, Verluste derselben Art aus demselben Staat weder bei der Ermittlung der Bemessungsgrundlage noch bei der Festsetzung des Steuersatzes zu berücksichtigen sind.
Die Eheleute Ritter-Coulais beantragten beim Finanzamt Germersheim, ihren Steuersatz für das Steuerjahr 1987 unter Berücksichtigung der dieses Steuerjahr betreffenden negativen Einkünfte festzusetzen. Nachdem dieser Antrag abgelehnt und die Auffassung der Steuerverwaltung erstinstanzlich bestätigt worden war, legten sie Revision an den Bundesfinanzhof ein.
Diesem stellt sich die Frage, ob bei in Deutschland besteuerten Steuerpflichtigen die unterschiedliche Behandlung negativer Einkünfte aus der Nutzung unbeweglichen Vermögens, je nachdem, ob dieses in Deutschland oder im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats belegen ist, mit dem Gemeinschaftsrecht und insbesondere mit der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit vereinbar ist.
Der Bundesfinanzhof hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Widerspricht es Artikel 43 und Artikel 56 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, wenn eine in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige natürliche Person, die hier Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, in Deutschland Verluste aus Vermietung und Verpachtung, die in einem anderen Mitgliedstaat entstehen, bei der Einkommensermittlung nicht abziehen kann?
Für den Fall, dass diese Frage zu verneinen ist: Widerspricht es Artikel 43 und Artikel 56 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft, wenn die erwähnten Verluste auch nicht im Wege des so genannten negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden können?
Zur ersten Frage
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Vorschriften des Vertrages über die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegenstehen. Das Gericht hebt hervor, dass diese Regelung es natürlichen Personen in der Lage der Eheleute Ritter-Coulais, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einem Mitgliedstaat beziehen und dort unbegrenzt steuerpflichtig sind, nicht erlaubt, von der Grundlage für die Berechnung ihrer in diesem Mitgliedstaat geschuldeten Steuer die Verluste abzuziehen, die sich auf ein von ihnen selbst zu Wohnzwecken genutztes Wohnhaus in einem anderen Mitgliedstaat beziehen.
Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass die Eheleute Ritter‑Coulais beim Finanzamt Germersheim im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits beantragt haben, ihre Verluste aus Vermietung und Verpachtung aus dem Steuerjahr 1987 nicht bei der Bestimmung der Besteuerungsgrundlage dieses Steuerjahres, sondern nur bei der Festsetzung des anwendbaren Steuersatzes zu berücksichtigen; hierauf bezieht sich die zweite Frage des Vorabentscheidungsersuchens.
Insoweit ergibt sich aus der ständigen Rechtsprechung, dass das in Artikel 234 EG vorgesehene Verfahren der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten dient (vgl. u. a. Urteile vom 16. Juli 1992 in der Rechtssache C‑343/90, Lourenço Dias, Slg. 1992, I‑4673, Randnr. 14, vom 12. Juni 2003 in der Rechtssache C‑112/00, Schmidberger, Slg. 2003, I‑5659, Randnr. 30 und die dort zitierte Rechtsprechung, sowie vom 18. März 2004 in der Rechtssache C‑314/01, Siemens und ARGE Telekom, Slg. 2004, I‑2549, Randnr. 33).
Im Rahmen dieser Zusammenarbeit ist das mit dem Rechtsstreit befasste nationale Gericht, das allein über eine unmittelbare Kenntnis des Sachverhalts verfügt und über ihn zu entscheiden hat, am besten in der Lage, im Hinblick auf den Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der Fragen, die es dem Gerichtshof vorlegt, zu beurteilen (vgl. insbesondere Urteile Lourenço Dias, Randnr. 15, vom 22. Januar 2002 in der Rechtssache C‑390/99, Canal Satélite Digital, Slg. 2002, I‑607, Randnr. 18, Schmidberger, Randnr. 31, sowie Siemens und ARGE Telekom, Randnr. 34).
