Eröffnetes öffentliches Testament als Nachweis für Erbrecht
Gericht
BGH
Art der Entscheidung
Revisionsurteil
Datum
07. 06. 2005
Aktenzeichen
XI ZR 311/04
Der Erbe ist nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen; er hat auch die Möglichkeit, den Nachweis seines Erbrechts in anderer Form zu erbringen.
Ein eröffnetes öffentliches Testament stellt in der Regel einen ausreichenden Nachweis für sein Erbrecht dar.
Auszüge aus dem Sachverhalt:
Die Kl. nehmen die bekl. Bank auf Erstattung von Gerichtskosten für die Erteilung eines Erbscheins in Anspruch. Der Erblasser, Ehemann der Kl. zu 1 und Vater der Kl. zu 2 und 3, hatte der Bekl. ein langfristiges so genanntes Berlin-Darlehen gewährt. Mit notariell beurkundetem Testament vom 11. 11. 1997 setzte er die Kl. zu gleichen Teilen als Erben ein und ordnete eine Vermögensauseinandersetzung an, nach der die Kl. zu 1 sein gesamtes geldwertes Vermögen und die Kl. zu 2 und 3 Eigentum an Grundstücken sowie Geschäftsanteile an einer GmbH erhalten sollten. Mit notariell beurkundetem Testament vom 9. 2. 2000 nahm er eine Änderung der Teilungsanordnung betreffend die Kl. zu 2 und zu 3 vor. Nach dem Tode des Erblassers am 4. 12. 2001 bat die Kl. zu 1 die Bekl. mit Schreiben vom 20. 1. 2002 unter Beifügung von Fotokopien der Sterbeurkunde und des eröffneten Testaments vom 11. 11. 1997 um Umschreibung des Darlehenskontos auf ihren Namen. Die Bekl. antwortete am 23. 4. 2002, die eingereichten Unterlagen seien für die Umschreibung nicht ausreichend, weshalb sie um Übersendung des Erbscheins im Original bzw. in beglaubigter Form bitte. Außerdem sei die Zustimmung der Volksbank S. (im Folgenden: Volksbank) erforderlich, an die die Forderungen aus dem Darlehen sicherungshalber abgetreten worden waren. Nachdem die Volksbank mit Schreiben vom 2. 5. 2002 unter Beifügung von Fotokopien der Sterbeurkunde sowie beider eröffneter Testamente der Bekl. ihre Zustimmung zur Umschreibung des Darlehens auf die Erben erklärt hatte, teilte die Bekl. auch ihr am 20. 6. 2002 mit, sie könne das Testament als Nachweiserleichterung nicht berücksichtigen und benötige für die Übertragung des Darlehens eine beglaubigte Kopie des Erbscheins zur Einsichtnahme. Eine Ablichtung dieses Schreibens erhielt die Kl. zu 1 zur Kenntnisnahme. Mit Schreiben vom 1. 8. 2002 übersandten die drei Kl. der Bekl. den von ihnen erwirkten Erbschein und baten um Umschreibung des Darlehenskontos auf die Kl. zu 1. Zugleich forderten sie die Bekl. erfolglos zur Erstattung der durch den Erbschein verursachten Gerichtskosten in Höhe von 1434 Euro auf.
Das AG hat die Klage auf Zahlung von 1434 Euro zuzüglich Zinsen abgewiesen. Das LG hat die Bekl. antragsgemäß zur Erstattung der Kosten an die Kl. als Gesamtgläubiger verurteilt. Mit der vom BerGer. zugelassenen Revision verfolgt die Bekl. ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Das Rechtsmittel war im Wesentlichen erfolglos.
