Zulässige Höchstgeschwindigkeit - Vermeidbarer Verbotsirrtum
Gericht
OLG Hamm
Art der Entscheidung
Beschluss über Beschwerde
Datum
21. 09. 2005
Aktenzeichen
1 Ss OWi 402/05
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
In diesem Umfang wird die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Siegen zurückverwiesen.
Die weitergehende Rechtsbeschwerde des Betroffenen wird mit der Maßgabe als unbegründet verworfen, dass der Betroffene der vorsätzlichen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen (Verkehrsordnungswidrigkeit gemäß § 24 StVG, § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO) in drei Fällen schuldig ist.
Gründe:
I.
Das Amtsgericht Siegen hat den Betroffenen mit Urteil vom 25. Januar 2005 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf Autobahnen (§ 24 StVG, § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO) zu einer Geldbuße in Höhe von 487,50 € verurteilt. Nach den zugrunde liegenden Feststellungen befuhr der Betroffene am 29. Oktober 2003 mit einem Kraftfahrzeug der Marke Daimler-Chrysler, Fahrzeugtyp "Sprinter", die BAB A ## in Höhe der Gemeinde X in Fahrtrichtung G, wobei er nach Auswertung des im Rahmen einer allgemeinen Kontrolle sichergestellten Schaublattes unter Berücksichtigung eines Toleranzabzugs von 6 km/h folgende vorwerfbare Geschwindigkeiten erzielte:
um 06.16 Uhr 125 km/h,
um 08.14 Uhr 132 km/h und
um 10.38 Uhr 135 km/h.
Zur Fahrzeugeigenschaft hat das Amtsgericht folgende Feststellungen getroffen: 7
"Bei dem von dem Betroffenen gefahrenen Fahrzeug handelt es sich laut Fahrzeugschein um einen "Pkw geschlossen", mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t. Das Fahrzeug ist mit einer separaten Ladefläche ausgestattet, die durch eine dauerhaft installierte Wand von der mit einer Sitzbank versehenen Fahrgastzelle abgetrennt ist. Der Laderaum ist durch eine fest eingebaute Trennwand mit Fenster von der Fahrgastzelle getrennt. Die Wand ist mit Nieten an der Fahrzeugkarosserie befestigt. Im Laderaum des Fahrzeugs befinden sich keine Seitenfenster. In der Fahrgastzelle sind neben dem Fahrersitz zwei Sitzmöglichkeiten vorhanden. Des weiteren ist der Laderaum seitlich mit Holz beplankt. Der Fahrzeugboden ist mit Holzplatten ausgelegt. Das Fahrzeug verfügt an der Hinterachse über Zwillingsreifen."
Das Amtsgericht hat das von dem Betroffenen geführte Fahrzeug straßenverkehrsordnungsrechtlich unter Rückgriff auf die in § 4 Abs. 4 Nr. 1 und 3 Personenbeförderungsgesetz - PBefG - und § 23 Abs. 6 a StVZO (a.F.) verwendeten Begriffsbestimmungen als Lastkraftwagen eingestuft, da es nach konkreter Bauart und Einrichtung zur Beförderung fremden Transportgutes bestimmt und geeignet sei. Dies ergebe sich aus den in der Akte befindlichen Lichtbildern, auf denen klar erkennbar sei, dass das Fahrzeug nicht zur Personenbeförderung genutzt werde. Aufgrund der Einrichtung des Laderaumes sei vielmehr davon auszugehen, dass das Fahrzeug zur Güterbeförderung eingesetzt werde. An der straßenverkehrsordnungsrechtlichen Einstufung des Fahrzeugs als Lastkraftwagen änderten auch die Eintragung im Kraftfahrzeugschein als "PKW geschlossen" und die Tatsache, dass für die betreffenden Fahrzeuge des Typs "Sprinter" eine EG-Typgenehmigung der Klasse M 1 erteilt worden sei, nichts. Für die Bestimmung der Art des Kraftfahrzeugs komme nämlich der Eintragung in den Kraftfahrzeugpapieren keine maßgebliche Bedeutung zu.
