Streitwert von Mieters Störungsbeseitigungsklage (lärmender Mitmieter)
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
02. 11. 2005
Aktenzeichen
XII ZR 137/05
Zum Streitwert einer vom Mieter erhobenen Klage, mit der ein Vermieter zur Kündigung des Mietverhältnisses mit einem störenden Mitmieter verpflichtet werden soll.
Zur Identität des Streitgegenstandes bei einer Klage auf Zahlung von Mietzins und einer Widerklage auf Feststellung des Nichtbestehens des Mietverhältnisses (Anschluss an Senatsbeschluss vom 17. März 2004 - XII ZR 162/00 - NZM 2004, 423).
Gründe:
I.
Die Parteien streiten über wechselseitige Ansprüche aus einem im Jahre
2000 abgeschlossenen Mietvertrag über Geschäftsräume zum Betrieb einer
Anwaltskanzlei, der von beiden Parteien erstmals zum 15. Januar 2006 gekündigt
werden konnte. Zusätzlich bestand zwischen den Parteien ein Mietvertrag
über zwei Pkw-Stellplätze.
Im Mai 2003 vermietete die Klägerin andere Räume in dem gleichen
Mietobjekt an einen privaten Schulträger, der in diesen Räumen Umschulungen
und Weiterbildungen durchführte. Seit Juli 2003 minderte der Beklagte die monatliche
Miete um 50 % mit der Begründung, dass von dem Schulbetrieb unzumutbare
Störungen ausgingen und sprach am 1. September 2003 die fristlose
Kündigung aus. Die Klägerin hat mit der Klage gegen den in den Mieträumen
verbliebenen Beklagten Mietrückstände für den Zeitraum von Juli 2003 bis Januar
2004 in bezifferter Höhe von 14.914,62 € geltend gemacht. Der Beklagte
hat demgegenüber im Wege der Widerklage mit dem Hauptantrag die Feststel-
lung beantragt, dass das Mietverhältnis durch die fristlose Kündigung vom
1. September 2003 beendet worden sei und mit einem Hilfsantrag begehrt, die
Klägerin zu verurteilen, den Mietvertrag mit dem Schulträger zu beenden und
die Schule aus dem Besitz der von ihnen gemieteten Räume zu setzen. Der
Klage ist in beiden Vorinstanzen stattgegeben, die Widerklage in vollem Umfange
abgewiesen worden.
II.
Der Gebührenstreitwert für das Verfahren über die Nichtzulassungsbeschwerde
bemisst sich gemäß § 47 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 3 GKG nach dem
Wert der vollen Beschwer des Beklagten.
1. Der Wert des Zahlungsantrages aus der Klage beträgt 14.914,62 €. 4
2. Der Wert des mit der Widerklage geltend gemachten Feststellungsantrages
über die Beendigung des Mietverhältnisses durch die fristlose Kündigung
vom 1. September 2003 beurteilt sich nach § 41 Abs. 1 GKG.
a) Hiernach ist der Betrag des auf die streitige Zeit entfallenden Entgelts
maßgeblich, wenn nicht das einjährige Entgelt geringer ist. Bei einer Klage auf
Feststellung, dass die zu einem bestimmten Termin ausgesprochene fristlose
Kündigung durchgreift, kommt es für den Beginn der streitigen Zeit auf den Zeitpunkt
der fristlosen Kündigung an, und zwar auch dann, wenn er vor der
Rechtshängigkeit des Feststellungsantrages liegt (BGH Urteil vom 13. Mai 1958
- VIII ZR 16/58 - NJW 1958, 1291; BGH Urteil vom 17. März 2005 - III ZR
342/04 - NJW-RR 2005, 867, 868; Stein/Jonas/Roth, ZPO, 22. Aufl., § 8
Rdn. 16; MünchKommZPO/Schwerdtfeger, 2. Aufl. § 8 Rdn. 17, jeweils zu § 8
ZPO).
Da der Mietvertrag über die Kanzleiräume im vorliegenden Fall erst zum
Januar 2006 durch ordentliche Kündigung hätte beendet werden können, beträgt
die streitige Zeit mehr als ein Jahr, so dass das einjährige Entgelt anzusetzen
ist. Dies gilt im Ergebnis auch für den Mietvertrag über die beiden Pkw-
Stellplätze, obwohl dieser Mietvertrag auf den Schluss des folgenden Kalendervierteljahres
ordentlich gekündigt werden konnte. Zwar gilt in diesen Fällen der
Grundsatz, dass bei einer Klage auf Feststellung der Wirksamkeit einer fristlosen
Kündigung auf den Zeitpunkt abzustellen ist, an dem diese als ordentliche
Kündigung hätte wirksam werden können (Stein/Jonas/Roth, aaO, Rdn. 17).
