Haltung von Hähnen in einem Wohngebiet
Gericht
OVG NRW
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
10. 07. 2002
Aktenzeichen
10 A 2220/02
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Der Kl. wandte sich mit seiner Klage gegen eine Ordnungsverfügung, mit der ihm untersagt worden war, mehr als einen Hahn auf seinem Grundstück zu halten. Die nähere Umgebung des Grundstücks, auf dem der Kl. im Zeitpunkt des Erlasses der Ordnungsverfügung in mehreren Ställen neben einigen Hühnern auch vier Hähne hielt, entspricht nach den Feststellungen im erstinstanzlichen Verfahren einem reinen Wohngebiet. Das VG hat die Klage abgewiesen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung hatte keinen Erfolg.
Auszüge aus den Gründen:
Aus den im Zulassungsantrag dargelegten Gründen ergeben sich keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils (Zulassungsgrund gem. § 124 II Nr. 1 VwGO).
Soweit der Kl. die Auffassung vertritt, § 61 I BauO NRW könne nicht als Rechtsgrundlage für die Ordnungsverfügung des Bekl. vom 22.7.1999 herangezogen werden, geht seine diesbezügliche Argumentation fehl. Der Senat hat in seinem Beschluss vom 21.1.2002, mit dem er die Beschwerde des Kl. gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen hat (Aktenzeichen: 10 E 434/01), ausgeführt, dass die angegriffene Ordnungsverfügung - auch aus der Sicht des Kl. - bei vernünftiger Auslegung so zu verstehen sei, dass ihm die Nutzung der auf dem Grundstück “Am w. S.“ 7 A in W. vorhandenen baulichen Anlagen und sonstigen Einrichtungen zur Kleintierhaltung insoweit untersagt werde, als er dort mehr als einen Hahn halte. Geht man von dieser Auslegung der Ordnungsverfügung aus, der sich das VG angeschlossen und die der Kl. mit dem Zulassungsvorbringen nicht substantiiert in Frage gestellt hat, so ist dafür § 61 I BauO NRW die richtige Rechtsgrundlage. Anknüpfungspunkte für die bauordnungsrechtliche Verfügung sind nämlich die der Bauaufsicht unterfallenden Anlagen und Einrichtungen, deren Nutzung von Gesetzes wegen zu überwachen ist und gegebenenfalls geregelt werden kann.
Ob § 61 I BauO NRW die Bauaufsichtsbehörde ermächtigt - etwa im Hinblick auf Hühnerrassen, die auch unter tierschutzrechtlichen Gesichtspunkten auf keine Stallungen angewiesen sind -, die Haltung von Hähnen auf einem Grundstück unabhängig vom Vorhandensein von baulichen Anlagen und Einrichtungen zur Kleintierhaltung zu untersagen, ist für die Rechtmäßigkeit der hier zu prüfenden Ordnungsverfügung, die sich gerade auf die vorhandenen baulichen Anlagen bezieht, ohne Belang. Die in diesem Zusammenhang aufgeworfene Frage nach einer willkürlichen Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte stellt sich angesichts der jeweils verschiedenen tatsächlichen Ausgangssituationen nicht.
Entgegen der Auffassung des Kl. ist die Bauaufsichtsbehörde im Rahmen des § 61 I BauO NRW grundsätzlich auch befugt, die Nutzung von Anlagen und Einrichtungen zur Kleintierhaltung nur im Hinblick auf das Halten männlicher Tiere - hier: im Hinblick auf das Halten von Hähnen - einzuschränken. Eine auf diese Vorschrift gestützte Nutzungsuntersagung ist gerechtfertigt, wenn und soweit die untersagte Nutzung materiell baurechtswidrig ist und der Nutzungsuntersagung keine bauaufsichtliche Genehmigung entgegensteht.