Auszüge aus den Gründen:
I. Das BerGer. hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt:
Den Kl. stehe als in den Darlehensvertrag des Erblassers eingetretene Erben ein Anspruch auf Ersatz der Kosten des Erbscheins aus positiver Forderungsverletzung wegen Erfüllungsverweigerung zu. Die Bekl. habe zu Unrecht die Umschreibung des Darlehens auf die Kl. zu 1 verweigert, obwohl die Kl. die Erbfolge durch Übersendung des öffentlichen Testaments mit Eröffnungsprotokoll des zuständigen AG dargetan und durch die gemeinsame Unterschrift die Berechtigung der Kl. zu 1, alleinige Kontoinhaberin zu werden, mitgeteilt hätten. Die Bekl. könne sich weder darauf berufen, dass der Erbschein der einzige rechtlich anerkannte Nachweis der Erbfolge sei, noch dass sie ein sonstiges begründetes Interesse an dessen Vorlage gehabt habe. In den Vorschriften des BGB existiere keine Vorschrift, wonach ein Schuldner von dem Erben als Legitimation die Vorlage eines Erbscheins verlangen und bis dahin die dem Erben geschuldete Leistung verweigern könne. Es habe auch keine vertragliche Regelung zwischen den Parteien des Darlehensvertrags bestanden, die es der Bekl. erlaubt habe, nur gegen Vorlage des Erbscheins das Darlehen umzuschreiben. Das Sicherungsinteresse der Bekl. müsse hier hinter dem Interesse des Erben, nicht mit unnötigen Kosten belastet zu werden, zurückstehen, da Anhaltspunkte für die Existenz weiterer dem eingereichten Testament widersprechender letztwilliger Verfügungen nicht bestanden hätten. Eine Verletzung der Schadensminderungspflicht auf Seiten der Kl. liege nicht vor. Angesichts ihrer - nicht substanziiert bestrittenen - Behauptung, die Bekl. habe eine Umschreibung ohne Erbschein mehrfach verweigert, sei ihnen nicht anzulasten, dass sie ihre Erstattungsforderung nicht vorab angekündigt hätten.
II. Das BerGer. ist zu Recht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Bekl. den Kl. aus dem Gesichtspunkt der positiven Forderungsverletzung zur Erstattung der Gerichtskosten für den Erbschein verpflichtet ist (1). Allerdings steht der Schadensersatzanspruch den Kl. - wie die Revision zutreffend beanstandet - nicht als Gesamt-, sondern als Mitgläubigern zu (2).
1. a) Die Kl. sind als testamentarische Erben des ursprünglichen Darlehensgläubigers gem. §§ 1922 I, 2032 BGB in den Darlehensvertrag mit der Bekl. eingetreten, auf den als Dauerschuldverhältnis für die Vorgänge des Jahres 2002 gem. Art. 229 § 5 S. 2 EGBGB das Bürgerliche Gesetzbuch in der vor dem 1. 1. 2002 geltenden Fassung Anwendung findet.
b) Die Bekl. hat gegen die ihr obliegenden vertraglichen Pflichten verstoßen, indem sie die Umschreibung des Darlehenskontos von der Vorlage eines Erbscheins abhängig gemacht hat. Dabei kann dahinstehen, ob - wie das BerGer. angenommen hat - hier ein Fall der endgültigen Erfüllungsverweigerung vorlag. Bei der ernsthaften und endgültigen Erfüllungsverweigerung handelt es sich lediglich um einen Unterfall der Verletzung der allgemeinen Leistungstreuepflicht (OLG Frankfurt a.M., OLG-Report 2001, 105 [106]; OLG München, NJW-RR 2003, 201 [202]; Emmerich, in: MünchKomm, 4. Aufl. [2001], Vorb. § 275 Rdnr. 241). Aus der Leistungstreuepflicht folgt die generelle Verpflichtung, den Vertragszweck und den Leistungserfolg weder zu gefährden noch zu beeinträchtigen (vgl. BGHZ 11, 80 [83 ff.] = NJW 1954, 229; BGHZ 90, 302 [308] = NJW 1984, 2034; BGH, NJW 1983, 875 = WM 1983, 125 [126], und NJW 1995, 1954 = WM 1995, 1288 [1289]). Jedenfalls gegen diese Verpflichtung hat die Bekl. verstoßen, als sie die Umschreibung des Darlehensvertrags auf die Kl. von der Vorlage eines Erbscheins abhängig machte.
aa) Der Darlehensvertrag mit dem Erblasser enthielt unstreitig keine Vereinbarung darüber, in welcher Art und Weise nach dem Tode des Darlehensgebers dessen Rechtsnachfolge nachzuweisen ist. Insbesondere waren die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken oder Sparkassen nicht Vertragsinhalt. Auch einer der gesetzlich gesondert geregelten Fälle, in denen der Erbe die Rechtsnachfolge grundsätzlich durch einen Erbschein nachzuweisen hat (§ 35 I 1 GBO, § 41 I 1 Schiffsregisterordnung, § 86 des Gesetzes über Rechte an Luftfahrzeugen), liegt nicht vor.
