Streupflicht außerhalb geschlossener Ortschaften

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

08. 01. 2004


Aktenzeichen

1 U 4755/03


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

… Ein Anspruch nach § 839 BGB i.V.m. den Art. 34 GG, 72 BayStrWG gegen den Beklagten besteht nicht. Eine Streupflichtverletzung liegt nicht vor. Das LG hat mit Recht darauf abgestellt, dass es sich beim Unfallort nicht um eine besonders gefährliche Stelle im Sinne der Rechtsprechung handelt. Es konnte daher die Frage offen lassen, ob der Winterdienst des Beklagten am Morgen des 19.11.2000 die Unfallstelle auf Glätte beziehungsweise Glatteisgefahr überprüft hat (das Gegenteil ist entgegen der klägerischen Auffassung keinesfalls bewiesen). Die Räum- und Streupflicht wird wie jede Verkehrssicherungspflicht durch die wirtschaftliche Zumutbarkeit begrenzt. Außerhalb geschlossener Ortschaften sind nur die für den Kfz-Verkehr besonders gefährlichen Stellen zu bestreuen. Dies sind solche Stellen, an denen Anlage oder Zustand der Straße die Bildung von Eis, Eisglätte oder seine Wirkung erhöhen und diese Verhältnisse für den Autofahrer nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind, selbst wenn er mit erhöhter Sorgfalt und Aufmerksamkeit aufgrund der winterlichen Straßenverhältnisse fährt (Staab, VersR 2003, 695, m.N. der Rspr.; Nachweise bei Palandt/Thomas, BGB, 62. Aufl., § 823 Rz. 130, Berr, DAR 1990, 346 [347]). Das kennzeichnende Element für die Streupflicht bildet neben der objektiven Gefährlichkeit demnach das von der Gefahrenstelle ausgehende Überraschungsmoment für den Kraftfahrer. Bei der Straßenführung der B 472 entlang dem Nordhang des Blombergs durch den Wald liegt die Bildung von Glatteis nahe. Dabei kann die Vereisung an sonnigen Stellen fehlen und im Schatten erstmals oder erneut auftreten. Dies ist jedoch für jeden sorgsamen Kraftfahrer vorhersehbar. Es ist eine Erfahrungstatsache, dass an Straßenstellen, die durch Wald, im Schatten von Bauwerken oder unter Brücken verlaufen und damit der Einwirkung von Sonne und Wind weniger als andere Straßenstellen ausgesetzt sind und deshalb die Feuchtigkeit länger halten, die Eisbildung größer ist und länger erhalten bleibt als an Straßenstellen, die der ungehinderten Sonnen- und Windeinwirkung unterliegen (BGH VersR 1960, 930; OLG Zweibrücken VersR 1979, 1039; OLG Köln v. 29.3.1990 – 7 U 176/89, DAR 1990, 346; vgl. auch die vom LG im Urt. v. 19.8.2003 auf S. 7/8 angeführten Fundstellen). Den Beweisangeboten der Klägerseite ist das LG zu Recht nicht nachgegangen. Durch die in der Ermittlungsakte 51 Js … befindlichen zahlreichen Fotos wird die Unfallstelle sehr gut dargestellt. Die Lichtbilder – teilweise sogar aus der Luft – zeigen eine übersichtliche Straßenführung mit einer von weitem erkennbaren, langgestreckten Kurve. Der Wald beginnt bereits vor dieser. Eines zusätzlichen Augenscheins bedarf es nicht. Der exakte Vereisungszustand zum Unfallzeitpunkt ließe sich dadurch in keinem Fall rekonstruieren. Ob das Auftreten von Glatteis am Unfallort diesen zu einer besonders gefährlichen Stelle im Sinne der Rechtsprechung macht, stellt eine Rechtsfrage dar, zu deren Klärung das vom Kläger angebotene Gutachten (welcher Fachrichtung?) weder erforderlich noch geeignet ist. Auf die Vernehmung der Zeugen J. und Dr. G. zur Häufigkeit von Verkehrsunfällen auf der B 472 im Bereich der Blombergbahn in den letzten zwanzig Jahren hat das LG zu Recht verzichtet. Eine sehr starke Häufung von Glatteisunfällen an einer Stelle könnte allerdings darauf hindeuten, dass die dortige Verkehrssituation auch den aufmerksamen Verkehrsteilnehmer überfordert. Nach der Aufstellung des – wie die Fotos zeigen – gut sichtbaren Warnschildes vor Glatteis, die vor dem Unfall des Klägers erfolgte, ist dies aber ausgeschlossen. Unabhängig davon ist zu bedenken: Präzise Zahlenangaben hat der Kläger nicht gemacht, sondern nur von einer Vielzahl von Unfällen in den letzten zwanzig Jahren gesprochen. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Vortrag des Beklagten haben sich auf der B 472 zwischen km 2,200 und km 3,900 von Dezember 1998 bis Dezember 2001 insgesamt 16 Unfälle ereignet, davon acht auf trockener Fahrbahn, vier auf nasser Fahrbahn, einer wegen Trunkenheit im Verkehr und drei wegen Glätte. Die letzte Zahl ist für eine vielbefahrene Straße im Übergangsgebiet zwischen Alpenvorland und Alpen durch ein Waldgebiet nicht auffallend. Auf eine besonders gefährliche Stelle lässt sich daraus nicht schließen. …

Vorinstanzen

LG München II, 14 O 3501/03, 19.8.2003

Rechtsgebiete

Haftungsrecht