Der Kl. hat nicht behauptet, im Besitz einer Baugenehmigung für Anlagen und Einrichtungen zur Kleintierhaltung auf seinem Grundstück zu sein, die ihm das Halten von mehr als einem Hahn in diesen Anlagen und Einrichtungen erlaubt. Es kommt also für die Rechtmäßigkeit der Nutzungsuntersagung darauf an, ob die untersagte Nutzung - unabhängig von ihrer Genehmigungsbedürftigkeit - materiell baurechtswidrig ist. Letzteres hat das VG bejaht und insoweit einen Verstoß gegen bauplanungsrechtliche Vorschriften gesehen. Das VG ist in diesem Zusammenhang davon ausgegangen, dass das Grundstück “Am w. S.“ 7 A bauplanungsrechtlich dem Innenbereich gem. § 34 BauGB zuzuordnen sei. Es liege innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils der Stadt W. und sei einem Bereich zugehörig, dessen Eigenart einem reinen Wohngebiet i.S. des § 3 BauNVO entspreche. Gegen diese Annahmen des VG s hat der Kl. im Zulassungsantrag keine Bedenken erhoben.
Nach § 34 BauGB ist ein Vorhaben bauplanungsrechtlich regelmäßig nur dann zulässig, wenn es sich unter anderem nach der Art der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Entspricht die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre (§ 34 II BauGB). In einem reinen Wohngebiet i.S. des § 3 BauNVO sind gem. § 14 I BauNVO auch untergeordnete Nebenanlagen und Einrichtungen allgemein zulässig, die dem Nutzungszweck der in dem Baugebiet gelegenen Grundstücke oder des Baugebiets selbst dienen und die seiner Eigenart nicht widersprechen. Zu diesen untergeordneten Nebenanlagen und Einrichtungen gehören auch solche für die Kleintierhaltung. Allerdings ermöglicht die letztgenannte Vorschrift als Annex zum Wohnen eine Kleintierhaltung nur, wenn sie in dem betreffenden Baugebiet üblich und ungefährlich ist und den Rahmen der für eine Wohnnutzung typischen Freizeitbetätigung nicht sprengt (vgl. BverwG, Beschluss vom 15.10.1993 - 4 B 165.93 -, BRS 55 Nr. 51).
Ausgehend von diesen Grundsätzen hat das VG angenommen, die von dem Kl. ausgeübte Haltung von Rassegeflügel überschreite nach Art und Umfang das Maß dessen, was in einem reinen Wohngebiet allgemein - aber auch unter Berücksichtigung der tatsächlichen Eigenart des hier maßgeblichen Baugebietes - üblich sei. Die Tierhaltung in Gestalt der insgesamt vier gehaltenen Hähne bewirke Belästigungen und Störungen, die in dem Baugebiet unzumutbar seien.
Die Richtigkeit dieser Einschätzung wird durch das Zulassungsvorbringen nicht erschüttert. Die Ansicht des Klägers, für die Frage der Üblichkeit komme es darauf an, ob in dem betreffenden Baugebiet üblicherweise überhaupt Kleintiere gehalten würden, trifft nicht zu. Vielmehr ist zunächst eine typisierende Betrachtung anzustellen, die neben der Art der in den Nebenanlagen gehaltenen Tiere auch deren Zahl und das damit jeweils verbundene Störpotenzial berücksichtigt. Eine Tierhaltung, die als mit einer Wohnnutzung grundsätzlich unverträglich zu qualifizieren ist, ist beispielsweise in einem reinen Wohngebiet regelmäßig unüblich. Im Einzelfall mag sich bei konkreter Betrachtung etwas anderes ergeben, wenn in der Nachbarschaft vergleichbare Nutzungen vorhanden sind und die Bewohner des Baugebiets sich damit abgefunden haben. Dass hier ein solcher Fall gegeben ist, hat der Kl. nicht in einer Weise dargelegt, die Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung weckt. Soweit er vorträgt, ein Mitarbeiter des Bekl. aus dem Bauordnungsamt habe ihm gegenüber geäußert, im Bereich des H.-Weges seien in der Vergangenheit Baugenehmigungen nur unter der Bedingung erteilt worden, dass auf dem rückwärtigen Grundstücksbereich Hühner, Schweine und andere Nutztiere gehalten würden, ergibt sich aus dieser pauschalen Behauptung nicht, dass die Haltung von mehr als einem Hahn oder die Haltung von Kleintieren mit vergleichbarem Störpotenzial in der Umgebung des streitbefangenen Grundstücks üblich ist. Abgesehen davon, dass eine Rechtsgrundlage für die behaupteten Nebenbestimmungen zu früher erteilten Baugenehmigungen nicht ersichtlich ist, bleibt gänzlich unklar, welcher Zeitraum mit dem Begriff “Vergangenheit“ gemeint ist. Dass derzeit auf konkret bezeichneten Grundstücken im Bereich des H.-Weges, der etwa 120 m nördlich parallel zur Straße “Am w. S.“ verläuft, mehr als ein Hahn oder Kleintiere gehalten werden, deren Störpotenzial dem von mehreren Hähnen entspricht, lässt sich dem Vortrag des Kl. nicht entnehmen.
