Duldung vom Nachbargrundstück herüberragender Birkenzweige

Gericht

LG Saarbrücken


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

05. 06. 1986


Aktenzeichen

2 S 185/84


Leitsatz des Gerichts

Eine geringfügige Beeinträchtigung durch Blüten und Blätter in einer durchgrünten Nachbarschaft ist hinzunehmen.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Das AG hat die Bekl. verurteilt, die von einer Birke auf ihrem Grundstück auf das Grundstück des Kl. überhängenden Birkenäste zu beseitigen. Die Berufung der Bekl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

... 2. ... Dem Kl. steht ein Anspruch auf Beseitigung der überhängenden Birkenäste und -zweige nicht zu. Zwar ist bei von dem Nachbargrundstück herüberragenden Zweigen der Eigentümer des anderen Grundstücks grundsätzlich berechtigt, sowohl nach § 910 I BGB die herüberragenden Zweige selbst abzuschneiden als auch nach § 1004 I BGB von dem Grundstücksnachbarn die Beseitigung des Überhangs zu verlangen; das Selbsthilferecht des § 910 BGB schließt den Beseitigungsanspruch nach § 1004 I BGB nicht aus (BGH, NJW 1973, 703). Gem. § 1004 II BGB ist der Beseitigungsanspruch jedoch ausgeschlossen, wenn der Eigentümer zur Duldung verpflichtet ist. Als Vorschrift, nach der der Eigentümer eine Beeinträchtigung seines Eigentums zu dulden hat, ist nach Auffassung der Kammer - neben § 906 BGB - auch § 910 II BGB anzusehen, wonach der Anspruch des Eigentümers ausgeschlossen ist, wenn die herüberragenden Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Wollte man nämlich § 910 II BGB im Rahmen des Selbsthilferechts des § 910 I BGB anwenden, nicht dagegen im Rahmen des Beseitigungsanspruchs aus § 1004 I BGB, so würde bei Anwendung der jeweiligen Vorschrift ein Wertungswiderspruch entstehen, für den kein einleuchtender Grund erkennbar ist (ähnlich Harsch, Anm. zu AG Lörrach, WuM 1984, 56). Anders als das AG Lörrach (WuM 1984, 56) ist die Kammer der Ansicht, daß sich dieser Wertungswiderspruch nicht mit der Erwägung auflösen läßt, daß der Eigentümer bei § 910 BGB zur Durchsetzung seines Rechts nicht auf gerichtliche Hilfe angewiesen ist, er sein Recht vielmehr selbst durchsetzen kann, und deshalb die Voraussetzungen, unter denen ein solches Recht durchgesetzt werden darf, enger gefaßt sind. Aus § 910 BGB ist nämlich - im Hinblick auf den Sinn und Zweck der Vorschrift, eine Schädigung von Pflanzen nur dann zuzulassen, wenn die berechtigten Belange des Nachbarn dies erfordern - eine materielle Entscheidung des Gesetzgebers dahingehend zu entnehmen, daß die Beseitigung von Zweigen dann nicht in Betracht kommt, wenn die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Aus diesem Grund kann auch dem Beseitigungsanspruch des Eigentümers aus § 1004 I BGB mit Erfolg entgegengehalten werden, daß die Benutzung des Grundstücks durch die Einwirkung nicht beeinträchtigt wird und daher der Eigentümer gem. § 1004 II BGB zur Duldung verpflichtet ist (so im Ergebnis auch Harsch, WuM 1984, 56).