Die Einlassung des Betroffenen hat das Amtsgericht wie folgt wiedergegeben:
"Der Betroffene hat sich dahingehend eingelassen, daß er aufgrund der Eintragung im Kfz-Schein als Pkw davon ausgegangen sei und darauf vertraut habe, daß das betreffende Kraftfahrzeug als Pkw und nicht als Lkw einzuordnen sei und daher keine Geschwindigkeitsbegrenzung gemäß § 18 Abs. 5 StVO bestehe. Zudem habe ihm sein Chef, mit dem er über die Einordnung des Fahrzeugs gesprochen habe, versichert, daß für das betreffende Fahrzeug keine Geschwindigkeitsbegrenzung bestehe."
Im Hinblick auf diese Einlassung des Betroffenen ist das Amtsgericht zu der Auffassung gelangt, dass der Betroffene in einem vermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 11 Abs. 2 OWiG gehandelt habe. Hierzu heißt es in den Gründen des angefochtenen Urteils:
"Die für die Einordnung als Lkw sprechenden tatsächlichen Umstände, insbesondere die Größe sowie der tatsächliche Ausbau des Fahrzeugs, waren auch insgesamt augenscheinlich und dem Betroffenen deutlich erkennbar. Schon nach einem laienhaften Verständnis des Wortes in seiner umgangssprachlichen Bedeutung konnte der Betroffene nicht ernsthaft annehmen, das von ihm geführte Fahrzeug weise die typischen Eigenschaften eines Personenkraftwagens auf. Dass der Betroffene entgegen diesen augenscheinlichen und offensichtlichen Umständen zu der inneren Wertung gelangt ist, einen Pkw zu fahren, stellt in der rechtlichen Wertung einen vermeidbaren Verbotsirrtum gemäß § 11 Abs. 2 OWiG dar. Der Betroffene kann sich insofern auch nicht alleine mit dem Umstand entlasten, daß sein Arbeitgeber ihm mitgeteilt habe, es bestehe keine Geschwindigkeitsbegrenzung für das Fahrzeug. Insofern trifft den Fahrzeugführer eine besondere Erkundigungspflicht im Hinblick auf die Einordnung des Fahrzeugs.
Bereits mit Datum vom 23.07.2003 hatte das Bayerische Oberste Landesgericht die Einordnung der betreffenden Fahrzeuge als Lkw bestätigt und gleichzeitig ausgesprochen, daß sich der Fahrer nicht auf die Auskunft seines Arbeitgebers verlassen könne. Insofern wäre es dem Betroffenen also auch im vorliegenden Fall möglich gewesen, sich durch entsprechende Information und Erkundigung darüber in Kenntnis zu setzen, wie die Einordnung des betreffenden Fahrzeugs zu erfolgen hat. Daher war der Irrtum, in dem der Betroffene sich hier befand, in jedem Fall vermeidbar."
Das Amtsgericht hat im Hinblick auf den von ihm angenommenen vermeidbaren Verbotsirrtum des Betroffenen von der Verhängung des nach der Bußgeldkatalog-Verordnung verwirklichten (Regel-)Fahrverbots abgesehen und seine Rechtsfolgenentscheidung im Einzelnen wie folgt begründet:
"Es ist insofern nicht mehr festzustellen, daß der Geschwindigkeitsverstoß auf besonderer Rücksichts- oder Verantwortungslosigkeit seitens des Betroffenen beruht, sondern ausschließlich auf dessen Verbotsunkenntnis. Daher ist es nicht geboten, mit der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots erzieherisch auf den Betroffenen einzuwirken (so auch Bayerisches Oberstes Landesgericht, NZV 2004, Seite 263-265 mit weiteren Nachweisen).
...
