Wohngeld für Heimbewohner
Gericht
BVerwG
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
29. 09. 2005
Aktenzeichen
5 C 7.03
Die Antragsberechtigung von Heimbewohnern auf Wohngeld setzt keinen Heimvertrag voraus.
Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. März 2003 wird aufgehoben. Ferner werden das Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 3. Juni 2002 und der Bescheid der Beklagten vom 13. Dezember 2001 sowie der Widerspruchsbescheid des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18. Februar 2002 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass dem Beigeladenen für die Zeit seines Aufenthalts in dem von ihm ab dem 5. Juni 2001 bewohnten Heim ab 1. Juli 2001 ein Anspruch auf Wohngeld dem Grunde nach zusteht.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe:
I.
Der Kläger begehrt die Feststellung, dass dem Beigeladenen für die Zeit ab 1. Juli 2001 ein Anspruch auf Wohngeld zusteht.
Der Kläger, ein überörtlicher Sozialhilfeträger, leistete dem Beigeladenen erweiterte Hilfe nach § 43 BSHG durch Übernahme der Kosten im therapeutischen Übergangswohnheim eines Rehabilitationszentrums, in dem der Beigeladene seit dem 5. Juni 2001 untergebracht war. Mit Schreiben vom 6. Juli 2001 und nochmals mit Formularantrag vom 5. November 2001 beantragte der Kläger für den Beigeladenen die Gewährung von Wohngeld als Mietzuschuss und machte gleichzeitig Erstattungsansprüche nach § 104 SGB X in Höhe des zu gewährenden Wohngeldes geltend. Mit Bescheid vom 13. Dezember 2001 lehnte die Beklagte den Antrag ab.
Die nach erfolglosem Widerspruch erhobene Klage mit dem Antrag festzustellen, dass dem Kläger für den Beigeladenen Wohngeld in gesetzlicher Höhe für die Zeit ab dem 1. Juli 2001 zu gewähren sei, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Die Berufung hiergegen hat der Verwaltungsgerichtshof mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen:
Die Beklagte sei nicht dem Grunde nach verpflichtet, für den Beigeladenen in der Zeit vom 1. Juli 2001 bis zum 30. Juni 2002 auf diesen Bewilligungszeitraum beziehe sich der Antrag der Sache nach Wohngeld zu gewähren. Denn dem Beigeladenen fehle die für die Bewilligung von Wohngeld erforderliche Antragsberechtigung, weil er die Voraussetzungen nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG nicht erfülle. Allerdings stehe seiner Antragsberechtigung nicht die Unterbringung in einem als "Übergangswohnheim" bezeichneten Heim entgegen. Denn für die Einstufung einer Einrichtung als Heim komme es nicht auf ihre Bezeichnung, sondern auf ihre objektive Zweckausrichtung an. Entscheidend sei, dass es sich um eine Einrichtung mit einer personellen und sächlichen Ausstattung handele, die auf den jeweiligen Zweck und die konkreten Bedürfnisse des in dem betreffenden Heim lebenden, im Heimgesetz umschriebenen Personenkreises ausgerichtet sei, dass die Bewohner dort entgeltlich aufgenommen würden und dass das Wohnheim in seinem Bestand nicht vom Wechsel und der Zahl der Bewohner abhängig sei. Die Antragsberechtigung des Beigeladenen sei auch nicht wegen einer nur vorübergehenden Unterbringung ausgeschlossen, weil das Tatbestandsmerkmal "vorübergehend" in § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG demjenigen in § 1 Abs. 1a HeimG F. 1997 (vgl. jetzt § 1 Abs. 3 und 4 HeimG F. 2002) entspreche und der Beigeladene in dem Wohnheim zwar nicht auf unbestimmte Zeit, aber nicht nur vorübergehend, sondern auf längere Zeit, nämlich auf die Dauer der Rehabilitations- bzw. Eingliederungsmaßnahme in der Regel (vorbehaltlich Verlängerung) auf maximal zwei Jahre untergebracht sei. Die Antragsberechtigung des Beigeladenen nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG scheitere jedoch daran, dass er in dem Wohnheim was unstreitig sei nicht auf der Grundlage eines Heimvertrages im Sinne von § 4 Abs. 1 HeimG F. 1997 (§ 5 Abs. 1 HeimG F. 2002) untergebracht sei. Dieses Erfordernis ergebe sich aus dem Sinn und Zweck des Wohngeldgesetzes.
