Ermächtigungsbeschluss zur Anspruchsverfolgung gegen Miteigentümer - „Ausfrieren“ bei Zahlungssäumnis

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

10. 06. 2005


Aktenzeichen

V ZR 235/04


Leitsatz des Gerichts

  1. Der bestandskräftige Beschluss der Wohnungseigentümer, einzelne Mitglieder der Gemeinschaft allgemein zur Geltendmachung von Forderungen der Gemeinschaft zu ermächtigen, ist wirksam.

  2. Der nachhaltige Zahlungsrückstand des Mitglieds einer nicht rechtsfähigen Gemeinschaft berechtigt deren Mitglieder zur Verhängung einer Versorgungssperre.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Den Parteien steht jeweils ein Erbbaurecht an Grundstücken des Bauabschnitts 772 der „Gartenstadt D“ in Berlin zu. Die Grundstücke sind mit Einfamilienhäusern bebaut. Diese verfügen über keine eigenen Anlagen zur Wärmeerzeugung, sondern werden gemeinschaftlich mit Heizwärme und warmem Wasser versorgt; ebenso erfolgt die Abfallentsorgung gemeinschaftlich. Die Spielplätze und Erschließungswege des Baugebiets sind auf Grundstücken angelegt, an denen den Berechtigten der Wohngrundstücke gemeinschaftliche Erbbaurechte nach Bruchteilen zustehen. Zur Verwaltung der gemeinschaftlichen Versorgung und der gemeinschaftlichen Einrichtungen haben die Erbbauberechtigten eine „Gemeinschaftsordnung“ vereinbart und auf der Grundlage einer „Verwaltungs- und Betreuungsordnung“ einen Verwalter bestellt. Die Versorgung der Häuser mit Wärme erfolgt durch die S-Fernwärme GmbH (S). Jeder Erbbauberechtigte steht in einem Vertragsverhältnis zu S, auf Grund dessen S an so genannte Übergabestationen Wärme in Ringleitungen einspeist, an die jeweils bis zu 20 Häuser angeschlossen sind. Die Ringleitungen führen durch die Keller der angeschlossenen Häuser. Dort zweigen Stichleitungen ab, über die das jeweilige Haus versorgt wird. S rechnet die Kosten der Wärmelieferungen gegenüber dem Verwalter auf der Grundlage von Messeinrichtungen in den Übergabestationen ab. Der Verwalter verteilt die Kosten gegenüber den Erbbauberechtigten auf der Grundlage der Ablesung von Zwischenzählern, die sich an den Stichleitungen befinden. Nach der „Verwaltungs- und Betreuungsordnung“ haben die Erbbauberechtigten in Gestalt von „Hausgeld“ Vorschüsse auf die Verwaltungskosten zu zahlen. Aus diesen begleicht der Verwalter insbesondere die Kosten der Wärmelieferungen. Soweit die Vorschüsse nicht ausreichen, den Aufwand zu decken, hat der Verwalter Nachschüsse einzufordern.

Am 18. 10. 1995 beschlossen die Erbbauberechtigten der Bauabschnitte 771 bis 774 mehrheitlich, „zur Vereinfachung der Prozessführung und der Durchsetzung eventueller Zwangsverfahren gegen säumige Wohnungseigentümer … (jeweils zwei oder drei namentlich benannte Erbbauberechtigte der jeweiligen Bauabschnitte) in den Status der Prozessstandschaft zu versetzen“. Dies sind für den Bauabschnitt 772 die Kl. Die Bekl. sind mit den an den Verwalter zu leistenden Zahlungen seit Jahren im Rückstand. Zu Beginn 2003 betrug ihr Rückstand 16 534,06 Euro. Die Vollstreckung der titulierten Rückstände gegen sie bietet keine Aussicht auf Erfolg. Im Hinblick auf den Zahlungsrückstand der Bekl. beschlossen die Erbbauberechtigten des Bauabschnitts 772 in der „Wohnungseigentümerversammlung“ vom 5. 3. 2003, die Versorgung des Hauses der Bekl. mit Heizwärme durch Trennung der Stichleitung von der Ringleitung im Keller des Hauses der Bekl. zu unterbrechen, bis ihre „Hausgeldschuld getilgt bzw. nachhaltig und regelmäßig abgezahlt“ würde. Den mit der Trennung beauftragten Mitarbeitern eines Fachunternehmens verweigern die Bekl. den Zutritt.

