Gegendarstellungsforderung der Dagmar Frederic gescheitert: Gutachtensäußerungen richtig ausgewählt

Gericht

LG Offenburg


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

08. 12. 2005


Aktenzeichen

2 O 416/05


Tenor

  1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung wird zurückgewiesen.

  2. Die Verfügungsklägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

  3. Das Urteil ist in Ziffer 2 für die Verfügungsbeklagte gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand


Tatbestand:

Die Verfügungsklägerin begehrt von der Verfügungsbeklagten im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes eine presserechtliche Gegendarstellung.

Die Verfügungsklägerin ist eine insbesondere aus dem Fernsehen und aus den Print¬medien bekannte Sängerin und Entertainerin. Die Verfügungsbeklagte ist die Verlegerin der wöchentlich erscheinenden Zeitschrift ... . In dieser Eigen¬schaft berichtete die Verfügungsbeklagte in ... un¬ter der Überschrift "... - hat sie eine alte Dame um 210.000 Euro betrogen?" über die Verfügungsklägerin. In dem Artikel heißt es u. a. im Bezug auf einen als Ausriss abgebildeten schriftlichen Auftrag zur Übertragung von € 100.000 vom Konto einer Frau W. auf ein Konto der Verfügungsklägerin: "Den Beleg hat ... unterschrieben. Ob sie wusste, was sie unterschrieb, ist zweifel¬haft. Laut ärztlichen Gutachten war die alte Dame Ende September 2003 "zeitlich, ört¬lich und räumlich nicht voll orientiert".

Tatsächlich gibt es ein Gutachten über den - psychischen - Gesundheitszustand von Frau ..., nicht jedoch vom September, sondern vom 05.12.2003 durch das St. Josephkrankenhaus Berlin-Weissensee, auf dessen Inhalt ausdrücklich Bezug ge¬nommen wird (AS 107 bis 109). Insbesondere befinden sich dort folgende Ausführungen: "Psychopathologisch: Wach, Bewusstseinsklar, örtlich und zeitlich unzureichend orientiert, dtl. Einschränkung der Konzentrations- und Auffassungsgabe, im formalen Denken sprunghaft und verlangsamt, anamnestische optische Halluzinatio¬nen, anklingendes paranoides Gedankengut, affektiv gut resonanzfähig, depressiv gestimmt, psychomotorisch unauffällig, nicht suizidal (...)".

Die Verfügungsklägerin ist der Auffassung, ihr stehe nach § 11 des LPresseG ein Gegendarstellungsanspruch zu. Dieser ergebe sich daraus, dass zwar - auszugswei¬se - die oben zitierte Passage dargestellt werde, jedoch die - für das Gesamtver¬ständnis wichtigen - Worte wie "wach" und "bewusstseinsklar" fehlten. Die Verfügungsklägerin beantragt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, die Verfügungsbeklagte zu verurteilen, im gleichen Teil der Zeitschrift ..., in dem der Artikel mit der Überschrift "... - hat sie eine alte Dame um 210.000 € betrogen?" (... vom 05.11.2005) erschien, mit der gleichen Schrift unter Hervorhebung des Wortes "Gegendarstellung" als Überschrift durch drucktechnische Anordnung und Schriftgröße sowie unter Ankündigung auf der Titel¬seite und im Inhaltsverzeichnis in der nächsten für den Druck noch nicht abgeschlos¬senen Ausgabe die folgende Gegendarstellung zu veröffentlichen:

"Gegendarstellung in der ... wird unter der Überschrift "... - hat sie eine alte Dame um 210.000 € betrogen?" über den vom 08.12.2003 datierten Beleg einer Überweisung der Frau ... an mich in Höhe von 100.000 € u. a. wie folgt berichtet:

"Den Beleg hat ... unterschrieben, ob sie wusste, was sie unter¬schrieb, ist zweifelhaft. Laut ärztlichem Gutachten war die alte Dame Ende Septem¬ber 2003 "zeitlich, örtlich und räumlich nicht voll orientiert".

Hierzu stelle ich fest:

Frau ... wusste und verstand, was der Beleg zum Inhalt hatte und was er bedeutete. Laut einem ärztlichen Bericht vom 05.12.2003 war Frau ... zwar "örtlich und zeitlich unzureichend orientiert", aber "wach" und "bewusstseinsklar".
08.11.2005 ...".

Die Verfügungsbeklagte beantragt, wie erkannt.