Mit seiner Revision gegen das Berufungsurteil begehrt der Kläger weiterhin festzustellen, dass ihm für den Beigeladenen Wohngeld in gesetzlicher Höhe seit 1. Juli 2001 zu gewähren sei. Er rügt die Verletzung von § 3 Abs. 2 Nr. 2 und 5 WoGG.
Die Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.
Der Vertreter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsgericht unterstützt das Berufungsurteil, insbesondere auch in Bezug auf die Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal "nicht nur vorübergehende Unterbringung" in § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG, das durch Gesetz vom 3. Februar 1997 (BGBl I S. 158) eingefügt worden sei. Als Äußerung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen teilt er mit:
Der Begriff "vorübergehend" in § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG sei nicht im Sinne des Heimgesetzes, sondern eigenständig wohngeldrechtlich auszulegen. Die vorübergehende Aufnahme in ein Heim richte sich in erster Linie nach der Dauer der Aufnahme. Da die Rehabilitationsmaßnahme den Zweck verfolge, dem Beigeladenen wieder ein Leben außerhalb des Heimes zu ermöglichen, sei sein Aufenthalt im Wohnheim nicht auf Dauer angelegt und damit nur vorübergehend im Sinne des Wohngeldgesetzes. Das Vorliegen eines schriftlichen Heimvertrages sei Voraussetzung, um einen für eine mögliche Wohngeldleistung ausreichenden Nachweis für die Pflege und die damit notwendig verbundene Unterkunft zu erlangen.
II.
Die Revision, über die das Bundesverwaltungsgericht im Einverständnis der Beteiligten gemäß § 141 Satz 1 i.V.m. § 125 Abs. 1 Satz 1 und § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung entscheiden kann, ist begründet. Das Berufungsurteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).
Zutreffend hat der Verwaltungsgerichtshof allerdings angenommen, dass der Kläger nach § 91a BSHG berechtigt ist, im eigenen Namen die Feststellung zu begehren, dass dem Beigeladenen ein Anspruch auf Wohngeld zustehe. Dies folgt, wie das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden hat (BVerwGE 119, 322 und Urteil vom 7. Juli 2005 BVerwG 5 C 13.03 zur Veröffentlichung in der Entscheidungssammlung bestimmt), daraus, dass Sozialhilfeleistungen nach dem Bundessozialhilfegesetz gegenüber den Leistungen des Wohngeldgesetzes nachrangig sind (vgl. § 2 Abs. 1 BSHG) und der Kläger im Falle des Bestehens des geltend gemachten Wohngeldanspruchs erstattungsberechtigt ist (§ 104 Abs. 1 SGB X, § 26 SGB I).
Ebenfalls zu Recht hat das Berufungsgericht den Anspruch auf Wohngeld für die Zeit vom 1. Juli 2001 bis zum 30. Juni 2002 nach dem Wohngeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 2. Januar 2001 (BGBl I S. 2) beurteilt. Für anschließende Bewilligungszeiträume (§ 27 WoGG) der Kläger begehrt die Feststellung des Anspruchs auf Wohngeld ab 1. Juli 2001 für die Dauer des Aufenthalts des Beigeladenen in dem von diesem ab dem 5. Juni 2001 bewohnten Heim ist das Wohngeldgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 23. Januar 2002 (BGBl I S. 474) anzuwenden.
