Ausdrückliche Geltendmachung der Verwirkung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
19. 10. 2005
Aktenzeichen
IV ZR 89/05
Das Berufen auf den Ablauf einer zuvor nach § 12 Abs. 3 VVG gesetzten Klagfrist steht im Prozess zur Disposition des Versicherers. Das Gericht hat den Fristablauf deshalb nur dann zu beachten, wenn sich der Versicherer im Prozess ausdrücklich darauf beruft. Eine Prüfung von Amts wegen kommt insoweit nicht in Betracht (Fortführung von BGH, Urteil vom 27. November 1958 - II ZR 90/57 - NJW 1959, 241).
Beruft ein Versicherer sich auf den Ablauf der Klagfrist erstmals in der Berufungsinstanz, so liegt allein darin weder ein (erstinstanzlich konkludent erklärter) Verzicht auf die sich aus § 12 Abs. 3 VVG ergebende Leistungsfreiheit noch ein Rechtsmissbrauch.
Auch die Auslegung des § 12 Abs. 3 VVG ergibt keine Verpflichtung des Versicherers, den Ablauf der Klagfrist im Prozess unverzüglich geltend zu machen.
Die Revision gegen das Urteil des 3. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Braunschweig vom 24. November
2004 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen
Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung. Ende September 2001
zeigte er der Beklagten seine Berufsunfähigkeit an und beantragte deshalb
im Oktober 2001 Versicherungsleistungen. Die Beklagte erklärte mit
Schreiben vom 17. Dezember 2001 den Rücktritt vom Versicherungsvertrag,
den sie mit weiterem Schreiben vom 1. März 2002, welches dem
Kläger am 7. März 2002 zuging, damit begründete, der Kläger habe bei
Beantragung des Versicherungsvertrages mehrere Krankenhausaufenthalte
und eine neunjährige psychiatrische Betreuung verschwiegen. In
dem Schreiben heißt es weiter:
"Da die verschwiegenen Umstände jetzt wesentlich für die
Geltendmachung von Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung sind, treten wir … von der Berufsunfähigkeits-
Zusatzversicherung zurück … Sollten Sie mit unserer Entscheidung nicht einverstanden
sein, so müssten Sie Ihre vermeintlichen Ansprüche innerhalb
einer Frist von 6 Monaten - gerechnet ab Zugang dieses
Schreibens - gerichtlich gegen uns geltend machen. Versäumen
Sie diese Frist, so sind wir gemäß § 12 III Versicherungsvertragsgesetz
allein schon wegen des Fristablaufs von
der Verpflichtung zur Leistung frei."
Mit einem am 5. September 2002 beim Landgericht seines Wohnortes
eingegangenem Schreiben beantragte der Kläger Prozesskostenhilfe
für eine Klage gegen die Beklagte. Der Vorsitzende der mit dem Antrag
befassten Zivilkammer wies den Kläger am 9. September 2002 auf
die örtliche Zuständigkeit des für den Sitz der Beklagten zuständigen
Landgerichts hin. In dem Schreiben wird deshalb ein "Abgabeantrag" angeregt.
Es schließt mit dem Hinweis:
"Für die Wahrung der 6-Monatsfrist ist der Eingang Ihrer Anträge
bei dem hiesigen Gericht ausschlaggebend."