bb) Abgesehen von diesen Sonderregelungen ist der Erbe nicht verpflichtet, sein Erbrecht durch einen Erbschein nachzuweisen, sondern hat auch die Möglichkeit, diesen Nachweis in anderer Form zu erbringen (BGH, BGH-Report 2005, 558 [559] = NJW-RR 2005, 599 = FamRZ 2005, 515 [516]). Es existiert keine Regelung, die den Nachlassschuldner berechtigt, seine Leistung auch ohne entsprechende vertragliche Vereinbarung grundsätzlich von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen. Wie der BGH im Anschluss an die Rechtsprechung des RG (RGZ 54, 343 [344]) bereits entschieden hat, lässt sich ein solches Leistungsverweigerungsrecht auch nicht aus der gem. § 2367 BGB bei Unrichtigkeit des Erbscheins befreienden Wirkung der Leistung an den Erbscheinserben ableiten (BGH, WM 1961, 479 [481]). Dem entspricht auch die herrschende Auffassung in der Literatur (Mayer, in: MünchKomm, § 2365 Rdnr. 32; Staudinger/Schilken, BGB, Neubearb. 2004, § 2353 Rdnrn. 11f., § 2365 Rdnr. 5; Erman/Schlüter, BGB, 11. Aufl., § 2365 Rdnr. 2; Soergel/Zimmermann, BGB, 13. Aufl., § 2367 Rdnr. 1; Schwintowski, in: Schwintowski/Schäfer, BankR, 2. Aufl., § 2 Rdnrn. 27f.).
Anlass zu einer Änderung dieser Rechtsprechung besteht - anders als die Revision meint - auch aus Gründen des Schuldnerschutzes nicht. Der Umstand, dass die Gefahr der doppelten Inanspruchnahme allein aus der Risikosphäre des Gläubigers stammt, rechtfertigt es nicht, dessen Erben zum Schutz des Schuldners generell zur Vorlage eines Erbscheins zu verpflichten. Bei den Anforderungen an den Nachweis der Rechtsnachfolge ist auch den berechtigten Interessen der Erben an einer möglichst raschen und kostengünstigen Abwicklung des Nachlasses Rechnung zu tragen. Dabei kann die Forderung nach Vorlage eines Erbscheins in unklaren Fällen berechtigt sein (vgl. BGH, WM 1961, 479 [481]), wird jedoch - wie hier - ein eröffnetes öffentliches Testament vorgelegt, wird dies - entsprechend den Regelungen in § 35 I 2 GBO und § 41 I 2 der Schiffsregisterordnung - in der Regel als ausreichender Nachweis für die Rechtsnachfolge anzusehen sein. Dass die Bekl. bei Rückzahlung des Berlin-Darlehens an Unberechtigte mit Steuermitteln haften müsste, ändert nichts.
Dass und aus welchen Gründen die Bekl. Anlass gehabt hätte, Zweifel an der Richtigkeit der durch das notariell beurkundete Testament belegten Erbfolge zu haben, hat sie nicht dargetan. Ob die Bekl. die Umschreibung des Darlehens noch von ergänzenden Erklärungen der Kl. zur Nichtexistenz weiterer Testamente oder Erbberechtigter hätte abhängig machen können (vgl. OLG Bremen, OLGZ 65, 170 [172 f.]), bedarf keiner Entscheidung. Ein solches Begehren hat die Bekl. nicht gestellt. Vielmehr hat sie die Umschreibung des Darlehens in ihren Schreiben vom 23. 4. 2002 und 20. 6. 2002 ausdrücklich von der Vorlage eines Erbscheins abhängig gemacht.
Entgegen der Auffassung der Revision hat die Bekl. mit diesen beiden Schreiben auch nicht lediglich die Vorlage eines bereits existierenden Erbscheins verlangt; vielmehr ist den Schreiben unzweideutig zu entnehmen, dass die Vorlage eines Erbscheins in jedem Fall erforderlich sei. Die Bekl. hat auch nichts dazu vorgetragen, aus welchen Gründen sie zu der Annahme gelangt sein will, den Kl. sei bereits ein Erbschein erteilt worden.
