Zur Frage der Verwirkung des Rechts zur fristlosen Kündigung bei zunächst hingenommenem, aber weiter auflaufendem Rückstand mit einem Teil des Mietzinses (hier: Mehrwertsteuer).
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
15. 06. 2005
Aktenzeichen
XII ZR 291/01
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 23. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts München vom 21. September 2001 aufgehoben.
Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das Endurteil der 34. Zivilkammer
des Landgerichts München I vom 21. September 2000
wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Beklagte zu 2
seine eigenen außergerichtlichen Kosten sowie als Gesamtschuldner
neben der Beklagten zu 1 die Hälfte der Gerichtskosten
und der außergerichtlichen Kosten der Klägerin; im übrigen trägt
die Beklagte zu 1 die Kosten der Rechtsmittelverfahren allein.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der Beklagten zu 1 (nachstehend: die Beklagte)
Räumung und Herausgabe von Räumen in einem Büro- und Geschäftshaus,
die sie ihr mit schriftlichem Vertrag vom 28./29. Juni 1995 für die Zeit bis zum
31. Juli 2005 zum Betrieb eines Wohnheims für betreutes Wohnen vermietet
hatte. § 4 Nr. 3 des Mietvertrages bestimmt, daß zu dem Mietzins die Mehrwertsteuer
zu leisten sei.
Durch Briefwechsel vom 2./4. August 1995 einigten die Parteien sich über
die zusätzliche Anmietung eines Stellplatzes in der Tiefgarage ab 1. September
1995 zu einem monatlichen Mietzins von 80 DM zuzüglich Mehrwertsteuer.
In der Folgezeit machte die Beklagte geltend, die von der Klägerin ausgeübte
Option zur Mehrwertsteuer sei umsatzsteuerrechtlich nicht zulässig gewesen.
Mit Schreiben vom 14. Oktober 1996 kündigte sie der Klägerin an, die
laufenden Mietzahlungen ab November 1996 um die Mehrwertsteuer zu kürzen,
und zahlte diese seitdem nicht mehr.
Mit Anwaltsschreiben vom 15. Mai 1997 widersprach die Klägerin der
Rechtsauffassung der Beklagten, behielt sich die Nachforderung der Mehrwertsteuer
vor und erklärte, die Streitfrage solle einer Regelung zugeführt werden.
Nach einer Zahlungsaufforderung vom 11. Juli 1997 mit Fristsetzung forderten
die späteren Prozeßbevollmächtigten mit Schreiben vom 9. September
1997 die Beklagte erneut auf, die einbehaltene Mehrwertsteuer bis spätestens
25. September 1997 nachzuentrichten; sie würden es bedauern, ihrer Mandantin
nach Ablauf dieser Frist empfehlen zu müssen, Klage zu erheben. Mit
Schreiben vom 20. November 1998 teilten sie der Beklagten mit, die Umsatzsteuerproblematik
werde mit dem zuständigen Finanzamt geklärt; anschließend
würden sie auf die Angelegenheit zurückkommen.
Mit weiterem Schreiben vom 8. Juli 1999 wiesen die späteren Prozeßbevollmächtigten
darauf hin, daß ein erheblicher Mietrückstand aufgelaufen sei,
der eine fristlose Kündigung rechtfertige. Bevor sie der Klägerin empfehlen
würden, diese auszusprechen und den Rückstand geltend zu machen, erhalte
die Beklagte Gelegenheit, den Anspruch auf Nachentrichtung der einbehaltenen
Beträge bis zum 25. Juli 1999 schriftlich dem Grunde nach anzuerkennen; die
Klägerin sei dann zu einer angemessenen Ratenzahlungsvereinbarung bereit.
Andernfalls müßten sie ihr empfehlen, gerichtliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Nachdem die Beklagte ein solches Anerkenntnis nicht abgegeben hatte,
erklärte die Klägerin mit Anwaltsschreiben vom 17. September 1999 die fristlose
Kündigung des Mietverhältnisses und forderte die Beklagte sowie den das
Wohnheim betreibenden Untermieter (Beklagter zu 2) zur Räumung bis
28. September 1999 auf.
Nach Erhebung und Zustellung der Räumungsklage sowohl gegen die
Beklagte als auch deren Untermieter im Oktober 1999 zahlte die Beklagte den
streitigen Mietrückstand in Höhe von 114.204 DM unter Vorbehalt.