Auf Antrag des Klägers wurde die Sache sodann an das für den
Sitz der Beklagten örtlich zuständige Landgericht abgegeben. Dieses
forderte den Kläger mit Schreiben vom 20. September 2002 zunächst
auf, Vertragsunterlagen und Schriftwechsel der Parteien als Anlagen
nachzureichen, sowie den amtlichen Vordruck über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse ausgefüllt vorzulegen. Bei Gericht eingehend
am 11. Oktober 2002 reichte der Kläger den ausgefüllten Vordruck
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nach. Mit
Schreiben vom 24. Januar 2003 stellte das Landgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe
für den Fall in Aussicht, dass er einen konkreten Klagantrag
mitteile, und empfahl dem Kläger, nunmehr einen Rechtsanwalt mit
seiner Vertretung zu beauftragen, der im Prozesskostenhilfeverfahren
beigeordnet werden könne. Die daraufhin beauftragten Rechtsanwälte
zeigten mit Schriftsatz vom 10. Februar 2003 die Vertretung des Klägers
an und nahmen Mitte Februar 2003 Akteneinsicht. Mit Verfügung vom
14. April 2003 forderte das Landgericht die Rechtsanwälte zur Einreichung
eines Klagentwurfes bis zum 9. Mai 2003 auf. Am 9. Mai 2003
wurde der Entwurf vorgelegt. Mit Beschluss vom 27. Mai 2003 bewilligte
das Landgericht dem Kläger Prozesskostenhilfe. Die daraufhin am
4. Juni 2003 bei Gericht eingereichte Klagschrift wurde der Beklagten am
12. Juni 2003 zugestellt.
Das Landgericht hat nach einer Beweisaufnahme den Rücktritt der
Beklagten vom Versicherungsvertrag für wirksam erachtet und die Klage
abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat sich die Beklagte auf die Nichteinhaltung
der Klagfrist des § 12 Abs. 3 VVG berufen. Das Berufungsgericht
hat die Berufung des Klägers deshalb zurückgewiesen. Mit der Revision
verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Ob die Beklagte wirksam vom Versicherungsvertrag zurückgetreten
ist, hat das Berufungsgericht offen gelassen und stattdessen angenommen,
sie sei bereits nach § 12 Abs. 3 VVG leistungsfrei. Im Schreiben
vom 1. März 2002 habe sie die vom Kläger erhobenen Ansprüche
endgültig abgelehnt und ihn ausreichend über die Rechtsfolgen des § 12
Abs. 3 VVG belehrt.
Da die Frist des § 12 Abs. 3 VVG eine materielle Ausschlussfrist
sei, sei sie vom Gericht in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu
beachten. Darauf komme es hier aber letztlich nicht an, weil sich die Beklagte
in zweiter Instanz auch auf die Versäumung der Klagfrist berufen
habe und § 531 Abs. 2 ZPO der Berücksichtigung dieses unstreitigen
Parteivorbringens nicht entgegenstehe. Unstreitig seien insoweit nicht
nur die Berufung auf § 12 Abs. 3 VVG, sondern auch die Prozesstatsachen,
auf die sich die Beklagte dabei stütze.
Das Prozesskostenhilfegesuch des Klägers sei zwar zunächst
noch innerhalb der 6-Monatsfrist des § 12 Abs. 3 VVG bei Gericht eingegangen,
doch wahre ein Prozesskostenhilfegesuch die Frist im Ergebnis
nur dann, wenn der Versicherungsnehmer nachfolgend alles ihm Zumutbare
veranlasse, damit es "demnächst" im Sinne von § 270 ZPO a.F. zu
einer Zustellung der Klage komme. Schuldhafte Versäumnisse seines
Rechtsanwalts müsse er sich dabei nach § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen
lassen. Hier sei eine erhebliche und schuldhafte Verzögerung des Prozesskostenhilfeverfahrens
- und damit auch der Klagzustellung - dadurch
eingetreten, dass der Prozessbevollmächtigte des Klägers nach Akteneinsicht
Mitte Februar 2003 den Klagentwurf nicht alsbald, sondern erst
aufgrund der Verfügung des Landgerichts vom 14. April 2003 am 9. Mai
2003 eingereicht habe.
II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nur im Ergebnis stand.
