Ausschluss des Versorgungsausgleichs - Begriff der „groben Unbilligkeit“

Gericht

BVerfG


Art der Entscheidung

Beschluss über Verfassungsbeschwerde


Datum

20. 05. 2003


Aktenzeichen

1 BvR 237/97


Leitsatz des Gerichts

Die Härtefallklausel des § 1587c Nr. 1 BGB sanktioniert nicht jegliches eheliches Fehlverhalten durch einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs. Die grobe Unbilligkeit muss sich aus den beiderseitigen Verhältnissen der Eheleute ergeben und bedarf einer Würdigung aller Umstände, die die Verhältnisse prägten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anwendung und Auslegung der Härtefallklausel des § 1587c BGB im Versorgungsausgleich. Die Bf. und ihr Ehemann schlossen am 19. 8. 1958 die Ehe. Aus der Ehe gingen zwei inzwischen erwachsene Kinder hervor. Die Ehe wurde als „Hausfrauenehe“ geführt, die Bf. widmete sich der Erziehung und Betreuung der beiden aus der Ehe hervorgegangenen Kinder. Ihr Ehemann übte den Beruf eines reisenden Textilingenieurs aus. Unstreitig unterhielt die Bf. in der Zeit zwischen 1966 bis 1988 ein intimes Verhältnis mit einem anderen Mann, wovon ihr Ehemann noch während des Bestehens dieser Beziehung erfuhr. Ab dem Frühsommer 1993 nahm sie erneut eine außereheliche Beziehung auf, die letztlich zu der Scheidung von ihrem Ehemann führte. Das AG schied 1995 die Ehe. Zugleich führte es den Versorgungsausgleich zu Lasten des Ehemanns durch. Einen Ausschluss oder eine Herabsetzung des öffentlich-rechtlichen Versorgungsausgleichs nach § 1587c Nr. 1 BGB lehnte das AG in Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ab. Auf die Beschwerde des Ehemanns hin änderte das OLG die Entscheidung des AG ab und schloss den Versorgungsausgleich unter Berufung auf § 1587c Nr. 1 BGB aus. Im Rahmen von § 1587c Nr. 1 BGB sei auch persönliches Fehlverhalten zu beachten, sofern es schuldhaft erfolgt sei und den Ausgleichsverpflichteten in besonderem Maße beeinträchtigt habe.

Hiergegen hat die Bf. fristgemäß beim BVerfG Verfassungsbeschwerde erhoben. Sie rügt die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 I GG. Das BVerfG hat entschieden, dass die Verfassungsbeschwerde offensichtlich begründet ist, weil die Bf. in ihren Grundrechten aus Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG verletzt ist.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen insbesondere der gemeinsamen Berechtigung der Eheleute auch nach Trennung und Scheidung am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl. BVerfGE 53, 257 [293ff.] = NJW 1980, 692) wie auch der Anwendung der Härtefallklausel des § 1587c BGB zur Vermeidung verfassungswidriger Ergebnisse des Versorgungsausgleichs (vgl. BVerfGE 66, 324 [330] = NJW 1984, 2147) hat das BVerfG bereits entschieden.

2. Die angegriffene Entscheidung verletzt das Grundrecht der Bf. aus Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG.

a) Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG schützt die Ehe als eine Lebensgemeinschaft gleichberechtigter Partner (vgl. BVerfGE 10, 59 [66f.] = NJW 1959, 1443; BVerfGE 35, 382 [408] = NJW 1974, 227). Die Ehegatten können ihre persönliche und wirtschaftliche Lebensführung in gemeinsamer Verantwortung bestimmen und dabei insbesondere selbstverantwortlich darüber entscheiden, wie sie untereinander die Familien- und Erwerbsarbeit aufteilen wollen (vgl. BVerfGE 57, 361 [390] = NJW 1981, 1771; BVerfGE 61, 319 [347] = NJW 1983, 271; BVerfGE 66, 84 [94] = NJW 1984, 1523; BVerfGE 68, 256 [268] = NJW 1985, 1211). Dabei sind die jeweiligen Leistungen, die die Ehegatten im Rahmen ihrer innerfamiliären Arbeitsteilung erbringen, als grundsätzlich gleichwertig anzusehen. Haushaltsführung und Kinderbetreuung haben für das gemeinsame Leben der Ehepartner keinen geringeren Wert als das Erwerbseinkommen des berufstätigen Ehegatten (vgl. BVerfGE 66, 324 [330] = NJW 1984, 2147; BVerfG, NJW 2002, 1185 = FPR 2002, 180). Aus Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG folgt in diesem Zusammenhang, dass beide Eheleute gleichermaßen an dem in der Ehe erworbenen Vermögen berechtigt sind (vgl. BVerfGE 53, 257 [296] = NJW 1980, 692). Deshalb dürfen die während der Ehe nach Maßgabe der von den Ehegatten vereinbarten Arbeitsteilung erwirtschafteten Versorgungsanrechte nach der Scheidung gleichmäßig auf beide Partner verteilt werden (vgl. BVerfGE 53, 257 [296] = NJW 1980, 692). Der Versorgungsausgleich dient ebenso wie der Zugewinnausgleich der Aufteilung von gemeinsam erwirtschaftetem Vermögen der Eheleute, welches nur wegen der in der Ehe gewählten Aufgabenverteilung einem der Ehegatten rechtlich zugeordnet war (vgl. BGH, NJW 1990, 2746). Dabei korrespondiert mit der Rechtfertigung des Eingriffs in die durch Art. 14 I GG geschützten Rechtspositionen des ausgleichsverpflichteten Ehegatten durch Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG ein verfassungsrechtlicher Anspruch aus eben diesen Grundrechten auf gleiche Teilhabe am in der Ehe erworbenen Vermögen (vgl. BVerfG, NJW 2002, 1185 = FPR 2002, 180).

In diesem Zusammenhang hat die Härtefallklausel des § 1587c Nr. 1 BGB die Funktion eines Gerechtigkeitskorrektivs. Sie soll als Ausnahmeregelung eine am Gerechtigkeitsgedanken orientierte Entscheidung in solchen Fällen ermöglichen, in denen die schematische Durchführung des Versorgungsausgleichs zur „Prämierung“ einer groben Verletzung der aus der ehelichen Gemeinschaft folgenden Pflichten führen (vgl. BVerfGE 53, 257 [298] = NJW 1980, 692) oder gegen die tragenden Prinzipien des Versorgungsausgleichs verstoßen würde (vgl. BVerfGE 66, 324 [331] = NJW 1984, 2147). Bei der Auslegung des Merkmals der „groben Unbilligkeit“ in § 1587c Nr. 1 BGB ist daher zu beachten, dass es Zweck dieser Vorschrift ist, solche mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundenen Eingriffe in die durch Art. 14 I GG bzw. Art. 33 V GG geschützten Rechte des Ausgleichsverpflichteten zu vermeiden, die nicht mehr durch Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG gerechtfertigt sind. Die Vorschrift kann daher nicht dazu herhalten, jegliches eheliches Fehlverhalten durch einen Ausschluss oder eine Beschränkung des Versorgungsausgleichs zu sanktionieren. Ihre Auslegung hat sich vielmehr an der gesetzgeberischen Zielsetzung des Versorgungsausgleichs insgesamt zu orientieren. Soll die Norm die gleichberechtigte Teilhabe der Eheleute an dem in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen verwirklichen und dem Ehegatten, der insbesondere wegen der Aufteilung der Erwerbs- und Familienarbeit in der Familie keine eigenen Versorgungsanwartschaften hat aufbauen können, eine eigene Versorgung verschaffen (vgl. BT-Dr 7/4361, S. 43), muss sich das Vorliegen einer groben Unbilligkeit, wie auch der Wortlaut von § 1587c Nr. 1 BGB zeigt, aus den beiderseitigen Verhältnissen der Eheleute ergeben. Es bedarf daher einer Würdigung aller Umstände, die die Verhältnisse der Eheleute in Ansehung des Versorgungsausgleichs prägen.

