Keine Zwansvollstreckung aus Titel über Regelunterhalt
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
Invalid date
Aktenzeichen
VII ZB 21/05
§ 798 a ZPO ist nur auf solche Vollstreckungstitel anwendbar, die Unterhaltsansprüche im Sinne von §1612 a BGB in der seit 1. Juli 1998 geltenden Fassung feststellen oder die gemäß Art. 5 § 3 KindUG auf das seit 1. Juli 1998 geltende Recht umgestellt worden sind.
Auf die Rechtsbeschwerde des Schuldners werden der Beschluss
der 7. Zivilkammer des Landgerichts Regensburg vom 1. Oktober
2004, der Beschluss des Amtsgerichts Straubing vom
15. September 2004 und der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss
des Amtsgerichts Straubing vom 2. August 2004 aufgehoben.
Der Antrag des Gläubigers auf Erlass eines Pfändungs- und
Überweisungsbeschlusses wird zurückgewiesen.
Der Gläubiger trägt die Kosten des Verfahrens.
Beschwerdewert: 2.400 €.
Gründe:
I.
Der Schuldner ist dem am 8. April 1985 geborenen Gläubiger, seinem
nichtehelichen Sohn, zum Unterhalt verpflichtet. Er ist nach dem Endurteil des
Amtsgerichts München vom 8. November 1989 u.a. verpflichtet, an den Gläubiger
"ab April 1989 Regelunterhalt zuzüglich eines Zuschlags von 90 % des Re-
gelbedarfs zu bezahlen". Mit Beschluss des Amtsgerichts Nürnberg vom
11. Juni 1996 wurde der monatlich zu zahlende Regelunterhalt für die Zeit vom
8. April 1997 bis zum 7. April 2003 auf 844 DM festgesetzt.
Unter Vorlage einer vollstreckbaren Ausfertigung des Endurteils vom
8. November 1989 hat der Gläubiger am 23. Juli 2004 den Erlass eines Pfändungs-
und Überweisungsbeschlusses wegen einer Hauptforderung von
2.400 € beantragt, die Unterhaltsansprüche nach Eintritt der Volljährigkeit betrifft.
Der Rechtspfleger hat den Beschluss erlassen. Die dagegen eingelegte
Erinnerung des Schuldners hat der Vollstreckungsrichter verworfen. Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde des Schuldners zurückgewiesen.
Dieser begehrt mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde
weiterhin die Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Entscheidungen
des Land- und Amtsgerichts und zur Abweisung des Antrags des
Gläubigers auf Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses.
1. Das Beschwerdegericht ist der Auffassung, der Gläubiger könne nach
wie vor auf der Grundlage des Endurteils vom 8. November 1989 und des Beschlusses
vom 11. Juni 1996 die Vollstreckung betreiben. Beide Entscheidungen
beruhten zwar noch auf dem inzwischen aufgehobenen § 1615 f BGB und
der Regelunterhaltsverordnung vom 27. Juni 1970, beträfen nunmehr jedoch
einen Unterhaltsanspruch im Sinne des § 1612 a BGB in der seit 1. Juli 1998
geltenden Fassung. Gemäß § 798 a ZPO könne der Schuldner nicht einwenden,
dass Minderjährigkeit nicht mehr bestehe.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Der Gläubiger kann
weder aus dem Endurteil vom 8. November 1989 noch aus dem Beschluss vom
11. Juni 1996 die Zwangsvollstreckung betreiben.
a) Nach dem bis zum 30. Juni 1998 geltenden Unterhaltsrecht für nichteheliche
Kinder war der Vater verpflichtet, bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs
mindestens den Regelunterhalt zu zahlen; der der Berechnung zugrunde
zu legende Regelbedarf wurde durch die Regelunterhaltsverordnung (BGBl. I
1970 S. 1010) festgesetzt, § 1615 f BGB. Das Kind konnte, anstatt die Verurteilung
des Vaters zur Zahlung eines bestimmten Betrags als Individualunterhalt
zu begehren, Klage auf Leistung des Regelunterhalts erheben, § 642 ZPO a.F.
