Suizidgefahr wegen Zwangsversteigerung - Vollstreckungsschutz
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss
Datum
24. 11. 2005
Aktenzeichen
V ZB 99/05
Die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung des Schuldners wegen der Zwangsversteigerung seines Grundstücks kann zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses und zur einstweiligen Einstellung des Verfahrens auch dann führen, wenn sie sich erst nach Verkündung des Zuschlagsbeschlusses aufgrund während des Beschwerdeverfahrens zu Tage getretener neuer Umstände ergibt (Abgrenzung zu BGHZ 44, 138).
Auf die Rechtsbeschwerde der Schuldner wird der Beschluss der 3. Zivilkammer des Landgerichts Landshut vom 2. Mai 2005 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Beschwerdegericht zurückverwiesen. Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens wird auf 12.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Gläubigerin betreibt die Zwangsversteigerung in das eingangs bezeichnete
Grundstück der Schuldner. Diese haben unter Hinweis auf bestehende
Suizidabsichten für den Fall der Zwangsversteigerung und unter Vorlage
eines ärztlichen Gutachtens beantragt, das Zwangsversteigerungsverfahren
gemäß § 765a ZPO einstweilen, mindestens für einen Zeitraum von sechs Monaten
einzustellen. Das Vollstreckungsgericht hat im Anschluss an den Versteigerungstermin,
in dem Termin zur Verkündung einer Entscheidung über den
Zuschlag bestimmt wurde, ein psychiatrisches Gutachten zur Frage der Suizidgefährdung
eingeholt. Sodann hat es in dem Verkündungstermin der Meistbietenden
für 154.510 € den Zuschlag erteilt und den Antrag der Schuldner auf
Einstellung des Verfahrens unter Hinweis auf die Ausführungen des Sachverständigen
zurückgewiesen. Hiergegen haben die Schuldner sofortige Beschwerde
eingelegt. Das Beschwerdegericht hat diese nach weiterer Beweiserhebung
zurückgewiesen und die Rechtsbeschwerde zugelassen. Mit dieser verfolgen
die Schuldner ihren Antrag auf einstweilige Einstellung der Zwangsversteigerung
weiter.
II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO zulässige Rechtsbeschwerde
führt zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung
der Sache an das Beschwerdegericht.
1. Das Beschwerdegericht führt aus:
Für die Anfechtung der Zuschlagsentscheidung sei anerkannt, dass
bei der Beschwerdeentscheidung abweichend von § 570 ZPO neues tatsächliches
Vorbringen nicht berücksichtigt werden könne. Aus § 100 ZVG ergebe
sich, dass die einem Zuschlag entgegenstehenden Tatsachen, die zeitlich
nach der Erteilung des Zuschlags eingetreten oder dem Versteigerungsgericht
bekannt geworden seien, bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde
unberücksichtigt bleiben müssten. Dies gelte auch für die Beurteilung
der Voraussetzungen des § 765a ZPO im Rahmen der Zuschlagsentscheidung
des Versteigerungsgerichts. Das Beschwerdegericht müsse
sich folglich auf diejenigen Tatsachen beschränken, die bereits das Versteigerungsgericht
bei der Erteilung des Zuschlags habe berücksichtigen
können.
Das Versteigerungsgericht habe aufgrund der von ihm eingeholten
psychiatrischen Gutachten von einer Besserung des psychischen Zustandes
des Schuldners und dem Vorliegen einer nur noch leichten bis mittelschweren
depressiven Störung ohne akute Suizidalität ausgehen dürfen und müssen.
Der gerichtliche Sachverständige habe eine Verbesserung des psychischen
Zustandes des Schuldners festgestellt, so dass die Ausführungen
des behandelnden Arztes Professor Dr. Dr. S. in seinem früheren fachärztlichen
Gutachten, bei dem Schuldner liege eine schwere reaktive Depression
mit Suizidgefahr vor, als überholt habe erscheinen dürfen.