b) Diesen Maßstäben wird die angegriffene Entscheidung nicht gerecht. Das OLG hat bei der Prüfung, ob eine grobe Unbilligkeit i.S. von § 1587c Nr. 1 BGB vorliegt, die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute nicht umfassend gewürdigt und dabei wesentliche Umstände außer Acht gelassen. Darüber hinaus hat das OLG zur Begründung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs ein persönliches Fehlverhalten der Bf. herangezogen, ohne dass sich aus den Feststellungen in der angegriffenen Entscheidung hinreichend deutlich ergibt, dass sich dieses Verhalten entscheidend auf die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute ausgewirkt hat. Letztlich lassen die Entscheidungsgründe nicht erkennen, dass das OLG hinreichend geprüft hat, ob nicht schon eine Kürzung des Versorgungsausgleichs den etwaigen Eintritt einer unbilligen Härte hätte vermeiden können.

aa) Das OLG hat insbesondere den für das Entstehen des Ausgleichsanspruchs entscheidenden Beitrag der Ehefrau nicht in der durch Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG gebotenen Weise berücksichtigt, sondern völlig unbeachtet gelassen. Der Umstand, dass die Bf. in der gesamten Ehezeit von 1958 bis 1993 den Haushalt für ihren Ehemann geführt und die Erziehung der Kinder übernommen hat, hat in die Bewertung der beiderseitigen Verhältnisse keinen Eingang gefunden. Nur durch diese Arbeitsteilung war es aber dem Ehemann überhaupt möglich, die Anwartschaften in dem vorhandenen erheblichen Umfang zu erwerben. Dies spiegelt sich auch in dem starken Gefälle zwischen den beiderseitig erworbenen Anwartschaften deutlich wieder. Es ist den Entscheidungsgründen des Weiteren nichts dazu zu entnehmen, dass es etwa Anhaltspunkte dafür gegeben hat, die Bf. sei ihren Pflichten nicht in hinreichender Art und Weise nachgekommen. Soweit das OLG in diesem Zusammenhang ausführt, die Bf. habe auch in den Zeiten der Kindererziehung wegen ihres Fehlverhaltens nicht darauf vertrauen dürfen, durch den Versorgungsausgleich gesichert zu werden, ist dies für die Beurteilung der Frage, ob mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs eine grobe Unbilligkeit für den Ausgleichsverpflichteten verbunden ist, ohne Belang. Auf ein Vertrauen und dessen Schutzwürdigkeit kommt es beim Versorgungsausgleich nicht an, zumal Verschuldensmomente nach der Eherechtsreform im geltenden Eherecht keine Berücksichtigung mehr finden.

bb) Soweit das OLG die beiderseitigen Verhältnisse der Eheleute berücksichtigt hat, hat es lediglich die wirtschaftlichen Verhältnisse der Bf. unter dem Gesichtspunkt gewürdigt, dass diese durch eigenes Vermögen und Einkommen anderweitig gesichert und deshalb die Durchführung des Versorgungsausgleichs für sie nicht erforderlich sei. Dies widerspricht Art. 6 I i.V. mit Art. 3 II GG, aber auch dem Wortlaut und Normzweck von § 1587c Nr. 1 BGB. Der Versorgungsausgleich verwirklicht für den Fall der Scheidung die grundsätzlich gleiche Berechtigung der Eheleute am in der Ehe erworbenen Versorgungsvermögen. Er ist dabei grundsätzlich auch nicht dadurch bedingt, dass der ausgleichsberechtigte Ehegatte auf die Übertragung der Anwartschaften angewiesen ist (vgl. BT-Dr 7/650, S. 162). Umgekehrt unterliegt die Durchführung des Versorgungsausgleichs auch dann keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn er dazu führt, dass der Verpflichtete auf Grund der Kürzung seiner Anwartschaften auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sein wird (vgl. BVerfGE 53, 257 [298f.]). Erst wenn die Durchführung des Versorgungsausgleichs unter Berücksichtigung aller sonstigen Umstände, wozu bei atypischen Vermögenslagen auch eine anderweitige Sicherung des Ausgleichberechtigten bei besonderer Bedürftigkeit des Verpflichteten gehören kann, zu einem insgesamt nicht mehr dem Grundsatz der hälftigen Berechtigung der Eheleute am gemeinsam in der Ehezeit erwirtschafteten Vermögen entsprechenden Ergebnis führt, kann die Härtefallklausel zur Vermeidung grundrechtswidriger Ergebnisse herangezogen werden. Dies setzt jedoch zwingend auch eine Prüfung der Situation des Ausgleichsverpflichteten unter Berücksichtigung der Folgen voraus, die die Durchführung des Versorgungsausgleichs für ihn hat. Der danach erforderlichen Prüfung der Verhältnisse des Ehemanns der Bf. hat sich das OLG jedoch verschlossen, denn es hat im Rahmen der Prüfung von § 1587c Nr. 1 BGB weder Feststellungen zu seinen Vermögensverhältnissen getroffen noch hat es geprüft, welche Auswirkungen die Durchführung des Versorgungsausgleichs auf seine Altersversorgung hätte.

cc) Das OLG hat zur Begründung des vollständigen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs ein persönliches Fehlverhalten der Bf. herangezogen und hierzu ausgeführt, auch ein solches Verhalten lasse die Durchführung des Versorgungsausgleichs dann als grob unbillig erscheinen, wenn es schuldhaft erfolgt sei und den Ausgleichsverpflichteten in besonderem Maße beeinträchtigt habe. Soweit das OLG hierfür auf die erste langjährige außereheliche Beziehung der Bf. abgestellt hat, fehlt es an Feststellungen dazu, ob dieses Fehlverhalten den Ehemann in dem vom OLG angenommenen besonderen Maße beeinträchtigt, dass es die Annahme einer groben Unbilligkeit rechtfertigen könnte. Hierzu bedurfte es schon deshalb besonderer Feststellungen, weil die Ehe auch nach der Beendigung dieses Verhältnisses jedenfalls bis zur Aufnahme der neuerlichen Beziehung im Jahre 1993 aufrechterhalten wurde. Das OLG hat in diesem Zusammenhang unterstellt, die außereheliche Beziehung sei dem Ehemann seit 1984 bekannt gewesen. Davon ausgehend hätte in besonderem Maße Anlass bestanden darzulegen, in welcher Hinsicht dieses erste außereheliche Verhältnis den Ehemann in einem solchen Maße beeinträchtigt hat, dass es die Durchführung des Versorgungsausgleichs zum Zeitpunkt der Scheidung im Jahre 1995 hat grob unbillig erscheinen lassen.

Im Hinblick auf das weitere außereheliche Verhältnis, welches nach den Feststellungen des amtsgerichtlichen Urteils zur Trennung und Scheidung der Parteien geführt hat, lässt der Beschluss nicht erkennen, weshalb dieser Umstand unbeschadet von § 1587c Nr. 1 Halbs. 2 BGB zur Begründung des Ausschlusses des Versorgungsausgleichs hat herangezogen werden können.

Auch die vom OLG herangezogene „innere Abwendung“ der Bf. ist im Rahmen des Versorgungsausgleichs unerheblich, da dieser nicht als Belohnung für eheliche Treue dienen soll, sondern die Abwicklung und Aufteilung einer Vermögensgemeinschaft bewirken soll.

dd) Letztlich hat das OLG unter Hinweis auf das eheliche Fehlverhalten der Bf. die Notwendigkeit eines vollständigen Ausschlusses des Versorgungsausgleichs angenommen, ohne dass die angegriffene Entscheidung die erforderliche Begründung erkennen lässt, weshalb nicht schon eine teilweise Kürzung hätte ausreichend sein können, um eine mit der Durchführung des Versorgungsausgleichs verbundene grobe Unbilligkeit zu vermeiden.

Rechtsgebiete

Ehe- und Familienrecht