Berechnung der ersatzfähigen Umsatzsteuer nach Ersatzbeschaffung und konkreter Schadensabrechnung
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
15. 11. 2005
Aktenzeichen
VI ZR 26/05
Zur Berechnung der zu ersetzenden Umsatzsteuer bei konkreter Schadensabrechnung nach Ersatzbeschaffung für ein unfallbeschädigtes Kraftfahrzeug (Fortführung des Senatsurteils vom 1. März 2005 - VI ZR 91/04 - BGHZ 162, 270).
Auf die Rechtsmittel der Beklagten werden das Urteil der 2. Zivilkammer
des Landgerichts Ingolstadt vom 17. Januar 2005
aufgehoben und das Urteil des Amtsgerichts Ingolstadt vom
23. August 2004 abgeändert, soweit die Beklagte verurteilt worden
ist, an den Kläger mehr als ein weiteres Schmerzensgeld von
150 € zu zahlen. Im Umfang der Aufhebung und Abänderung wird
die Klage abgewiesen.
Die Anschlussrevision des Klägers wird zurückgewiesen.
Von den Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 95 % und die
Beklagte 5 % und von den Kosten der zweiten Instanz der Kläger
93 % und die Beklagte 7 % zu tragen. Die Kosten der Revisionsinstanz
hat der Kläger zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz aus einem Verkehrsunfall
vom 2. Dezember 2003. Die volle Haftung der Beklagten steht dem Grunde
nach außer Streit. Der Kläger erlitt leichte Verletzungen. An seinem Pkw entstand
Totalschaden. Der von ihm beauftragte Sachverständige schätzte den
Restwert des Fahrzeugs auf 1.800 € brutto. Den Wiederbeschaffungswert bezifferte
er mit 15.100 € brutto, wobei er von einer Differenzbesteuerung ausging
und einen Steueranteil von 2 % (266 €) zugrunde legte. Die Beklagte erstattete
dem Kläger neben sonstigen Schadenspositionen zunächst 13.034 €, nämlich
den Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert und Mehrwertsteueranteil. Am
26. Februar 2004 erwarb der Kläger als Ersatzfahrzeug einen regelbesteuerten
Neuwagen zum Preis von 24.741,01 € brutto (21.328,46 € netto zuzüglich 16 %
Mehrwertsteuer). Daraufhin erstattete die Beklagte ihm auch den vom Gutachter
geschätzten Mehrwertsteueranteil von 266 €. Mit der Klage hat der Kläger
neben einem angemessenen weiteren Schmerzensgeld (Vorstellung: 650 €) die
Zahlung weiterer 2.107,44 € begehrt, nämlich 16 % des Netto-Wiederbeschaffungswertes
(15.100 € minus 266 €) abzüglich gezahlter 266 €. Das
Amtsgericht hat der Klage insoweit stattgegeben und dem Kläger darüber hinaus
ein weiteres Schmerzensgeld von 150 € zugesprochen. Auf die Berufung
der Beklagten hat das Landgericht die Verurteilung um 288 € (16 % des Restwertes)
auf 1.969,44 € (1.819,44 € zuzüglich 150 € Schmerzensgeld) nebst
Zinsen ermäßigt. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Mit der
vom Berufungsgericht zugelassenen Revision greift die Beklagte das angefochtene
Urteil an, soweit sie zur Zahlung von 1.819,44 € nebst Zinsen verurteilt
worden ist. Der Kläger begehrt im Wege der Anschlussrevision die Wiederherstellung
des erstinstanzlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht ist der Auffassung, für die Berechnung des dem
Geschädigten zu ersetzenden Mehrwertsteueranteils sei grundsätzlich von dem
Nettowiederbeschaffungswert des beschädigten Kraftfahrzeugs auszugehen;
dieser Betrag erhöhe sich um den Steuersatz, der bei der Ersatzbeschaffung
tatsächlich anfalle. Wenn - wie im Streitfall - ein älteres Fahrzeug beschädigt
werde, welches auf dem Gebrauchtwagenmarkt üblicherweise differenzbesteuert
angeboten werde, der Geschädigte als Ersatz aber ein regelbesteuertes
Fahrzeug erwerbe, sei für den zu ersetzenden Mehrwertsteueranteil der Regelsteuersatz
zugrunde zu legen. Der Mehrwertsteueranteil berechne sich aus
dem Nettowiederbeschaffungswert. Vorab sei allerdings der Restwert abzuziehen.
II.
Das angefochtene Urteil hält den Angriffen der Revision nicht stand. Die
Anschlussrevision des Klägers hat dagegen keinen Erfolg.