Demgegenüber sei die Feststellung in den von dem Beschwerdegericht
eingeholten Gutachten, dass sich der psychische Zustand des Schuldners
verschlechtert habe und nunmehr eine schwere depressive Anpassungsstörung
vorliege, die mit hoher Wahrscheinlichkeit bei letztlicher Zuschlagserteilung
eine akute Suizidalität erwarten lasse, eine neue Tatsache,
die nicht mehr zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses führen könne. Aus
diesen beiden Gutachten gehe deutlich hervor, dass der Zustand der schweren
Depression erst einige Zeit nach dem Zuschlagsbeschluss eingetreten
sei, was sich insbesondere aus den Äußerungen des Schuldners gegenüber
der Diplompsychologin H. ergebe. Der mit der Zustellung des vorliegenden
Beschlusses drohenden Kurzschlussreaktion durch den Schuldner könne
folglich nicht mit den Mitteln des Zwangsversteigerungsrechtes, sondern nur
mit den Mitteln des Bayerischen Unterbringungsgesetzes Rechnung getragen
werden.
2. Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
a) Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluss vom 4. Mai 2005 (I ZB
10/05, NJW 2005, 1859, zur Veröffentlichung in BGHZ 163, 66 bestimmt) entschieden,
nach welchen Maßstäben bei bestehender Suizidgefahr im Falle ei-
ner Zwangsräumung über den Einstellungsantrag eines Schuldners nach
§ 765a ZPO zu befinden ist. Danach schließt eine für den Fall einer Zwangsräumung
bestehende Suizidgefahr eine Räumungsvollstreckung nicht von vornherein
vollständig aus. Vielmehr ist unter Berücksichtigung der in der Zwangsvollstreckung
gewährleisteten Grundrechte eine Würdigung aller Umstände vorzunehmen.
Diese kann in besonders gelagerten Einzelfällen auch dazu führen,
dass die Vollstreckung für einen längeren Zeitraum und - in absoluten Ausnahmefällen
- auf unbestimmte Zeit einzustellen ist.
Selbst dann, wenn mit einer Zwangsvollstreckung eine konkrete Gefahr
für Leben und Gesundheit des Schuldners oder eines nahen Angehörigen verbunden
ist, kann eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung nicht ohne weiteres
einstweilen eingestellt werden. Erforderlich ist stets die Abwägung der - in solchen
Fällen ganz besonders gewichtigen - Interessen der Betroffenen mit den
Vollstreckungsinteressen des Gläubigers. Auch dieser kann sich auf Grundrechte
berufen. Unterbleibt die Räumungsvollstreckung wegen der Annahme einer
Suizidgefahr, die auch bei sorgfältiger fachlicher Prüfung nur auf der Beurteilung
von Wahrscheinlichkeiten beruhen kann, wird in das Grundrecht des Gläubigers
auf Schutz seines Eigentums (Art. 14 Abs. 1 GG) eingegriffen und sein verfassungsrechtlicher
Anspruch auf tatsächlich wirksamen Rechtsschutz seines Eigentums
(Art. 19 Abs. 4 GG) beeinträchtigt.
Es ist deshalb auch dann, wenn bei einer Räumungsvollstreckung eine
konkrete Suizidgefahr für einen Betroffenen besteht, sorgfältig zu prüfen, ob
dieser Gefahr nicht auch auf andere Weise als durch Einstellung der Zwangsvollstreckung
wirksam begegnet werden kann. Mögliche Maßnahmen betreffen
die Art und Weise, wie die Zwangsvollstreckung durchgeführt wird, aber auch
die Ingewahrsamnahme des Suizidgefährdeten nach polizeirechtlichen Vorschriften
oder dessen Unterbringung nach den einschlägigen Landesgesetzen.
Nicht zuletzt ist aber auch der Gefährdete selbst gehalten, das ihm Zumutbare
zu tun, um die Risiken, die für ihn im Fall der Vollstreckung bestehen, zu verringern.
Einem Schuldner kann dementsprechend, wenn er dazu in der Lage ist,
zugemutet werden, fachliche Hilfe - gegebenenfalls auch durch einen stationären
Aufenthalt in einer Klinik - in Anspruch zu nehmen, um die Selbsttötungsgefahr
auszuschließen oder zu verringern.