Allerdings ist auch in diesen Fällen auf das einjährige Entgelt abzustellen, wenn
der Mieter - wie im vorliegenden Fall - nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist
die Mietsache tatsächlich nicht zurückgibt (vgl. auch OLG Köln
Jur/Büro 1990, 646; Stein/Jonas/Roth aaO, Rdn. 25).
b) Bei der Bemessung der Entgelthöhe bleiben die als Vorauszahlung zu
leistenden Abschläge auf die Betriebskosten hier außer Betracht (§ 41 Abs. 1
Satz 2 GKG), dafür ist die auf die Miete zu zahlende Mehrwertsteuer zu berücksichtigen
(KG Grundeigentum 2005, 916).
Vom Entgeltbegriff des § 41 GKG werden grundsätzlich alle Leistungen
umfasst, die der Mieter, Pächter oder Nutzer von Gesetzes wegen oder aufgrund
vertraglicher Vereinbarung für die Gebrauchsüberlassung zu erbringen
hat (BT-Drucks. 15/1971, S. 154; Meyer, GKG, 6. Aufl., § 41 Rdn. 14). Ist der
Mieter vertraglich zur Zahlung von Mehrwertsteuer verpflichtet worden, ist der
Mehrwertsteueranteil nach allgemeiner Ansicht als unselbständiger Teil des als
Gegenleistung für die Gebrauchsgewährung zu zahlenden Entgelts anzusehen
(BGH Urteil vom 10. Oktober 2003 - V ZR 39/02 - NZM 2004, 156 m.w.N.).
Der Wert des Feststellungsantrages beträgt daher 46.599,72 € (= 12 x
3.883,31 €).
3. Der Hilfsantrag des Beklagten, die Klägerin zur Beendigung des Mietverhältnisses
mit dem Schulträger zu verpflichten, ist in entsprechender Anwendung
des § 41 Abs. 5 Satz 1, 2. Halbs. GKG mit 25.567,92 € zu bewerten.
12 Für die auf Durchführung von Instandsetzungsmaßnahmen gerichtete
Klage des Mieters enthält der im Zuge des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes
in das Gesetz eingefügte § 41 Abs. 5 Satz 1, 2. Halbs. GKG eine besondere
Wertvorschrift, die auf den Jahresbetrag einer angemessenen Mietminderung
abstellt.
Diese Vorschrift gilt - ebenso wie die gleichfalls neu eingeführte Wertvorschrift
für die Klage des Vermieters auf Duldung von Modernisierungs- und Erhaltungsmaßnahmen
(§ 41 Abs. 5 Satz 1 3. Halbs. GKG) - auch für die Geschäftsraummiete;
weder aus dem Gesetzeswortlaut noch aus der Begründung
des Gesetzes lässt sich eine Beschränkung auf die Wohnraummiete herleiten.
Zwar ist nach der Begründung des Gesetzentwurfes die Neufassung des § 41
Abs. 5 GKG zuvorderst dadurch motiviert worden, dass es auf der Grundlage
von Wohnraummietverhältnissen nicht selten zu Klagen des Mieters auf Instandsetzung
seiner Mieträume oder des Vermieters auf Duldung der Durchführung
von Modernisierungs- oder Erhaltungsmaßnahmen gekommen sei, bei
denen die Bemessung des Streitwertes seit langer Zeit in der gerichtlichen Praxis
zu Streit geführt habe. Maßgebend für die Neufassung des § 41 Abs. 5 GKG
seien sozialpolitische Erwägungen, wie sie in vergleichbarer Weise schon im
alten Recht insbesondere in § 16 Abs. 1 und Abs. 2 GKG a.F. Ausdruck gefunden
hätten (BT-Drucks. aaO, S. 154 f.). Diese Vorschriften gelten indes auch für
die Geschäftsraummiete; auch im Weiteren lässt sich aus der Begründung
nichts dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber eine Regelung nur für den Bereich
der Wohnraummiete vornehmen wollte.
14 Durch die Neufassung des Gesetzes soll in erster Linie vermieden werden,
dass eine Festsetzung des Streitwertes nach den Kosten einer Instandsetzungsmaßnahme
erfolgt (BT-Drucks. aaO, S. 155). Es liegt wegen der vergleichbaren
Interessenlage nahe, § 41 Abs. 5 Satz 1 2. Halbs. GKG entsprechend
auch auf andere Sachverhalte anzuwenden, in denen der Mieter im Wege
der Mangelbeseitigung von dem Vermieter eine ungestörte Gewährung des
Mietgebrauches verlangt. Der mögliche Anspruch des Mieters gegen seinen
Vermieter, einem anderen Mieter zu kündigen, wenn nur dadurch die von diesem
Mitbewohner ausgehenden Störungen abgestellt werden können, stellt
sich als ein solcher Anspruch auf Wiederherstellung des vertragsgemäßen Zustandes
(§ 535 Abs. 1 Satz 2 BGB) und damit als Maßnahme zur Beseitigung
eines Sachmangels dar (Schmidt-Futterer/Eisenschmid, Mietrecht, 8. Aufl.,
§ 536 BGB, Rdn. 96). Es kann hier deshalb der Jahresbetrag einer angemessenen
Mietminderung angesetzt werden, die in Ermangelung anderer Anhaltspunkte
nach § 287 ZPO zu schätzen ist. Macht der Mieter wegen des Sachmangels,
dessen Beseitigung er von dem Vermieter begehrt, bereits eine Mietminderung
geltend, so ist in der Regel dieser Betrag maßgeblich. Da der Beklagte
im vorliegenden Fall die Miete seit Juli 2003 um monatlich 2.130,66 €
kürzt, ergibt sich ein Jahresbetrag von 25.567,92 €.