Das nur allgemein auf Zahlung des Regelunterhalts lautende Urteil wurde erst
durch die in einem gesonderten Verfahren erfolgende betragsmäßige Festsetzung
des Regelunterhalts ausgefüllt, § 642 a ZPO a.F. Durch diese Typisierung
und Standardisierung des Unterhalts (vgl. Staudinger/Eichenhofer [1997]
§ 1615 f, Rdn. 4, 7) hatte das Kind eine einfache und rasche Möglichkeit, sich
einen Unterhaltstitel zu verschaffen. Dieser konnte in einem gegenüber der Abänderungsklage nach § 323 ZPO vereinfachten Verfahren geänderten Preis-
und Lebensverhältnissen angepasst werden, § 642 b ZPO a.F. Diese Form der
Unterhaltsleistung war vom Gesetzgeber bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs
des Kindes begrenzt worden (vgl. Staudinger/Eichenhofer aaO, Rdn. 7,
11). Demgemäß setzte die Regelunterhaltsverordnung die einzelnen Regelbedarfssätze
nur bis zum vollendeten 18. Lebensjahr fest. Nach diesem Zeitpunkt
erlosch der Anspruch des Kindes auf Regelunterhalt; der Vater schuldete aber
noch Individualunterhalt nach den Regeln über den Verwandtenunterhalt (Stau-
dinger/Eichenhofer aaO, Rdn. 13; Göppinger/Wax, Unterhaltsrecht, 6. Aufl.
1994, Rdn. 877).
b) Danach hätte der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss schon deshalb
nicht erlassen werden dürfen, weil das vom Gläubiger vorgelegte Endurteil
vom 8. November 1989 trotz der erteilten Vollstreckungsklausel keine Grundlage
für eine Zwangsvollstreckung sein kann.
aa) Im Zwangsvollstreckungsverfahren ist von Amts wegen zu prüfen, ob
die mit der Vollstreckungsklausel versehene Urkunde einen vollstreckbaren Titel
darstellt. Die Klausel kann den fehlenden vollstreckbaren Inhalt eines Titels
nicht ersetzen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 724 Rdn. 14).
bb) Das Endurteil vom 8. November 1989 ist kein vollstreckbarer Titel. Es
verpflichtet den Schuldner, Regelunterhalt zu zahlen. Es handelt sich um einen
Rahmentitel, der erst durch den Beschluss über die Betragsfestsetzung nach
§ 642 a ZPO a.F. ausgefüllt wird. Erst aus diesem Beschluss ist die Zwangsvollstreckung
möglich (§ 794 a ZPO a. und n.F.; Zöller/Philippi, ZPO, 20. Aufl.,
§ 642 Rdn. 9; Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 794 Rdn. 19). Er und nicht das
vorangegangene Urteil ist mit der Vollstreckungsklausel zu versehen
(Stein/Jonas/Schlosser, ZPO, 21. Aufl., § 642 a Rdn. 8; Musielak/Lackmann,
ZPO, 4. Aufl., § 794 Rdn. 43).
c) Der Gläubiger ist vor Zurückweisung seines Antrags grundsätzlich auf
Mängel des Titels hinzuweisen (Zöller/Stöber, ZPO, 25. Aufl., § 724 Rdn. 14).
Es bestand jedoch kein Anlass, deshalb die Sache an das Amtsgericht zurückzuverweisen
und dem Gläubiger Gelegenheit zu geben, eine vollstreckbare
Ausfertigung des Beschlusses vom 11. Juni 1996 nachzureichen. Denn dieser
Beschluss ist kein tauglicher Vollstreckungstitel für Unterhaltsansprüche des
Gläubigers, die nach Eintritt seiner Volljährigkeit am 8. April 2003 fällig gewor-
den sind. Insbesondere kann der Gläubiger aus § 798 a ZPO nichts zu seinen
Gunsten herleiten.
aa) Durch das KindUG vom 6. April 1998 (BGBl. I S. 666) wurden mit
Wirkung zum 1. Juli 1998 § 1615 f BGB aufgehoben und das vereinfachte Verfahren
zur Festsetzung des Regelunterhalts für nichteheliche minderjährige Kinder
nach §§ 642 ff ZPO a.F. abgeschafft. Stattdessen wurde durch die Neufassung
des § 1612 a BGB allen minderjährigen Kindern die Möglichkeit eröffnet,
den Unterhalt als Prozentsatz des Regelbetrags nach der Regelbetragsverordnung
zu verlangen. Die Regelbeträge werden jeweils für drei Lebensaltersstufen
festgesetzt, § 1612 a Abs. 3 BGB. Die dritte Altersstufe beginnt mit dem
13. Lebensjahr, eine Begrenzung bis zum Eintritt der Volljährigkeit sieht das
Gesetz nicht vor. Der Unterhalt ist dynamisiert. Er wird gemäß § 1612 a Abs. 4
BGB in zweijährigem Rhythmus der Entwicklung des durchschnittlich verfügbaren
Arbeitsentgelts angepasst. Für seine Festsetzung stellen die §§ 645 ff ZPO
bis zu einer bestimmten Höhe ein vereinfachtes Verfahren zur Verfügung. Der
ebenfalls neu gefasste § 798 a ZPO bestimmt nunmehr, dass der nach Eintritt
der Volljährigkeit noch zum Unterhalt Verpflichtete gegenüber einem titulierten
Anspruch auf Unterhalt im Sinne des § 1612 a BGB nicht einwenden kann,
dass Minderjährigkeit nicht mehr besteht. Der gemäß Art. 8 Abs. 2 KindUG bis
zum 30. Juni 2003 befristete Art. 5 § 3 KindUG sah als Übergangsregelung vor,
dass Schuldtitel über Unterhaltsleistungen nach dem vor dem 1. Juli 1998 geltenden
Recht auf Antrag in dynamisierte Unterhaltstitel umgestellt, also dahin
abgeändert werden konnten, dass die Unterhaltsrente entsprechend der Regelbetragsverordnung festgesetzt wurde.