Dies entspricht den verfassungsrechtlichen Maßstäben für eine Zwangsräumung
in Fällen bestehender Suizidgefahr, die auch gelten, soweit es darum
geht, ob ein Zwangsversteigerungsverfahren wegen der bei endgültiger Zuschlagserteilung
und Zwangsräumung des Grundstücks drohenden Gefahr der
Selbsttötung des Schuldners einstweilen einzustellen ist (vgl. BVerfGE 52, 214;
BVerfG, NJW 1991, 3207; 1992, 1378; 1994, 1272; 1719; 1998, 295; 2004, 49;
NJW-RR 2001, 1523; NZM 2005, 657).
b) Den dargelegten Maßstäben wird der angefochtene Beschluss nicht in
vollem Umfang gerecht.
aa) Rechtlich nicht zu beanstanden ist allerdings, dass das Beschwerdegericht
das Beweisergebnis tatrichterlich dahin würdigt, bei Erteilung des Zuschlags
habe eine akute Gefahr der Selbsttötung nicht bestanden. Entgegen
der in der Rechtsbeschwerdebegründung vertretenen Auffassung lässt die Gesamtwürdigung
der Vorinstanzen auch unter verfassungsrechtlichen Maßstäben
keinen Rechtsfehler erkennen. Sie setzt sich nach sachverständiger Beratung
ausführlich mit den für und gegen eine akute Suizidgefahr sprechenden Umständen
auseinander und lässt insbesondere nicht außer Acht, dass der behandelnde
Arzt in dem mit dem Einstellungsantrag vorgelegten Gutachten eine
Suizidgefahr bejaht hat. Das Beschwerdegericht stützt sich für seine Würdigung
maßgeblich auch auf die zeitliche Entwicklung des Befindens der Schuldner und
hält im Hinblick darauf die Ausführungen in dem älteren Gutachten des behandelnden
Arztes für überholt. Darin kann ein Rechtsfehler nicht gesehen werden.
Die in der Rechtsbeschwerdebegründung wieder aufgegriffene Beanstandung,
der gerichtliche Sachverständige habe sich ausschließlich auf die
„Hamilton-Depressions-Skala“ gestützt, hat das Beschwerdegericht nicht als
durchgreifend angesehen. Das ist nicht zu beanstanden, nachdem der gerichtliche
Sachverständige in seiner von dem Beschwerdegericht eingeholten ergänzenden
Erklärung dazu ebenso Stellung genommen hatte wie zu der mit der
Beschwerde eingereichten Äußerung des behandelnden Arztes, er halte die
Feststellungen des gerichtlichen Sachverständigen zur Schwere der Erkrankung
für unhaltbar.
Die Rechtsbeschwerde vermag deshalb auch nicht ausreichend darzulegen,
dass ein weiteres Gutachten zwingend einzuholen war (§ 412 ZPO). In
Anbetracht der noch im Beschwerdeverfahren eingeholten gutachterlichen Stellungnahmen
und ihrer Würdigung durch das Beschwerdegericht durfte es die
Frage, ob im Zeitpunkt der Zuschlagserteilung eine Selbsttötungsgefahr bestand,
für ausreichend geklärt halten. Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus
den Darlegungen der Rechtsbeschwerde zum unterschiedlichen Untersuchungsumfang
der Sachverständigen. Diese musste das Beschwerdegericht
angesichts der von ihm angenommenen Besserung des Gesundheitszustandes
des Schuldners nicht für wesentlich halten. Dass es den Vortrag der Schuldner
zu diesem Gesichtspunkt nicht übersehen hat, ergibt sich aus der Sachverhaltsdarstellung
der angefochtenen Entscheidung.
bb) Nicht gefolgt werden kann dem Beschwerdegericht aber, soweit es
das Ergebnis der von ihm selbst veranlassten Zusatzgutachten der Diplompsychologin
H. und des gerichtlichen Sachverständigen unbeachtet lassen will, sofern
sich daraus ergibt, dass eine akute Selbsttötungsgefahr deshalb besteht,
weil sich der Zustand des Schuldners nach der Zuschlagsentscheidung verschlechtert
hat.