Der bundeseinheitliche Bußgeldkatalog sieht ... jeweils Geldbußen in Höhe von 150,00 € und 275,00 € sowie ein 1- und 2-monatiges Fahrverbot vor. Bei der Berechnung der Geldbuße ist vorliegend der höchste Einzelbetrag der drei Verstöße in Höhe von 275,00 € sowie 50 % der übrigen Einzelbeträge in Höhe von 212,50 € anzusetzen, so daß sich insgesamt eine Geldbuße in Höhe von 487,50 € ergibt. Um dem Erfordernis der Strafmilderung aufgrund des vermeidbaren Verbotsirrtums gerecht zu werden, sieht es das Gericht für erforderlich, aber auch für ausreichend an, von der Auferlegung eines Fahrverbots in Abweichung zu den Regelsätzen des Bußgeldkatalogs abzusehen. Die Höhe der anzusetzenden Geldbuße war daher nach Auffassung des Gerichts aufrechtzuerhalten."
Gegen dieses in seiner Anwesenheit verkündete Urteil hat der Betroffene form- und fristgerecht Rechtsbeschwerde eingelegt und diese innerhalb eines Monats nach Urteilszustellung mit Schriftsatz seines Verteidigers vom 15. April 2005 begründet. Der Betroffene beanstandet, dass das Amtsgericht zu Unrecht von der Vermeidbarkeit des "irgendwie gearteten Verbotsirrtums" ausgegangen sei. Der Betroffene habe sich darauf verlassen können und müssen, dass die Fahrzeugart in den Fahrzeugpapieren korrekt angegeben sei. Das Amtsgericht habe die Frage, wo sich der Betroffene zuverlässig zu der Frage der straßenverkehrsordnungsrechtlichen Einstufung des Fahrzeugs hätte informieren können, unbeantwortet gelassen. Im Übrigen habe das Amtsgericht zwar von dem Fahrverbot abgesehen, aber immer noch eine Geldbuße ausgeurteilt, die in keinem Verhältnis zu der Schuld des Betroffenen stehe.
II.
Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betroffenen hat mit der - konkludent erhobenen - Sachrüge einen vorläufigen Teilerfolg und führt zur Aufhebung des Rechtsfolgenausspruchs in dem angefochtenen Urteil. Soweit sich die Rechtsbeschwerde des Betroffenen gegen den Schuldspruch richtet, war sie - unter Berichtigung des Schuldspruches - als unbegründet zu verwerfen.
1.
a.
Nach dem vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt hat der Betroffene am Tattag gegen das Verbot, mit Kraftfahrzeugen mit einem zulässigen
Gesamtgewicht von mehr als 3,5 t, die nicht Personenkraftwagen sind, auf Autobahnen schneller als 80 km/h zu fahren (§ 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO),
verstoßen und damit in objektiver Hinsicht den Tatbestand einer Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG i.V.m. §§ 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO verwirklicht, dies allerdings - insoweit abweichend von der Tenorierung des amtsgerichtlichen Urteils - in drei selbstständigen Fällen.
Das Amtsgericht hat zutreffend angenommen, dass es sich bei dem von dem Betroffenen gesteuerten Fahrzeug nicht um einen Personenkraftwagen i.S.d. § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO handelt. Der Senat hat in seinem in Dreierbesetzung gemäß § 80 a Abs. 3 OWiG gefassten, grundlegenden Beschluss vom 22. August 2005 (1 Ss OWi 272/05) entschieden, dass ein Kraftfahrzeug der Marke Daimler-Chrysler, Typ "Sprinter" mit einem zulässigen Gesamtgewicht von 4,6 t ungeachtet einer etwaigen, auf einer EG-Typgenehmigung der Klasse M 1 beruhenden Bezeichnung als "PKW" in den Kraftfahrzeugpapieren straßenverkehrsordnungsrechtlich als Lastkraftwagen einzustufen ist, wenn dieses Fahrzeug nach seiner konkreten Bauart, Ausstattung und Einrichtung nicht zur Beförderung von Personen, sondern zur Beförderung von Gütern geeignet und bestimmt ist. Nach den vom Amtsgericht rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen war dies vorliegend der Fall. Der vorliegende Fall gibt keine Veranlassung, von der zitierten Senatsrechtsprechung, die - was die straßenverkehrsordnungsrechtliche Einstufung des Fahrzeugs betrifft - im Einklang steht mit den insoweit einschlägigen Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts (Beschluss vom 23. Juli 2003, veröffentlicht in NJW 2004, 396 = NZV 2004, 263), des Oberlandesgerichts Karlsruhe (Beschluss vom 25. August 2004, veröffentlicht in DAR 2004, 715) und des Oberlandesgerichts Jena (Beschluss vom 12. Oktober 2004, veröffentlicht in NJW 2004, 3579), abzuweichen.
