Haftung wegen Beratungsfehlers bei mehreren Handlungsalternativen
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
21. 07. 2005
Aktenzeichen
IX ZR 49/02
Zu den Anforderungen an die Begründung der freien tatrichterlichen Überzeugung, der Mandant hätte einen Abfindungsvergleich trotz der damit verbundenen Vorteile nicht geschlossen, wenn er vom Anwalt zutreffend über dessen rechtliche Risiken belehrt worden wäre.
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 18. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Köln vom 24. Januar 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht
zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagte Anwalts-Partnerschaftsgesellschaft wegen
Schlechterfüllung eines Anwaltsvertrages auf Schadensersatz in Anspruch.
Der Kläger war seit dem 1. Januar 1990 Mitglied des Vorstandes der F.
AG (fortan: AG) gewesen. Sein Anstellungsvertrag war bis zum
31. Dezember 1999 befristet. Im Jahr 1998 gab es Überlegungen, den Vertrag
vorzeitig zu beenden. Der Kläger beauftragte die Beklagte, ihn dazu umfassend
zu beraten. Am 25. November 1998 schlossen der Kläger und die AG eine
Aufhebungsvereinbarung, die den Vertrag des Klägers zum 30. November
1998 beendete. Der Kläger erhielt eine Abfindung in Höhe von 1.150.000 DM
brutto, welche der Höhe nach seinem garantierten Jahreseinkommen für das
Jahr 1999 entsprach. Er erhielt außerdem vom 1. Januar 2000 an einen unverfallbaren
Anspruch auf betriebliche Altersversorgung in Höhe von 48 % aus
900.000 DM.
Der Kläger wirft der Beklagten vor, ihn nicht darauf hingewiesen zu haben,
daß seine Pensionsansprüche infolge der vorzeitigen Beendigung des
Vertrages nicht gemäß §§ 1, 7 Abs. 1 BetrAVG insolvenzgesichert sind. Er hat
behauptet, bei vollständiger Unterrichtung über die Rechtslage hätte er den
Anstellungsvertrag nicht aufgehoben, sondern auf dessen Erfüllung bestanden,
und beantragt festzustellen, daß die Beklagte verpflichtet ist, für sämtliche finanziellen
Nachteile - begrenzt auf eine Haftungssumme von 2.000.000 DM -
einzustehen, die ihm im Falle einer Insolvenz der AG dadurch entstehen, daß
der Pensionssicherungsverein die Pensionsansprüche wegen mangelnder Unverfallbarkeit
seiner Anwartschaften ablehnt. Die Beklagte hat behauptet, den
Kläger ausdrücklich auf den fehlenden Insolvenzschutz hingewiesen zu haben.
Der Kläger habe die Aufhebungsvereinbarung im Hinblick auf das nur noch bis
zum 31. Dezember 1998 geltende Steuerprivileg des § 34 EStG in der damals
geltenden Fassung unbedingt noch im Jahr 1998 schließen wollen.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; das Berufungsgericht hat
die Beklagte antragsgemäß verurteilt. Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte
die Wiederherstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt, die Klage sei als Feststellungsklage
zulässig. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme stehe fest, daß der für
die Beklagte handelnde Rechtsanwalt Dr. K. seine Beratungspflicht verletzt
habe. Dieser habe den Kläger nicht ausreichend darüber belehrt, daß bei
vorzeitiger Vertragsauflösung und einer dadurch bedingten Vertragslaufzeit
von nur 9 Jahren im Falle einer Insolvenz der AG keine Ansprüche gegen den
Pensionssicherungsverein bestünden. Die Pflichtverletzung sei kausal für den
Schaden, der dem Kläger drohe; denn ohne die Zustimmung des Klägers hätte
der Vertrag nicht vorzeitig beendet werden können. Ob der Kläger sich im Wege
des Vorteilsausgleichs Steuervorteile anrechnen lassen müsse, sei gegebenenfalls
im Betragsverfahren zu entscheiden.
II.
Diese Ausführungen halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung nicht
stand.
1. Die Klage ist als Feststellungsklage zulässig. Ein Feststellungsinteresse
(§ 256 Abs. 1 ZPO) für einen künftigen Anspruch auf Ersatz eines allgemeinen
Vermögensschadens besteht zwar regelmäßig nicht, solange der Eintritt
irgendeines Schadens noch ungewiß ist (BGH, Urt. v. 15. Oktober 1992
- IX ZR 43/92, WM 1993, 251, 259 f). Das gilt jedoch dann nicht, wenn die für
den Anspruch geltende Verjährungsfrist unabhängig von dessen Entstehung zu
laufen beginnt. Im vorliegenden Fall richtet sich die Verjährung des geltend
gemachten Anspruchs nach § 51b Fall 2 BRAO. Die Verjährung etwaiger Ansprüche
des Klägers wegen fehlerhafter Beratung hat mit der Beendigung des
Auftrags der Beklagten im Jahre 1998 begonnen. Daraus folgt ohne weiteres
ein rechtliches Interesse des Klägers an der alsbaldigen Klärung der Haftungsfrage
(§ 256 Abs. 1 ZPO).
