Sorgerechtsstreit wegen unterschiedlichen Religionen der Eltern
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
11. 05. 2005
Aktenzeichen
XII ZB 33/04
Zur Frage, inwieweit die Uneinigkeit der Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes die Übertragung der elterlichen Sorge auf einen Elternteil allein rechtfertigt.
Auf die Rechtsbeschwerde des Antragsgegners wird der Beschluß des 2. Zivilsenats - Familiensenat - des Oberlandesgerichts Bamberg vom 14. Januar 2004 aufgehoben.
Die Sache wird zu erneuter Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens - an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Wert: 3.000 €
Gründe:
I.
Die Parteien streiten um die elterliche Sorge für ihren gemeinsamen Sohn Mani Sandro Habib H. , geboren am 12. April 2002.
Die Mutter (Antragstellerin) ist deutsche Staatsangehörige und katholisch; der Vater (Antragsgegner) ist pakistanischer Staatsangehöriger und dem Islam zugehörig. Das Amtsgericht hat durch Verbundurteil vom 17. Juli 2003 die Ehe der Parteien geschieden (insoweit rechtskräftig) und die elterliche Sorge für das Kind der Mutter übertragen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt der Vater sein Begehren, es bei der gemeinsamen Sorge für das Kind zu belassen, weiter.
II.
Das Rechtsmittel hat Erfolg. Es führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Oberlandesgericht.
1. Nach Auffassung des Oberlandesgerichts entspricht die Übertragung des alleinigen Sorgerechts auf die Mutter dem Wohl des Kindes am besten. Das Oberlandesgericht stützt sich dabei auf die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts, die unverändert fortgelten würden. Die Parteien seien heftig zerstritten; eine Kommunikation finde zwischen ihnen nicht mehr statt. Insbesondere seien die Parteien über die religiöse Erziehung des Kindes uneins. Während die Mutter das Kind taufen lassen und im christlich-katholischen Glauben erziehen möchte, wolle der Vater diese Entscheidung zu einem späteren Zeitpunkt dem Kind vorbehalten. Solange könne indes nicht zugewartet werden; denn die Vermittlung einer glaubensmäßigen Grundeinstellung sei eine der grundlegenden Erziehungsaufgaben der Eltern. Ethische Wertvorstellungen trügen wesentlich zur charakterlichen Entwicklung eines Kindes, insbesondere zu seinem Sozialverhalten, bei. Schon dies mache es notwendig, daß das Kind in diesem Bereich eine feste Orientierung erhalte. Deshalb sei es erforderlich, der Mutter das alleinige Sorgerecht zu übertragen, damit sie über die Religionszugehörigkeit des Kindes abschließend entscheiden könne. Insoweit sei zu beachten, daß das Kind Mani in einem christlich geprägten Umfeld aufwachse und auch das Kind aus erster Ehe der Mutter, zu dem Mani aufgrund eines von der Mutter an den Wochenenden ausgeübten Umgangsrechts Kontakt habe, katholisch erzogen werde.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
a) Leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern, wie hier, nicht nur vorübergehend getrennt, ist gemäß § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB einem Elternteil auf seinen Antrag - auch ohne Zustimmung des anderen Elternteils - die elterliche Sorge allein zu übertragen, wenn dies dem Kindeswohl am besten entspricht. Diese Regelung bedeutet nicht, daß dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge ein Vorrang vor der Alleinsorge eines Elternteils eingeräumt wird. Ebensowenig besteht eine gesetzliche Vermutung dafür, daß die gemeinsame Sorge im Zweifel die beste Form der Wahrnehmung der elterlichen Verantwortung ist. Einer solchen Regelung stünde, wie der Senat dargelegt hat, bereits entgegen, daß sich elterliche Gemeinsamkeit in der Realität nicht verordnen läßt (Senatsbeschluß vom 29. September 1999 - XII ZB 3/99 - FamRZ 1999, 1646, 1647). Wenn sich die Eltern bei Fortbestehen der gemeinsamen Sorge