b.
Die im Beschlusstenor vorgenommene Schuldspruchberichtigung beruht, was die Schuldform betrifft, darauf, dass der Betroffene nach den vom
Amtsgericht getroffenen Feststellungen den Tatbestand der Verkehrsordnungswidrigkeit nach § 24 StVG, § 49 Abs. 1 Nr. 18 StVO i.V.m. § 18 Abs. 5
S. 2 Nr. 1 StVO vorsätzlich (und nicht - wie vom Amtsgericht angenommen - lediglich fahrlässig) verwirklicht hat. Vorsätzlich i.S.d. § 10 OWiG handelt,
wer die Tatbestandsverwirklichung in Kenntnis aller Tatbestandsmerkmale zumindest als möglich erkennt und billigend in Kauf nimmt. Der Betroffene
kannte bei der jeweiligen Geschwindigkeitsüberschreitung alle zum gesetzlichen Tatbestand gehörenden Umstände, insbesondere wusste er, dass
das von ihm benutzte Fahrzeug nach seiner konkreten Bauart und Beschaffenheit zum Gütertransport geeignet und bestimmt war. Er wusste ferner,
dass er auf der Autobahn mit einer vorwerfbaren Geschwindigkeit von 125 km/h ( um 06.16 Uhr), 132 km/h (um 08.14 Uhr) und von 135 km/h (um
10.38 Uhr) fuhr. Die irrige Vorstellung des Betroffenen, das von ihm gesteuerte Fahrzeug sei - seinem zulassungsrechtlichen Status und der
Eintragung im Fahrzeugschein entsprechend - als PKW einzuordnen und unterliege demzufolge nicht der für Lastkraftwagen mit einem zulässigen
Gesamtgewicht von über 3,5 t geltenden Geschwindigkeitsbeschränkung des § 18 Abs. 5 S. 2 Nr. 1 StVO, stellt lediglich einen - den Vorsatz unberührt
lassenden - Verbotsirrtum i.S.d. § 11 Abs. 2 OWiG dar (vgl. Senatsbeschluss vom 22. August 2005 - 1 Ss OWi 272/05 -; BayObLG, NJW 2004, 306;
OLG Karlsruhe, DAR 2004, 715; OLG Jena, NJW 2004, 3579; OLG Düsseldorf, VM 1960, 18; Göhler, OWiG, 14. Aufl., § 11 Rdnr. 9 und 19; AG Linz,
Beschluss vom 3. August 2004 - 2040 Js 10336/04 -), von dem auch das Amtsgericht ausgegangen ist.
