Schäden durch Bäume
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
08. 10. 2004
Aktenzeichen
V ZR 84/04
Tatbestand:
Die Parteien sind Eigentümer benachbarter Grundstücke. Am
26. Februar 2002 stürzte ein ca. 15 m bis 18 m hoher Walnußbaum, der auf
dem Grundstück der Beklagten stand, bei windigem Wetter um und fiel teilweise
auf das Grundstück des Klägers. Dort wurden Pflanzen und Rankelemente
beschädigt.
Mit der Behauptung, der Baum sei mit über 80 Jahren überaltert und erkrankt
gewesen, er habe spätestens seit dem Jahr 2000 verschiedene auf einen
Krankheitsbefall hindeutende Anzeichen wie schütteres Blattwerk, abgestorbene
Äste, eingetrocknete Blattknospen, ausgetrocknete Rinde, braune
trockene Stellen unter der teilweise abgefallenen Rinde und starker Rückgang
von Menge und Größe der Früchte aufgewiesen, was die Beklagten hätten erkennen
können, verlangt der Kläger von den Beklagten die Zahlung von
1.223,80 € nebst Zinsen. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben; auf die
Berufung der Beklagten hat das Landgericht sie - nach Beweisaufnahme - abgewiesen.
Mit der in dem Berufungsurteil zugelassenen Revision, deren Zurückweisung
die Beklagten beantragen, verfolgt der Kläger seinen Klageantrag
weiter.
Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht meint, dem Kläger stehe kein deliktsrechtlicher
Schadensersatzanspruch zu, weil den Beklagten keine Verletzung der ihnen
hinsichtlich des Baumes obliegenden Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen
sei. Für sie habe bis zum Umstürzen des Baumes kein Anlaß bestanden, ihn
durch einen Fachmann untersuchen zu lassen und gegebenenfalls daran anschließend
besondere Maßnahmen zur Sicherung oder Entfernung des Baumes
zu treffen. Die von dem Kläger behaupteten Krankheitserscheinungen
- mit Ausnahme der angeblich abgefallenen Rinde - seien aus der Sicht eines
Laien keine Anzeichen für einen Krankheitsbefall. Ein teilweises Abfallen der
Baumrinde habe der Kläger nicht bewiesen.
Das Berufungsgericht verneint auch einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch
des Klägers. Die Beklagten seien nicht Störer hinsichtlich der
durch das Umstürzen des Baumes bei dem Kläger eingetretenen Eigentumsbeeinträchtigung.
Diese sei durch ein Naturereignis, nämlich durch Windeinwirkung
entstanden; das könne den Beklagten nicht zugerechnet werden. Daß
sie den - zunächst gesunden und widerstandsfähigen - Baum auf ihrem Grundstück
stehen ließen, begründe keine Störereigenschaft, denn von gegenüber
normalen Einwirkungen der Naturkräfte hinreichend widerstandsfähigen Bäumen
gehe keine Gefahr für das Nachbargrundstück aus. Auch wenn man zugunsten
des Klägers unterstelle, der Baum habe vor dem Umstürzen infolge
Überalterung oder Krankheit seine ursprüngliche Widerstandskraft gegen starke
Windeinwirkung eingebüßt, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Denn ein
solcher Verlust der Widerstandskraft habe nur durch eine fachmännische Untersuchung
festgestellt werden können, zu der die Beklagten rechtlich nicht
verpflichtet gewesen seien.
Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung nicht stand.
II.
Die Revision ist insgesamt zulässig. Entgegen der von dem Prozeßbevollmächtigten
der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat
vertretenen Auffassung läßt sich dem Berufungsurteil nicht mit der erforderlichen
Eindeutigkeit entnehmen, daß das Berufungsgericht die Revision beschränkt
auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch zulassen wollte.
1. Nach der Entscheidungsformel des Berufungsurteils hat das Berufungsgericht
die Revision unbeschränkt zugelassen, denn sie enthält keinen
einschränkenden Zusatz. Allerdings kann sich die Beschränkung der Revisionszulassung
auch aus den Entscheidungsgründen ergeben (siehe nur BGHZ
153, 358, 360 m.w.N.). Sie muß dann jedoch eindeutig daraus hervorgehen
(vgl. BGH, Urt. v. 5. Februar 1998, III ZR 103/97, WM 1998, 870, 871). Daran
fehlt es hier.
2. Das Berufungsgericht hat die Revision zugelassen, "weil - mit Blick
auf die vorzitierte Entscheidung des OLG Düsseldorf - eine Entscheidung des
Revisionsgerichts zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung bei der
Beurteilung von Fällen der vorliegenden, nicht ganz selten vorkommenden Art
erforderlich erscheint". Daß hierin eine Beschränkung der Zulassung auf den
nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch und nicht lediglich eine Begründung
für die Zulassung der Revision hätte liegen sollen, ist nicht zum Ausdruck gekommen.
