Anlageberatung bei Altersvorsorge

Gericht

Thüringer OLG


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

17. 05. 2005


Aktenzeichen

5 U 693/04


Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

...

II.

...

2. Inhalt und Umfang der Beratungspflicht hängen von den Umständen des Einzelfalles ab. Diese beziehen sich einerseits auf die Person des Kunden und andererseits auf das Anlageobjekt. Zu den Umständen, die in der Person des Kunden liegen, gehören insbesondere sein Wissensstand, seine Risikobereitschaft und sein Anlageziel. Kennt die Bank diese Punkte nicht, muss sie die entsprechenden Faktoren von dem Kunden erfragen (BGH, a.a.O.). Hierbei ist von entscheidender Bedeutung, ob das beabsichtigte Geschäft der sicheren Geldanlage dienen soll oder spekulativen Charakter hat. Die empfohlene Anlage muss unter Berücksichtigung dieses Zieles „anlegergerecht“, also auf die persönlichen Verhältnisse des Kunden zugeschnitten sein (BGH, NJW 1982, S. 1095 f.). Einem Kunden, der eine Anlage zur Alterssicherung wünscht, darf keine spekulative Anlage verkauft werden (KG Berlin, Urteil vom 20. 8. 2004, Az.: 25 U 1/04; BGH, WM 2000, S. 1441, 1443).

Nach diesen Maßstäben war die Beratung der Bekl. fehlerhaft.

Die Zedentin war bei dem Beratungsgespräch 60 Jahre alt. Unstreitig sollte die Anlage einen wesentlichen Teil der Altersvorsorge ausmachen. Die Zedentin hatte vorher mit Aktienfonds nur positive Erfahrungen gemacht. Bei den empfohlenen Fonds handelte es sich um eine riskante Anlageform.

Diese Faktoren hätten die Bekl. veranlassen müssen, vor einer Anlage allein in Aktienfonds zu warnen. Die Vorstellung anderer Anlagemöglichkeiten reichte im konkreten Fall ebenso wenig aus wie der Hinweis auf die Risiken des Geschäftes. Dies gilt umso mehr, als nach dem eigenen Vortrag der Bekl. es sich bei den Aktienfonds um eine riskante Anlage handelte und in der ursprünglichen Ausarbeitung keine reine Anlage in Aktien vorgesehen war. Erst wenn sich die Zedentin trotz entsprechender Warnung zu dem riskanten Geschäft entschlossen hätte, wäre die Bekl. von einer Haftung befreit gewesen.

Die Beweisaufnahme vor dem LG hat ergeben, dass eine derartige Beratung entgegen der Behauptungen der Bekl. nicht stattfand.

Der Zeuge H. sagte aus, dass das ursprünglich erarbeitete Konzept in keinem Fall eine Anlage nur in Aktien vorgesehen habe. Die Höhe der Anlagesumme und ihr Zweck als Alterssicherung würden dies ausschließen. Der Zeuge S. erklärte, er habe die Zedentin auf die allgemeinen und speziellen Risiken der vorgeschlagenen Aktienfonds hingewiesen. Die Zedentin habe sodann nach Vorstellung weiterer Möglichkeiten die Aktienfonds gewählt.

Nach der eigenen Einschätzung des erfahrenen Bank-Mitarbeiters H. war die Empfehlung demnach nicht anlegergerecht. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Ungeeignetheit der Aktienfonds als Alterssicherung erfolgte jedoch ebenso wenig wie der Rat, im Zweifel von dem Kauf der Fondsanteile abzusehen. Vielmehr blieb das Anlageziel auch nach der Darstellung des Zeugen der Bekl. offensichtlich bei der Beratung außer Betracht. Obwohl der erfahrene Bankmitarbeiter H. in dem erstellten Anlagekonzept gerade eine Streuung der Anlageform erarbeitet hatte, hat der Zeuge S. bei der Beratung dann die einzelnen Anlageformen zwar vorgestellt und auch auf die Risiken der einzelnen Aktien hingewiesen. Nach Angaben des Zeugen S. (Seite 12, 2. Abs. des Protokolls vom 06.02.2004) hat Frau P. „dann den Anlagenvorschlag angenommen, die 8 Deka-Fonds wurden dann gekauft“. Ein solcher Anlaqenvorschlag zu Erwerb von ausschließlich Aktienfonds entsprach aber weder dem mit dem erfahrenen Zeugen H. erarbeiteten Konzept, noch war er anlegergerecht. Selbst wenn - wie der Zeuge S. angab – Frau P. eine Anlage „wie bisher“ in Aktien gewünscht haben sollte, so hätte es dem Zeugen S. oblegen, diese nicht nur auf die Risiken der genannten Fonds hinzuweisen, sondern eindrücklich auch auf das noch hinzukommende Risiko der Anlage des Geldes in einer einzigen Anlageform, nämlich Aktienfonds, und dessen grundsätzlicher Ungeeignetheit als Altersvorsorge für eine 60jährige Frau. Insofern besteht nach Ansicht des Senat - auch wenn Aktienfonds, sofern man sie langfristig betrachtet, einer möglichen Altersvorsorge dienen können - Veranlassung, vor diesem Hintergrund des Anlegeralters ganz eindrücklich auf die Risiken der Anlage in einer einzigen spekulativen Anlageform hinzuweisen, wenn nicht gar davon ausdrücklich abzuraten. Dem Kl. ist demnach der Beweis einer Pflichtverletzung gelungen, ohne dass es auf die Aussagen der weiteren Zeugen ankäme.