Im Ergebnis zu Recht ist das Amtsgericht zudem zu der Auffassung gelangt, dass dieser Verbotsirrtum für den Betroffenen vermeidbar war. Zur Frage der Vermeidbarkeit bzw. Unvermeidbarkeit eines entsprechenden Verbotsirrtums hat der Senat in seiner bereits zitierten, grundlegenden Entscheidung vom 22. August 2005 folgendes ausgeführt:
"Wenn ein solches gegenüber dem Auslieferungszustand unverändertes Fahrzeug, dessen Beschaffenheit und Ausstattung noch den Zulassungspapieren entspricht, in den Zulassungspapieren als PKW bezeichnet wird, liegt für einen juristischen Laien die Annahme durchaus nahe, dass die in den Fahrzeugpapieren angegebene Fahrzeugart auch im übrigen Straßenverkehrsrecht, insbesondere also auch im Anwendungsbereich der das Verhalten im Verkehr regelnden StVO, maßgeblich ist (so auch OLG Jena NJW 2004, 3579). Das sich hieraus ableitende Vertrauen des Betroffenen darauf, dass der aufgrund einer entsprechenden EG-Typgenehmigung der Klasse M 1 als PKW zugelassene Mercedes Sprinter auch straßenverkehrsordnungsrechtlich als Personenkraftwagen anzusehen und zu behandeln ist, wäre nur dann nicht schutzwürdig, wenn für den Betroffenen zum Vorfallszeitpunkt unter Berücksichtigung seiner Fähigkeiten und Kenntnisse Anlass bestanden hätte, über die verkehrsordnungsrechtliche Qualität des hier in Rede stehenden Verhaltens näher nachzudenken und Erkundigungen einer zuverlässigen und fachkundigen Auskunftsperson einzuholen (vgl. Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 17 Rdnr. 7; Göhler, § 11 Rdnr. 24) und darüber hinaus feststünde, dass der Betroffene, wenn er entsprechende Erkundigungen eingeholt hätte, auch eine zutreffende und verlässliche Auskunft erhalten hätte (vgl. Tröndle/Fischer, § 17 Rdnr. 9 m.w.N.; Göhler, § 11 Rdnr. 28). Nach Auffassung des Senats bestand für den Betroffenen im vorliegenden Fall bereits kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die Fahrzeugart im straßenverkehrsordnungsrechtlichen Sinne von der im straßenverkehrszulassungsrechtlichen Sinne, wie sie sich aus der Eintragung im Fahrzeugschein und den übrigen Fahrzeugpapieren ergab, abweichen würde. Dementsprechend oblag dem Betroffenen im konkreten Fall keine Prüfungs- und Erkundigungspflicht. Eine solche wäre sicherlich dann zu bejahen, wenn sich das von dem Betroffenen geführte Fahrzeug nicht mehr in seinem ursprünglichen (Auslieferungs-)Zustand befunden hätte, sondern durch bauliche Veränderungen eindeutig zu einem LKW umgebaut worden wäre. Dann hätten sich Zweifel an der PKW-Eigenschaft des Fahrzeugs im Sinne der StVO geradezu aufgedrängt (vgl. OLG Jena, a.a.O.). Solche Veränderungen wurden an dem hier in Rede stehenden Tatfahrzeug jedoch nicht vorgenommen. Eine Prüfungs- und Erkundigungspflicht wäre aus Sicht des Senats daneben auch dann zu bejahen, wenn der Betroffene durch rechtliche Hinweise, beispielsweise in Gestalt von veröffentlichten bzw. in der Tagespresse bekannt gemachten und von dem Betroffenen zur Kenntnis genommenen Gerichtsentscheidungen oder in Form von Äußerungen von Kontaktpersonen (so das BayObLG in NJW 2004, 306 in Anknüpfung an die vom Arbeitgeber des betroffenen Fahrers aufgrund von Zweifeln über die verkehrsrechtliche Einordnung des Fahrzeugs eingeholten Auskünfte) oder aufgrund früherer polizeilicher Überprüfungen bzw. Anzeigen für die maßgebliche rechtliche Problematik "sensibilisiert" worden wäre. ...".