Denn das Berufungsgericht hat - auch nicht mit dem Hinweis auf die
in ZMR 2003, 917 abgedruckte Entscheidung des Oberlandesgerichts Düsseldorf
- keine Rechtsfrage formuliert, deretwegen es die Revision zugelassen
hat. Es hat vielmehr ganz allgemein die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
in vergleichbaren Fällen für notwendig erachtet. Damit ist die Revision
unbeschränkt zugelassen.
III.
1. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht einen verschuldensabhängigen
deliktsrechtlichen Schadensersatzanspruch des Klägers gegen die Beklagten
wegen der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht (§ 823 Abs. 1 BGB) verneint.
Zu seiner Auffassung ist es, wie der Kläger mit Erfolg rügt, verfahrensfehlerhaft
gelangt, weil es insoweit seiner Entscheidung nur die - entgegen
§§ 160 Abs. 3 Nr. 4, 161 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht protokollierten - Aussagen der
Zeugen und des Sachverständigen zu den von dem Kläger behaupteten erkennbaren
Krankheitszeichen zugrunde gelegt hat. Es ist jedoch dem weiteren
- beweisbewehrten - Vortrag des Klägers nicht nachgegangen, daß der Baum
bei ordnungsgemäßem Beschnitt widerstandsfähiger gewesen und auch bei
starkem Wind nicht umgestürzt und daß bei einem Beschnitt durch ein Fachunternehmen
der Krankheitszustand des Baumes aufgefallen wäre. Treffen diese
Behauptungen zu, waren die Beklagten unter dem Gesichtspunkt der Verkehrssicherungspflicht
verpflichtet, ausreichende Maßnahmen gegen das Umstürzen
des Baumes zu ergreifen.
a) Der Eigentümer eines Grundstücks hat im Rahmen des Möglichen
dafür zu sorgen, daß von den dort stehenden Bäumen keine Gefahr für andere
ausgeht, der Baumbestand vielmehr so angelegt ist, daß er im Rahmen des
nach forstwissenschaftlichen Erkenntnissen Möglichen gegen Windbruch und
Windwurf, insbesondere auch gegen Umstürzen aufgrund fehlender Standfestigkeit
gesichert ist (Senat, Urt. v. 21. März 2003, V ZR 319/02, NJW 2003,
1732, 1733 m.w.N.; Urt. v. 2. Juli 2004, V ZR 33/04, Umdruck S. 5 [zur Veröffentlichung
in BGHZ bestimmt]). Danach waren die Beklagten nicht nur verpflichtet,
den Baum in angemessenen Abständen auf Krankheitsbefall zu überwachen
(Senat, Urt. v. 2. Juli 2004, Umdruck S. 8), sondern auch solche Pflegemaßnahmen
vorzunehmen, welche für das Beibehalten der Standfestigkeit
notwendig waren. Falls sich dabei Krankheitszeichen gezeigt hätten, wäre eine
eingehende fachmännische Untersuchung des Baumes erforderlich gewesen;
wenn dabei die mangelnde Standfestigkeit erkannt worden wäre, hätten rechtzeitig
geeignete Maßnahmen gegen ein Umstürzen ergriffen werden müssen
(Senat, Urt. v. 2. Juli 2004, aaO).
b) Das alles haben die Beklagten nicht getan, obwohl ein anderer Nachbar
sie - unstreitig - zu einem Beschnitt des Baumes aufgefordert hatte. Es
kann deshalb nicht ausgeschlossen werden, daß sie die Gefahr einer Beschädigung
des Nachbargrundstücks sorgfaltswidrig nicht erkannt haben.
2. Fehlerhaft hat das Berufungsgericht auch einen verschuldensunabhängigen
nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 Satz 2
BGB analog verneint.
a) Allerdings hat es die Begründetheit der Klage zu Recht auch unter
diesem Gesichtspunkt geprüft. Zwar hat der Kläger einen nachbarrechtlichen
Ausgleichsanspruch, der selbständig neben dem deliktsrechtlichen Anspruch
nach § 823 Abs. 1 BGB steht (Senat, BGHZ 120, 239, 249; 155, 99, 107 f.),
bisher nicht ausdrücklich geltend gemacht. Aber beide Ansprüche werden von
der auf Ersatz aller durch das Umstürzen des Baumes entstandenen Schäden
gerichteten Klage erfaßt, sind also auch Streitgegenstand geworden. Da der
vorgetragene Sachverhalt den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch von
vornherein mit erfaßt, liefe ein das Rechtsschutzziel auf die unerlaubte Handlung
beschränkende Auslegung des Klagebegehrens dem erkennbaren
Rechtsschutzwillen des Klägers zuwider. Denn beide prozessualen Ansprüche
verfolgen trotz ihrer Unterschiedlichkeit das gleiche prozessuale Ziel und konkurrieren
nicht miteinander (Senat, Urt. v. 4. Juli 1997, V ZR 48/96, WM 1997,
2262, 2263 m.w.N.).
