Anscheinsbeweis bei Nachnahmesendung
Gericht
BGH
Datum
14. 09. 2005
Aktenzeichen
VIII ZR 369/04
Die Weitergabe versandfertig verpackter Ware an ein Beförderungsunternehmen mit dem Auftrag, die Sendung per Nachnahme zuzustellen, begründet keinen Anscheinsbeweis dafür, dass die dem Empfänger ausgehändigte Ware von diesem bezahlt worden ist.
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil der Zivilkammer
52 des Landgerichts Berlin vom 1. November 2004 aufgehoben
und das Urteil des Amtsgerichts Charlottenburg vom 25. Mai
2004 abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.154,57 € nebst Zinsen
in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit
dem 17. Oktober 2002 zu zahlen.
Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits und die durch die
Nebenintervention der Streithelferin verursachten Kosten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte bestellte telefonisch am 12. September 2002 bei der Klägerin,
die einen Handel für Computerzubehör betreibt, Ware zum Preis von
1.154,57 €, die auf Wunsch des Beklagten an ihn versandt werden sollte. Die
Klägerin machte die Ware, der die Rechnung mit der Zahlungsbedingung
"Nachnahme/Bar" beigepackt wurde, am selben Tag versandfertig und beauftragte
die Streithelferin mit der Zustellung per Nachnahme. Die Streithelferin
gab den Auftrag an einen Vertragsunternehmer weiter, der das Warenpaket
dem Beklagten vor Ablauf von drei Werktagen seit der Bestellung aushändigte.
Die Klägerin verlangt vom Beklagten die Bezahlung des Kaufpreises
nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landgericht hat
die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen
Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision, über die durch Versäumnisurteil zu entscheiden ist, hat Erfolg.
Die Entscheidung beruht jedoch inhaltlich nicht auf der Säumnis des Beklagten,
sondern auf einer Sachprüfung (BGHZ 37, 79, 81 f).
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt:
Der Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB bestehe nicht,
weil er gemäß § 362 Abs. 2 BGB durch Erfüllung erloschen sei. Hierfür sei zwar
der Beklagte beweispflichtig. Die Darlegungs- und Beweislast des Beklagten sei
aber durch die Regeln über den ersten Anschein aufgrund eines typischen Geschehensablaufs erleichtert. Die Kammer gehe von dem Erfahrungssatz aus,
dass Waren einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden;
dies sei gerade Sinn und Zweck der Nachnahmesendung. Die Voraussetzungen
dieses Erfahrungssatzes stünden fest: Unstreitig habe die Klägerin die Ware
mit dem Auftrag, sie als Nachnahmesendung auszuliefern, an die Streitver-
kündete übergeben. Damit sei davon auszugehen, dass die Übergabe der Ware
an den Beklagten gegen Zahlung erfolgt sei. Die Klägerin und die Streitverkündete
hätten den Anscheinsbeweis dahin, dass der Beklagte die Forderung erfüllt
habe, nicht erschüttern können. Mögliche Fehler in der Versandkette habe
die Klägerin nicht hinlänglich dargetan; konkrete Anhaltspunkte dafür, dass das
Paket nicht als Nachnahmepaket gekennzeichnet gewesen sei oder den Nachnahmeaufkleber verloren habe, habe sie nicht vorgetragen. Auch der Umstand,
dass der Beklagte keine Quittung vorlegen könne, erschüttere die Vermutung
der Erfüllung nicht.
II.
Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten der rechtlichen Nachprüfung
nicht stand. Der Anspruch der Klägerin aus § 433 Abs. 2 BGB auf Zahlung
des Kaufpreises ist auf der Grundlage des vom Berufungsgericht festgestellten
Sachverhalts nicht durch Erfüllung (§ 362 BGB) erloschen.
1. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass der Beklagte
für die Erfüllung seiner Verbindlichkeit beweispflichtig ist und er diesen
Beweis weder mit einer Quittung für die behauptete Zahlung (§ 368 BGB) noch
mit den Aussagen der vom Amtsgericht vernommenen Zeugen erbracht hat.
2. Das Berufungsgericht hat jedoch gemeint, dass dem Beklagten die
Beweisführung durch die Regeln über den Beweis des ersten Anscheins erleichtert
sei; aufgrund eines Erfahrungssatzes, der dahin gehe, dass Waren
einer Nachnahmesendung nur gegen Zahlung ausgeliefert würden, sei davon
auszugehen, dass der Beklagte die Ware bezahlt habe. Dem kann nicht gefolgt
werden. Das Berufungsgericht hat, wie die Revision zu Recht rügt, die Rechtsgrundsätze
des Anscheinsbeweises verletzt (§ 286 ZPO); dies unterliegt der
Prüfung durch das Revisionsgericht (BGHZ 100, 31, 33; BGHZ 160, 308, 313).
