Entfernungsanspruch bezüglich einer Parabolantenne bei Kabelanschluss - „Unzensierter“ osttürkischer Sender

Gericht

LG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

28. 09. 2005


Aktenzeichen

23 S 435/04


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Bekl. wird auf Entfernung der auf dem Balkon seiner Erdgeschosswohnung befindlichen Parabolantenne in Anspruch genommen. Die Klage hatte letztlich Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 2. Die Kl. hat gegen den Bekl. einen solchen Anspruch aus dem Mietvertrag; ein Anspruch des Bekl. auf Duldung der Antenne ergibt sich nicht als - aus dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) herzuleitende - Nebenpflicht der Kl. aus dem Mietvertrag (vgl. Eisenschmid, in: Schmidt-Futterer, MietR, 8. Aufl., § 535 Rdnrn. 390f.).

a) Nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 90, 27 = NJW 1994, 1147; NZM 2005, 252 = NJW-RR 2005, 661) ist dem Grundrecht des Mieters aus Art. 5 I 1 Halbs. 2 GG, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten, auch in zivilgerichtlichen Streitigkeiten über die Anbringung von Satellitenempfangsanlagen an Mietwohnungen Rechnung zu tragen. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass das Grundrecht des Vermieters als Eigentümer aus Art. 14 I 1 GG berührt ist, wenn von ihm verlangt wird, eine Empfangsanlage an seinem Eigentum zu dulden. Das erfordert i.d.R. eine fallbezogene Abwägung der von dem eingeschränkten Grundrecht und dem grundrechtsbeschränkenden Gesetz geschützten Interessen, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des bürgerlichen Rechts vorzunehmen ist (BVerfG, NJW 1994, 1147; NZM 2005, 252 = NJW-RR 2005, 661; BGH, NZM 2005, 335 = NJW-RR 2005, 596; OLG Frankfurt a.M., NJW 1992, 2490; OLG Karlsruhe, NJW 1993, 2815). Bei der Entscheidung der Frage, ob der Eigentümer eines Wohnhauses mit Rücksicht auf das dem Mieter zustehende Grundrecht der Informationsfreiheit eine Einschränkung seiner Eigentumsbefugnisse durch Duldung einer Parabolantenne hinnehmen muss, ist bei dauerhaft in der Bundesrepublik Deutschland lebenden Ausländern deren besonderes Informationsinteresse zu beachten. Diese haben ein anerkennenswertes Interesse, die Programme ihres Heimatlandes zu empfangen, um sich über das dortige Geschehen unterrichten und die kulturelle und sprachliche Verbindung aufrechterhalten zu können. Die grundlegende Bedeutung des Grundrechts auf Informationsfreiheit bei Anwendung und Auslegung der bürgerlich-rechtlichen Vorschriften wird deshalb verkannt, wenn der ausländische Mieter auf einen Kabelanschluss verwiesen wird, der ihm gar keinen oder keinen ausreichenden Zugang zu seinen Heimatprogrammen verschafft.

Ferner wird die grundlegende Bedeutung des Grundrechts auf Informationsfreiheit verkannt, wenn die Zivilgerichte bei der Abwägung den Eigentumsinteressen des Vermieters von vornherein den Vorrang vor den Informationsinteressen des Mieters einräumen, ohne anzugeben, welche Eigenschaften des Mietobjekts dieses Ergebnis rechtfertigen (BVerfGE 90, 27 [36] = NJW 1994, 1147; BGH, NZM 2005, 335 = NJW-RR 2005, 596).

