Fortbestehende Wirksamkeit von Erblasser durchgestrichener Verfügungen

Gericht

BayObLG


Art der Entscheidung

Beschluss über weitere Beschwerde


Datum

07. 07. 1997


Aktenzeichen

1Z BR 118/97


Leitsatz des Gerichts

Hat der Erblasser in einem Testament Verfügungen durchgestrichen, so kann die Vermutung des Aufhebungswillens (§ 2255 S. 2 BGB) als widerlegt angesehen werden, wenn feststeht, daß die Streichungen lediglich der Vorbereitung eines neuen Testaments dienten, in dem inhaltlich gleiche Verfügungen wieder getroffen werden sollten.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die unverheiratete und kinderlose Erblasserin hatte drei Geschwister, den Bet. zu 1, eine 1927 ohne Abkömmlinge verstorbene Schwester und einen 1994 verstorbenen Bruder, dessen vier Kinder die Bet. zu 2 bis 5 sind. Die Erblasserin hinterließ zwei handschriftliche letztwillige Verfügungen. In der ersten bestimmte sie u.a.: „Meinem Bruder (Bet. zu 1) fällt zunächst alles was mir gehört zu. Lieber ... (Bet. zu 1)! Von meinen Ersparnissen gebe bitte folgende Beträge ab: ... Die Wohnung und was sonst noch ist, soll Dir gehören." Diese Verfügungen sind zum Teil schräg, zum Teil quer durchgestrichen. Die Erblasserin hat außerdem in dieser Testamentsurkunde elf mit Vermächtnissen Begünstigte und die ihnen jeweils zugedachten Geldbeträge aufgelistet. Die Zuwendung eines Geldbetrags an den vorverstorbenen Bruder (der Vater der Bet. zu 2 bis 5) ist ebenfalls durchgestrichen. Auch die Zuwendung an zwei Begünstigte ist durchgestrichen und zusätzlich mit dem Vermerk „entfällt s. Anhang“ versehen. Die Urkunde enthält die Datumsangabe 19. 3. 1983“ und die Unterschrift der Erblasserin. Das zweite, mit „Testament“ überschriebene Schriftstück ist weder datiert noch von der Erblasserin unterschrieben. Darin bestimmte sie, daß der Bet. zu 1 sowohl ihre Eigentumswohnung als auch nach Abzug aller Unkosten und der nachstehend aufgeführten einzelnen Verfügungen ihr restliches Bargeld erhalten solle.

Das AG - NachlaßG - erteilte auf Antrag des Bet. zu 1 einen Erbschein dahin, daß die Erblasserin vom Bet. zu 1 zu 1/2 und den Bet. zu 2 bis 5 zu je 1/8 aufgrund gesetzlicher Erbfolge beerbt worden sei. Hiergegen legte der Bet. zu 1 Beschwerde ein und beantragte die Einziehung des Erbscheins, weil die Erblasserin aufgrund letztwilliger Verfügung durch den Bet. zu 1 allein beerbt worden sei. Das LG ordnete die Einziehung des vom NachlaßG erteilten Erbscheins an. Die weitere Beschwerde der Bet. zu 2 bis 5 hatte keinen Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. ... a) Das LG hat zu Recht die Beschwerdebefugnis des Bet. zu 1 bejaht, auch wenn dieser ursprünglich den vom Nachlaßgericht erteilten Erbschein beantragt, dann aber Beschwerde mit dem Ziel eingelegt hatte, diesen Erbschein einzuziehen (vgl. BayObLGZ 1966, 408 (411); Keidel/Kahl, FGG, 13. Aufl., § 20 Rdnr. 52; Jansen, FGG, 2. Aufl., § 20 Rdnr. 20).

b) Die undatierte, mit „Testament“ überschriebene letztwillige Verfügung der Erblasserin hat das LG zutreffend nicht als wirksam erachtet. Sie ist von der Erblasserin nicht unterschrieben und daher nicht wirksam errichtet. Die Selbstbenennung der Erblasserin am Anfang des Textes der letztwilligen Verfügung stellt keine Unterschrift i.S. des § 2247 I BGB dar (vgl. BayObLG, NJW-RR 1989, 9 = FamRZ 1988, 1211; OLG Hamm, OLGZ 1986, 292; Palandt/Edenhofer, BGB, 56. Aufl., § 2247 Rdnr. 14; Burkart, in: MünchKomm, 2. Aufl., § 2247 Rdnr. 28).

c) Zutreffend ist das LG davon ausgegangen, daß das Testament vom 19. 3. 1983 formwirksam von der Erblasserin errichtet wurde (§ 2247 I BGB) und die Einsetzung des Bet. zu 1 als Alleinerben enthält. Dies wird von den Bet. zu 2 bis 5 auch nicht angegriffen.

d) Die Bet. streiten darüber, ob die Erblasserin diese Erbeinsetzung im Testament vom 19. 3. 1983 dadurch widerrufen hat, daß sie sämtliche auf die Erbeinsetzung des Bet. zu 1 bezogenen Verfügungen im Testament durchgestrichen hat. Das LG hat dies rechtsfehlerfrei verneint.

