Einberufung zum Wehrdienst nach Vollendung des 25. Lebensjahres

Gericht

BVerwG


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

31. 03. 1995


Aktenzeichen

8 C 25/94


Leitsatz des Gerichts

  1. Wehrpflichtige, die das 25. Lebensjahr vollendet haben, können noch bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres zum Grundwehrdienst herangezogen werden, wenn sie während des Zeitraumes einer gewährten Zurückstellung nach § 12 WPflG 25 Jahre alt geworden sind.

  2. Für die Verlängerung des Einberufungsalters bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres nach § 5 I 2 Nr. 1a WPflG ist nicht erforderlich, daß Zurückstellungen den gesamten Zeitraum zwischen Musterung und der Vollendung des 25. Lebensjahres des Wehrpflichtigen umfassen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der am 6. 4. 1968 geborene Kläger wurde durch Musterungsbescheid vom 13. 11. 1986 als wehrdienstfähig mit Einschränkung für bestimmte Tätigkeiten gemustert und wegen seiner Schulausbildung bis 30. 6. 1987 vom Wehrdienst zurückgestellt. Bei einer Vorsprache im Kreiswehrersatzamt bat der Kl. vorerst von seiner Einberufung zum Wehrdienst abzusehen, da er Mathematik studieren wolle. Daraufhin erteilte ihm das Kreiswehrersatzamt "aufgrund der derzeitigen Wehrersatzlage" eine Nichtheranziehungszusage bis einschließlich 31. 3. 1989. Auf jeweiligen Antrag stellte ihn das Kreiswehrersatzamt anschließend wegen weitgehender Förderung des Mathematikstudiums insgesamt dreimal bis einschließlich 30. 9. 1994 vom Wehrdienst zurück. Nach dem Abschluß des Mathematikstudiums im Juni 1994 berief das Kreiswehrersatzamt den Kl. nach vorheriger Anhörung mit Wirkung vom 4. 10. 1994 zum Grundwehrdienst ein. Der Widerspruch hiergegen blieb erfolglos.

Der daraufhin erhobenen Anfechtungsklage hat das VG stattgegeben. Die Revision der Bekl. führte zur Klageabweisung.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Das VG hat entscheidungstragend angenommen, der am 6. 4. 1968 geborene Kl. habe gem. § 5 I 1 WPflG i.d.F. vom 14. 7. 1994 (BGBl I, 1505) nicht mehr zum Grundwehrdienst einberufen werden können, da er im Gestellungszeitpunkt am 4. 10. 1994 sein 25. Lebensjahr bereits vollendet habe. Diese Annahme des VG verletzt Bundesrecht (vgl. § 137 I Nr. 1 VwGO).

Abweichend von dem Regeleinberufungsalter bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres (§ 5 I 1 WPflG) können nach Satz 2 Nr. 1a dieser Vorschrift Wehrpflichtige noch bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres zum Grundwehrdienst herangezogen werden, wenn sie wegen einer Zurückstellung nach § 12 WPflG nicht vor Vollendung des 25. Lebensjahres zum Grundwehrdienst herangezogen werden konnten und der Zurückstellungsgrund (inzwischen) entfallen ist. Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall gegeben. Nach den im angefochtenen Urteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen war der Kl. in dem Zeitraum vom Februar 1989 bis einschließlich 30. 9. 1994, also über den Zeitpunkt der Vollendung seines 25. Lebensjahres am 6. 4. 1993 hinaus, wegen des weitgehend geförderten Studiums der Mathematik nach § 12 IV 2 Nr. 3a WPflG vom Wehrdienst zurückgestellt. Die Auffassung des VG, die Einberufungsmöglichkeit verlängere sich gem. § 5 I 2 Nr. 1a WPflG nur dann bis zur Vollendung des 28. Lebensjahres, wenn der Wehrpflichtige nach seiner Musterung (vgl. § 16 WPflG) ununterbrochen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres zurückgestellt war, ist rechtsirrig. Sie läßt sich weder auf den Gesetzeswortlaut, noch auf den Sinnzusammenhang, den Zweck und die Entstehungsgeschichte der Vorschrift stützen.