4. Die Einzelwerte sind gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, § 5 ZPO zu addieren,
soweit sich nicht aus § 45 Abs. 1 GKG etwas anderes ergibt.
a) Das Berufungsgericht hat in der Sache sowohl über den Hauptantrag
als auch über den Hilfsantrag der Widerklage entschieden. Der Wert des Hilfsantrages
wird daher gemäß § 45 Abs. 1 Satz 2 GKG mit dem Wert des Haupt-
antrages zusammengerechnet, wenn nicht beide Ansprüche denselben Gegenstand
betreffen (§ 45 Abs. 1 Satz 3 GKG). Im letzteren Falle soll es den
Prozessparteien gebührenrechtlich zugute kommen, dass das Gericht zwar über
mehrere Anträge entscheiden muss, sich dafür aber im Wesentlichen auf
die Beurteilung des gleichen Streitstoffes beschränken kann und dadurch Arbeitsaufwand
erspart wird. Nach diesem Maßstab betreffen der auf Feststellung
der Wirksamkeit der fristlosen Kündigung gerichteten Hauptantrag und der auf
Mangelbeseitigung gerichteten Hilfsantrag den gleichen Gegenstand. Denn in
beiden Fällen hängt die Entscheidung maßgeblich von der Beurteilung der Frage
ab, ob in dem Schulbetrieb des Mitmieters ein Sachmangel der von dem Beklagten
gemieteten Räume zu sehen ist. Der Senat hat bereits ausgesprochen,
dass eine Identität des Streitgegenstandes im Sinne von § 45 Abs. 1 Satz 3
GKG vorliegt, wenn sich der Mieter auf der Grundlage des gleichen streitigen
Mangels verschiedener Gewährleistungsansprüche - Minderung und Schadenersatz
- berühmt (Senatsbeschluss vom 17. März 2004 - XII ZR 162/00 - NZM
2004, 423). Nichts anderes gilt unter den hier obwaltenden Umständen, in denen
der Mieter wegen des gleichen Mangels die Berechtigung anderer mietrechtlicher
Ansprüche - Erfüllung und Recht zur fristlosen Kündigung - zur gerichtlichen
Überprüfung stellt. Maßgebend ist daher nur der höhere Wert des
auf Beendigung des Mietverhältnisses gerichteten Feststellungsantrages.
b) Auch zwischen dem Antrag des Beklagten, die Beendigung des Mietverhältnisses
durch die fristlose Kündigung vom 1. September 2003 festzustellen
und dem Antrag der Klägerin auf Zahlung rückständiger Miete für den Zeitraum
September 2003 bis Januar 2004 besteht eine (Teil-)Identität des Streitgegenstandes
(§ 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 GKG).
Es besteht der allgemeine Grundsatz, dass Nämlichkeit des Streitgegenstandes
anzunehmen ist, wenn eine Klage auf vertragliche Leistung mit ei-
ner Widerklage zusammentrifft, mit der diese vertragliche Verpflichtung geleugnet
werden soll (vgl. BGH Beschluss vom 30. Januar 1992 - IX ZR 222/91 -
NJW-RR 1992, 1404; OLG Koblenz VersR 1996, 521; Hartmann, Kostengesetze,
35. Aufl., § 45 GKG, Rdn. 15; Oestreich/Winter/Hellstab, Kommentar zum
GKG, Bd. II 7.0 Stichwort 'Widerklage', S. 276). Daraus wird hergeleitet, dass
der Streitgegenstand einer Klage auf Zahlung von Mietzins und einer Widerklage
auf Feststellung des Nichtbestehens des die Zahlungsansprüche begründenden
Mietvertrages identisch sind (OLG Braunschweig MDR 1975, 848, Hartmann
aaO; Meyer aaO, § 45 Rdn. 13; vgl. auch Senatsbeschluss vom 17. März
2004 aaO), wenn und soweit die streitigen Zeiträume sich überschneiden. Dies
ist unter den hier obwaltenden Umständen für den Zeitraum von September
2003 bis Januar 2004 der Fall, so dass der geringere Wert des klägerischen
Zahlungsantrages mit einem Teilbetrag von 10.653,30 € (2.130,66 € x 5 Monate)
außer Betracht bleibt.
Da der Wert des Zahlungsantrages aus diesem Grunde nur noch mit
4.261,32 € ins Gewicht fällt, beträgt der Streitwert insgesamt 50.861,04 €
(4.261,32 € + 46.599,72 €).
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