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hat in der Sache jedoch keinen Erfolg. Die Verfügungsklägerin kann weder gemäß § 11 des LPresseG Baden-Württemberg noch gemäß §§ 1004, 823 BGB von der Verfügungsbeklagten die begehrte Gegendarstellung verlangen. Es handelt sich nämlich bei der streitgegenständlichen Passage in der ... um eine Tatsachenbehauptung, die zwar dem Grunde nach gegendarstellungsfähig ist. Diese Tatsachenbehauptung ist jedoch nicht falsch, so dass letztlich die Verfügungsklägerin auch kein "berechtigtes Interesse" im Sinne von § 11 Abs. 2 Nr. 1 LPresseG im Hinblick auf die Gegendarstellung hat.

1. Bei der streitgegenständlichen Textpassage handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung und kein Werturteil.

a. Von einer Tatsachenbehauptung ist dann auszugehen, wenn der Gehalt der Äußerung entsprechend dem Verständnis des Durchschnittsempfängers der objektiven Klärung zugänglich ist und als etwas Geschehenes grundsätzlich dem Beweis offen steht (BGH NJW 1952, 660; BGH NJW 1976, 1198 - BGH NJW 1992, 1314, 1316). Im Gegensatz dazu misst eine Meinungsäußerung einen Vorgang oder Zustand an einem vom Kritiker gewählten Maßstab, so dass von einer Meinungsäußerung auszugehen ist, wenn die Äußerung den Empfänger als subjektive Meinung anspricht und ihm als solche erkennbar ist (BGH NJW 1966,1617). Es kommt mithin darauf an, ob die Äußerung durch die Elemente des Dafürhaltens oder Meinens geprägt ist (BVerfG, NJW 1983, 1415).

b. Unter Zugrundelegung dieser Kriterien ist der angegriffene Textteil als Tatsachenbehauptung zu werten. Aus Sicht eines objektiven Lesers ist nach Auffassung des Gerichts der Text so zu verstehen, dass - trotz der vorgenommenen vorsichtigen Formulierung - der Verdacht geäußert wird, Frau ... sei aufgrund ihres Gesundheitszustandes bei Unterschriftsleistung nicht in der Lage gewesen, den vollen Umfang ihres Tätigseins zu überblicken. Ob sie dazu in der Lage war, ist der Beweisführung zugänglich, nämlich mittels Zeugen - oder - wie bereits in der angegriffenen Textpassage - mittels Sachverständigengutachten.

Dieser Eindruck wird für den geneigten Leser zudem verstärkt dadurch, dass auf ein Gutachten Bezug genommen wird und aus diesem sogar wörtlich zitiert wird. Auch der Inhalt eines Schriftstückes (wie hier: Gutachten) ist der Beweisführung - zumeist bereits durch Augenschein - zugänglich. Durch die Verknüpfung dieser beiden Aussagen versucht die Verfügungsbeklagte sogar, der Aussage über den Gesundheitszustand von Frau ... einen wissenschaftlichen Anstrich zu geben und diese Aussage durch den Verweis auf eine anderweitige fachliche Äußerung zu untermauern. Durch diese wissenschaftliche Untermauerung macht sie damit umso deutlicher, dass sie nicht nur irgend eine subjektive Meinung wiedergeben möchte, sondern zum einen eine Aussage über den tatsächlichen Vorgang der Unterschriftsleistung, zum anderen über den wissenschaftlich belegten Gesundheitszustand der Handelnden zu liefern. Letztlich verstärkt sie durch diese Verknüpfung sogar selbst beim Leser die Einordnung der angegriffenen Textpassage als Tatsachenbehauptung und nicht nur als subjektive Meinungsäußerung.

2. Diese Tatsachenbehauptung ist - soweit sie von der Verfügungsklägerin angegriffenen wird - jedoch nicht falsch, so dass letztlich die Verfügungsklägerin auch kein "berechtigtes Interesse" im Sinne von § 11 LPresseG im Hinblick auf eine Gegendarstellung hat.

a. Die Unrichtigkeit der angegriffenen Tatsachenbehauptung ergibt sich nicht bereits daraus, dass das erwähnte Gutachten nicht vom September 2003, sondern vom 05.12.2003 stammt. Auch lässt sich dem Gutachten nicht etwa eine Untersuchung der Probandin im September 2003 entnehmen. Zum einen macht bereits die Verfügungsklägerin keinen Gegendarstellungsanspruch im Hinblick auf diesen Umstand geltend, zum anderen wäre diese Auffassung nicht gegendarstellungsfähig, da es sich ausweislich der wörtlichen Zitate nur um dieses Gutachten vom 05.12.2003 handeln kann und dieses Gutachten angesichts der Zeitnähe zu dem Vorgang der Unterschriftsleistung sogar noch wesentlich aussagekräftiger ist als ein Gutachten vom September 2003.

b. Die Textpassage ist auch nicht so, wie sie niedergelegt ist, unzutreffend. Insbesondere sind die zitierten Textpassagen von Seite 2 des Gutachtens zutreffend wiedergegeben.