Gleichwohl obliegt es dem Gerichtshof erforderlichenfalls, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er vom nationalen Gericht angerufen wird, und insbesondere festzustellen, ob die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts einen Bezug zu den tatsächlichen Gegebenheiten und dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits aufweist, um nicht Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abgeben zu müssen. Stellt sich heraus, dass die vorgelegte Frage für die in diesem Rechtsstreit zu treffende Entscheidung offensichtlich nicht erheblich ist, so muss der Gerichtshof feststellen, dass er keine Entscheidung treffen kann (Urteile vom 16. Dezember 1981 in der Rechtssache 244/80, Foglia, Slg. 1981, 3045, Randnr. 21, Lourenço Dias, Randnr. 20, Canal Satélite Digital, Randnr. 19, vom 30. September 2003 in der Rechtssache C‑167/01, Inspire Art, Slg. 2003, I‑10155, Randnrn. 44 und 45, sowie Siemens und ARGE Telekom, Randnr. 35).
Da der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit nicht die in der ersten Frage angesprochene Situation betrifft, nämlich die Ermittlung der Besteuerungsgrundlage, sondern nur die Situation, die Gegenstand der zweiten Frage ist, nämlich die Festsetzung des anwendbaren Steuersatzes, ist für die Entscheidung dieses Rechtsstreits eine Antwort auf die erste Frage nicht erheblich.
Demnach ist auf die erste Frage nicht zu antworten, und die Antwort des Gerichtshofes ist auf die zweite Frage zu beschränken.
Zur zweiten Frage
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Vorschriften des Vertrages über die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegenstehen, wonach natürliche Personen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einem Mitgliedstaat beziehen und dort unbeschränkt steuerpflichtig sind, keinen Anspruch darauf haben, dass bei der Festsetzung des Steuersatzes für diese Einkünfte in diesem Staat Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, die sich auf ein von ihnen selbst zu Wohnzwecken genutztes Wohnhaus in einem anderen Mitgliedstaat beziehen.
Was erstens die Niederlassungsfreiheit anbelangt, ist daran zu erinnern, dass diese nach ständiger Rechtsprechung die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten umfasst (Urteil vom 11. März 2004 in der Rechtssache C‑9/02, De Lasteyrie du Saillant, Slg. 2004, I‑2409, Randnr. 40 und die dort zitierte Rechtsprechung).
Der beim vorlegenden Gericht anhängige Rechtsstreit betrifft indessen natürliche Personen, die einer nichtselbständigen Tätigkeit als Lehrer an einem deutschen öffentlichen Gymnasium nachgehen und beantragen, dass bei der Besteuerung ihrer Einkünfte in Deutschland die Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, die sich auf ihr Wohnhaus in Frankreich beziehen.
Daraus folgt, dass eine Auslegung der Vorschriften des Vertrages über die Niederlassungsfreiheit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht sachdienlich ist.
Was zweitens die Kapitalverkehrsfreiheit betrifft, ist darauf hinzuweisen, dass die Nichtberücksichtigung der sich auf ein Haus in Frankreich beziehenden Verluste aus Vermietung und Verpachtung bei der Besteuerung der in Deutschland erzielten Einkünfte a priori beim derzeitigem Stand des Gemeinschaftsrechts in den Geltungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit nach Artikel 56 EG fallen könnte.
Das Ausgangsverfahren betrifft das Steuerjahr 1987, d. h. eine Sach- und Rechtslage vor der durch den EU-Vertrag erfolgten Einführung des Artikels 73b in den EG-Vertrag wie auch vor dem Erlass und Inkrafttreten der Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24. Juni 1988 zur Durchführung von Artikel 67 des Vertrages (ABl. L 178, S. 5), die den Kapitalverkehr vollständig liberalisiert hat.
Es ist daran zu erinnern, dass Artikel 67 Absatz 1 EWG-Vertrag (später Artikel 67 Absatz 1 EG-Vertrag, der durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde) nicht bedeutete, dass die Beschränkungen des Kapitalverkehrs bereits zum Ende der Übergangszeit zu beseitigen waren. Die Beseitigung dieser Beschränkungen ergab sich vielmehr aus den auf der Grundlage des Artikels 69 EWG-Vertrag (später Artikel 69 EG-Vertrag, der durch den Vertrag von Amsterdam aufgehoben wurde) erlassenen Richtlinien des Rates (vgl. Urteile vom 11. November 1981 in der Rechtssache 203/80, Casati, Slg. 1981, 2595, Randnrn. 8 bis 13, und vom 14. November 1995 in der Rechtssache C‑484/93,Svensson und Gustavsson, Slg. 1995, I‑3955, Randnr. 5).