Die Grundsätze über den Beweis des ersten Anscheins sind nur bei typischen
Geschehensabläufen anwendbar; es muss ein Sachverhalt feststehen,
der eine gewisse Typik aufweist und nach der allgemeinen Lebenserfahrung auf
eine bestimmte Ursache oder auf einen bestimmten Ablauf als maßgeblich für
den Eintritt eines bestimmten Erfolges hinweist (st.Rspr.; BGHZ 160, 308, aaO;
zuletzt Senatsurteil vom 18. Mai 2005 - VIII ZR 368/03, NJW 2005, 2395, unter
II 4). Nicht ausreichend für die Annahme eines Anscheinsbeweises sind demgegenüber
bloße Indizien oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen
der zu beweisenden Tatsache. Ein typischer Geschehensablauf, auf dem
der vom Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz beruht, ist im vorliegenden
Fall vom Berufungsgericht nicht rechtsfehlerfrei festgestellt worden, so
dass ein Anscheinsbeweis nicht gerechtfertigt ist.
Auch wenn man es mit dem Berufungsgericht als gesicherten Erfahrungssatz
ansähe, dass die Aushändigung von Nachnahmesendungen nur gegen
Bezahlung erfolgt, wäre eine Beweiserleichterung nach den Grundsätzen
über den Anscheinsbeweis im vorliegenden Fall nicht gerechtfertigt. Die tatsächlichen
Voraussetzungen eines solchen Erfahrungssatzes stehen hier nicht,
wie das Berufungsgericht gemeint hat, schon deshalb fest, weil die Klägerin den
Computer mit dem Auftrag der Versendung als Nachnahmesendung an die
Streithelferin übergeben hat. Denn aus der bloßen Auftragserteilung folgt nicht
bereits die ordnungsgemäße Auftragserfüllung; insoweit besteht auch kein allgemeiner
Erfahrungssatz. Voraussetzung für die Anwendung des vom Berufungsgericht
zugrunde gelegten Erfahrungssatzes über die regelmäßige Bezahlung
von Nachnahmesendungen ist deshalb, dass der von der Klägerin erteilte
Versendungsauftrag von der Streithelferin und deren Subunternehmer auch
ordnungsgemäß ausgeführt wurde und dem Beklagten die Ware tatsächlich als
Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist. Davon ist das Berufungsgericht
- unter Verkennung der Darlegungs- und Beweislast - zu Unrecht ausgegangen.
Eine ordnungsgemäße Erfüllung des Versendungsauftrags setzt unter
anderem voraus, dass der Zusteller das Warenpaket bei der Aushändigung an
den Beklagten noch als Nachnahmesendung erkennen konnte. Dies ist jedoch
- auch nach Auffassung des Berufungsgerichts - nicht nachgewiesen. Das Berufungsgericht
hat Fehler in der Versandkette, die dazu geführt haben können,
dass die Ware - sei es auf dem Paket selbst oder auf dem Eingabeterminal des
Zustellers - nicht (mehr) als Nachnahmesendung gekennzeichnet war, für möglich
gehalten, hat aber gemeint, dass die Klägerin und die Streithelferin derartige
Fehler nicht hinlänglich dargetan hätten, um den gegen sie sprechenden
Anscheinsbeweis zu erschüttern. Damit hat das Berufungsgericht die Darlegungs-
und Beweislast verkannt. Steht nicht fest, dass die Ware bei der Auslieferung
(noch) als Nachnahmesendung gekennzeichnet war und vom Zusteller
entsprechend behandelt worden ist, so geht dies entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts zu Lasten des Beklagten und nicht zu Lasten der Klägerin.
Denn der Beklagte hat die tatsächlichen Voraussetzungen für die Anwendung
des Erfahrungssatzes, mit dem er den Anscheinsbeweis führen will, zu beweisen.
Es geht hierbei nicht, wie das Berufungsgericht gemeint hat, um die Frage,
ob die gegnerische Partei - hier die Klägerin - die Geltung der Schlussfolgerung
eines bestehenden Erfahrungssatzes hinreichend erschüttert hat, sondern darum,
ob der Erfahrungssatz - von seinen Voraussetzungen her - in einem konkreten
Fall überhaupt zur Anwendung kommen kann.
Da es somit an dem vom Beklagten zu erbringenden Nachweis dafür
fehlt, dass ihm die Ware als Nachnahmesendung ausgehändigt worden ist,
kann der vom Berufungsgericht angenommene Erfahrungssatz nicht zugrunde
gelegt und folglich auch nicht aufgrund eines Anscheinsbeweises davon ausgegangen
werden, dass die Ware vom Beklagten bei der Aushändigung des Pakets
bezahlt worden ist.
III.
Nach alledem kann das angefochtene Urteil keinen Bestand haben; es
ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Da weitere tatsächliche Feststellungen
nicht zu erwarten sind und die Sache damit zur Endentscheidung reif ist,
hat der Senat in der Sache selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO). Der Beklagte
ist antragsgemäß zu verurteilen, da er nicht bewiesen hat, dass er die
unstreitige Kaufpreisforderung beglichen hat, und er sich seit dem 17. Oktober
2002 in Verzug befindet (§ 433 Abs. 2, § 286 Abs. 3, Satz 1, 1. Halbs., Satz 3,
§ 288 Abs.1 BGB).
Dr. Deppert
Ball
Dr. Leimert
Dr. Wolst
Dr. Frellesen
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