3. Der zu ersetzende Schaden der Zedentin besteht in der Differenz zwischen Einkaufs- und Verkaufspreis der Fondsanteile.

a) Nach ständiger Rechtsprechung des BGH ist der Anleger, der auf Grund einer fehlerhaften Empfehlung eine für ihn nachteilige Kapitalanlage erwirbt, in der Regel bereits durch den Erwerb geschädigt (BGH, Urteil vom 08. 3. 2005, Az.: XI ZR 170/04; WM 1991, S. 103, 1305; WM 1994, S. 504, 506). Der Schaden besteht demnach in dem geleisteten Kaufpreis abzüglich eines erzielten Verkaufserlöses (vgl. OLG Frankfurt, Urteil vom 15. 12. 2004, Az.: 13 U 24/03; KG Berlin, Urteil vom 20. 8. 2004, Az.: 25 U 1/04; KG Berlin, Urteil vom 11. 3. 2004, Az.: 19 U 71/03). Dies ergibt hier 65787,80 Euro (134469,76 Euro - 68681,96 Euro).

b) Die Pflichtverletzung der Bekl. ist für den gesamten Schaden der Zedentin kausal geworden. Nach der Lebenserfahrung ist davon auszugehen, dass die in einem wesentlichen Punkt unvollständige Beratung ursächlich für die Anlageentscheidung des geschädigten Anlegers ist (KG Berlin, a.a.O.; BGH, WM 2000, S. 426, 429; WM 1998, S. 1673 f.). Es besteht demnach eine Vermutung, dass der Kunde bei ordnungsgemäßer Belehrung die konkrete Anlageentscheidung nicht getroffen hätte. ...

c) Eine Kürzung des Anspruches wegen Mitverschuldens der Zedentin nach § 254 BGB kommt nicht in Betracht.

§ 254 BGB verlangt allgemein einen vorwerfbaren Verstoß gegen ein eigenes Interesse. Der Verletzte muss eine Obliegenheit verletzt haben, die ihm selbst gegenüber besteht (BGH, NJW 1997, S. 2234; BGHZ 3, S. 46). Mitverschulden scheidet in der Regel aus, wenn die Verhütung des entstandenen Schadens nach dem Inhalt des Vertrages gerade dem Schädiger oblag (BGH, NJW 1992, S. 309).

Bei der Verletzung einer Beratungspflicht kann deswegen der Aufklärungspflichtige grundsätzlich dem Geschädigten nicht entgegenhalten, er habe den Angaben nicht vertrauen dürfen und sei deshalb für den entstandenen Schaden mitverantwortlich. Die gegenteilige Annahme würde im Widerspruch zum Grundgedanken der Aufklärungs- und Beratungspflicht stehen (ständige Rechtsprechung des BGH: WM 2004, S. 422 ff.; NJW-RR 1998, S. 16; Urteil vom 26.09.1997, Az.: X ZR 65/96, jeweils m.w. Nachw.).

Etwas anderes kann gelten, wenn der Geschädigte über eigene Sachkunde oder zusätzliche Informationen von dritter Seite verfügt. Ein derartiger Ausnahmefall liegt nicht vor. Insbesondere verfügte die Zedentin nicht über besondere Sachkunde. Der Umstand, dass sie bereits vorher Geld in Aktien investierte, reicht hierzu nicht aus. Zum einen handelte es sich dabei um im Vergleich zur streitgegenständlichen Anlagesumme geringe Beträge. Zum anderen hatten sich diese Anlagen nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien außerordentlich positiv entwickelt, so dass sie keine speziellen negativen Erfahrungen über die Risiken von Aktiengeschäften vermitteln konnten. ...

Vorinstanzen

LG Mühlhausen, 5 O 655/03

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht