Mehrwertdienste, keine Vertragsbeziehung Nutzer / Verbindungsnetz- und Plattformbetreiber
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
20. 10. 2005
Aktenzeichen
III ZR 37/05
Zum Rückforderungsanspruch eines Telefonanschlussinhabers gegen einen Verbindungsnetz- und Plattformbetreiber wegen unter Vorbehalt gezahlten Entgelts für die Herstellung einer Verbindung zu einem Mehrwertdienst (Fortführung des Senatsurteils vom 28. Juli 2005 - III ZR 3/05 - MMR 2005, 597 ff).
Hat der Bereicherungsgläubiger seine Leistung unter Vorbehalt erbracht, kann sich der Bereicherungsschuldner nicht auf den Wegfall der Bereicherung berufen, wenn er dem Vorbehalt nicht widersprochen hat (Bestätigung von BGH, Urteil vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 51/87 - WM 1988, 1494, 1496).
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil der 1. Zivilkammer
des Landgerichts Itzehoe vom 8. Februar 2005 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts
Elmshorn vom 26. März 2004 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat auch die Kosten der Rechtsmittelzüge zu tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger ist Inhaber eines Telefonanschlusses der Deutschen Telekom
AG. Die Beklagte stellt als sogenannter Verbindungsnetzbetreiber Verbindungen
aus Teilnehmernetzen in andere Telekommunikationsnetze her. Unter
anderem leitet sie über eine von ihr betriebene Diensteplattform aus dem Netz
der Deutschen Telekom und anderer Telekommunikationsunternehmen kommende
Anrufe bzw. Interneteinwahlen an die Betreiber von Mehrwertdiensten
weiter.
Die Deutsche Telekom AG stellte dem Kläger 1.427,21 € nebst anteiliger
Umsatzsteuer als Forderung der Beklagten für die Inanspruchnahme von
Mehrwertdiensten über ihr Netz im Februar 2002 in Rechnung. Nach einer Auseinandersetzung
der Parteien über die Berechtigung dieser Forderung zahlte
der Kläger schließlich im Januar 2003 den strittigen Betrag unter Vorbehalt. Er
bestreitet, dass die berechneten Verbindungen von seinem Anschluss aus bewusst
hergestellt worden seien, und fordert die Rückzahlung des geleisteten
Betrages. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landgericht hat
sie auf die Berufung der Beklagten abgewiesen. Hiergegen richtet sich die vom
Berufungsgericht zugelassene Revision des Klägers.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Revision hat auch in der Sache Erfolg.
I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt,
die Klage sei unbegründet, da der Kläger aufgrund des zwischen den
Parteien bestehenden Telefondienstvertrags verpflichtet sei, die in Rechnung
gestellten Beträge zu zahlen. Der Kläger sei beweisfällig dafür geblieben, dass
sein Anschluss nicht in einem von ihm nicht zu vertretenen Umfang genutzt
worden sei. Die Beweislast hierfür trage der Kläger, da die Ordnungsmäßigkeit
des Abrechnungssystems und des Verbindungsnetzes feststehe und ein
- wenn auch um die letzten drei Zielnummern gekürzter - Einzelverbindungs-
nachweis vorliege. Der Kläger habe auch nicht beweisen können, dass die
Verbindungen durch ein sich heimlich selbst installierendes automatisches Anwahlprogramm
(sogenannter Dialer) hergestellt worden seien.
II.
Dies hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Kläger hat gegen
die Beklagte einen Rückzahlungsanspruch gemäß § 812 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt.
BGB. Die Beklagte ist um die von dem Kläger geleistete Summe ohne rechtlichen
Grund bereichert, da sie keinen Anspruch auf das geltend gemachte Verbindungsentgelt
hat.
1. Die Beklagte ist Empfängerin der Leistung des Klägers, obgleich der
Kläger den strittigen Betrag an die Deutsche Telekom AG zahlte. Für die Frage,
wer Empfänger einer Leistung im bereicherungsrechtlichen Sinn ist, kommt
es entscheidend darauf an, welchen Zweck die Beteiligten nach ihrem zum
Ausdruck gekommenen Willen verfolgt haben. Danach richtet sich die einer
Zuwendung gegebene Zweckbestimmung, die wiederum für das Leistungsverhältnis
maßgebend ist, innerhalb dessen der kondiktionsrechtliche Ausgleich
zu vollziehen ist (ständige Rechtsprechung z.B.: BGHZ 82, 28, 30 m.w.N.).