Das Landgericht gab der Klage statt. Die hiergegen gerichtete Berufung
des Beklagten zu 2 wurde zurückgenommen, die der Beklagten führte zur Aufhebung
des landgerichtlichen Urteils, soweit zu ihrem Nachteil erkannt worden
war, und insoweit zur Abweisung der Klage. Dagegen richtet sich die Revision
der Klägerin, die der Senat angenommen hat.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg und führt zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen
Urteils.
I.
Das Berufungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die
fristlose Kündigungserklärung der Klägerin vom 17. September 1999 habe das
auf zehn Jahre fest abgeschlossene Mietverhältnis nicht vorzeitig beendet
- auch nicht als ordentliche Kündigung mit gesetzlicher Frist.
Die fristlose Kündigung sei unwirksam. Zwar hätte die Beklagte die Mehrwertsteuer
nicht einbehalten dürfen, zumal im Berufungsverfahren unstreitig
geworden sei, daß die Klägerin die Mehrwertsteuer auf die Miete tatsächlich
abgeführt habe. Ihre Option zur Mehrwertsteuer sei nach Maßgabe der Übergangsvorschrift
des § 27 Abs. 2 Nr. 3 UStG wirksam. Darauf komme es aber
letztlich nicht an, weil die Beklagte auch im Falle einer unzulässigen Option einen
Mietzins entrichten müsse, dessen Höhe dem vereinbarten Mietzins zuzüglich
Mehrwertsteuer entspreche. Dies ergebe die - im Falle der Unzulässigkeit
der Option - erforderliche ergänzende Auslegung des Vertrages im Hinblick darauf,
daß die Klägerin mit den vereinbarten Mehrwertsteuerbeträgen ersichtlich
einen Teil ihrer Bau- und Finanzierungskosten im Wege des Vorsteuerabzugs
habe abdecken wollen. Wäre dies nicht möglich erschienen, hätte sie den Nettomietzins
entsprechend höher kalkuliert und die Beklagte sich dem aller Voraussicht
nach nicht widersetzt.
Die Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung ergebe sich aber aus dem
Grundsatz von Treu und Glauben. Die Klägerin habe ihr Recht zur fristlosen
Kündigung wegen Zahlungsverzuges verwirkt, weil sie diesen jahrelang hingenommen
habe. Zumindest stelle die Kündigung eine unzulässige Rechtsausübung
dar, nachdem die Klägerin die mit Schreiben vom 9. September 1997 in
den Raum gestellte Zahlungsklage nicht erhoben und den Einbehalt der Mehrwertsteuer
weitere eineinhalb Jahre hingenommen habe, ohne die Kündigung
zuvor konkret anzudrohen. Eine solche Androhung sei auch in ihrem Schreiben
vom 8. Juli 1999, in dem lediglich die Möglichkeit einer fristlosen Kündigung
angesprochen worden sei, nicht enthalten. Die Beklagte habe mit einer Kündigung
um so weniger zu rechnen brauchen, als die Klägerin entgegen ihrem
Schreiben vom 20. November 1998 das Ergebnis der angestrebten Klärung mit
dem Finanzamt nicht mitgeteilt habe. Hingegen hätte eine unmißverständliche
Kündigungsandrohung zur Nachzahlung der einbehaltenen Beträge geführt, wie
das Verhalten der Beklagten nach Zustellung der Klage zeige.
Auch als ordentliche Kündigung habe die Kündigungserklärung der Klägerin
das Mietverhältnis nicht beendet, da dessen Befristung bis zum 31. Juli
2005 wirksam sei. Zwar entspreche der durch Briefwechsel zustande gekommene
Mietvertrag über den zusätzlichen Stellplatz nicht der Schriftform des
§ 566 BGB (a.F.). Dies stehe der Wahrung der Schriftform des ursprünglichen
Mietvertrages aber nicht entgegen, weil der Mietvertrag über den Stellplatz ein
separater, zusätzlicher Vertrag und kein den Ursprungsvertrag abändernder
Nachtrag hierzu sei.