1. Da das schädigende Ereignis nach dem 31. Juli 2002 eingetreten ist,
bestimmt sich die Ersatzpflicht der Beklagten gemäß Art. 229 § 8 Abs. 1
EGBGB nach den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB in der Fassung des Zweiten
Gesetzes zur Änderung schadensrechtlicher Vorschriften vom 19. Juli 2002
(BGBl. I 2674). Nach dieser gesetzlichen Neuregelung schließt der bei der Beschädigung
einer Sache zur Wiederherstellung erforderliche Geldbetrag die
Umsatzsteuer nur mit ein, wenn und soweit sie tatsächlich angefallen ist (§ 249
Abs. 2 Satz 2 BGB). Dies gilt auch im Falle eines wirtschaftlichen Totalschadens
(vgl. Senatsurteile BGHZ 158, 388 und vom 18. Mai 2004 - VI ZR 267/03 -
VersR 2004, 927).
2. Für den zu ersetzenden Mehrwertsteueranteil ist von Bedeutung, ob
der Geschädigte seinen Schaden fiktiv auf der Grundlage eines Sachverständigengutachtens
oder aber konkret auf der Basis einer von ihm vorgenommenen
Reparatur oder Ersatzbeschaffung abrechnet (zur Differenzierung zwischen
fiktiver und konkreter Schadensabrechnung vgl. Senatsurteile vom 15. Februar
2005 - VI ZR 70/04 - VersR 2005, 663 und - VI ZR 172/04 - VersR 2005, 665).
Erwirbt der Geschädigte - wie im Streitfall - ein Ersatzfahrzeug, ist für die Berechnung
des zu ersetzenden Mehrwertsteueranteils entgegen der Auffassung
des Berufungsgerichts nicht der Nettowiederbeschaffungswert des beschädigten
Fahrzeugs zugrunde zu legen und um den bei der Ersatzbeschaffung angefallenen
Steuersatz zu erhöhen. Das Ergebnis einer solchen Berechnung wäre
nämlich ein "fiktiver Mehrwertsteueranteil", der mit einer konkreten Schadensberechnung
nicht vereinbar wäre und in Widerspruch zu § 249 Abs. 2 Satz 2
BGB stünde, wonach die Umsatzsteuer nur zu ersetzen ist, soweit sie tatsächlich
angefallen ist (vgl. Senatsurteile BGHZ 158, 388; vom 15. Juli 2003
- VI ZR 361/02 - VersR 2004, 1575, 1576; vom 18. Mai 2004 - VI ZR 267/03 -
aaO und vom 15. Februar 2005 - VI ZR 172/04 - aaO S. 667).
Wie der erkennende Senat - zeitlich nach Verkündung des Berufungsurteils
- entschieden hat, kommt es in den Fällen, in denen der Geschädigte ein
Ersatzfahrzeug zu einem Preis, der dem in einem Sachverständigengutachten
ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert des unfallbeschädigten Fahrzeuges
entspricht oder diesen übersteigt, nicht darauf an, ob und in welcher
Höhe in dem im Gutachten ausgewiesenen (Brutto-)Wiederbeschaffungswert
Umsatzsteuer enthalten ist. Vielmehr kann der Geschädigte im Wege konkreter
Schadensabrechnung die Kosten der Ersatzbeschaffung bis zur Höhe des
(Brutto-)Wiederbeschaffungswertes des unfallbeschädigten Fahrzeuges - unter
Abzug des Restwertes - ersetzt verlangen (Senatsurteil vom 1. März 2005
- VI ZR 91/04 - VersR 2005, 994, zur Veröffentlichung in BGHZ 162, 270 bestimmt).
Entgegen der Meinung des Berufungsgerichts ist in diesen Fällen
grundsätzlich auch nicht von Bedeutung, welcher Steuersatz bei dem Erwerb
des Ersatzfahrzeugs tatsächlich anfällt. Stellt der Geschädigte durch eine konkrete
Ersatzbeschaffung eines gleichartigen Fahrzeugs zu dem vom Sachverständigen
genannten (Brutto-)Wiederbeschaffungswert wirtschaftlich den Zustand
wieder her, der vor dem Unfallereignis bestand, so kann er nach § 249
BGB - bis zur Höhe des (Brutto-)Wiederbeschaffungswertes - den tatsächlich
aufgewendeten Betrag unabhängig davon ersetzt verlangen, ob in ihm die Regelumsatzsteuer
im Sinne des § 10 UStG, eine Differenzsteuer im Sinne des
§ 25a UStG oder gar keine Umsatzsteuer enthalten ist (Senatsurteil vom
1. März 2005 - VI ZR 91/04 - aaO S. 995 m.w.N.).
3. Der Kläger, der ein Ersatzfahrzeug zum Preis von 24.741,01 € einschließlich
Mehrwertsteuer erworben hat, kann mithin (nur) die Differenz zwischen
dem (Brutto-)Wiederbeschaffungswert (15.100 €) und dem Restwert
(1.800 €), also 13.300 € ersetzt verlangen. Da die Beklagte diesen Betrag vorgerichtlich
gezahlt hat, erweist sich der mit der Klage geltend gemachte Anspruch
auf Ersatz weiteren materiellen Schadens als unbegründet.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1 ZPO.
Müller
Greiner
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