(1) Zwar kann die Zuschlagsbeschwerde, auch soweit der Zuschlagsbeschluss
einen Antrag nach § 765a ZPO zurückweist, nicht auf neue Tatsachen
gestützt werden (Senatsurt., BGHZ 44, 138, 143 f.). Der Senat hat dies seinerzeit
wie folgt begründet: Nach § 100 ZVG kann die Zuschlagsbeschwerde nur
auf bestimmte, vor der Erteilung des Zuschlags liegende Rechtsmängel gestützt
werden. Daraus ergibt sich, dass die die Rechtsmängel begründenden Tatsachen,
die zeitlich später liegen oder erst später dem Versteigerungsgericht bekannt
geworden sind, bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde unberücksichtigt
bleiben müssen und deshalb bei der Entscheidung über die Zuschlagsbeschwerde
die Anwendung der Vorschrift des § 571 Abs. 2 ZPO (damals
§ 570 ZPO a.F.) ausgeschlossen ist. Diese strenge Regelung des Gesetzes
hat ihren Grund darin, dass schon durch die Erteilung des Zuschlags, der
mit der Verkündung wirksam ist (§ 89 ZVG), der Ersteher das Eigentum erworben
hat (§ 90 Abs. 1 ZVG). Der Zuschlagsbeschluss kann zwar im Beschwerdeweg
rechtskräftig wieder aufgehoben werden (§ 90 Abs. 1 ZVG). Die Rechtssicherheit
erfordert es aber, dass dies nur in ganz bestimmten Fällen, nämlich
nur in den in § 100 ZVG aufgeführten, geschieht, in denen dem Versteigerungsgericht
ein wesentlicher Rechtsfehler unterlaufen ist.
Daran ist im Grundsatz festzuhalten. Ob es bei Grundrechtsbeeinträchtigungen
generell einer abweichenden Betrachtung bedarf, weil es mit dem
Grundsatz effektiven Rechtsschutzes unvereinbar ist, wenn der Zuschlagsbeschluss
nicht in jeder Richtung auf seine Verfassungsmäßigkeit durch die Gerichte
geprüft wird und der Betroffene mit späterem Vorbringen ausgeschlossen
wird (vgl. die abweichende Meinung des Richters Dr. Böhmer zur Begründung
des Beschlusses BVerfGE 49, 220 ff., S. 240 ff.; anders BVerfG, Beschluss
vom 9. Juli 1993, 2 BvR 1171/92, dokumentiert bei JURIS), kann hier dahin
stehen. Jedenfalls ist dem Bedeutungsgehalt des Art. 2 Abs. 2 GG bei der Auslegung
und Anwendung der Verfahrensvorschriften angemessen Rechnung zu
tragen. Die Vollstreckungsgerichte haben in ihrer Verfahrensgestaltung die erforderlichen
Vorkehrungen zu treffen, um Verfassungsverletzungen durch
Zwangsvollstreckungsmaßnahmen tunlichst auszuschließen. Das Verfahren der
Vollstreckungsgerichte ist so durchzuführen, dass den verfassungsrechtlichen
Schutzpflichten Genüge getan wird (vgl. BVerfGE 52, 214, 219 ff.; BVerfG, NJW
1991, 3207; 1994, 1719 f.; 1998, 295, 296; NJW-RR 2001, 1523; NZM 2005,
657, 658).
(2) Nach diesem Maßstab darf eine im Zuschlagsbeschwerdeverfahren
vorgetragene oder sogar schon durch Gutachten als bewiesen anzusehende
Suizidgefahr jedenfalls bei der vorliegenden Fallgestaltung nicht unter Hinweis
auf die dargestellten Grundsätze des Senatsurteils (BGHZ 44, 138) außer Betracht
gelassen werden, sofern der Eigentumsverlust durch den Zuschlag der
für die Suizidgefahr maßgebliche Grund ist.
Gemäß § 100 Abs. 1, Abs. 3 ZVG besteht ein von Amts wegen zu berücksichtigender
Versagensgrund unter anderem dann, wenn die Zwangsversteigerung
oder die Fortsetzung des Verfahrens aus einem sonstigen Grund
unzulässig ist (§ 83 Nr. 6 ZVG). Eine Gefährdung des unter dem Schutz des
Art. 2 Abs. 2 GG stehenden Lebens des Schuldners ist ein solcher Grund. Unerheblich
ist dabei, ob die Suizidgefahr nur bei einem von mehreren Schuldnern
besteht, wenn - wie hier - die Zwangsversteigerung nur insgesamt durchgeführt
werden kann und der gefährdete Schuldner von einer späteren Zwangsräumung
jedenfalls mit betroffen wird.