bb) Aus dieser Systematik des KindUG folgt, dass der Gläubiger für Ansprüche
nach dem 18. Lebensjahr nicht mehr aus dem den Regelunterhalt nach
§ 1615 f BGB festsetzenden Beschluss vom 11. Juni 1996 vollstrecken und sich
auch nicht auf § 798 a ZPO berufen kann.
(1) In diesem Beschluss ist der an den Gläubiger zu leistende Unterhalt
nur bis zum Zeitpunkt des Eintritts der Volljährigkeit festgesetzt. Eine darüber
hinausgehende Festsetzung war im Verfahren nach § 642 ZPO a.F. nicht möglich.
Weitergehenden Unterhalt hätte der Gläubiger nach damaligem Recht nur
als Individualunterhalt durch eine bezifferte Leistungsklage geltend machen
können (vgl. oben a).
(2) Anders als die Regelunterhaltsverordnung enthält § 1612 a Abs. 3
BGB hinsichtlich der dritten Altersstufe keine Begrenzung bis zur Volljährigkeit
des Kindes. Damit soll das minderjährige Kind in die Lage versetzt werden, den
Unterhalt nach § 1612 a BGB auch über den Zeitpunkt der Vollendung des
18. Lebensjahres hinaus geltend zu machen und einen unbefristet tenorierten
Titel zu erlangen. Es soll nicht gezwungen sein, sich nach Eintritt der Volljährigkeit
einen neuen Titel beschaffen zu müssen (vgl. Begründung zum Gesetzentwurf
der Bundesregierung, BT-Drucks. 13/7338 S. 23).
§ 798 a ZPO korrespondiert mit dieser neu geschaffenen Möglichkeit der
zeitlich nach oben offenen Tenorierung. Er soll die Zwangsvollstreckung aus
einem Titel über Unterhalt im Sinne des § 1612 a BGB, der über das
18. Lebensjahr fortwirkt, erleichtern (Zöller/Stöber, ZPO 25. Aufl., § 798 a
Rdn. 1 und 2). Mit diesem Gesetzeszweck ist es nicht vereinbar, § 798 a ZPO
auf nach altem Recht ergangene Titel anzuwenden.
(3) Schließlich folgt auch aus der Übergangsvorschrift des Art. 5 § 3
KindUG, dass die Zwangsvollstreckung aus dem Beschluss vom 11. Juni 1996
nicht mehr möglich ist.
Der Gesetzgeber hatte ein besonderes gerichtliches Verfahren vorgesehen,
in dem auf Antrag Alttitel auf das neue Recht umgestellt werden konnten.
Die Unterhaltsleistung konnte für die jeweiligen Altersstufen in Prozentsätze
entsprechend der Regelbetragsverordnung umgerechnet werden. Die Alttitel
konnten dabei nicht nur hinsichtlich der Dynamisierung, sondern auch bezüglich
der Laufzeit dem neuen Recht angepasst werden (vgl. OLG Stuttgart, FamRZ
1999, 659).
Daraus folgt, dass ohne die Durchführung dieses Verfahrens Alttitel nicht
so behandelt werden können, als wären sie auf der Grundlage des neuen
Rechts ergangen.
Der Gläubiger hat einen entsprechenden Antrag nicht gestellt. Der Beschluss
vom 11. Juni 1996 ist deshalb weder hinsichtlich der Dynamisierung
noch hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung an das neue Recht angepasst worden.
Er ist kein tauglicher Vollstreckungstitel mehr. Für die Anwendung des
§ 798 a ZPO ist kein Raum.
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