b) Unter Beachtung dieser Rechtsprechung gilt für den Streitfall Folgendes: Die beiderseitigen, grundrechtlich geschützten Interessen der Parteien sind einander gegenüberzustellen. Dabei ist davon auszugehen, dass der Bekl. bereits sechs türkischsprachige Sender über das im Gebäude installierte Breitbandkabel nach Erwerb eines Zusatzgeräts empfangen kann. Nicht festgestellt werden kann, dass diese nicht genügen, um seinem Informationsinteresse in ausreichender Weise Rechnung zu tragen. Dabei kann offen bleiben, ob der Bekl. überhaupt mit Erfolg geltend machen kann, die über das Kabel empfangbaren Sender genügten nicht zur Befriedigung seines Informationsinteresses, denn er könne verlangen, nicht nur die dort eingespeisten türkischsprachigen Sender zu empfangen, sondern auch noch solche, die unzensierte Nachrichten über seine osttürkische Heimat verbreiteten. Nach der Rechtsprechung des BVerfG ist es nämlich dem Mieter regelmäßig zuzumuten, die Kabelanlage statt einer Satellitenempfangsanlage zu nutzen, wenn auf diese Weise Zugang zu Programmen in der Sprache des ausländischen Mieters besteht (BVerfG, NZM 2005, 252 = NJW-RR 2005, 661). Einmal unterstellt, dem Kl. sei darüber hinaus zuzugestehen, sich aus unzensierten Quellen über die Osttürkei informieren zu können, lässt sich auf Grund seines Vorbringens nicht feststellen, dass er die Satellitenanlage zur Befriedigung dieses besonderen Informationsinteresses benötigt. Wie die Kl. mehrfach zu Recht gerügt hat, fehlt es im Vorbringen des Bekl. an der Darlegung, welchen Sender er empfangen wolle, der keiner Zensur durch die türkischen Behörden unterliege und der ihm über Kabel nicht zugänglich sei. Zwar hat der Kl. in erster Instanz vorgetragen, die Sender „Ulusal Kanal“, „Mertem TV“ und „Mertem Messaj“ erfüllten sein Interesse an einer Berichterstattung speziell über seine Heimat. Jedoch hat der Bekl. nicht dargetan, dass gerade diese Sender unzensierte Nachrichten über die Osttürkei verbreiteten und er deswegen ausgerechnet auf sie angewiesen sei, um sich ausreichend zu informieren. Möglicherweise verbreiten auch die von ihm genannten Sender nur zensierte Nachrichten und es sind unzensierte auch über Satellitenprogramme gar nicht zu erlangen.

Unter diesen Gegebenheiten ist dem Eigentumsrecht der Kl. der Vorrang einzuräumen, denn wie die vorgelegten Lichtbilder zeigen, würde das Gesamtbild der Gebäudefassade durch das Verbleiben der von dem Bekl. aufgestellten Parabolantenne erheblich beeinträchtigt, auch wenn ein Eingriff in die Gebäudesubstanz nicht stattfinden würde. Die auf dem Balkon aufgestellte Antenne erweckt im Aussehen keinen anderen Eindruck als eine solche, die an der Fassade angebracht ist. Sie ragt in vollem Umfang über die Balkonbrüstung. … Die Kammer verkennt nicht, dass das Gebäude der Kl. sich, wie das AG richtig festgestellt hat, nicht durch besonders anspruchsvolle oder attraktive Außengestaltung auszeichnet, sondern ein völlig durchschnittliches Mehrfamilienhaus ist. Gleichwohl würde ein Verbleiben der Antenne das Gesamtbild der einem an dem Haus vorbeiführenden Gehweg zugewandten Fassade erheblich zum Nachteil beeinträchtigen. Die Kammer vermag sich nicht der Auffassung des Bekl. anzuschließen, die Antenne sei zu dulden, weil sie optisch nicht mehr beeinträchtige als ein Sonnenschirm. Im Erscheinungsbild von Parabolantennen und Sonnenschirmen gibt es deutliche Unterschiede. Ein wesentlicher liegt bereits darin, dass Sonnenschirme nicht 365 Tage im Jahr und 24 Stunden pro Tag aufgestellt zu sein pflegen und in aller Regel gefälliger anzuschauen sind als Satellitenschüsseln.

Rechtsgebiete

Mietrecht

Normen

GG Art. 5, 14; BGB §§ 535, 242