Bauliche Veränderung des Wohnungseigentums - maßgeblicher Zeitpunkt bei Verschlechterung des Trittschallschutzes
Gericht
OLG München
Art der Entscheidung
Beschluss über weitere Beschwerde
Datum
18. 07. 2005
Aktenzeichen
4 Wx 63/05
Ob ein über das in § 14 Nr. 1 WEG bezeichnete Maß hinausgehender Nachteil vorliegt, ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Danach richtet es sich auch, ob bei einer Verschlechterung des Trittschallschutzes die zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden Anforderungen erfüllt sein müssen oder ob auf die jeweiligen Normen zum Zeitpunkt der Veränderung abzustellen ist (wie OLG München, NZM 2005, 509).
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Ast. und die Ag. sind Wohnungseigentümer in einer Wohnanlage. Die Ast. ist Sondereigentümerin einer im ersten Obergeschoss gelegenen Wohnung. Die Ag. sind Sondereigentümer der darüber liegenden Wohnung im zweiten Obergeschoss. Zum Zeitpunkt der Errichtung im Jahr 1972 waren die Wohnräume, Esszimmer und Flure mit Textilbelag ausgestattet. Der Estrich ist direkt auf der Betondecke aufgebracht. Die Ag. ersetzten im Essraum und im Flur ihrer Wohnung (Räume 2 und 6) den Teppichboden im Jahr 1979 durch PVC-Belag. Diesen wiederum ersetzten sie im Dezember 2001 durch Fertigparkett.
Die Ast. macht geltend, der neue Bodenbelag führe zu einer nicht hinnehmbaren Lärmbelästigung. Sie hat beim AG beantragt, die Ag. zu verpflichten, die Trittschallübertragung aus ihrer Wohnung gem. DIN 4109 (Ausgabe 11/89) auf ein Maß von 21 dB zu verbessern.
Nach Erholung eines Sachverständigengutachtens hat das AG mit Beschluss vom 25. 11. 2004 die Ag. samtverbindlich verpflichtet, durch geeignete Maßnahmen dafür Sorge zu tragen, dass die Trittschalldämmung der Böden in den Räumen 2 und 6 ihrer Wohnung einen Wert von 50 dB nicht übersteigt. Auf sofortige Beschwerde der Ag. hat das LG durch Beschluss vom 2. 5. 2005 die erstgerichtliche Entscheidung aufgehoben und den Antrag insgesamt abgewiesen. Hiergegen richtete sich die sofortige weitere Beschwerde der Ast. Das zulässige Rechtsmittel führte zur Aufhebung und Zurückverweisung.
Aus den Gründen:
1. Das LG hat ausgeführt:
Der Ast. stehe ein Anspruch auf Verbesserung des Trittschallschutzes nicht zu, da die zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltenden DIN-Werte nach den von der Sachverständigen vorgenommenen Messungen eingehalten seien. Der innerhalb des Sondereigentums auf dem Estrich verlegte Bodenbelag stehe im Sondereigentum des jeweiligen Wohnungseigentümers. Dieser sei nach § 13 I WEG befugt, ihn nach Belieben zu ersetzen, sofern keinem anderen Wohnungseigentümer hierdurch ein über das bei einem geordneten Zusammenleben unvermeidliche Maß hinausgehender Nachteil entstehe. Beeinträchtigungen, die sich im Rahmen der einschlägigen öffentlich-rechtlichen DIN-Normen bewegten, überschritten das Maß des § 14 Nr. 1 WEG in der Regel nicht. Ausgangspunkt der Überlegungen sei zwar die tatsächliche Verschlechterung des Schallschutzes. Entscheidend komme es hier aber darauf an, dass die zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltende Schallschutznorm eingehalten sei. Würde man auf die DIN zum Zeitpunkt des Austauschs des Bodenbelags abstellen, hätten die Ag. letztlich die Nachteile daraus zu tragen, dass das Gemeinschaftseigentum nicht den derzeitigen Schallschutzerfordernissen entspreche.
2. Die Entscheidung des LG hält der rechtlichen Nachprüfung nicht in allen Punkten stand.
a) Das LG hat die übrigen Wohnungseigentümer nicht am Verfahren beteiligt. Dies ist trotz § 43 I Nr. 1, IV Nr. 1 WEG nicht zu beanstanden, da die übrigen Wohnungseigentümer nicht vom Verfahrensausgang betroffen sind (Merle, in: Bärmann/Pick/Merle, WEG, 9. Aufl., § 43 Rdnr. 123). Auch der Senat hat von einer Beteilung der übrigen Wohnungseigentümer abgesehen.
b) Zutreffend geht das LG davon aus, dass ein Anspruch nach § 15 III WEG, § 1004 I BGB nur besteht, wenn die Rechte der Ast. über das in § 14 Nr. 1 WEG bezeichnete Maß hinaus beeinträchtigt werden.