Bereits der Wortlaut des § 5 I 2 Nr. 1a WPflG gibt für die Auslegung der Vorschrift durch das VG nichts her. Er fordert mit dem Wort "wegen" nur, daß der Wehrpflichtige infolge einer ihm gewährten Zurückstellung nicht mehr vor der Regelaltersgrenze des § 5 I 1 WPflG einberufen werden konnte. Insoweit muß die Zurückstellung des Wehrpflichtigen seine rechtzeitige Heranziehung zum Grundwehrdienst zur Vollendung des 25. Lebensjahres verhindert haben. In diesem Sinne kausal für die Überschreitung der Regelaltersgrenze von 25 Jahren ist eine Zurückstellung aber nicht nur dann, wenn sie sich auf den gesamten Zeitraum zwischen der Musterung und der Vollendung des 25. Lebensjahres erstreckt. Für die mit dem Wort "wegen" normierte Ursächlichkeit der Zurückstellung für die Unmöglichkeit der rechtzeitigen Einberufung genügt es, daß der Wehrpflichtige für einen Zeitraum zurückgestellt wird, innerhalb dessen er sein 25. Lebensjahr vollendet, sofern er ohne diese Zurückstellung noch rechtzeitig hätte einberufen werden können. Mit der pauschalen Verweisung auf § 12 WPflG bezieht § 5 I 2 Nr. 1a WPflG sämtliche dort aufgeführten Zurückstellungsgründe in den Ausnahmetatbestand einer Verlängerung des Einberufungsalters auf die Vollendung des 28. Lebensjahres ein. Daß einige der in § 12 genannten Zurückstellungsgründe, wie etwa die Verbüßung von Straf- oder Jugendarrest oder die Aufstellung als Kandidat für eine Wahl ohne anschließenden Mandatserwerb, nicht über eine Zeitraum von mehreren Jahren zwischen der Musterung des Wehrpflichtigen und der Vollendung seines 25. Lebensjahres andauern können, ist offensichtlich. Die unterschiedslose Einbeziehung auch dieser augenfällig kurzzeitigen Zurückstellungsgründe in die Ausnahmen von der Regelaltersgrenze verdeutlicht, daß es für die in § 5 I 2 Nr. 1a WPflG vorausgesetzte Ursächlichkeit der Zurückstellung für die Unmöglichkeit einer rechtzeitigen Einberufung allein darauf ankommt, ob der Wehrpflichtige ohne die ihm gewährte Zurückstellung noch vor Vollendung seines 25. Lebensjahres (rechtzeitig) zum Grundwehrdienst hätte herangezogen werden können.

Daß eine einfache Kausalität zwischen Zurückstellung und Überschreitung der Regelaltersgrenze ausreicht, ergibt sich vor allem aus dem Sinnzusammenhang des § 5 I 2 Nr. 1a WPflG mit den sonstigen in § 5 I 2 und 3 WPflG geregelten Ausnahmen von der Regelaltersgrenze des § 5 I 1 WPflG. Diese Ausnahmen sind - wie der Senat bereits im Urt. v. 12. 4. 1991, BVerwG, Buchholz 448.0 § 8a WPflG Nr. 53 S. 26 (32) = NVwZ-RR 1992, 636 dargelegt hat - ebenso wie die gleichartigen des § 24 I 2 Nrn. 1 bis 4 und S. 3 ZDG (vgl. dazu BVerwG, Buchholz 448.11 § 24 ZDG Nr. 4 S. 3 (6) = NVwZ-RR 1988, 99) darauf gerichtet, zur Gewährleistung der im allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 I GG verfassungsrechtlich verankerten Wehrgerechtigkeit die Einberufungsmöglichkeit für diejenigen Dienstpflichtigen zu verlängern, die durch ihr Verhalten eine rechtzeitige Einberufung noch vor der Regelaltersgrenze verhindert haben. Sie sollen sicherstellen, daß die allgemeine Altersgrenze (Vollendung des 25. Lebensjahres) nicht durch Wahrnehmung aller rechtlichen und tatsächlichen Möglichkeiten durch den Wehrpflichtigen unterlaufen wird. Mit dem gleichen Ziel erweitert § 5 I 2 Nr. 1a WPflG die bisher schon vorgesehenen Ausnahmetatbestände auf alle Wehrpflichtigen, die wegen einer Zurückstellung nach § 12 WPflG nicht mehr vor Vollendung des 25. Lebensjahres herangezogen werden konnten. Diese Wehrpflichtigen sollen nach Ablauf der Zurückstellung auch dann noch zum Grundwehrdienst herangezogen werden können, wenn sie älter als 25 Jahre sind. Aus Gründen der Wehrgerechtigkeit nimmt somit § 5 I 2 Nr. 1a WPflG alle Wehrpflichtigen, denen einer der in ihrer Person liegenden Zurückstellungsgründe des § 12 WPflG zugute gekommen ist, unterschiedslos von der Regelaltersgrenze des Satzes 1 von § 5 I WPflG aus. Dies gilt auch für die Wehrpflichtigen, die - wie der Kl. - einen erst nach der Musterung entstandenen Zurückstellungsgrund i.S. des § 12 II oder IV WPflG fristgerecht (vgl. § 20 II WPflG) zu einem Zeitpunkt in Anspruch nehmen, in dem eine rechtzeitige Einberufung noch möglich gewesen wäre.