Danach ist die Beklagte aufgrund des der Zahlung vorangegangenen
Geschehensablaufs als Leistungsempfängerin anzusehen. Die Deutsche Telekom
machte das Entgelt für die unter Mitwirkung der Beklagten zustande gekommenen
Verbindungen nicht als eigene Forderung geltend, sondern als Inkassostelle
für einen Anspruch der Beklagten. Dies ergibt sich daraus, dass die
Deutsche Telekom AG den betreffenden Betrag in ihrer Rechnung unter der
Rubrik "Beträge anderer Anbieter" aufführte und darauf hinwies, dass "Einwendungen
gegen die Entgelte des Anbieters … direkt" an die Beklagte zu richten
seien. Dementsprechend verwies sie den Kläger an die Beklagte, nachdem
dieser remonstriert hatte. Auch die Beklagte behandelte die hier strittige Summe
als ihren eigenen Anspruch. Sie überließ die Einforderung des beanspruchten
Betrags nicht der Deutschen Telekom AG. Vielmehr machte sie ihn durch
die Beauftragung eines Inkassounternehmens und einer Anwaltskanzlei selbst
und in eigenem Namen geltend. Dementsprechend führte der Kläger die
schriftliche Auseinandersetzung über die Berechtigung des Anspruchs der Beklagten
mit dieser selbst beziehungsweise mit den von ihr eingeschalteten Personen.
Insbesondere erklärte er seine unter den Vorbehalt der Rückforderung
gestellte Zahlungsbereitschaft gegenüber den von der Beklagten beauftragten
Rechtsanwälten. Bei dieser Sachlage ging der erkennbare Wille des Klägers
dahin, eine Forderung der Beklagten und nicht der Deutschen Telekom AG zu
begleichen, selbst wenn er an das letztgenannte Unternehmen zahlte. Dieses
war bloße Zahlstelle der Beklagten.
2. Das Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass zwischen
den Parteien ein Vertrag über die Erbringung von Telefondienstleistungen
zustande gekommen ist. Die Beklagte hat nicht vorgetragen, dass ihre
Mitwirkung am Zustandekommen der berechneten Verbindungen für den Anschlussnutzer
erkennbar war. Wie der Senat in seinem Urteil vom 28. Juli 2005
- III ZR 3/05 (MMR 2005, 597 ff) bereits entschieden hat, kommt in diesen Fällen
zwischen dem Inhaber eines Telefonanschlusses, von dem aus ein Mehrwertdienst
angewählt wird, und dem Verbindungsnetz- sowie dem Plattform-
betreiber kein Vertrag über die Erbringung von Verbindungsleistungen zustande.
Im Einzelnen gilt Folgendes:
a) Der Anwahl einer Mehrwertdienstenummer ist nicht der objektive Erklärungswert
zu entnehmen, dass der Nutzer nicht nur mit dem Mehrwertdiensteanbieter,
sondern auch mit dem Verbindungsnetz- und Plattformbetreiber
eine (entgeltliche) vertragliche Beziehung begründen will. Dies scheitert
bereits daran, dass dieser aus Sicht eines objektiven Dritten bei vernünftiger
Betrachtung der bekannten oder erkennbaren Umstände (vgl. hierzu z.B.
BGHZ 36, 30, 33; BGH, Urteil vom 12. März 1992 - IX ZR 141/91 - NJW 1992,
1446 f; Bamberger/Roth/Wendtland, BGB, § 133 Rn. 27) nicht Adressat einer
Willenserklärung ist. Dem durchschnittlich verständigen und informierten Telefon-
und Internetnutzer ist, wovon auch ein objektiver Dritter auszugehen hat,
die Leistungskette zwischen dem Teilnehmernetzbetreiber und dem Mehrwertdiensteanbieter
nicht bekannt, sofern er nicht - etwa im Wege des sogenannten
call-by-call-Verfahrens - gezielt einen bestimmten Verbindungsnetzbetreiber
auswählt. Ihm ist deshalb nicht bewusst, dass die Verbindung zu dem Mehrwertdienst
auch durch zwischengeschaltete Leistungserbringer hergestellt wird.
Hieran würde sich selbst dann nichts ändern, wenn der durchschnittliche
Anschlussbenutzer mit der Einbeziehung von Verbindungsnetz- und Plattformbetreibern
in die Verbindungskette rechnete. Auch dann ließe sich der Anwahl
des Mehrwertdienstes nicht die Erklärung des Nutzers entnehmen, mit dem
Verbindungsnetz- oder Plattformbetreiber einen Vertrag über die Herstellung
einer Telekommunikationsverbindung schließen zu wollen. Für den Anschlussnutzer
stellen sich, wie für einen objektiven Dritten erkennbar ist, diese Betreiber
als bloße Hilfspersonen dar, deren Leistungen zur Erbringung des Mehrwertdienstes
technisch notwendig sind. Offen bleiben kann, ob sich der Mehrwertdiensteanbieter
dieser Verbindungsleistungen bedient oder ob der Teilnehmernetzbetreiber
zur Erfüllung seiner Pflichten aus dem Telefondienstlei-
stungsvertrag darauf zurückgreift. In beiden Fällen sind der Verbindungsnetz-
und der Plattformbetreiber aus Sicht des Nutzers Erfüllungsgehilfen eines Dritten.
Hierfür spricht insbesondere, dass in dem Preis für die Inanspruchnahme
des Mehrwertdienstes das Entgelt für die Leistungen des Verbindungsnetz-
und des Plattformbetreibers bereits enthalten ist. Schuldet der Kunde gegenüber
dem Vertragspartner das Entgelt auch für Leistungen eines Dritten, liegt
am nächsten der Schluss, dass diese Bestandteil der Pflichten des Vertragspartners
sind und der Dritte dessen Erfüllungsgehilfe ist. Stellt sich im Rahmen
einer Leistungsbeziehung ein Beteiligter, hier der Verbindungs- und Plattformbetreiber,
aus Sicht einer Partei als Erfüllungsgehilfe des Vertragspartners dar,
geht ihr erkennbarer Wille im Zweifelsfall nicht dahin, auch mit dem weiteren
Beteiligten einen Vertrag zu schließen.
b) Gegen den Vertragsschluss zwischen dem Anschlussnutzer und dem
Verbindungsnetz- bzw. Plattformbetreiber spricht auch die Interessenlage, die
bei der Auslegung von Willenserklärungen zu berücksichtigen ist (z.B.: BGHZ
21, 319, 328; 109, 19, 22; BGH, Urteil vom 9. Juli 2001 - II ZR 228/99 - NJW
2002, 747, 748 m.w.N.). Es liefe den erkennbaren Interessen des Nutzers zuwider,
neben den vertraglichen Beziehungen zu dem Mehrwertdiensteanbieter
und dem Teilnehmernetzbetreiber weitere Vertragsverhältnisse mit dem Verbindungsnetz-
und dem Plattformbetreiber zu begründen. Der Anschlussinhaber
würde auf diese Weise für ein und dieselbe Leistung den Entgeltansprüchen
zusätzlicher Gläubiger ausgesetzt werden, obgleich er insoweit bereits
den erstgenannten Vertragspartnern verpflichtet ist. Auch wenn er im Ergebnis
nur einmal zu zahlen hat, würden die Rechtsverhältnisse durch die Vermehrung
der Gläubigerzahl unübersichtlich und wären Streitigkeiten über die Tilgungswirkung
von Leistungen und über Einwendungen des Kunden vorpro-
grammiert. Demgegenüber sind Verbindungsnetz- und Plattformbetreiber zur
Wahrung ihrer Interessen nicht auf Ansprüche gegenüber dem Endkunden angewiesen,
da sie die von ihnen erbrachten Leistungen je nach Gestaltung der
entsprechenden Verträge gegenüber dem Mehrwertdiensteanbieter oder dem
Teilnehmernetzbetreiber oder gegenüber beiden geltend machen können.
c) Die Beklagte kann auch aus § 15 Abs. 1 TKV keinen Anspruch herleiten.
Nach dieser Bestimmung hat der Teilnehmernetzbetreiber dem Kunden,
vorbehaltlich einer abweichenden Vereinbarung, auch die Entgelte in Rechnung
zu stellen, die durch die Auswahl anderer Anbieter von Netzdienstleistungen
entstehen. Diese Bestimmung begründet keinen Anspruch des Anbieters.
Sie enthält vielmehr eine Regelung für den Fall, dass eine Entgeltforderung
entstanden ist (vgl. die Begründung zu § 14 des TKV-Entwurfs = § 15
TKV, BR-Drucks. 551/97 S. 37). Hieran fehlt es mangels Vertragsschlusses
zwischen den Parteien.
3. Die Beklagte kann auch nicht mit Erfolg geltend machen, von ihrer Verpflichtung
zur Rückzahlung gemäß § 818 Abs. 3 BGB befreit zu sein, soweit sie
die erhaltenen Gelder an den Mehrwertdienstebetreiber abgeführt hat. Es kann
insoweit auf sich beruhen, ob dies bereits daran scheitert, dass sie mit der
Weiterleitung der Zahlung von einer ihr gegenüber dem Mehrwertdienstebetreiber
obliegenden Verpflichtung frei geworden ist und sie deshalb weiterhin
in Form der Befreiung von einer Verbindlichkeit bereichert ist. Die Berufung auf
den Wegfall der Bereicherung ist jedenfalls in entsprechender Anwendung des
§ 820 Abs. 1 Satz 1 BGB ausgeschlossen, weil der Kläger unter Vorbehalt gezahlt
hat, ohne dass die Beklagte dem widersprochen hätte (vgl. BGH, Urteil
vom 8. Juni 1988 - IVb ZR 51/87 - WM 1988, 1494, 1496 m.w.N.).
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