Die für die Antragsberechtigung nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG relevante Frage, ob das vom Beigeladenen bewohnte Übergangswohnheim des Rehabilitationszentrums entsprechend der Regelung in § 1 Abs. 2 Satz 2 HeimG F. 1997 (entspricht § 1 Abs. 6 Satz 2 HeimG F. 2002) die Kriterien für ein Heim im Sinne des Heimgesetzes erfüllt, hat das Berufungsgericht zwar mit Rücksicht auf seine Rechtsauffassung, dass es für die Antragsberechtigung bereits an einem Heimvertrag fehle, offen gelassen. Die nicht bestrittenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts tragen aber die Bewertung, dass das Übergangswohnheim des Rehabilitationszentrums ein Heim im Sinne des Heimgesetzes ist. Denn aus der vom Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegten und im Übrigen von keinem Beteiligten angegriffenen Zeugenaussage der Verwaltungsleiterin des Rehabilitationszentrums vor dem Verwaltungsgericht ergibt sich, dass das Übergangswohnheim ein Teil des Rehabilitationszentrums ist, dass die Bewohner dort zur Rehabilitation entgeltlich aufgenommen werden und das Wohnheim in seinem Bestand von Wechsel und Zahl der Bewohner unabhängig ist.
Ferner hat das Berufungsgericht zu Recht dahin erkannt, dass die Antragsberechtigung des Beigeladenen nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG nicht wegen einer nur vorübergehenden Heimaufnahme ausgeschlossen ist; denn er war im Heim nicht nur vorübergehend aufgenommen. Dabei bedarf keiner Klärung, ob der Begriff "vorübergehend" in § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG F. 2001 bzw. F. 2002 mit dem Berufungsgericht jeweils abhängig vom Begriff "vorübergehend" in § 1 Abs. 1a HeimG F. 1997 bzw. § 1 Abs. 3 und 4 HeimG F. 2002 zu verstehen oder mit dem Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen wohngeldrechtlich eigenständig auszulegen ist. In beiden Fällen setzt eine nicht nur vorübergehende Aufnahme im Sinne des § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG weder eine auf unbestimmte Zeit noch eine von vornherein auf mehrere Jahre angelegte Heimunterbringung voraus. Auch die Antragsberechtigung eines Mieters von Wohnraum setzt nicht voraus, dass er Wohnraum auf unbestimmte Zeit oder von vornherein auf mehrere Jahre mietet. Für den konkreten Streitfall ist dem Berufungsgericht dahin zu folgen, dass der Beigeladene in dem Wohnheim nicht nur vorübergehend aufgenommen war. Denn nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts war die Unterbringung des Beigeladenen "entsprechend der Dauer der beruflichen Rehabilitationsmaßnahme in der Regel auf maximal zwei Jahre (angelegt), sofern nicht was offenbar vorkommt im Einzelfall die Unterbringung bis zum Abschluss einer Eingliederungsmaßnahme verlängert wird". Dass der Beigeladene auch tatsächlich nicht nur vorübergehend aufgenommen war, ergibt sich auch daraus, dass er das Wohnheim im Zeitpunkt der Entscheidung über den Wohngeldanspruch im Dezember 2001, also bereits seit über sechs Monaten, weiter bewohnte, ohne dass ein konkretes Ende seines Heimaufenthalts absehbar war.
Zu Unrecht verneint das Berufungsgericht jedoch die Antragsberechtigung des Beigeladenen nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG, weil dieser nicht auf der Grundlage eines Heimvertrages im Sinne des § 4 Abs. 1 HeimG F. 1997 (entspricht § 5 Abs. 1 HeimG F. 2002) im Wohnheim untergebracht sei.