1. Anders als die Revision meint, hat die Beklagte mit ihrem
Schreiben vom 1. März 2002 die vom Kläger zuvor erhobenen Ansprüche
auf Versicherungsleistungen abgelehnt, so dass der Anwendungsbereich
des § 12 Abs. 3 VVG eröffnet ist. Zwar wird in dem Schreiben vorwiegend
der schon mit vorangegangenem Schreiben vom 17. Dezember
2001 erklärte Rücktritt von der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung
näher begründet. Die Beklagte hat aber auch klar zum Ausdruck gebracht,
dass die "verschwiegenen Umstände jetzt wesentlich für die Geltendmachung
von Leistungen aus der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung"
seien. Verbunden mit der nachfolgenden Belehrung, nach der
der Kläger seine "vermeintlichen Ansprüche" - und nicht etwa Einwendungen
gegen den Rücktritt - innerhalb der Frist des § 12 Abs. 3 VVG
gerichtlich geltend machen müsse, konnte ein verständiger Versicherungsnehmer
das Schreiben nur dahin verstehen, dass darin nicht nur
der Rücktritt begründet, sondern zugleich der erhobene Anspruch auf
Versicherungsleistungen infolge des Rücktritts zurückgewiesen werden
sollte. Gegen die von der Beklagten erteilte Rechtsfolgenbelehrung nach
§ 12 Abs. 3 Satz 2 VVG bestehen keine rechtlichen Bedenken.
2. Der Kläger hat die Frist des § 12 Abs. 3 VVG versäumt.
a) Das Leistungsablehnungsschreiben der Beklagten ist ihm am
7. März 2002 zugegangen. Die Frist des § 12 Abs. 3 VVG lief deshalb
am 7. September 2002 ab. Vor Fristablauf hat der Kläger seine Ansprüche
nicht ordnungsgemäß gerichtlich geltend gemacht.
b) Zwar kann für die gerichtliche Geltendmachung auch die Einreichung
eines Prozesskostenhilfegesuchs genügen (vgl. dazu BGHZ 98,
295, 300 f.). Doch wahrt dieses eine gesetzliche Frist nach ständiger
Rechtsprechung nur dann, wenn es vor Fristablauf in ordnungsgemäßer
Form bei Gericht eingeht (vgl. für die Wiedereinsetzung nach der Versäumung
von Rechtsmittelfristen: BGH, Beschlüsse vom 19. Mai 2004
- XII ZA 11/03 - FamRZ 2004, 1548 unter II 2; vom 12. Februar 2003 - XII
ZR 232/02 - FamRZ 2003, 668 und ständig; für die Unterbrechung und
Hemmung der Verjährung: BGHZ 70, 235, 237, 239; BGH, Urteile vom
8. März 1989 - IVa ZR 221/87 - VersR 1989, 642; vom 29. Oktober 2003
- IV ZR 26/03 - FamRZ 2004, 177 unter II 1; für die Frist des § 12 Abs. 3
VVG: BGHZ 98 aaO und Urteil vom 8. März 1989 - IVa ZR 17/88 - NJWRR
1989, 675 unter 1). Dazu gehört gemäß § 117 Abs. 2 und 4 ZPO,
dass dem Gesuch der ausgefüllte Vordruck über die persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnisse beigefügt wird (BGH, Beschlüsse vom
19. Mai 2004 aaO m.w.N.; vom 31. August 2005 - XII ZR 116/05 - unter II
2 b).
c) Daran fehlt es hier. Der Kläger hat den ausgefüllten Vordruck
über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst nach gerichtlicher
Aufforderung am 11. Oktober 2002 - und damit nach dem
schon am 7. September 2002 eingetretenen Fristablauf - zur Akte nachgereicht.
Zuvor hatte er zwar bereits einen Leistungsbescheid der zuständigen
Sozialbehörde über ihm gewährte Hilfe zum Lebensunterhalt
und Mietzuschuss nach den Bestimmungen des Sozialhilfegesetzes vorgelegt.