Diese sich aus dem Wortlaut und dem Sinnzusammenhang ergebende Auslegung wird durch die Entstehungsgeschichte der Vorschrift bestätigt. § 5 I 2 Nr. 1a WPflG ist durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Wehrpflichtgesetzes und des Zivildienstgesetzes vom 21. 6. 1994 (BGBl I, 1286) eingefügt worden. Die Erweiterung der Ausnahmen von der Regelaltersgrenze soll nach der Begründung des Gesetzesentwurfes der Bundesregierung und ihrer Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bundesrates (vgl. BT-Dr 12/5089, Anl. 1 S. 15 und Anl. 3, S. 30) dem Gebot der Wehrgerechtigkeit genügen, daß derjenige, dem zunächst aus in seiner Person liegenden Gründen eine Wehrdienstausnahme zugute kommt, nach Fortfall der Voraussetzungen für die Zurückstellung auch dann noch zum Wehrdienst herangezogen werden kann, wenn er älter als 25 Jahre ist. Der neu eingeführte Ausnahmetatbestand soll zugleich auch "mehr Bewegungsspielraum" schaffen, "um auf die jeweilige Lebens- und Berufssituation der Betr. Rücksicht nehmen zu können" (vgl. Gegenäußerung der Bundesregierung BT-Dr 12/5089 Anl. 3 S. 30). Wörtlich ist dort ausgeführt: "So kann künftig ein Wehrpflichtiger, der seine Ausbildung noch nicht beendet hat, über die Regelaltersgrenze hinaus zurückgestellt werden, wenn die Heranziehung eine besondere Härte bedeutete. Ohne die Ausnahmeregelung ist dies nur möglich, wenn die Einberufung eine unzumutbare Härte zur Folge hätte".

Dies belegt, daß die Ausnahmeregelung des § 5 I 2 Nr. 1a WPflG ich nur die Fälle einer ununterbrochenen Zurückstellung seit der Musterung erfassen soll. Denn eine Zurückstellung zur Vermeidung der Unterbrechung eines bereits weitgehend geförderten Ausbildungsabschnitts (vgl. § 12 IV 2 Nr. 3a WPflG) setzt voraus, daß der Wehrpflichtige mindestens ein Drittel der für den Ausbildungsabschnitt vorgeschriebenen oder regelmäßig erforderlichen Ausbildungszeit absolviert hat (st. Rspr.: vgl. etwaBVerwG, Buchholz 448.11 § 11 ZDG Nr. 28 S. 5 (6f.) = NVwZ 1990, 70 m.w.Nachw.). Da erst mit dem Erreichen dieser sog. Drittelförderung der Zurückstellungsgrund entsteht und mit einem Zurückstellungsantrag geltend gemacht werden kann (vgl. BVerwG, Buchholz 448.11 § 11 ZDG Nr. 16 S. 10 (12ff.) = NVwZ 1983, 613), wird eine solche Zurückstellung in vielen Fällen erst längere Zeit nach der Musterung erfolgen.

Vorinstanzen

VG Düsseldorf

Rechtsgebiete

Zivilrecht, Sonstiges