c) Die Bekl. handelte auch schuldhaft. Ein etwaiger Rechtsirrtum über die Verpflichtung eines Erben zur Vorlage eines Erbscheins wäre unerheblich, weil nicht unverschuldet. Der beklagten Bank, die über rechtlich versierte Fachkräfte verfügt, musste bekannt sein, dass Erben ihr Erbrecht nach der Rechtsprechung des BGH und der ganz herrschenden Meinung in der Literatur nicht nur durch einen Erbschein, sondern auch auf andere Weise nachweisen können.
d) Die vertragswidrige Forderung der Bekl., einen Erbschein vorzulegen, ist für die Beantragung des Erbscheins durch die Kl. ursächlich geworden. Unstreitig ist der Erbschein ausschließlich auf Grund der Forderung der Bekl. beantragt worden und war für die Abwicklung des Nachlasses im Übrigen nicht erforderlich. Die Bekl. vermag sich auch nicht darauf zu berufen, dass die Umschreibung des Darlehenskontos auf die Kl. zu 1 vor Erwirkung des Erbscheins nicht von den Kl. gemeinsam, sondern nur von der Kl. zu 1 verlangt worden ist. Denn die Bekl. hat dies in ihren Schreiben vom 23. 4. 2002 und 20. 6. 2002 zum Anlass genommen, nicht nur die Umschreibung des Kontos auf die Kl. zu 1 zu verweigern, sondern jede Umschreibung von der Vorlage eines Erbscheins abhängig zu machen.
e) Ein anspruchsminderndes Mitverschulden ist den Kl. nicht anzulasten. Angesichts der eindeutig gefassten Schreiben der Bekl. vom 23. 4. 2002 und 20. 6. 2002 durften die Kl. davon ausgehen, dass sich die Bekl. durch einen Hinweis auf die durch die Erwirkung eines Erbscheins entstehenden Kosten nicht veranlasst sehen würde, von der verlangten Vorlage eines Erbscheins Abstand zu nehmen.
2. Zu Recht wendet sich die Revision allerdings dagegen, dass das BerGer. die Bekl. zur Zahlung an die Kl. als Gesamtgläubiger verurteilt hat. Eine Gesamtgläubigerschaft gem. § 428 BGB liegt nicht vor. Vielmehr gehörte der Anspruch auf Umschreibung des Darlehensvertrags zum Nachlass und war gem. § 2039 BGB gegenüber allen Erben zu erfüllen. Der Schadensersatzanspruch aus der Verletzung der entsprechenden Verpflichtung der Bekl. gehört deshalb ebenfalls zum Nachlass (vgl. BGH, NJW 1987, 434 = WM 1987, 217 [219]).
a) Der Auffassung der Revisionserwiderung, die Kl. seien deshalb Gesamtgläubiger der Bekl., weil sie durch die gemeinschaftliche Klageerhebung stillschweigend eine Gesamtgläubigerschaft vereinbart hätten, ist nicht zu folgen. Für diese Annahme fehlt es bereits an einem ausreichenden Tatsachenvortrag in den Vorinstanzen. Allein die Formulierung des Klageantrags auf Zahlung an die Kl. „als Gesamtgläubiger“ durch ihren Prozessbevollmächtigten lässt keinen Schluss darauf zu, dass die Kl. untereinander einen entsprechenden rechtsgeschäftlichen Willen geäußert hätten. Im Übrigen setzt die Vereinbarung einer Gesamtgläubigerschaft an einer bestehenden Forderung die Mitwirkung des Schuldners voraus (vgl. BGHZ 64, 67 [70 f.] = NJW 1975, 966; BGH, NJW 1996, 2859 = WM 1996, 1632).
b) Die Verurteilung der Bekl. zur Zahlung an die Kl. als Gesamtgläubiger kann entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht deshalb aufrechterhalten bleiben, weil die Miterben einen von ihnen dazu ermächtigen können, von dem Verpflichteten die Leistung an sich selbst zu verlangen. Auch für die Annahme einer solchen Ermächtigung fehlt es an jeglichem tatsächlichen Vortrag der Kl. in den Vorinstanzen.
III. Die Verurteilung der Bekl. hatte deshalb - nur insoweit hat die Revision Erfolg - nicht zur Zahlung an die Kl. als Gesamtgläubiger, sondern als Mitgläubiger zu erfolgen; eine solche Verurteilung stellt ein Weniger gegenüber einer Verurteilung zur Zahlung als Gesamtgläubiger dar (vgl. BGH, NJW 1991, 2629 = WM 1991, 1727 [1728]).
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