Unter Berücksichtigung dieser Maßstäbe ist der Verbotsirrtum des Betroffenen hier als vermeidbar einzustufen. Im Unterschied zu der Sachverhaltskonstellation, wie sie dem bereits mehrfach zitierten Senatsbeschluss vom 22. August 2005 zugrunde lag, war der Betroffene vorliegend hinsichtlich der maßgeblichen rechtlichen Problematik der verkehrsordnungsrechtlichen Einstufung des Mercedes-Sprinter-Fahrzeugs "sensibilisiert". Nach der im angefochtenen Urteil zugrundegelegten Einlassung des Betroffenen hatte dieser, mit seinem Arbeitgeber bzw. Chef "über die Einordnung des Fahrzeugs gesprochen". Daraus ergibt sich, dass dem Betroffenen die verkehrsordnungsrechtliche Einordnung des Fahrzeugs durchaus unklar war. In einem derartigen Fall, wie er in vergleichbarer Form auch der Entscheidung des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 23. Juli 2003 (NJW 2004, 306) zugrunde lag, obliegt dem Fahrer eine Prüfungs- und Erkundigungspflicht. Der ihm danach obliegenden Erkundigungspflicht ist der Betroffene nicht in ausreichender Weise nachgekommen. Er hat sich nach den amtsgerichtlichen Feststellungen mit der - nicht näher begründeten bzw. erläuterten - Auskunft seines Arbeitgebers begnügt, dass "für das betreffende Fahrzeug keine Geschwindigkeitsbegrenzung bestehe". Auf die Richtigkeit dieser undifferenzierten und pauschalen Auskunft seines Arbeitgebers durfte der Betroffene, der über die verkehrsordnungsrechtliche Einordnung des Mercedes-Sprinters als PKW im Unklaren war und diesbezügliche Zweifel hegte, aber nicht ohne weiteres vertrauen. Dass der "Chef" des Betroffenen nicht die erforderliche Sachkompetenz besaß, eine die Straßenverkehrsordnung betreffende und durchaus komplexe Rechtsfrage zuverlässig und verbindlich zu beantworten, lag auf der Hand und war für den Betroffenen ohne weiteres ersichtlich. Der Betroffene hätte zumindest durch Rück- bzw. Nachfrage bei seinem Arbeitgeber klären müssen, auf welche Erkenntnisquellen dieser seine Aussage stützte. Dies hat der Betroffene jedoch unterlassen. Hätte der Betroffene sich, wie in der vom Amtsgericht festgestellten Situation geboten und auch zumutbar, bei fachkundiger Stelle, nämlich bei der Straßenverkehrsbehörde, über die straßenverkehrsordnungsrechtliche Einordnung des von ihm geführten Fahrzeugs erkundigt, wäre ihm – daran hat der Senat keine Zweifel - in Anlehnung an den zum Tatzeitpunkt bereits erlassenen und seinerzeit in Fach- und Behördenkreisen (bereits) bekannten Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 23. Juli 2003 (1 ObOWi 219/03) mitgeteilt worden, dass das vorliegend zum Gütertransport geeignete und bestimmte Fahrzeug als LKW im Sinne der StVO anzusehen ist.
c.
Bei den vom Amtsgericht - mit sachverständiger Hilfe - durch Auswertung des Schaublattes festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitungen handelt
es sich um drei selbstständige Handlungen i.S.d. § 20 OWiG und nicht insgesamt um ein tateinheitliches Geschehen nach § 19 OWiG, von dem - legt
man den Tenor der angefochtenen Entscheidung und die Erwägungen des Amtsgerichts zur Bemessung der Höhe der Geldbuße zugrunde - das
Tatgericht offenbar ausgegangen ist. Auch wenn aus den amtsgerichtlichen Feststellungen nicht hervorgeht, ob die drei Geschwindigkeitsverstöße
während einer ununterbrochenen Fahrt begangen wurden oder ob es sich um Verstöße anlässlich mehrerer, durch Unterbrechungen getrennte
Fahrten handelte, folgt bereits aus dem zeitlichen Abstand der drei festgestellten Geschwindigkeitsverstöße, dass es sich dabei jeweils um selbstständige Handlungen i.S.d. § 20 OWiG handelte. Mehrere Geschwindigkeitsüberschreitungen, auch wenn sie während einer einzigen, nicht
unterbrochenen Fahrt begangen werden, sind grundsätzlich als selbstständige Taten im materiell-rechtlichen Sinne anzusehen, die zueinander im
Verhältnis der Tatmehrheit stehen (zu vgl. OLG Hamm, NZV 1998, 870; Beschluss vom 9. Januar 2002 - 5 Ss OWi 1108/01 -; Beschluss vom 28. Juni
2003 - 3 Ss OWi 182/03 -; VRS 46, 370; BayObLG VRS 93, 141 und 369; NZV 1995, 407; OLG Jena, VRS 107, 476; OLG Düsseldorf, VRS 94, 301).