Auch dieser Bescheid war aber für sich allein zur ordnungsgemäßen
Darlegung der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht
ausreichend und überdies erst mit Schriftsatz vom 12. September 2002
- und damit ebenfalls nach Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG - bei
Gericht eingegangen.
d) Auf die von der Revision aufgeworfene Frage, ob daran festzuhalten
sei, dass ein (ordnungsgemäßes) Prozesskostenhilfegesuch die
Frist des § 12 Abs. 3 VVG nur dann wahre, wenn der Versicherungsnehmer
alles ihm Zumutbare für eine Klagzustellung "demnächst" unternehme
(BGHZ 98, 295, 301; OLG Düsseldorf ZfS 2004, 477; Prölss in
Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 12 Rdn. 64 m.w.N.), kommt es danach
nicht mehr an. Ebenso wenig ist es für die Entscheidung noch von Bedeutung,
dass das vom Kläger zunächst angerufene Landgericht seines
Wohnortes mit dem Hinweis, für die Wahrung der 6-Monatsfrist sei der
Eingang des Prozesskostenhilfeantrags bei Gericht "ausschlaggebend",
dem Kläger den Blick darauf verstellt haben kann, dass er (auch bei einem
ordnungsgemäßen Prozesskostenhilfegesuch) gehalten gewesen
wäre, im Weiteren für die baldige Zustellung ("demnächst") durch zumutbare
Anstrengungen Sorge zu tragen.
3. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, um zunächst
die Frage zu klären, ob die Leistungsfreiheit des Versicherers nach § 12
Abs. 3 VVG nur dann eintritt, wenn sich der Versicherer im Prozess darauf
beruft (so BGH, Urteil vom 27. November 1958 - II ZR 90/57 - NJW
1959, 241; OLG Hamm r+s 1991, 361; ÖOGH SZ 56/23; Römer in Römer/
Langheid, VVG 2. Aufl. § 12 Rdn. 32) oder ob der Ablauf einer vom
Versicherer nach § 12 Abs. 3 VVG ordnungsgemäß in Lauf gesetzten
Frist vom Gericht von Amts wegen beachtet werden muss (so u.a. Prölss
in Prölss/Martin aaO Rdn. 45 m.w.N.; Gruber in BK, VVG § 12 Rdn. 45
m.w.N.; KG VersR 1984, 977).
a) Der Senat hält daran fest, dass die Berufung auf den Fristablauf
zur Disposition des Versicherers steht (BGH aaO). Daraus folgt, dass
das Gericht den Fristablauf nur dann zu beachten hat, wenn sich der
Versicherer im Prozess ausdrücklich darauf beruft. Denn die Frist des
§ 12 Abs. 3 VVG ist allein im Interesse des Versicherers geschaffen; ihm
allein überlässt es das Gesetz, ob und wann er die Frist durch seine - mit
einer Rechtsfolgenbelehrung verbundene - Erklärung in Lauf setzt. Ihm
steht es auch danach noch offen, die in Lauf gesetzte Frist nachträglich
durch einseitige Erklärung zu verlängern (vgl. dazu Römer aaO; Schlegelmilch
in Beckmann/Matuschke-Beckmann, Versicherungsrechts-Handbuch
§ 21 Rdn. 150) oder auch erneut in Lauf zu setzen. Es ist deshalb
Sache des Versicherers, im gerichtlichen Verfahren klarzustellen, dass
er sich auf den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen will; eine
Prüfung von Amts wegen kommt insoweit nicht in Betracht.
b) Im Ergebnis kommt es darauf hier aber nicht einmal an, weil
sich die Beklagte in zweiter Instanz auf den Ablauf der nach § 12 Abs. 3
VVG gesetzten Frist berufen hat und ihr diese Verteidigung weder wegen
prozessualer Verspätung noch infolge eines Verzichts oder wegen
Rechtsmissbrauchs abgeschnitten war.
aa) Zu Recht hat das Berufungsgericht die erst in zweiter Instanz
nachgeholte Berufung der Beklagten auf den Ablauf der Klagfrist zugelassen.