Die Angaben des Kl. zur Zahl der bundes- und landesweit verbandsmäßig organisierten Züchter von Rassegeflügel und zur Zahl der jährlichen Nachzuchten sowie die Behauptung, etwa 60 % der Züchter gingen ihrem Hobby in reinen oder allgemeinen Wohngebieten nach, lassen nicht den Schluss zu, dass - bei typisierender Betrachtung - die Haltung von mehr als einem Hahn in reinen Wohngebieten üblich ist. Wie oben bereits ausgeführt, ist eine Tierhaltung im reinen Wohngebiet regelmäßig unüblich, wenn sie - was das VG im Hinblick auf die Haltung von mehr als einem Hahn angenommen hat - mit der Wohnnutzung grundsätzlich unverträglich ist. Der Vortrag des Klägers, es sei wissenschaftlich nicht belegt, dass sich mehrere Hähne gegenseitig zum Krähen provozierten, widerlegt die Annahme des VG s nicht, wonach ein Hahn nach allgemeiner Lebenserfahrung durch sein Krähen Tag für Tag erhebliche Lautäußerungen verursache und dies erst recht für das Krähen mehrerer Hähne gelte. Für diese Annahme kommt es auf eine gegenseitige Provokation zum Krähen nicht an.
Dass auch die Haltung von mehreren Hähnen in reinen Wohngebieten allgemein üblich ist, kann nicht daraus hergeleitet werden, dass - wie der Kl. vorträgt - gerichtliche Entscheidungen existieren, wonach in reinen Wohngebieten Nebenanlagen für die Haltung von bis zu 50 Brieftauben zulässig seien. Zum einen ist das mit der Haltung mehrerer Hähne verbundene Störpotenzial ein anderes als das, das mit der Haltung von Brieftauben verbunden ist. Zum anderen kommt es auch bei der Taubenhaltung wesentlich auf die Ortsüblichkeit und den Einzelfall an. So kann die Taubenhaltung beispielsweise in einer Bergwerkssiedlung im Ruhrgebiet als eine regional begrenzte traditionell übliche Form der Tierhaltung angesehen werden. Der Kl. hat nicht dargelegt, dass das Halten von mehreren Hähnen in der Umgebung seines Grundstücks in vergleichbarer Weise eine herkömmliche Form der Tierhaltung darstellt.
Die angegriffene Ordnungsverfügung ist nicht unverhältnismäßig, weil sie - wie der Kl. meint - sämtliche reine Wohngebiete im Hinblick auf den Umfang der Kleintierhaltung ohne Rücksicht auf die Größe des jeweiligen Grundstücks und dessen Vorbelastung gleich behandelt. Die Ordnungsverfügung betrifft nur den konkreten Fall. Der Kl. hat keine grundstücksbezogenen Besonderheiten geltend gemacht, die Zweifel an der Verhältnismäßigkeit der Ordnungsverfügung und damit an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung aufkommen lassen.
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