Alleinhaftung des verbotswidrig auf dem linken Radweg fahrenden Radfahrers

Gericht

OLG Celle


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 11. 2005


Aktenzeichen

14 U 83/05


Leitsatz des Gerichts

Wer als erwachsener Radfahrer verbotswidrig auf einem links befindlichen Fuß- und Radweg fährt und auch eine für ihn „rot” zeigende Ampel nicht beachtet, wodurch es zu einer Kollision mit einem anderen Radfahrer kommt, dem allenfalls ein geringfügiges Zuschnellfahren vorzuwerfen ist, hat den entstandenen Schaden allein zu tragen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

… 1. ... Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht nach §§ 823 f., 253 f. BGB Schadensersatz verlangen, weil ein Verschulden des Beklagten nicht vorliegt.

a) Der Beklagte hat nicht gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen. Die in der Akte befindlichen Lichtbilder (insb. Bild 5a und 5b auf Bl. 8 f. der Beiakte 138 Js 6790/04 StA Verden; vgl. auch die Bilder 1 und 2 im Gutachten des Sachverständigen M. v. 6.1.2005, dort Bl. 20 f.) zeigen, dass der Beklagte bei seiner Fahrt mit dem Fahrrad auf dem rechtsseitigen kombinierten Rad und Gehweg entlang der S. Straße in Richtung Einmündung M. auch den Überweg einschließlich der gegenüberliegenden für ihn maßgeblichen Fußgänger/Fahrradampel überschauen konnte (vgl. vor allem Bild 2 im Sachverständigengutachten). Seine Sicht wäre nur eingeschränkt gewesen, wenn er hätte nach rechts abbiegen wollen. Er wollte indes geradeaus weiterfahren. In diese Richtung war seine Sicht nicht beeinträchtigt. Dass der Beklagte die Klägerin nicht hat sehen können, kann ihm nicht angelastet werden. Das Sichtfahrgebot des § 3 Abs. 1 StVO dient nicht dazu, verkehrswidriges Verhalten anderer abzusichern.

b) Ob die Geschwindigkeit des Beklagten aus sonstigen Gründen zu hoch war, kann dahinstehen.

Nach den Berechnungen des Sachverständigen M. in seinem Gutachten vom 6.1.2005 ergibt sich zwar für den Beklagten eine Annäherungsgeschwindigkeit im Bereich von 25 bis 30 km/h (S. 16, 18 des Gutachtens). Diese Geschwindigkeit ist für einen Radfahrer im Straßenverkehr relativ hoch, auch wenn man berücksichtigt, dass die für den Beklagten maßgebliche Fußgänger/Fahrradampel nach der Aussage des Zeugen Q. „grün” zeigte, als sich der Beklagte auf sie zu bewegte. Der Sachverständige stellt aber fest, dass das Unfallgeschehen trotz des überraschenden und verbotswidrigen Verhaltens der Klägerin, mit dem der Beklagte nicht zu rechnen und wogegen er keine Vorsorge zu treffen hatte, vermeidbar gewesen wäre, wenn er im Augenblick der Erkennbarkeit der Klägerin mit einer nur um etwa 3 bis 4 km/h langsameren Geschwindigkeit gefahren wäre (S. 18, 19 des Gutachtens). Der Beklagte ist demnach auch bei Berücksichtigung des verkehrswidrigen Verhaltens der Klägerin lediglich 10 bis 15 % zu schnell gefahren. Das ist schon an sich relativ wenig. Im Verhältnis zum eindeutigen und gravierenden Verkehrsverstoß der Klägerin (dazu gleich unter Ziff. 2.) fällt es jedenfalls nicht ins Gewicht.

c) Nicht nachvollziehbar ist, wie das LG zu der Auffassung gelangen konnte, der Beklagte habe seine Verpflichtung als Fahrzeugführer ggü. älteren Menschen gem. § 3 Abs. 2a) StVO missachtet (LGU 6). Schon die amtliche Begründung zu dieser Vorschrift hält fest, dass von dem Fahrzeugführer nur dann die erhöhte Sorgfalt verlangt werden könne, wenn er „die geschützten Personen sieht oder bei dem hier zu fordernden Maß an Sorgfalt hätte sehen oder nach den Umständen mit ihnen hätte rechnen müssen” (Hentschel, Straßenverkehrsrecht, Rz. 10a). Wie erwähnt musste der Beklagte nicht damit rechnen, dass sich ein älterer Radfahrer aus der Richtung, aus der die Klägerin kam, näherte.

d) Da der Fahrradweg in der von der Klägerin benutzten Richtung nicht freigegeben war, kann sie sich auch nicht auf ein etwaiges Vorfahrtsrecht ggü. dem Beklagten berufen, umso mehr als im Moment des Zusammenstoßes die Verkehrsampel für Linksabbieger „rot” gezeigt haben muss, wenn die für den Beklagten verbindliche Ampel – wie erwähnt – „grün” hatte.

2. Die Berufung des Beklagten ist begründet. Der Unfall beruht auf einem ganz überwiegenden Verschulden der Klägerin. Deshalb war ihre Klage insgesamt abzuweisen. Unstreitig ist die Klägerin verbotswidrig auf dem linksseitigen Fuß und Radweg gefahren. Dass der von der Klägerin benutzte Weg erst unmittelbar vor dem Unfallort in beide Richtungen freigegeben war, kommt der Klägerin nicht zugute. Sie kann daraus nicht herleiten, ihre verkehrswidrige Fahrweise zuvor sei dadurch „erledigt”. Denn ohne diese wäre es insgesamt nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen. Wenn die Klägerin sich vorschriftsmäßig verhalten und zunächst den rechtsseitigen Radweg neben der Fahrbahn M. benutzt hätte, um über den markierten Weg den Einmündungsbereich in die S. Straße zu queren und anschließend entlang dieser in Richtung B. weiterzufahren, wäre sie für den entgegenkommenden Beklagten frühzeitig erkennbar gewesen und er hätte seine Geschwindigkeit anpassen können. Sie wäre dann außerdem auch nicht aus der für den Beklagten überraschenden Richtung von rechts auf die Unfallstelle zugekommen. Der Zusammenstoß hätte dann in der konkreten Art und Weise nicht geschehen können. Die Klägerin hätte es demnach in der Hand gehabt, nur durch ihr verkehrsgerechtes Verhalten den Unfall zu vermeiden. Wenn die Klägerin aber schon verbotswidrig auf dem linksseitigen Fuß und Radweg fuhr, hätte sie die links befindliche Autofahrerampel beachten und in Rechnung stellen müssen, dass von links kommende Radfahrer „grün” hatten und daher in einem Zug über die Straße fahren würden. Selbst wenn sie meinte, wie in der mündlichen Verhandlung erneut zum Ausdruck gekommen ist, die Ampel gelte für sie nicht, hätte sie wegen des zu erwartenden Querverkehrs rechtzeitig anhalten und vom Fahrrad steigen müssen, was problemlos möglich gewesen wäre. Auch dann wäre es nicht zu dem Unfall gekommen. Damit trägt sie letztlich allein die Schuld. Es ist deshalb gerechtfertigt, einen den Beklagten möglicherweise treffenden Schuldvorwurf, dass er unter den gegebenen Umständen relativ schnell mit dem Fahrrad gefahren ist, im Verhältnis zu dem groben Verkehrsverstoß der Klägerin völlig zurücktreten zu lassen.

Vorinstanzen

LG Verden, 5 O 67/04, 8.3.2005

Rechtsgebiete

Straßenverkehrs- und Straßenrecht

Normen

BGB § 823