Die Kl. haben beantragt die Bekl. zu verurteilen, die Unterbrechung der Stichleitung und nach näherer Maßgabe das Betreten ihres Hauses durch die Mitarbeiter eines Fachunternehmens zu diesem Zweck zu dulden. Die Klage hatte durch den Instanzenzug Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Ohne Erfolg wendet sich die Revision gegen das Prozessführungsrecht der Kl. Es folgt aus dem Beschluss der Erbbauberechtigten vom 18. 10. 1995, durch den die Kl. ermächtigt worden sind, Ansprüche gerichtlich und außergerichtlich in Prozessstandschaft der Erbbauberechtigten geltend zu machen. Dieser Beschluss ist nach den Regeln des Wohnungseigentumsrechts, das die „Gemeinschaftsordnung“ für anwendbar erklärt, wirksam. Er verstößt weder gegen § 27 III WEG, noch handelt es sich um einen vereinbarungsabändernden Beschluss, der nach der Rechtsprechung des Senats (BGHZ 145, 158 [162 ff.] = NJW 2000, 3500 = NZM 2000, 1184) wegen fehlender Beschlusskompetenz nichtig wäre. Zwar ist nach § 13 II Nr. 5 der „Gemeinschaftsordnung“ der Verwalter berechtigt, im Namen aller Erbbauberechtigten mit Wirkung für und gegen sie Ansprüche gerichtlich und außergerichtlich in Prozessstandschaft geltend zu machen. Das Recht steht jedoch unter dem Beschlussvorbehalt der Ermächtigung. Die Erbbauberechtigten sind also sowohl in ihrer Entscheidung, ob und in welcher Höhe sie Ansprüche geltend machen wollen, als auch in ihrer Entscheidung, wen sie zur Geltendmachung ermächtigen wollen, frei. Sie können mithin auch durch Mehrheitsbeschluss einen Dritten, insbesondere einzelne Erbbauberechtigte, zur Geltendmachung von Ansprüchen ermächtigen (Staudinger/Bub, BGB, 12. Aufl., § 27 WEG Rdnrn. 28, 34).

Ob ein solcher Beschluss ordnungsmäßiger Verwaltung entspricht, kann hier offen bleiben, weil der Beschluss nicht angefochten wurde, sondern bestandskräftig geworden ist.

2. Die Bekl. sind verpflichtet, die Unterbrechung ihres Hauses mit Heizwärme zu dulden und hierzu den Mitarbeitern des von dem Verwalter beauftragten Fachunternehmens Eintritt in den Keller ihres Hauses zu gewähren.

a) Jeder Erbbauberechtigte der Gartenstadt schuldet den übrigen Berechtigten, die Zahlungen an den Verwalter zu leisten, die zur Deckung des laufenden Aufwands und etwaiger Rückstände beschlossen worden sind. Soweit die S Energie an die Erbbauberechtigten liefert und die Gegenleistung hierfür von den Erbbauberechtigten als Gesamtschuldnern zu erbringen ist, bedeutet die Leistung der S im Verhältnis der Erbbauberechtigten untereinander wirtschaftlich eine Leistung der Gemeinschaft an den Einzelnen (vgl. zur Wohnungseigentümergemeinschaft Gaier, ZWE 2004, 109 [112]). Kommt ein Mitglied der Gemeinschaft seinen Pflichten nicht nach, sind die übrigen Mitglieder der Gemeinschaft grundsätzlich berechtigt, den Säumigen von dem weiteren Leistungsbezug auszuschließen (vgl. OLG Celle, NJW-RR 1991, 1118; BayObLG, WE 1992, 347; NJW-RR 2004, 1382 = NZM 2004, 556; OLG Hamm, NJW-RR 1994, 145 L = MDR 1994, 163 = OLGZ 1994, 269 [272]; KG, NJW-RR 2001, 1307 = NZM 2001, 761; NZM 2002, 221 = ZWE 2002, 182 [183]; AG Berlin-Tempelhof, GE 1997, 565; AG Peine, NZM 2001, 534 [535]; Staudinger/Bub, § 28 WEG Rdnr. 148; Wolicki, in: Köhler/Bassenge, Anwalts-Hdb. WohnungseigentumsR, 2003, Teil 19 Rdnrn. 352 ff., 375; Armbrüster, WE 1999, 14 [15]; Suilmann, ZWE 2001, 476 [477]). Grundlage dieses Rechts ist § 273 BGB (Gaier, ZWE 2004, 109 [112]). Die Konnexität der zurückgehaltenen Leistung mit der Verpflichtung, zu deren Durchsetzung das Zurückbehaltungsrecht ausgeübt wird, folgt aus der für alle Mitglieder der Gemeinschaft bestehenden Berechtigung zur Teilhabe an den gemeinschaftlichen Leistungen und der damit korrespondierenden Pflicht zur Erfüllung der jedem Mitglied der Gemeinschaft gegenüber allen anderen Mitgliedern bestehenden Verpflichtungen (Gaier, ZWE 2004, 109 [112]). Das wird im Urteil des OLG Köln (NJW-RR 2001, 301 [302]) und von Wolicki (in: Köhler/Bassenge, Teil 19 Rdnr. 378) verkannt.

b) Die Ausübung eines Zurückbehaltungsrechts ist ein Druck- und Sicherungsmittel der Gemeinschaft. Es geht über die durch die „Gemeinschaftsordnung“ und die „Verwaltungs- und Betreuungsordnung“ dem Verwalter eingeräumten Befugnisse zur Anforderung laufender und rückständiger Zahlungen hinaus und bedarf daher eines Beschlusses der Mitglieder der Gemeinschaft (vgl. OLG Celle, NJW-RR 1991, 118; Armbrüster, WE 1999, 14 [17]; Kümmel/v. Seldeneck, GE 2002, 1045). Die Bedeutung der Belieferung mit Heizwärme für die Bewohnbarkeit der an die gemeinschaftliche Versorgung angeschlossenen Häuser und die Pflicht der Mitglieder der Gemeinschaft untereinander zur Rücksichtnahme lässt einen Beschluss, die Versorgung mit Heizwärme zu unterbinden, nur bei einem erheblichen Rückstand des betroffenen Mitglieds rechtmäßig sein. Als erheblich ist insoweit ein Rückstand mit mehr als sechs Monatsbeträgen des „Hausgelds“ anzusehen (vgl. Staudinger/Bub, § 28 WEG Rdnr. 147; Armbrüster, WE 1999, 14 [16]; Kümmel/v. Seldeneck, GE 2002, 1045 [1046]). Die Voraussetzung ist hier erfüllt. Des Weiteren muss dem Vollzug der Sperre eine Androhung vorausgehen (Gaier, ZWE 2004, 109 [115 f.]), sofern um den Vollzug nicht - wie hier - prozessiert wird.

c) Die technischen Gegebenheiten ermöglichen die Unterbrechung der Versorgung des Hauses der Bekl. nur in dessen Keller. Gemäß § 10 der „Verwaltungs- und Betreuungsordnung“ ist der Verwalter zur Wahrnehmung seiner Aufgaben berechtigt, das Haus der Bekl. zu betreten und sich hierbei Dritter als Erfüllungsgehilfen zu bedienen. Um diese handelt es sich bei den Mitarbeitern des Unternehmens, das die Sperrung vornehmen soll. Dies würde entgegen der Meinung der Revision nicht durch eine Berechtigung von S ausgeschlossen, die Versorgung des Hauses der Bekl. mit Heizwärme zu unterbinden. Das Bestehen derselben Berechtigung eines weiteren Berechtigten beschränkt die Befugnisse eines anderen Berechtigten nicht. Darüber hinaus übersieht die Revision, dass S die Versorgung des Hauses der Bekl. nicht unterbrechen darf, solange ihre Ansprüche von der Gemeinschaft der Erbbauberechtigten erfüllt werden.

Rechtsgebiete

Grundstücks- und Wohnungseigentumsrecht

Normen

WEG § 27 II Nr. 5; BGB § 273 I