II.
Das hält der revisionsrechtlichen Prüfung und den Angriffen der Revision
nicht in allen Punkten stand.
1. Auf die Frage der Wahrung der Schriftform kommt es nicht an, weil die
fristlose Kündigung wegen Zahlungsverzuges schon als solche zur Beendigung
des Mietvertrages geführt hat und den geltend gemachten Räumungsanspruch
begründet.
2. Ein die fristlose Kündigung rechtfertigender langfristiger Zahlungsrückstand
in Höhe von weit mehr als zwei Monatsmieten (§ 554 Abs. 1 Nr. 2 BGB
a.F.) lag vor. Die Auffassung des Berufungsgerichts, die Beklagte habe die vereinbarte
Mehrwertsteuer geschuldet, wird von der Revision als ihr günstig nicht
angegriffen und läßt revisionsrechtlich beachtliche Rechtsfehler nicht erkennen.
Auch die Revisionserwiderung erinnert hiergegen nichts.
3. Die Klägerin war - entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts -
hier auch nicht ausnahmsweise wegen ihres vorausgegangenen Verhaltens
gehindert, von ihrem Recht zur fristlosen Kündigung Gebrauch zu machen.
Die Klägerin hat der Einbehaltung der Mehrwertsteuer ab November
1996 mit Schreiben vom 15. Mai 1997 und damit zu einem Zeitpunkt widersprochen,
bis zu dem eine Verwirkung ihres frühestens Ende 1997 entstandenen
Kündigungsrechts noch nicht in Betracht kam. Jeweils im Abstand von zwei
Monaten hat sie die Beklagte zudem unter Fristsetzung zur Zahlung aufgefordert
und - wenn auch sehr zurückhaltend - Klage angedroht. Die Beklagte durfte
deshalb auch weiterhin nicht darauf vertrauen, die Klägerin werde aus dem erfolglosen
Ablauf der gesetzten Nachfristen nicht die gesetzlich vorgesehenen
Konsequenzen ziehen.
Aber selbst wenn man - mit dem Berufungsgericht - annähme, wegen der
im November 1998 in Aussicht gestellten Klärung mit dem Finanzamt und dem
nachfolgenden Schweigen der Klägerin bis zum 8. Juli 1999 sei es dieser verwehrt,
eine Kündigung auf Rückstände aus weiter zurückliegenden Zeiträumen
zu stützen, wäre die hier ausgesprochene fristlose Kündigung vom 17. September
1999 nach § 554 Abs. 1 Nr. 1 BGB a.F. auch allein wegen des nach diesem
Zeitpunkt hinzugekommenen weiteren Rückstandes erneut gerechtfertigt und
insoweit nicht treuwidrig gewesen. Denn spätestens mit diesem Schreiben vom
8. Juli 1999 hat die Klägerin unmißverständlich darauf hingewiesen, daß der
Rückstand eine fristlose Kündigung rechtfertige. Auch wenn diese nur mit der
Formulierung angedroht wurde, daß die anwaltlichen Vertreter der Klägerin ihr
die Kündigung (nebst Erhebung der Zahlungsklage) anraten würden, sofern die
Beklagte den Anspruch nicht bis zum 28. September 1999 zumindest dem
Grunde nach anerkenne, mußte die Beklagte auch ohne weitere Vorwarnung
mit einer solchen Kündigung rechnen. Sie durfte nicht darauf vertrauen, daß die
Klägerin der Empfehlung ihrer Anwälte nicht folgen werde.
4. Das Landgericht hat dem Räumungsanspruch gegen die Beklagte daher
zu Recht stattgegeben. Diese Entscheidung kann der Senat aufgrund der
bisherigen Feststellungen selbst treffen, da weiterer entscheidungserheblicher
Sachvortrag nicht zu erwarten ist.
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