Nur dann, wenn wegen des unmittelbaren zeitlichen und räumlichen Zusammenhangs der einzelnen Verstöße bei natürlicher Betrachtung ein
einheitliches, zusammengehöriges Tatgeschehen angenommen werden muss, kommt eine Wertung als natürliche Handlungseinheit i.S.d. § 19 OWiG
in Betracht (so OLG Hamm, BayObLG und OLG Düsseldorf jeweils a.a.O.). Vorliegend lag zwischen den um 06.16 Uhr, 08.14 Uhr und 10.38 Uhr
begangenen Geschwindigkeitsüberschreitungen jeweils ein Zeitraum von ca. zwei Stunden. Die Verstöße wurden also in einem deutlichen zeitlichen
Abstand und im Hinblick auf die gefahrenen Geschwindigkeiten in einer entsprechend großen räumlichen Entfernung und damit einhergehend in einer
jeweils veränderten Verkehrssituation begangen. Die Zusammenfassung der drei Geschwindigkeitsüberschreitungen, zu einer einheitlichen Handlung
unter dem Gesichtspunkt der natürlichen Handlungseinheit erschiene daher künstlich und lebensfremd. Da es sich somit um drei selbstständige
Handlungen im materiell-rechtlichen Sinne handelt, die im übrigen auch Gegenstand des Bußgeldbescheids waren, hat der Senat den Schuldspruch
des angefochtenen Urteils auch insoweit berichtigt. Darin liegt kein Verstoß gegen das im Straf- und Bußgeldverfahren zu beachtende
Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) und zwar selbst dann nicht, wenn durch die vom Senat vorgenommene Schuldspruch-berichtigung die
Punktebewertung im Verkehrszentralregister für den Betroffenen ungünstiger ausfallen sollte (vgl. Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., § 331 Rdnr. 18;
Göhler, § 79 Rdnr. 79 sowie OLG Hamm, VRS 52, 131).
2.
Der Rechtsfolgenausspruch in dem angefochtenen Urteil hält dagegen der rechtlichen Überprüfung nicht Stand. Zwar ist es rechtlich nicht zu
beanstanden, dass das Amtsgericht unter Berücksichtigung des vermeidbaren Verbotsirrtums des Betroffenen von der Verhängung des nach der
Bußgeldkatalog-Verordnung (§ 4 Abs. 1 i.V.m. Tabelle 1 a) lfd. Nr. 11.1.9 an sich verwirklichten (Regel-)Fahrverbots (auch bei mehreren
Verkehrsordnungswidrigkeiten, von denen jede für sich allein die Anordnung eines Fahrverbots rechtfertigen würde, ist nur ein einheitliches Fahrverbot
anzuordnen, vgl. Göhler, § 66 Rdnr. 24 m.w.N.) abgesehen hat. Demgegenüber sind die für die Bemessung der Höhe der verhängten Geldbuße
maßgebenden Erwägungen des Amtsgerichts, wie sie sich aus den Gründen des angefochtenen Urteils ergeben, rechtsfehlerhaft. Abgesehen davon,
dass die vorgenommene Art der Berechnung der Geldbuße (Erhöhung der höchsten Regelbuße von 275,- € um 50 % der zwei weiteren Regelbußen)
auch bei der Annahme von Tateinheit mit den gesetzlichen Vorgaben in § 19 OWiG nicht vereinbar wäre, hat das Amtsgericht für die tatsächlich in
Tatmehrheit begangenen, drei selbstständigen Geschwindigkeitsüberschreitungen entgegen § 20 OWiG nicht jeweils eine gesonderte Geldbuße
festgesetzt. Daneben fehlt es an einer Auseinandersetzung mit den persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen, die vorliegend
