Keine Entschädigung für Laubfall von städtischen Bäumen

Gericht

LG Ulm


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

22. 10. 1984


Aktenzeichen

2 O 339/84


Leitsatz des Gerichts

Der von einem angrenzenden städtischen Grünstreifen ausgehende Laubfall ist von dem Eigentümer in der Regel entschädigungslos zu dulden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Die Kl. verlangt von der bekl. Gemeinde eine finanzielle Entschädigung dafür, daß von Bäumen, die sich auf dem angrenzenden Grundstück der Bekl. befinden, nach ihrer Ansicht unzumutbar viel Laub auf ihr eigenes Grundstück fällt. Die Kl. ist Eigentümerin eines Grundstücks. Sie betreibt dort eine Bierbar und vermietet zusätzlich mehrere Zimmer. Das Grundstück der Kl. grenzt in einer Länge von ca. 40 m an die Ostseite einer Grünanlage der Bekl., die sich als „Grüne Lunge“ von Norden nach Süden durch die Stadt zieht und sowohl im Flächennutzungsplan wie im Bebauungsplan als Grünfläche ausgewiesen ist. Innerhalb dieser Grünanlage, die ca. 70 bis 100 m breit und ca. 1,5 km lang ist, befinden sich außer dem Hausgrundstück der Kl. nur zwei weitere Häuser. Entlang der Grenze der beiden Grundstücke stehen auf dem Grundstück der Bekl. ca. 30 vor etwa 20 Jahren gepflanzte Laubbäume, die mit ihren Kronen teilweise in das Grundstück der Kl. hineinragen. In diesem Bereich befinden sich auf dem Grundstück der Kl. Parkplätze, die sowohl für die Gäste der Bierbar wie für die Mieter des Hauses zur Verfügung stehen. Die Bekl. durchforstet die Bäume in regelmäßigen Abständen und beseitig dabei überhängende Zweige. Sie hat der Bekl. angeboten, das auf deren Grundstück fallende Laub über den Grundstückszaun auf ihr Grundstück zu werfen. Die Kl. behauptet, im Herbst und im Winter falle das Laub zentnerweise auf ihr Grundstück, so daß sie jeden dritten Tag in der Zeit von November bis März mit Aufräumarbeiten von ca. 1 Stunde beschäftigt sei. Lasse sie das Laub durch ein Unternehmen beseitigen, so koste dies bei ca. 10 Arbeitsstunden pro Monat mindestens 500 DM monatlich. Nach ihrer Auffassung handle es sich um eine zwar ortsübliche, jedoch wesentliche Beeinträchtigung, die für sie unzumutbar sei. Ihr stehe deshalb ein Entschädigungsanspruch zu, der angesichts der genannten Kosten mit 10000 DM als angemessen erscheine. Die Bekl. behauptet, es falle nur ein Teil des Laubes auf das Grundstück der Kl.; dies sei nach ihrer Auffassung keine wesentliche Beeinträchtigung, jedenfalls für die Kl. aber zumutbar. Sie habe den Laubfall, der auf Naturkräfte zurückzuführen sei, auch nicht zu verantworten.

Das LG hat die Klage abgewiesen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

I. Für die Klage ist der ordentliche Rechtsweg gegeben, da der geltend gemachte Anspruch allein auf privatrechtliche Nachbarvorschriften (§ 906 II 2 BGB) gestützt wird und auch allein hierauf gestützt werden kann. Ein öffentlichrechtlicher Ausgleichsanspruch z. B. aus enteignungsgleichem Eingriff scheidet hier aus, da die dem Anspruch zugrunde liegende Beeinträchtigung nicht unmittelbar durch hoheitliche Eingriffe ausgelöst worden, sondern im Rahmen der privatwirtschaftlichen Grundstücksnutzung erfolgt ist (vgl. hierzu BGHZ 49, 149 = NJW 1968, 549 = LM § 960 BGB Nr. 26; BGH, LM § 906 BGB Nr. 25, für einen insoweit vergleichbaren Fall). Zudem wäre selbst für einen öffentlichrechtlichen Ausgleichsanspruch der ordentliche Rechtsweg gegeben, da nicht die Aufhebung hoheitlicher Maßnahmen begehrt wird (vgl. BGHZ 49, 149 = NJW 1968, 549 = LM § 906 BGB Nr. 26; Augustin, in: RGRK, 12. Aufl., § 906 Anm. 11).