Unter Zugrundelegung des Inhalts dieses Gutachtens ist auch die Aussage nicht unzutreffend, wonach es zweifelhaft sei, ob Frau ... gewusst habe, was sie unterschrieb. Soweit nämlich - über die in dem Artikel zitierten Textpassagen hinaus - im weiteren in dem Gutachten niedergelegt ist, dass die Probandin unter deutlicher Einschränkung der Konzentrations- - und Auffassungsgabe leide sowie im formalen Denken sprunghaft und verlangsamt sei, sowie das "anklingendes paranoides Gedankengut" vorliege, vermögen diese Aussagen nur den Schluss zulassen, dass man durchaus Zweifel hegen kann, ob sich Frau ... durchaus der Tragweite ihrer Unterschriftsleistung bewusst war.

Hinzu kommt, dass der geschilderte Sachverhalt als Verdacht dem Leser näher gebracht wird und insoweit auch durch die Verfügungsbeklagte besonders kenntlich gemacht wird. So wird insbesondere das unzweideutige Wort "zweifelhaft" verwendet. Dies stellt nach dem Vorbild etwa der "rhetorischen Frage" nicht etwa nur ein formales Stilmittel dar, um trotz der eindeutigen wissenschaftlichen Untermauerung das aus Sicht eines objektiven Lesers bereits feststehende Endergebnis formal abzuschwächen. Vielmehr wird für den objektiven Leser deutlich ersichtlich damit bloß ein Verdacht geäußert, indem mitgeteilt wird, dass selbst auf Seiten des Verfassers des Artikels Zweifel bestehen. Hiernach gelten die allgemeinen Grundsätze bezüglich der Äußerung eines Verdachts. Hiernach ist grundsätzlich davon auszugehen, dass Verfehlungen und Missstände aufzuzeigen zu den legitimen Aufgaben der Presse gehört, so dass die Presse nicht damit zu warten braucht, bis der volle Nachweis amtlich bestätigt ist. Sie kann ganz im Gegenteil Vorgänge von sich aus aufgreifen auch in einem Stadium, in dem zunächst lediglich ein Verdacht besteht. Solche Verdachtsäußerungen können in die Öffentlichkeit berührenden Angelegenheiten notwendig sein, um weitere Ermittlungen in Gang zu bringen (OLG Köln, NJW 1963, 1634; OLG Düsseldorf BB 1974, 1361). Bei solchen Berichten sind aber Rechte und Interessen der Betroffenen zu beachten. Wer in Verdacht geraten ist, bleibt oft auch bei vollem Unschuldsbeweis mit einem Makel behaftet, zumal über die Ausräumung des Verdachts meist weit weniger auffällig oder überhaupt nicht berichtet wird (BGH NJW 1977, 1288). Aus dieser Spannungslage folgt, dass über einen Verdacht öffentlich nur dann berichtet werden darf, wenn dafür hinreichende Anhaltspunkte vorhanden sind. In jedem Fall muss die Presse, ehe sie sich zur Veröffentlichung entschließt, durch die ihr möglichen Ermittlungen die Gefahr, dass sie über die Betroffenen etwas falsches verbreitet, nach Kräften auszuschalten suchen (BGHZ 31, 3; BGH NJW 1966, 1213; BGH GRUR 1969, 147, 150; BGH NJW 1977, 1288). Fehlt demnach ein Mindestbestand an Beweistatsachen, der der Meldung überhaupt erst Öffentlichkeitswert verleiht, hat die Presse auf die Veröffentlichung überhaupt zu verzichten (BGH NJW 1977, 1288).

Nach diesen Grundsätzen ist der Verfügungsbeklagten kein Vorwurf zu machen. Daraus, dass sie aus dem dem Gericht vorliegenden Gutachten wörtlich zitiert, geht hervor, dass dieses Gutachten der Verfügungsbeklagten bzw. dem Verfasser des Artikels vorgelegen hat. Dessen wissenschaftliche Aussage wird auch nicht von der Verfügungsklägerin in Abrede gestellt. Weiter geht aus dem Artikel hervor, dass die Verfügungsbeklagte noch weitere Ermittlungen unternommen hat. So lies sie sich von dem Amtsgericht Fürstenwalde bestätigen, dass tatsächlich ein (zivilrechtliches) Verfahren gegen die Verfügungsklägerin besteht. Sogar die Verfügungsklägerin konnte hierzu - über ihren Anwalt - Stellung nehmen und wird sogar mit dieser Stellungnahme zitiert. Insoweit ist in besonderem Maße bemerkenswert, dass diese Stellungnahme der Verfügungsklägerin etwa 1/4 des gesamten Artikels ausmacht, mithin im vorliegenden Falle als ungewöhnlich ausführlich zu bezeichnen ist. Da die Verfügungsbeklagte all diese Erkundigungen eingezogen hat und weitergehende Erkundigungen weder ersichtlich noch zumutbar erscheinen, hat sie demnach ihren Sorgfaltsanforderungen genügt.