(1) Nach § 2255 S. 1 BGB kann ein Testament auch dadurch widerrufen werden, daß der Erblasser in Aufhebungsabsicht Veränderungen vornimmt, durch die der Wille, eine schriftliche Willenserklärung aufzuheben, ausgedrückt zu werden pflegt, etwa indem er den Text durchstreicht. Auch einzelne Verfügungen im Testament können durch Streichung aufgehoben werden (vgl. Palandt/Edenhofer, § 2255 Rdnr. 8). Die Erbeinsetzung des Bet. zu 1 und die Aufforderung der Erblasserin an ihn, bestimmte Vermächtnisse zu erfüllen, sind deutlich erkennbar durchgestrichen, so daß ein entsprechender Aufhebungswille des Erblassers hinsichtlich dieser Verfügungen zu vermuten ist (§ 2255 S. 2 BGB).

(2) Die Vermutung ist jedoch widerlegbar. Das LG hat sie im vorliegenden Fall als widerlegt angesehen, weil die Veränderungen im Wege des Durchstreichens nur der Vorbereitung eines neuen Testaments dienen sollten, das alte jedoch bis zur Errichtung des neuen weitergelten sollte. Dies ist nicht zu beanstanden. Die äußerlich endgültige Handlung, die im Durchstreichen des Textes durch den Erblasser liegt, muß nicht in jedem Fall eine unbedingte Widerrufsabsicht ausdrücken. Vielmehr kann es auch dem Willen des Erblassers entsprechen, daß der durch diese Veränderung nahegelegte Widerruf der Verfügung erst mit der Errichtung des neuen Testaments gelten soll. So kann es insbesondere liegen, wenn die Veränderung aus der Sicht des Erblassers lediglich der Vorbereitung eines neuen Testaments dient, in dem er die durchgestrichenen Verfügungen inhaltlich aufrechterhalten will (vgl. BayObLG, Beschl. v. 4. 3. 1955 - BReg. 1 Z 236/54; Staudinger/Baumann, BGB, 13. Bearb., § 2255 Rdnr. 20; Palandt/Edenhofer, § 2255 Rdnr. 9; Kregel, in: RGRK, 12. Aufl., § 2255 Rdnr. 4).

(3) Das LG hat festgestellt, daß die Erblasserin beim Durchstreichen der Erbeinsetzung noch keine endgültige Widerrufsabsicht hatte. Es hat die Aussage der hierzu vernommenen Zeugin gewürdigt, die der Erblasserin nahestand und von ihr wegen einer Neuformulierung des Testaments zu Rate gezogen worden war. Die Zeugin hob hervor, daß nach dem Willen der Erblasserin nach wie vor der Bet. zu 1 ihr Alleinerbe sein sollte, nur bei den Vermächtnissen habe sie sich Änderungen hinsichtlich der festgesetzten Geldbeträge vorbehalten wollen. Sie habe der Erblasserin auf deren Wunsch eine sprachliche Neufassung des Testaments entworfen, die wörtlich mit der von der Erblasserin geschriebenen späteren, als Testament überschriebenen Fassung übereinstimme. Hieraus und aus dem Text der unvollständigen neuen Testamentsurkunde hat das LG den Schluß gezogen, daß die Erblasserin, als sie die Erbeinsetzung des Bet. zu 1 durchgestrichen hat, keinen Aufhebungswillen hatte. Diese Verfügungen sollten solange maßgebend sein, bis das neue Testament einschließlich der Vermächtnisse fertiggestellt war. Dafür, daß sie das neue Testament noch nicht als abgeschlossen ansah, spricht nach Auffassung des LG auch der Umstand, daß sie die letztwillige Verfügung vom 19. 3. 1983 in einem Schrankfach aufbewahrt habe, während sich die unfertige, von ihr noch nicht unterschriebene Urkunde noch lose im Schreibblock befand. Diese Beweiswürdigung ist nicht zu beanstanden.

(4) Der Einwand der Bet. zu 2 bis 5, das neue, noch nicht unterschriebene Testament enthalte keine Erbeinsetzung des Bet. zu 1, weil er danach nur die Eigentumswohnung und das restliche Bargeld erhalten sollte, ist nicht stichhaltig. Das Vermögen der Erblasserin bestand, wie sie wußte, im wesentlichen aus der Eigentumswohnung und dem Bargeld. Das LG konnte daher dieser Verfügung zu Recht den fortbestehenden Willen der Erblasserin entnehmen, daß der Bet. zu 1 ihr Alleinerbe sein sollte (vgl. BayObLG, FamRZ 1986, 728; Palandt/Edenhofer, § 2087 Rdnrn. 6).

Auch der Umstand, daß die Erblasserin das Vermächtnis für den anderen Bruder, den Vater der Bet. zu 2 bis 5, und zwei weitere Vermächtnisse gestrichen hat, zwingt nicht zu dem Schluß, die Erblasserin habe die Erbeinsetzung widerrufen wollen. Das LG hat hierzu ausgeführt, daß die Erblasserin das Vermächtnis zugunsten ihres anderen Bruders widerrufen habe, weil dieser vor ihr gestorben war. Bei den anderen Vermächtnissen habe sie den Willen zur Aufhebung durch den Zusatz „entfällt s. Anhang“ verdeutlicht.

Rechtsgebiete

Erbrecht

Normen

BGB §§ 2247 I , 2255