gemäß § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG zu berücksichtigen waren. Bei einer relativ hohen Geldbuße, die nach der Bedeutung der Ordnungswidrigkeit
angebracht sein kann, um den Täter nachträglich zur Befolgung der Rechtsordnung anzuhalten, muss seine Leistungsfähigkeit berücksichtigt werden,
da es von ihr abhängt, wie empfindlich und damit nachhaltig die Geldbuße ihn trifft (vgl. Göhler, § 17 Rdnr. 22 m.w.N.). Lediglich bei geringfügigen
Ordnungswidrigkeiten können die wirtschaftlichen Verhältnisse des Täters regelmäßig unberücksichtigt bleiben, § 17 Abs. 3 S. 2 Hs. 2 OWiG). Bei
einer Geldbuße über 250,- € ist die Geringfügigkeitsgrenze in jedem Fall überschritten (zu vgl. Göhler, § 17 Rdnr. 24 m.w.N.). Auch wenn der Tatrichter
sich bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße(n) an den Regelsätzen der Bußgeldkatalog-Verordnung, die eine Zumessungsrichtlinie darstellt und
von fahrlässiger Begehung und gewöhnlichen Tatumständen (vgl. § 1 Abs. 2 BKatV) sowie von durchschnittlichen wirtschaftlichen Verhältnissen des
Betroffenen ausgeht, orientiert, hat er die tatsächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bei zunehmender Höhe der Geldbuße zu prüfen
und zu berücksichtigen, wenn Anhaltspunkte dafür gegeben sind, dass sie außergewöhnlich gut oder schlecht sind (vgl. Göhler, § 17 Rdnr. 29). Bei der
vom Amtsgericht verhängten, vergleichsweise hohen Geldbuße von 487,50 € bedurfte es schon deshalb der näheren Erörterung der wirtschaftlichen
Verhältnisse des Betroffenen, weil dieser nach den amtsgerichtlichen Feststellungen zurzeit arbeitslos ist. Nähere Angaben zu den persönlichen und
wirtschaftlichen Verhältnissen des Betroffenen enthält das angefochtene Urteil jedoch nicht. So ist unklar, ob und ggf. in welcher Höhe der Betroffene
öffentlich-rechtliche Unterstützungsleistungen erhält und in welchen familiären Verhältnissen (Familienstand, ggf. Einkommen der Ehefrau,
Vorhandensein unterhaltsberechtigter Kinder) er lebt.
Die festgestellten Gesetzesverletzungen bei der Bemessung der Höhe der Geldbuße(n) führen zur Aufhebung des angefochtenen Urteils im Rechtsfolgenausspruch. Eine Festsetzung der gemäß § 20 OWiG gesondert zu verhängenden drei Geldbußen durch den Senat im Wege einer eigenen Sachentscheidung gemäß § 79 Abs. 6 OWiG kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil die nach § 17 Abs. 3 S. 2 OWiG zu berücksichtigenden wirtschaftlichen Verhältnisse des Betroffenen bislang nicht geklärt sind. Bei der vom Amtsgericht nach Aufhebung und Zurückverweisung zu treffenden neuen Rechtsfolgenentscheidung wird dieses zu beachten haben, dass im Hinblick auf das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 StPO) die Summe der drei gesondert festzusetzenden Geldbußen die im angefochtenen Urteil verhängte Geldbuße von 487,50 € nicht übersteigen darf.
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