2. Die Beklagte hat ihre Verpflichtung zur umfassenden Beratung des
Klägers beim Abschluß des Aufhebungsvertrages verletzt, indem sie ihn nicht
umfassend und verständlich über die Frage der Insolvenzsicherheit seiner Versorgungsansprüche aufgeklärt hat. Die entsprechenden Ausführungen des Berufungsgerichts werden von der Revision zu Recht nicht angegriffen.
3. Das Berufungsgericht hat jedoch keine ausreichenden Feststellungen
zu der Frage getroffen, ob der Beratungsfehler der Beklagten für den Vermögensnachteil,
den der Kläger im Falle einer Insolvenz der AG befürchtet, ursächlich
geworden ist. Es hat dafür ausreichen lassen, daß die AG den Abschluß
der Aufhebungsvereinbarung nicht gegen den Willen des Klägers hätte
erzwingen können, also unterstellt, der Kläger hätte die Vereinbarung bei vollständiger
Aufklärung nicht geschlossen. Damit hat es das Vorbringen der Parteien
- wie die Revision zu Recht rügt - nicht ausgeschöpft.
a) Die Frage, wie sich der Mandant bei vertragsgerechter Beratung des
Rechtsanwalts verhalten hätte, zählt zur haftungsausfüllenden Kausalität, die
der Mandant nach § 287 ZPO zu beweisen hat (BGHZ 129, 386, 399; BGH,
Urt. v. 13. Januar 2005 - IX ZR 455/00, BGH-Report 2005, 787, 788). Der Beweis
kann durch die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens erleichtert
werden. Diese Vermutung gilt jedoch nur, wenn nach der Lebenserfahrung bei
vertragsgemäßer Leistung des Beraters lediglich ein bestimmtes Verhalten nahegelegen
hätte (BGHZ 123, 311, 314 ff; 126, 217, 224; BGH, Urt. v. 13. Januar
2005, aaO). Eine derartige Feststellung hat das Berufungsgericht nicht getroffen.
Sie läge auch fern.
b) Um beurteilen zu können, wie ein Mandant sich nach pflichtgemäßer
anwaltlicher Beratung verhalten hätte, müssen die Handlungsalternativen geprüft
werden, die sich ihm stellten; deren Rechtsfolgen müssen ermittelt sowie
miteinander und mit den Handlungszielen des Mandanten verglichen werden
(BGH, Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Der Kläger hätte nach vollständiger Aufklärung
über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung - wie er behauptet - von
deren Abschluß absehen können; er hätte sie jedoch auch - wie die Beklagte
behauptet - gleichwohl unterzeichnen können.
Beide Parteien haben umfänglich dazu vorgetragen, welche Gesichtspunkte
für und gegen die eine oder die andere Entscheidung gesprochen hätten.
Wäre der Anstellungsvertrag nicht vorzeitig beendet worden, wären die
Versorgungsansprüche des Klägers teilweise für den Fall einer späteren Insolvenz
der AG gesichert gewesen. Diese Sicherung hätte jedoch nicht für die
gesamten Versorgungsansprüche des Klägers von 432.000 DM (48 % von
900.000 DM) gegolten. Gemäß § 3 Abs. 3 BetrAVG war die Versicherungsleistung
des Pensionssicherungsvereins auf den dreifachen Betrag der Bezugsgröße
des § 18 SGB IV begrenzt. Im Insolvenzfalle hätte der Kläger daher nur
Anspruch auf jährliche Leistungen in Höhe von 158.760 DM (4.410 DM x 3 x
12) gehabt. Die im Anstellungsvertrag des Klägers versprochenen Anwartschaften
für zusätzliche 10 Jahre wären gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 BetrAVG ebenfalls
nicht abgesichert gewesen. Die vorzeitige Auflösung des Vertrages
brachte dem Kläger demgegenüber einen Steuervorteil von 287.387 DM (§ 34
EStG a.F.). Die Abfindung in Höhe von 1,15 Mio. DM wurde bereits am
31. Dezember 1998 ausgezahlt. Das Jahresgehalt für 1999 in Höhe von
600.000 DM wäre im Verlauf des Jahres 1999 ausgezahlt worden, der Festbetrag
von 300.000 DM erst am 31. Dezember 1999 und die Tantieme von mindestens
200.000 DM am Tag nach der Hauptversammlung, in der der Bericht
über das Geschäftsjahr 1999 vorgelegt worden wäre. Weitere 50.000 DM wären
nicht an den Kläger ausgezahlt, sondern für Prämienleistungen für eine
private Versicherung zur Altersversorgung verwandt worden. Der Kläger hätte
der AG außerdem noch im Jahre 1999 seine volle Arbeitskraft zur Verfügung
stellen müssen. Wie hoch das Risiko einer Insolvenz der AG einzuschätzen
war, konnte der Kläger als ehemaliges Mitglied des Vorstandes am besten beurteilen;
im vorliegenden Rechtsstreit haben beide Parteien den wirtschaftlichen
Zustand der AG als "gut" bezeichnet.