Für das Steuerjahr 1987 war die Erste Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 zur Durchführung des Artikels 67 des Vertrages (ABl. 1960, Nr. 43, S. 921), zuletzt geändert und vervollständigt durch die Richtlinie 86/566/EWG des Rates vom 17. November 1986 (ABl. L 332 S. 22), einschlägig.
Diese Erste Richtlinie zur Durchführung des Artikels 67 des Vertrages beschränkte sich darauf, in ihrem Artikel 1 Absatz 1 die Erteilung der erforderlichen Devisengenehmigungen zum Abschluss oder zur Erfüllung von Geschäften sowie für Transferzahlungen zwischen Einwohnern der Mitgliedstaaten vorzusehen, die bestimmte, in den Anlagen der genannten Richtlinie aufgeführte Kapitalbewegungen betreffen.
Damit zeigt sich, dass die Bestimmungen auf dem Gebiet der Kapitalverkehrsfreiheit, die zur Zeit des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits galten, nicht dem Verbot entgegenstanden, sich auf ein Haus in einem Mitgliedstaat beziehende Verluste aus Vermietung und Verpachtung bei der Festsetzung des Steuersatzes für die in einem anderen Mitgliedstaat zu versteuernden Einkünfte zu berücksichtigen.
Die Kommission ist der Auffassung, dass die Lage der Eheleute Ritter-Coulais im Licht des in Artikel 48 EWG-Vertrag (später Artikel 48 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) formulierten Grundsatzes geprüft werden müsse.
Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht seine Frage zwar ihrer Form nach auf die Auslegung der Niederlassungsfreiheit und der Kapitalverkehrsfreiheit beschränkt hat, dass dies den Gerichtshof aber nicht daran hindert, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu geben, die diesem bei der Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, unabhängig davon, worauf dieses in seinen Fragen Bezug genommen hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 12. Dezember 1990 in der Rechtssache C‑241/89, SARPP, Slg. 1990, I‑4695, Randnr. 8, vom 2. Februar 1994 in der Rechtssache C‑315/92, Verband Sozialer Wettbewerb, „Clinique“, Slg. 1994, I‑317, Randnr. 7, vom 4. März 1999 in der Rechtssache C‑87/97, Consorzio per la tutela del formaggio Gorgonzola, Slg. 1999, I‑1301, Randnr. 16, und vom 29. April 2004 in der Rechtssache C‑387/01, Weigel, Slg. 2004, I‑4981, Randnr. 44).
Daher ist die nationale Regelung im Licht von Artikel 48 des Vertrages zu prüfen.
Hierbei ist zu beachten, dass jeder Gemeinschaftsangehörige, der von seinem Recht auf Freizügigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat als dem Wohnstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat, unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich des Artikels 48 des Vertrages fällt (vgl. Urteile vom 12. Dezember 2002 in der Rechtssache C‑385/00, De Groot, Slg. 2002, I‑11819, Randnr. 76, und vom 13. November 2003 in der Rechtssache C‑209/01, Schilling und Fleck-Schilling, Slg. 2003, I‑13389, Randnr. 23, sowie ebenso Urteil vom 7. Juli 2005 in der Rechtssache C‑227/03, Van Pommeren-Bourgondiën, Slg. 2005, I‑0000, Randnrn. 19, 44 und 45).
Daraus folgt, dass die Lage der Eheleute Ritter‑Coulais, die in einem anderen Mitgliedstaat arbeiten als dem, in dem sich ihr tatsächlicher Wohnsitz befindet, vom Geltungsbereich von Artikel 48 des Vertrages erfasst wird.