fortwährend über die das Kind betreffenden Angelegenheiten streiten, kann dies zu Belastungen führen, die mit dem Wohl des Kindes nicht vereinbar sind. In solchen Fällen, in denen die gemeinsame elterliche Sorge praktisch nicht "funktioniert" und es den Eltern nicht gelingt, zu Entscheidungen im Interesse des Kindes zu gelangen, ist, wie der Senat (aaO) weiter ausgeführt hat, der Alleinsorge eines Elternteils gegenüber dem Fortbestand der gemeinsamen Sorge der Vorzug zu geben. Die Übertragung der Alleinsorge setzt allerdings konkrete tatrichterliche Feststellungen voraus, aus denen sich ergibt, daß diese Voraussetzung vorliegt und die Übertragung der Alleinsorge auf einen Elternteil erfordert. Formelhafte Wendungen, nach denen den Eltern die Kontakt- und Kooperationsbereitschaft fehlt, können das Ergebnis solcher Feststellungen zwar zusammenfassen; sie können aber solche Feststellungen nicht ersetzen. Ebenso wenig entheben sie den Tatrichter der gebotenen Prüfung, ob dem Wohl des Kindes nicht in gleicher oder vergleichbarer Weise auch durch Maßnahmen Rechnung getragen werden kann, die weniger in das Elternrecht einschneiden als der mit der Übertragung der Alleinsorge auf den einen Elternteil einhergehende Entzug des Sorgerechts des anderen Elternteils.
b) Das Oberlandsgericht hat keine konkreten Tatsachen festgestellt, aus denen sich ergibt, daß die Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter im vorliegenden Fall geboten ist.
Der vom Amtsgericht angeführte Umstand, daß die Parteien "tief zerstritten" seien, besagt noch nichts über deren Unfähigkeit, in Angelegenheiten ihres gemeinsamen Kindes zu gemeinsamen kindeswohlverträglichen Lösungen zu gelangen. Die Annahme des Oberlandesgerichts, eine Kommunikation finde zwischen den Parteien (schlechthin) nicht mehr statt, wird durch die vom Oberlandesgericht in Bezug genommenen Feststellungen des Amtsgerichts nicht getragen und auch sonst durch keine konkreten Tatsachen belegt.
Auch die Meinungsverschiedenheit der Eltern über die religiöse Erziehung des Kindes ist - jedenfalls für sich genommen - nicht angetan, die Alleinsorge der Mutter als die für das Kindeswohl beste Lösung erscheinen zu lassen. Zwar ist es eine wichtige Aufgabe der Eltern, ihrem Kind ethische Wertvorstellungen zu vermitteln und es zu einem angemessenen Sozialverhalten zu erziehen. Dies kann, muß aber nicht notwendig durch eine frühzeitige und feste Orientierung in einem bestimmten Glauben oder an einer bestimmten Konfession erfolgen. Zudem könnte dem Anliegen, das Kind - etwa im Hinblick auf seine vom Oberlandesgericht betonte christlich-katholische Umgebung - bereits taufen zu lassen, durch eine Entscheidung nach § 1628 BGB Rechnung getragen werden. Daß der Vater sich darüber hinaus der Integration des Kindes in seine christliche Umgebung widersetzt, ist nicht festgestellt. Das amtsgerichtliche Urteil gibt insoweit nur bestrittene Behauptungen der Mutter wieder. Das gilt auch für das angebliche Verbot des Genusses von Schweinefleisch, das in der angefochtenen Entscheidung als unstreitig behandelt, in dem darin ausdrücklich in Bezug genommenen amtsgerichtlichen Urteil aber als streitig dargestellt wird (vgl. insoweit BGH Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 381/03 - zur Veröffentlichung bestimmt). Im übrigen könnten auch solche weitergehenden ("Alltags-") Probleme, die in der unterschiedlichen religiösen Ausrichtung der Eltern begründet sind, durch eine Teilübertragung des Sorgerechts gelöst werden. Einer generellen Übertragung der Alleinsorge auf die Mutter bedarf es dazu nicht. Der Umstand, daß das Kind der Mutter aus erster Ehe, mit dem die Mutter am Wochenende Umgang hat und das deshalb auch zum Kind Mani Kontakte unterhält, katholisch erzogen wird, rechtfertigt kein anderes Ergebnis.
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