§ 531 Abs. 2 ZPO stand dem insoweit unstreitigen Vorbringen
der Beklagten nicht entgegen (BGH, Urteil vom 18. November 2004 - IX
ZR 229/03 - WM 2005, 99 unter II 2). Unstreitig waren hier sowohl der
Umstand, dass sich die Beklagte in zweiter Instanz auf den Fristablauf
berufen wollte, als auch die aus der Akte ersichtlichen Prozesstatsachen,
aus denen sich die Fristversäumnis des Klägers ergibt.
bb) Im Übrigen gilt: Der Versicherer kann sich so lange auf den
sich aus § 12 Abs. 3 VVG für ihn ergebenden Rechtsvorteil berufen, wie
er ihn nicht verloren hat. Allein der Beginn eines Rechtsstreits über den
vom Versicherungsnehmer erhobenen Anspruch auf Versicherungsleistungen
kann den Rechtsverlust, der nach materiellem Recht zu beurteilen
ist, nicht herbeiführen (vgl. für das Berufen auf Obliegenheitsverletzungen
Römer aaO § 6 Rdn. 140).
(1) Der teilweise in der Rechtsprechung vertretenen Auffassung,
es könne ohne weiteres als Verzicht des Versicherers auf die sich aus
§ 12 Abs. 3 VVG ergebende Leistungsfreiheit verstanden werden, wenn
er sich in Kenntnis der Fristüberschreitung im Rechtsstreit erster Instanz
nicht darauf berufe (so z.B. OLG Saarbrücken r+s 1994, 196, 197; OLG
Koblenz VersR 1982, 260; ähnlich für Obliegenheitsverletzungen: OLG
Düsseldorf VersR 1993, 425; a.A. OLG Schleswig VersR 1994, 169 mit
zust. Anm. Schmalzl, VersR 1994, 853), ist nicht zu folgen.
Der Verzicht ist eine rechtsgestaltene Willenserklärung, mit der der
Erklärende eine ihm günstige Rechtsposition endgültig aufgibt. Das setzt
einen in der Erklärung zum Ausdruck kommenden Verzichtswillen voraus.
Insoweit ist das Gebot einer interessegerechten Auslegung in besonderem
Maße zu beachten (BGH, Urteil vom 15. Januar 2002 - X ZR
91/00 - WM 2002, 822 unter 4 m.w.N.). Hat der Erklärende eine ihm
günstige Rechtsposition erlangt, ist grundsätzlich davon auszugehen,
dass er sie nicht einfach wieder aufgeben will (BGH aaO m.w.N.). Ein
Verzicht ist deshalb nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
im Allgemeinen nicht zu vermuten (BGH Urteil vom 16. November 1993
- XI ZR 70/93 - WM 1994, 13 unter II 2 b). Gerade dann, wenn ein stillschweigender
Verzicht angenommen werden soll, erfordert dies ein Verhalten,
aus dem - nach Bewertung aller Fallumstände - unzweideutig der
Wille entnommen werden kann, die günstige Rechtsposition aufzugeben
(BGH aaO). Es müssen dann zum Schweigen ganz besondere Umstände
hinzutreten, denen der Erklärungsgegner einen solchen Aufgabewillen
entnehmen kann. Regelmäßig wird die Annahme eines stillschweigenden
Verzichts schon dann ausscheiden, wenn kein nachvollziehbares Motiv
dafür zu erkennen ist (vgl. dazu BGH, Urteil vom 10. Mai 2001 - VII ZR
356/00 - WM 2001, 1387 unter II 1 b).