Fälle der vorliegenden Art sind vielfach dadurch geprägt, dass bei entsprechender
Veranlagung des Schuldners eine Suizidneigung in unterschiedlichen
Verfahrensabschnitten mehr oder weniger stark ausgeprägt ist. Der Streitfall
macht deutlich, dass es sich um ein dynamisches Geschehen handelt, bei
dem der Grad der Gefahr je nach dem Untersuchungs- und Beurteilungszeit-
punkt von den Fachärzten unterschiedlich bewertet wird. Dabei mag es sein,
dass - wie es das Beschwerdegericht im Streitfall annimmt - eine bereits bestehende
Neigung des Schuldners zur Selbsttötung erst nach Erteilung des Zuschlags
durch weitere Ereignisse verstärkt wird. Stellt man sich auf den Standpunkt
des Beschwerdegerichts, wird es vielfach vom Zufall, nämlich der von
zeitlich begrenzten Umständen geprägten Einschätzung der Sachverständigen
und Gerichte abhängen, ob der Schuldner durch eine staatliche Entscheidung
in Todesgefahr gebracht wird oder nicht.
(3) Bei Fallgestaltungen der vorliegenden Art ist danach vorrangig festzustellen,
aus welchem Grund die Absicht zur Selbsttötung besteht.
Liegt der Grund lediglich darin, dass der gefährdete Schuldner die nach
dem Zuschlag drohende Zwangsräumung, also den Verlust seines bisherigen
Lebensmittelpunktes fürchtet, reicht es aus, dass der Suizidgefahr durch einen
Antrag auf einstweilige Einstellung der dem Versteigerungsverfahren folgenden
Räumungsvollstreckung begegnet werden kann. In diesem Fall dürfen erst im
Verfahren der Zuschlagsbeschwerde zu Tage getretene neue Umstände unberücksichtigt
bleiben und müssen nicht zur Aufhebung des Zuschlagsbeschlusses
führen. Allerdings ist stets zu prüfen, ob es sich bei der im Zeitpunkt der
Beschwerdeentscheidung bestehenden Suizidgefahr überhaupt um einen neuen
Sachverhalt handelt, wobei ein enger Maßstab anzulegen ist. Bei einem dynamischen
Geschehen wird vielfach davon auszugehen sein, dass die Einschätzung
des Vollstreckungsgerichts bei der Zuschlagserteilung, es liege keine
akute Suizidgefahr vor, bei objektiver, durch die neue Begutachtung gestützter
Betrachtung als unrichtig anzusehen ist.
Besteht indes die Suizidgefahr schon deshalb, weil der Schuldner den
Eigentumsverlust durch Zuschlagserteilung befürchtet, oder ist dies zumindest
nicht auszuschließen, ist der Zuschlagsbeschluss nötigenfalls aufzuheben. Bei
dieser Sachlage ist es, selbst dann, wenn die Suizidgefahr als neuer Umstand,
den das Vollstreckungsgericht so noch nicht hat wahrnehmen können, zu bewerten
sein sollte, in keinem Fall gerechtfertigt, dass das Vollstreckungsgericht
(bei der Entscheidung über die Abhilfe) oder das Beschwerdegericht vor der
nunmehr akut bestehenden Gefahr die Augen verschließt und unter Berufung
auf die formale Verfahrensgestaltung sehenden Auges eine Entscheidung bestehen
lässt, die mit einiger Wahrscheinlichkeit Ursache für den Tod des
Schuldners sein kann in der Hoffnung, dass sich die Gefahr anders (etwa nach
den bestehenden Unterbringungsgesetzen) wird abwenden lassen. Eine derartige
Verfahrensgestaltung wird dem Wert des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 2 GG
nicht gerecht. Der für die Rechtsprechung des Senats entscheidende Gesichtspunkt
der Rechtssicherheit steht dem ebenso wenig entgegen wie das Grundrecht
des Gläubigers oder Erstehers aus Art. 14 GG. § 100 ZVG beschränkt
zwar die in Betracht kommenden Zuschlagsversagungsgründe, zeigt aber
zugleich, dass Gläubiger und Ersteher nicht davon ausgehen können, der erteilte
Zuschlag werde unter allen Umständen Bestand haben.
III.
Der angefochtene Beschluss ist demnach aufzuheben. Das Beschwerdegericht
wird über die sofortige Beschwerde und den Einstellungsantrag nach
Maßgabe der vorstehenden Ausführungen erneut zu befinden haben.
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