§ 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG setzt keinen Heimvertrag voraus. Nach dieser Vorschrift ist für einen Mietzuschuss antragsberechtigt der Bewohner eines Heimes im Sinne des Heimgesetzes, soweit er nicht nur vorübergehend aufgenommen wird. Die Legaldefinition des Begriffs "Heim im Sinne des Heimgesetzes" in § 1 HeimG stellt nicht auf das Vorliegen eines Heimvertrages ab. Zwar verpflichtet § 4 Abs. 1 HeimG F. 1997 (§ 5 Abs. 1 HeimG F. 2002), einen Heimvertrag abzuschließen, wobei, wie die seit 1. Januar 2002 geltende Fassung des § 5 Abs. 9 HeimG zeigt, Leistungen in einem Heim im Sinne des Heimgesetzes nicht nur auf Grund eines Heimvertrages, sondern auch "unmittelbar zu Lasten eines gesetzlichen Leistungsträgers erbracht" werden können. Aus der heimgesetzlichen Verpflichtung, einen Heimvertrag abzuschließen, kann aber nicht geschlossen werden, ein Heimvertrag sei Voraussetzung einer wohngeldrechtlichen Antragsberechtigung. Denn nicht die Eigenschaft eines Heimes im Sinne des Heimgesetzes, auf die § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG abstellt, hängt vom Abschluss eines Heimvertrages ab, sondern umgekehrt setzt die heimgesetzliche Verpflichtung zum Abschluss eines Heimvertrages ein Heim im Sinne des Heimgesetzes voraus. Auch aus dem Begriff "aufgenommen" in § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG folgt nicht, dass ein Heimvertrag bestehen muss. Zwar ist "mit dem Begriff 'aufnehmen' eine gewisse Intensität der Eingliederung des Bewohners in den Organismus 'Heim' verbunden" (so BRDrucks 730/00 S. 37 zum heimgesetzlichen Begriff "aufnehmen"). Doch hängt diese nicht vom Abschluss eines Heimvertrages ab.
Die Auffassung des Berufungsgerichts, für die Antragsberechtigung nach § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG sei ein Heimvertrag erforderlich, lässt sich nicht aus Sinn und Zweck des Wohngeldgesetzes, wie sie in § 1 Abs. 1 WoGG Ausdruck gefunden haben, rechtfertigen. Der Zweck, Wohngeld zur wirtschaftlichen Sicherung angemessenen Wohnens zu leisten, wird auch bei Bewohnern von Heimen im Sinne des Heimgesetzes erfüllt, weil nach § 1 Abs. 1 HeimG nur solche Einrichtungen dazu gehören, die "entgeltlich betrieben werden". In der vom Berufungsgericht für seine Auffassung angeführten Formulierung der Gesetzesmaterialien (BTDrucks 13/2347 S. 6 zu Artikel 4) wird nur in Bezug auf die Dauer der Heimunterbringung die Vergleichbarkeit mit einem Mieter oder Nutzer von Wohnraum angesprochen, ohne dass daraus weitergehend geschlossen werden könnte, dass wohngeldrechtlich nur solche Heimaufenthalte relevant seien, die auf einem Heimvertrag beruhen. Unbehelflich ist auch der Hinweis des Berufungsgerichts auf Anspruchsberechtigte "aus dem Heimvertrag" in 3.23 WoGVwV. Zum einen binden Verwaltungsvorschriften die Gerichte nicht und zum anderen bezieht sich 3.23 WoGVwV erkennbar auf Nutzungsberechtigte im Sinne von § 3 Abs. 2 Nr. 2 WoGG und damit gegebenenfalls auf Personen, die nicht auf Dauer in Heimen im Sinne des Heimgesetzes untergebracht sind (3.23 Abs. 1 Buchstabe f WoGVwV). 3.25 WoGVwV für Bewohner von Heimen im Sinne des Heimgesetzes enthält keinen Hinweis auf das Erfordernis eines Heimvertrages. Während § 5 Abs. 1 WoGG als Miete im Sinne des Wohngeldgesetzes das Entgelt für die Gebrauchsüberlassung von Wohnraum auf Grund von Mietverträgen oder ähnlichen Nutzungsverhältnissen bestimmt, stellt § 5 Abs. 3 Satz 2 WoGG in den Fällen des § 3 Abs. 2 Nr. 5 WoGG für die Miete gerade nicht auf irgendein Entgelt aus einem Heimvertrag ab, sondern schreibt vor, als Miete den Höchstbetrag nach § 8 Abs. 1 WoGG zu Grunde zu legen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Dr. Säcker
Schmidt
Dr. Rothkegel
Dr. Franke
Prof. Dr. Berlit
Beschluss
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Revisionsverfahren auf 1 080 € festgesetzt.
Dr. Säcker Schmidt Dr. Rothkegel
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