Nach diesen Maßstäben kann allein der Umstand, dass sich ein
Versicherer im Rechtsstreit erster Instanz trotz vorangegangener Fristsetzung
nach § 12 Abs. 3 VVG (noch) nicht auf dessen Rechtsfolge beruft,
nicht als Verzicht verstanden werden, denn der Versicherer kann
sich aus unterschiedlichen Gründen so verhalten. Er kann beispielsweise
vorrangig die Klärung anderweitiger Fragen bezwecken oder glauben,
den Rechtsstreit auch aus anderen Gründen zu gewinnen (so zutreffend
OLG Hamm VersR 1995, 819). Er kann ferner im Zweifel darüber sein,
ob die gerichtliche Geltendmachung der vom Versicherungsnehmer erhobenen
Ansprüche den rechtlichen Anforderungen an die Rechtzeitigkeit
genügt. Ein anderes Verständnis seines Verhaltens kommt nur dort
in Betracht, wo besondere Umstände hinzutreten, aus denen mit ausreichender
Sicherheit auf einen Rechtsaufgabewillen geschlossen werden
kann.
Solche besonderen Umstände sind hier weder vorgetragen noch
sonst ersichtlich.
(2) Auch der Vorwurf eines Rechtsmissbrauchs kann nicht allein
daran geknüpft werden, dass sich die Beklagte erst in zweiter Instanz auf
den Ablauf der Frist des § 12 Abs. 3 VVG berufen hat.
Soweit zur Prüfung der Leistungsfreiheit streitiger Parteivortrag berücksichtigt
werden muss, ergibt sich ein ausreichendes Korrektiv für die
späte Geltendmachung aus den Präklusionsvorschriften der Zivilprozessordnung.
Ein Rechtsmissbrauch im Sinne des § 242 BGB kann erst
dann gegeben sein, wenn besondere Umstände hinzutreten, die geeignet
sind, ein Vertrauen des Versicherungsnehmers darauf zu begründen, der
Versicherer werde trotz vorangegangener Fristsetzung und Rechtsfolgenbelehrung
die ihm daraus erwachsenden Rechtsvorteile nicht mehr in
Anspruch nehmen. Dass der Versicherer sich gegen den erhobenen Anspruch
auf Versicherungsleistungen zunächst mit anderen Verteidigungsmitteln
zur Wehr setzt, begründet für sich genommen ein solches
Vertrauen nicht. Insoweit gelten dieselben Erwägungen, die auch der
Annahme eines Verzichts des Versicherers entgegenstehen.
(3) Der Senat hat schließlich erwogen, ob § 12 Abs. 3 VVG dahin
auszulegen ist, dass der Versicherer verpflichtet sei, die Versäumung einer
zuvor gesetzten Klagfrist im Prozess unverzüglich geltend zu machen.
Dafür könnte allenfalls sprechen, dass der Gesetzgeber mit der
Regelung den Zweck verfolgt hat, im Interesse des Versicherers eine
schnelle und endgültige Klärung herbeizuführen, ob eine Leistungsablehnung
Bestand hat, und dem Versicherer so die Übersicht über seine
Verbindlichkeiten zu erleichtern (vgl. dazu Prölss, aaO § 12 Rdn. 21
m.w.N.; Römer, aaO § 12 Rdn. 32).
Der Versicherer setzt sich zu diesem Normzweck aber nicht in Widerspruch,
wenn er sich im Prozess auf den Ablauf einer zuvor gesetzten
Klagfrist erst in zweiter Instanz beruft. § 12 Abs. 3 VVG dient allein seinem
Interesse und ist lediglich darauf gerichtet, nach einer Leistungsablehnung
eine schnelle Entscheidung des Versicherungsnehmers darüber
zu erzwingen, ob dieser seinen Anspruch gerichtlich geltend machen will
oder nicht. Kommt es zum Rechtsstreit, so weiß der Versicherer, dass
seine Leistungsablehnung einer gerichtlichen Prüfung unterzogen wird.
Sein von § 12 Abs. 3 VVG geschütztes Informationsbedürfnis ist damit
erfüllt. Eine Pflicht, den sich aus § 12 Abs. 3 VVG ergebenden Rechtsvorteil
im Rechtsstreit umgehend geltend zu machen, lässt sich der Regelung
nicht entnehmen, sie entspräche auch häufig nicht dem Interesse
des Versicherungsnehmers.
Terno
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Felsch
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