Außerdem sollen nach ständiger Rechtsprechung sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im gesamten Gebiet der Gemeinschaft erleichtern und stehen Maßnahmen entgegen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen (Urteile vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C‑370/90, Singh, Slg. 1992, I‑4265, Randnr. 16, vom 26. Januar 1999 in der Rechtssache C‑18/95, Terhoeve, Slg. 1999, I‑345, Randnr. 37, vom 27. Januar 2000 in der Rechtssache C‑190/98, Graf, Slg. 2000, I‑493, Randnr. 21, und vom 15. Juni 2000 in der Rechtssache C‑302/98, Sehrer, Slg. 2000, I‑4585, Randnr. 32, sowie Schilling und Fleck-Schilling, Randnr. 24).
Wie dargelegt berücksichtigt die anwendbare nationale Regelung, nämlich § 32b Absätze 1 und 2 und § 2a Absatz 1 Satz 1 Nr. 4 EStG 1987, die positiven Einkünfte, die mit der Nutzung von Häusern im Ausland verbunden sind, bei der Festsetzung des Steuersatzes, nicht aber, wenn solche positiven Einkünfte fehlen, die Verluste gleicher Art.
Folglich hatten Personen, die wie die Eheleute Ritter-Coulais in Deutschland arbeiteten, aber im eigenen Haus in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, in Ermangelung positiver Einkünfte – anders als Personen, die in Deutschland arbeiteten und dort im eigenen Haus wohnten – keinen Anspruch darauf, dass bei der Festsetzung ihres Einkommensteuersatzes die Verluste berücksichtigt wurden, die mit der Nutzung ihres Hauses verbunden waren.
Selbst wenn sich die fragliche nationale Regelung nicht unmittelbar auf Gebietsfremde bezieht, sind diese doch häufiger als Gebietsansässige Eigentümer eines außerhalb des deutschen Hoheitsgebiets liegenden Hauses.
Somit werden gebietsfremde Arbeitnehmer durch die nationale Regelung ungünstiger behandelt als Arbeitnehmer, die in Deutschland im eigenen Haus wohnen.
Demzufolge ist eine Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende grundsätzlich nach Artikel 48 des Vertrages verboten.
Die deutsche Regierung macht jedoch geltend, dass sich die benachteiligende Behandlung gebietsfremder Steuerpflichtiger durch die Notwendigkeit rechtfertige, die Kohärenz des nationalen Steuersystems zu gewährleisten, in das sich die genannte Regelung einfüge.
Hierzu genügt die Feststellung, dass, da das deutsche Steuersystem positive Einkünfte, die mit der Nutzung eines Wohnhauses in einem anderen Mitgliedstaat verbunden sind, bei der Festsetzung des Steuersatzes berücksichtigt, die Weigerung, bei dieser Festsetzung aus demselben Staat stammende Verluste gleicher Art zu berücksichtigen, nicht mit einer Berufung auf steuerliche Kohärenz gerechtfertigt werden kann.
In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen ist auf die zweite Frage zu antworten, dass Artikel 48 des Vertrages dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegensteht, wonach natürliche Personen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einem Mitgliedstaat beziehen und dort unbeschränkt steuerpflichtig sind, keinen Anspruch darauf haben, dass bei der Festsetzung des Steuersatzes für diese Einkünfte in diesem Staat Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, die sich auf ein von ihnen selbst zu Wohnzwecken genutztes Wohnhaus in einem anderen Mitgliedstaat beziehen, während positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezüglich eines solchen Hauses berücksichtigt würden.
Kosten
Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:
Artikel 48 EWG-Vertrag (später Artikel 48 EG-Vertrag, nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren betroffenen entgegensteht, wonach natürliche Personen, die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in einem Mitgliedstaat beziehen und dort unbeschränkt steuerpflichtig sind, keinen Anspruch darauf haben, dass bei der Festsetzung des Steuersatzes für diese Einkünfte in diesem Staat Verluste aus Vermietung und Verpachtung berücksichtigt werden, die sich auf ein von ihnen selbst zu Wohnzwecken genutztes Wohnhaus in einem anderen Mitgliedstaat beziehen, während positive Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung bezüglich eines solchen Hauses berücksichtigt würden.
* Verfahrenssprache: Deutsch.
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