b) Jedoch hat die Begründung des Berufungsgerichts, mit der es den
nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch verneint hat, keinen Bestand. Es hat
die Voraussetzungen, unter denen die Beklagten als Störer angesehen werden
können, verkannt.
aa) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes, insbesondere
des Senats (siehe nur Senat, Urt. v. 21. März 2003, V ZR 319/02,
NJW 2003, 1732, 1733 m.w.N.), ist der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch
nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB analog gegeben, wenn von einem Grundstück
im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes
Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos
hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen, sofern der davon betroffene
Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen gem.
§ 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Danach kommt hier ein Anspruch
unter dem Gesichtspunkt einer rechtswidrigen Beeinträchtigung in Betracht,
die infolge faktischen Duldungszwangs nicht rechtzeitig verhindert werden
konnte. Ein solcher Zwang kann sich u.a. daraus ergeben, daß der Betroffene
die abzuwehrende Gefahr nicht rechtzeitig erkannt hat und auch nicht erkennen
konnte. So liegt es hier. Dem Kläger war es vor dem Umstürzen des
Baumes nicht möglich, gegen die Beklagten mit Erfolg den Unterlassungs- und
Beseitigungsanspruch nach § 1004 Abs. 1 BGB geltend zu machen. Denn eine
von dem Baum ausgehende Gefahr der ernsthaft drohenden Beeinträchtigung
seines Grundstücks, die ein Einschreiten erforderte (vgl. Senat, BGHZ 155, 99,
106), war für ihn nicht erkennbar.
bb) Dem steht nicht etwa der Vortrag des Klägers in den Tatsacheninstanzen
entgegen, in welchem er den Beklagten die schuldhafte Verletzung der
Verkehrssicherungspflicht vorgeworfen hat, weil sie trotz erkennbarer Krankheitszeichen
untätig geblieben sind. Dem kann nicht entnommen werden, daß
der Kläger selbst Krankheitszeichen und die mangelnde Standfestigkeit des
Baumes erkannt hatte, so daß er gegen die Beklagten nach § 1004 Abs. 1 BGB
hätte vorgehen können und somit keinem faktischen Duldungszwang unterlegen
gewesen wäre. Das hätte zum Ausschluß des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs
geführt (Senat, Urt. v. 21. März 2003, aaO). Daß der Kläger
insoweit zu seinem Nachteil vortragen wollte, ist nicht anzunehmen. Sein bisheriger
Vortrag bezieht sich vielmehr nur auf den deliktsrechtlichen Anspruch
nach § 823 Abs. 1 BGB. Unter dem Gesichtspunkt der hier gegebenen alternativen
Klagenhäufung (Senat, Urt. v. 4. Juli 1997, aaO) ist es ihm jedoch nicht
verwehrt, einerseits zu dem deliktsrechtlichen Anspruch die Erkennbarkeit von
Krankheitszeichen an dem Baum vorzutragen und andererseits hinsichtlich des
nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs davon abzurücken, zumal auch die
Beweisaufnahme derartige Anzeichen nicht ergeben hat.
3. Da die Revision Erfolg hat, ist das Berufungsurteil aufzuheben (§ 562
Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Es muß den
von dem Kläger angebotenen Sachverständigenbeweis zu den bisher übergangenen
Behauptungen erheben und sodann über den deliktsrechtlichen Anspruch
neu entscheiden. Falls es diesen Anspruch wiederum verneint, wird es
auch die Entscheidung über den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch neu
treffen müssen. Dabei wird es die neuere Rechtsprechung des Senats zu berücksichtigen
haben, wonach der Eigentümer, der auf seinem Grundstück ei-
nen Baum unterhält, welcher allein infolge seines Alters auf das Nachbargrundstück
stürzen kann, Störer im Sinne des § 1004 Abs. 1 BGB ist (Senat,
Urt. v. 21. März 2003, aaO), und wonach durch Naturereignisse ausgelöste
Störungen dem Eigentümer zugerechnet werden können, wenn sich aus der Art
der Nutzung des Grundstücks, von dem die Störung ausgeht, eine "Sicherungspflicht",
also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen
ergibt. Hierfür ist u.a. entscheidend, ob sich die Nutzung des störenden Grundstücks
im Rahmen ordnungsgemäßer Bewirtschaftung hält (vgl. Senat, Urt. v.
14. November 2003, V ZR 102/03, NJW 2004, 1037, 1039 [zur Veröffentlichung
in BGHZ 157, 33 vorgesehen]). Unter diesen Gesichtspunkten, zu welchen die
Parteien noch ergänzend vortragen können, kann sich eine Verantwortlichkeit
der Beklagten für das Umstürzen des Baumes ergeben.
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