Bei der Inaugenscheinnahme der Grundstücke der Parteien im Rahmen einer Ortsbesichtigung hat die Kammer festgestellt, daß Zweige einer der Birken, die auf dem Grundstück der Bekl. stehen, auf das Grundstück des Kl. überhängen, wobei sich allerdings die überhängenden Zweige erst in einer Höhe von 3 m und darüber befinden. Es liegt demnach zumindest keine Beeinträchtigung des kl. Grundstücks in dem Sinne vor, daß etwa der Zugang zu oder die räumliche Nutzung von Grundstücksteilen des kl. Grundstücks nicht möglich wären. Eine Beeinträchtigung des Grundstücks kann vielmehr allenfalls durch von den überhängenden Zweigen der Birke ausgehenden Laub- und Blütenfall ausgehen, was der Kl. auch in erster Linie geltend macht. Ein solcher von der Birke ausgehender, leichter Laub- und Blütenfall war bei der Ortsbesichtigung auch tatsächlich festzustellen. So war ein entsprechender, allerdings nur leichter Belag auf der Terrasse des Grundstücks des Kl., die sich nur wenige Meter von der Grundstücksgrenze entfernt befindet, festzustellen. Es handelt sich dabei jedoch um eine Einwirkung, die als nur sehr geringfügig bezeichnet werden kann. Das gleiche gilt für einen etwaigen nachteiligen Einfluß des Überhangs der Birke auf die Lichtverhältnisse auf dem kl. Grundstück. Auch wenn der Überhang beseitigt würde, wäre eine Änderung der Lichtverhältnisse auf dem Grundstück des Kl. in nennenswertem Umfang kaum zu erwarten, zumal sich der von dem Kl. beanstandete Überhang überwiegend seitlich der Birke befindet.

Die Kammer ist der Auffassung, daß durch die genannten Einwirkungen das Grundstück des Kl. allenfalls geringfügig beeinträchtigt wird, und zwar auch dann, wenn bei entsprechenden Windverhältnissen Laub und Blüten der Birke in die Dachrinne des kl. Anwesens gelangen sollten. Solche geringfügige, natürliche Einwirkungen sind im Rahmen des nachbarrechtlichen Gemeinschaftsverhältnisses von dem Grundstücksnachbar hinzunehmen und dem Nachbar steht deshalb aufgrund von § 910 II BGB kein Beseitigungsanspruch zu (so auch LG Kleve, MDR 1982, 230). Dies muß um so mehr gelten, wenn - wie im vorliegenden Fall - die Grundstücke beider Parteien in ganz erheblichem Umfang mit Bäumen bestanden sind und zudem das gesamte Wohngebiet, in dem sich die Anwesen der Parteien befinden, durch eine Bepflanzung mit Bäumen der unterschiedlichsten Art und Höhe geradezu geprägt ist. Wer sich - wie die Parteien - für ein Wohnen in einer Gegend mit großen Gärten, mit einer starken Durchgrünung und mit Baumbepflanzung in größerem Umfang entscheidet, muß mit vermehrten Einwirkungen der Natur rechnen und deshalb auch pflanzliche Immissionen jedenfalls dann hinnehmen, wenn das Grundstück dadurch nur geringfügig beeinträchtigt wird (vgl. dazu auch LG Stuttgart, NJW 1985, 2340).

Dieses Ergebnis wird außerdem durch die Erwägung gerechtfertigt, daß es sich bei den von dem Überhang ausgehenden Einwirkungen durch Laub- und Blütenfall um Immissionen i. S. des § 906 I BGB handelt und der Eigentümer eines Grundstücks nach § 906 I BGB die von dem Nachbargrundstück ausgehenden Immissionen dulden muß, wenn dadurch sein Grundstück nur unwesentlich beeinträchtigt wird. Diese Maßstäbe müssen auch im Rahmen des § 910 II BGB gelten, denn für eine Differenzierung zwischen Immissionen, die von den auf dem Nachbargrundstück befindlichen Baumteilen herrühren, und solchen, die von einem Überhang ausgehen, besteht kein hinreichender Grund, ganz abgesehen davon, daß eine solche Unterscheidung bei den im wesentlichen von den Windverhältnissen abhängigen Immissionen durch Blüten und Laub ohnehin praktisch nicht durchführbar wäre, da kaum mit einiger Zuverlässigkeit festgestellt werden könnte, welche Immissionen noch von den Baumteilen auf dem Nachbargrundstück und welche von dem Überhang herrühren.

Handelt es sich somit im vorliegenden Falle lediglich um geringfügige Einwirkungen auf das Grundstück des Kl., die die Benutzung dieses Grundstücks nur unwesentlich beeinträchtigen, so ist der Kl. aus den genannten Gründen zur Duldung dieser Einwirkungen verpflichtet. Ein Beseitigungsanspruch steht im deshalb nicht zu.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 1004 II, 910 II