c) Ob andere Wohnungseigentümer durch eine bauliche Veränderung über das zulässige Maß hinaus beeinträchtigt werden, obliegt in erster Linie der tatrichterlichen Würdigung und ist durch das RBeschwGer. nur beschränkt nachprüfbar (BayObLG, NZM 2004, 747 = WuM 2004, 733). Ein der Rechtsbeschwerde zugänglicher Rechtsfehler kann im Subsumtionsvorgang liegen, wenn die Entscheidung des Tatrichters eine durch Tatschen gestützte vollständige Abwägung der beteiligten Interessen vermissen lässt oder der Tatrichter bei der Bewertung relevanter Umstände unrichtige Maßstäbe zu Grunde gelegt hat (vgl. OLG Hamburg, ZMR 2005, 71).
d) Die Generalklausel des § 14 I WEG gibt Raum für eine die betroffenen Grundrechte berücksichtigende Auslegung. Bei sich gegenüberstehenden Grundrechten, hier aus Art. 14 GG, ist eine fallbezogene Abwägung der beiderseits grundrechtlich geschützten Interessen erforderlich (BVerfG, NJW-Spezial 2005, 195 = NJW-RR 2005, 454 = NZM 2005, 182 [183]). Ob ein unvermeidbarer Nachteil vorliegt, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab. Dabei sind sowohl die örtlichen Gegebenheiten als auch Lage und Charakter des Gebäudes zu berücksichtigen. Die maßgeblichen Umstände sind von den Tatsacheninstanzen nach § 12 FGG zu ermitteln (OLG München, NZM 2005, 509).
e) Da rechtsgeschäftliche Regelungen, etwa in der Teilungserklärung, über den Trittschallschutz fehlen, ist die Auffassung des LG, dass auf die einschlägigen DIN-Vorschriften als die nach der Verkehrsauffassung maßgeblichen technischen Normen abzustellen ist, nicht zu beanstanden (vgl. BGH, NZM 2005, 60). Allerdings vermag der Senat nicht der tragenden Begründung des LG zu folgen, dass es allein auf die zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes geltende DIN ankommt. Der Senat schließt sich insoweit der vom 32. Zivilsenat des OLG München in seinem Beschluss vom 9. 5. 2005 (NZM 2005, 509) vertretenen Rechtsauffassung an. Danach lässt sich die Frage, welche Ausgabe der jeweiligen DIN anzuwenden ist, nicht abschließend und allgemein beantworten. Auf die zum Zeitpunkt der Errichtung des Gebäudes maßgebenden Anforderungen kann jedenfalls dann abgestellt werden, wenn diese bei der Errichtung des Gebäudes nicht übertroffen wurden. Im umgekehrten Fall erscheint es dagegen nicht fern liegend, bei Veränderungen, die eine negative Auswirkung auf die Schallisolierung haben, die zum Zeitpunkt der Veränderung geltenden Anforderungen zu Grunde zu legen. Wurde nämlich das Gebäude in einem schalltechnisch besseren Zustand errichtet, als es vorgeschrieben war, so erhält das Gebäude hierdurch ein besonderes Gepräge, unabhängig davon, ob sich die Ausgestaltung auf Sonder- oder Gemeinschaftseigentum bezieht. Eine nachteilige Veränderung dieses Gepräges ist zumindest dann zu berücksichtigen, wenn durch die Veränderung die zum Zeitpunkt der Veränderung geltenden Schallschutzanforderungen nicht mehr erfüllt werden. Der tatsächlich vorhandene Bauzustand kann deshalb bei einer sachgerechten Abwägung unter Berücksichtigung der beiderseitigen durch Art. 14 GG geschützten Interessen nicht gänzlich außer Betracht bleiben.
f) Bei Beurteilung der Frage, ob durch die in Folge der Veränderung des Bodenbelages verursachten Beeinträchtigungen das nach § 14 Nr. 1 WEG hinzunehmende Maß überschritten wird, hätte das LG zudem nicht nur auf die DIN-Normen abstellen dürfen, sondern auch die Lästigkeit des von dem neuen Belag ausgehenden Lärms berücksichtigen müssen, für die die gemessene Lautstärke nur ein Teilaspekt ist (vgl. OLG München, NZM 2005, 509). Über die Lästigkeit der Lärmbelästigung entscheiden die Zivilgerichte ohne Bindung an Richtwerte, die lediglich einen Anhaltspunkt darstellen. Zur Lästigkeit des Lärms hat das LG keine Feststellungen getroffen. Dies wird, gegebenenfalls durch Einnahme eines Augenscheins, nachzuholen sein.
g) Darüber hinaus wird es auch darauf ankommen, ob es für die Ag. angesichts ihres Rechts, mit dem in ihrem Sondereigentum stehenden Bodenbelag nach Belieben zu verfahren (§ 13 I WEG), möglich und im Hinblick auf den etwa entstehenden Mehraufwand zumutbar gewesen wäre, bei den gegebenen baulichen Verhältnissen Fußbodenbeläge, die ihren Bedürfnissen und Wohnvorstellungen entsprechen, in einer Weise einzubringen, die eine geringere Schallbelästigung für die darunter liegenden Wohnung zur Folge gehabt hätte. Ferner wird im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sein, dass die Ast. nach dem Vortrag der Ag. 22 Jahre lang unbeanstandet die Trittschallbelastung durch einen im Austausch zu dem ursprünglich vorhandenen Teppichboden verlegten PVC-Boden hingenommen hat, über dessen Trittschalldämmung bislang Feststellungen fehlen.
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