Alle diese Umstände hat das Berufungsgericht nicht berücksichtigt. Die
Würdigung des Tatsachenstoffs obliegt grundsätzlich dem Tatrichter (BGH,
Urt. v. 13. Januar 2005, aaO). Sie kann in der Revisionsinstanz nicht nachgeholt
werden. Das angefochtene Urteil ist daher aufzuheben (§ 564 Abs. 1 ZPO
a.F.).
4. Das Berufungsurteil kann außerdem aus einem weiteren Grund keinen
Bestand haben. Selbst dann, wenn alle Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs
aus positiver Vertragsverletzung des Anwaltsvertrages
festgestellt werden, kann der Kläger nicht Ersatz des aus der fehlenden Unverfallbarkeit
seiner Pensionsansprüche resultierenden Schadens verlangen. Er
behauptet, bei ordnungsgemäßer Aufklärung über die Rechtslage hätte er die
Aufhebungsvereinbarung nicht geschlossen. Dann besteht sein Schaden darin,
die Vereinbarung geschlossen zu haben; er kann - das Vorliegen der übrigen
Anspruchsvoraussetzungen unterstellt - verlangen, so gestellt zu werden, als
hätte er die Vereinbarung nicht geschlossen. Im Rahmen eines späteren Betragsverfahrens
müßten die Vor- und die Nachteile, welche die Vereinbarung
mit sich gebracht hat, darunter auch die von der Beklagten behaupteten Steuervorteile,
in den erforderlichen "Gesamtvermögensvergleich" (vgl. BGH, Urt. v.
20. November 1997 - IX ZR 286/96, WM 1998, 142 f; Zugehör/Fischer, Handbuch
der Anwaltshaftung Rn. 1087) eingestellt werden.
Der jetzige Feststellungsausspruch stellt den Kläger demgegenüber so,
daß ihm sämtliche Vorteile der Aufhebungsvereinbarung zufließen, der Nachteil
der fehlenden Insolvenzsicherung dagegen nicht eintritt. Da dies aber
selbst nach dem Vorbringen des Klägers nicht erreichbar war, dieser vielmehr
behauptet, er hätte bei vertragsgerechter Beratung die Abfindungsvereinbarung
nicht geschlossen, entspricht das angefochtene Urteil in diesem Punkt
nicht der allgemein anerkannten Regel, daß auch dem Grunde nach der Schaden
durch einen Vergleich der gegenwärtigen Vermögenslage mit derjenigen,
die ohne das pflichtwidrige Verhalten des Anwalts eingetreten wäre, bestimmt
werden muß. Der Kläger kann daher schon seiner eigenen Darstellung nach
nur den Schaden ersetzt verlangen, der ihm daraus entsteht, daß er infolge
unzureichender anwaltlicher Beratung über die Voraussetzungen der Insolvenzsicherung
die Abfindungsvereinbarung vom 25. November 1998 geschlossen
hat. Nur ein entsprechend eingeschränkter Feststellungsausspruch ermöglicht
es, im Falle einer zukünftigen Insolvenz der AG die dem Kläger günstigen
Rechtsfolgen der Abfindungsvereinbarung nach den Regeln über den Vorteilsausgleich
zu berücksichtigen.
III.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Sie ist an das Berufungsgericht
zurückzuverweisen (§ 565 Abs. 1 Satz 1 ZPO a.F.). Nach der Zurückverweisung
hat der Kläger Gelegenheit, den Feststellungsantrag neu zu formulieren
(§ 139 ZPO). Das Berufungsgericht wird den Vortrag der Parteien zur
Kausalität der Pflichtverletzung für den Schaden sowie eventuelle Beweisanträge
umfassend auszuwerten haben, um feststellen zu können, welche Entscheidung
der Kläger bei vollständiger Belehrung über die Folgen der Aufhebungsvereinbarung
getroffen hätte. Dabei wird es die Beweiserleichterungen
zu beachten haben, die dem Geschädigten nach § 287 ZPO zugute kommen.
Grundsätzlich reicht eine deutlich überwiegende, auf gesicherter Grundlage
beruhende Wahrscheinlichkeit, daß ein Schaden entstanden ist, für die richterliche
Überzeugungsbildung aus (BGH, Urt. v. 18. März 2004 - IX ZR 255/00,
WM 2004, 2217, 2219). Geht es darum, welche hypothetische Entscheidung
der Mandant bei vertragsgerechtem Verhalten des rechtlichen Beraters getroffen
hätte, liegt es nahe, ihn dazu gemäß § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO zu verneh-
men, weil es um eine innere, in seiner Person liegende Tatsache geht. Da die
Feststellung, ob ein Schaden entstanden ist, nach den Beweisregeln des § 287
ZPO getroffen wird, gehört die Frage, wie sich der Mandant bei ordnungsgemäßer
Beratung verhalten hätte, zu dem von § 287 Abs. 1 Satz 3 ZPO erfaßten
Bereich (BGH, Urt. v. 16. Oktober 2003 - IX ZR 167/02, WM 2004, 472, 474).
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