c. Schließlich ist die Tatsachenbehauptung auch nicht etwa dadurch unrichtig, dass sie unvollständig ist. Zwar ist anerkannt, dass eine wahre Tatsachenbehauptung als unwahre zu behandeln ist, wenn sich aus ihr eine ehrverletzende Schlussfolgerung ziehen lässt, soweit bewusst unvollständig berichtet wird und die Schlussfolgerung bei Mitteilung der verschwiegenen Tatsachen naheliegend erscheinen (BGH VersR 3000, 193). Dies gilt insbesondere auch bei Äußerung eines Verdachtes. Bei einer Verdachtsäußerung dürfen bekannt gewordene entlastende Umstände nicht verschwiegen oder nur an versteckter Stelle mitgeteilt werden (OLG Düsseldorf NJW 1980, 599).

So verhält es sich vorliegend gerade nicht: Zwar ist der Verfügungsklägerin zuzugeben, dass es sich bei den Worten "wach" und "bewusstseinsklar" um für die Verfügungsklägerin im Hinblick auf den Betrugsvorwurf entlastende Umstände handelt. Eine Hinzufügung dieser beiden Worte hätte jedoch die Gesamtaussage nicht verändert, so dass die Äußerung durch ihr Weglassen nicht unvollständig und damit unrichtig geworden ist. Die Aussage des Artikels ist - wie oben bereits dargestellt – ein Zweifel an dem Umstand, dass Frau ... aufgrund ihres Gesundheitszustandes in der Lage war, die Tragweite ihrer Unterschriftsleistung zu überschauen. Aus diesem Zweifel folgt ein Verdacht dahingehend, dass - möglicherweise - sich die Verfügungsklägerin diesen Gesundheitszustand zu ihrem eigenen wirtschaftlichen Vorteil genutzt haben könnte. Aus dieser Auslegung folgt nun, dass bei Hinzudenken der beiden Worte der Aussagengehalt dahingehend der gleiche geblieben wäre, dass nach wie vor ein Zweifel besteht. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Wort "wach", da ein durchschnittlicher Leser dieses Wort als Gegensatz zu "schlafend" einordnet (und nicht etwa in dem eigentlichen medizinischen Sinn). Da unter Zugrundelegung dieser Einordnung eine schlafende Frau ... bereits aus tatsächlichen Gründen wohl kaum zu einer Unterschrift in der Lage gewesen wäre, hätte die Hinzufügung des Wortes "wach" den Aussagegehalt nicht geändert. Gleiches gilt im Hinblick auf das Wort "bewusstseinsklar". Zwar wird auch ein durchschnittlicher Leser dieses Wort etwa in dem Sinne verstehen, wie es seitens des Gutachters gemeint ist. Angesichts der insoweit erdrückenden Aussage der weiteren Ausführungen wie "örtlich und zeitlich unzureichend orientiert" hätte die Aussage, dass Frau ... noch klar bei Bewusstsein war, keine entscheidende Änderung an dem Gesamtaussagegehalt hervorgerufen.

3. Letztlich besteht auch kein Gegendarstellungsanspruch gemäß § 11 LPresseG, weil die Verfügungsklägerin aufgrund der ausführlichen Möglichkeit, ihre Sicht der Dinge sogar mittels eines beigezogenen Rechtsanwalts darzustellen, kein berechtigtes Interesse besitzt, nochmals im Wege des Gegendarstellungsanspruchs einzelne Wort "nachzubessern". Da es sich um einen überschaubaren Sachverhalt handelt, ist davon auszugehen, dass zum Zeitpunkt der Stellungnahme der Verfügungsklägerin durchaus bekannt war, um was in dem noch anzufertigenden Artikel letztendlich gehen wird. So hätte möglicherweise auch damals Gelegenheit bestanden, ihre Sicht der Dinge juristisch prägnanter darzustellen.

4. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung war demnach mit der Kostenfolge des § 91 ZPO zurückzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit erging aufgrund § 709 Satz 1 ZPO.

Rechtsgebiete

Presserecht