II. Die Klage ist jedoch nicht begründet, da auch nach dem hier zugrunde zu legenden Vortrag der Kl. die Anspruchsvoraussetzungen des § 906 II BGB nicht vorliegen: Die Kammer teilt zwar die Auffassung der Kl., daß pflanzliche Immissionen, insbesondere also fallendes Laub und Blüten- bzw. Samenflug, als ähnliche Einwirkung i. S. von § 906 I BGB anzusehen sind, da es sich hierbei um vergleichbar unwägbare Stoffe handelt wie z. B. bei dem im Gesetz ausdrücklich genannten Ruß (vgl. Palandt-Bassenge, BGB, 43. Aufl., § 906 Anm. 2a dd, und die dort zit. Entscheidungen; a. A. allerdings Augustin, in: RGRK, § 906 Anm. 23). Diese Immissionen wurden auch durch die Bekl. auf das Grundstück der Kl. zugeführt, denn hierfür ist allein entscheidend, daß menschliches Verhalten das spätere Wirken der Naturkräfte ermöglicht hat (vgl. Augustin, in: RGRK, § 906 Anm. 27; RGZ 149, 210). Dies kann hier bereits deshalb nicht zweifelhaft sein, weil die Bäume unstreitig von der Bekl. gepflanzt worden sind.

Zweifel bestehen nach Auffassung der Kammer jedoch daran, ob der von der Bekl. geschilderte Laubfall eine wesentliche Beeinträchtigung i. S. des § 906 I BGB ist. Maßgebend hierfür ist das Empfinden eines normalen Durchschnittsbürgers unter Berücksichtigung der Zweckbestimmung des betroffenen Grundstücks (vgl. BGH, LM § 906 Nr. 6). Eine Abwägung der Interessen der Parteien an der Nutzung ihrer jeweiligen Grundstücke ist hierbei nicht zulässig, ausschlaggebend ist vielmehr allein das objektive Maß der Beeinträchtigung (vgl. BGHZ 69, 118 (127) = NJW 1977, 1920 = LM § 1004 BGB Nr. 145). Selbst unter Berücksichtigung der derzeitigen konkreten Nutzung des Grundstückes als Pilsbar mit Parkplatz erscheint ein Laubfall in dem Umfang, wie ihn die Kl. behauptet, nicht zwingend als derart schwerwiegend, daß er als wesentliche Beeinträchtigung angesehen werden muß. Schließlich handelt es sich hierbei um eine natürliche und unschädliche Einwirkung, die die naturgesetzliche Folge einer von allen Beteiligten - auch der Kl.! - erwünschten Nutzung des Grundstückes der Bekl. ist. Insoweit unterscheidet sich diese von den im Gesetz ausdrücklich genannten Immissionen, die alle zunächst künstlich geschaffen werden und jedenfalls ab einer gewissen Intensität auch schädlich sind. Ob dieser Unterschied bereits genügt, im vorliegenden Fall oder gar allgemein eine wesentliche Beeinträchtigung zu verneinen, kann letztlich offenbleiben. Selbst wenn Immissionen in dem behaupteten Umfang vorliegen würden und wenn diese als wesentlich zu qualifzieren wären, so hat die Kl. diese nach ihrer eigenen Auffassung zu dulden, da die Nutzung des Grundstückes der Bekl. als ortsüblich anzusehen ist. Die Kammer teilt die übereinstimmende Auffassung der Parteien in diesem Punkt, da der an das Grundstück der Kl. grenzende Grünstreifen die nähere Umgebung insgesamt prägt (vgl. hierzu BGH, NJW 1973, 326; Augustin, in: RGRK, § 906 Anm. 40 ff.) und zudem sowohl dem verbindlichen Flächennutzungs- wie dem Bebauungsplan entspricht (vgl. zu diesem Kriterium BGH, LM § 906 BGB Nr. 39).

Die vom Grundstück der Bekl. ausgehende Einwirkung vermag diese nicht durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen zu verhindern. Eine völlige Beseitigung der Bäume kann nicht verlangt werden. Dies käme einem Aufgeben der zulässigen Nutzung gleich und würde deshalb die Erfüllung eines nicht bestehenden Unterlassungsanspruches nach § 1004 BGB bedeuten (vgl. Augustin, Anm. 54). Eine sonstige - über die von der Bekl. unstreitig durchgeführte Durchforstung der Bäume hinausgehende - Maßnahme zur Verhinderung bzw. Beschränkung der Beeinträchtigung ist nicht durchführbar, jedenfalls wirtschaftlich nicht zumutbar. In Betracht käme lediglich ein großflächiges Absägen von Ästen, was jedoch nach der unbestrittenen Darstellung der Bekl. zu einer Gefährdung des Baumbestandes führen würde. Dies wird selbst von der Kl. weder ernsthaft in Erwägung gezogen noch verlangt. Verstöße der Bekl. gegen Vorschriften des baden-württembergischen Nachbarrechts sind nicht behauptet worden, so daß sich weder hieraus noch aus § 910 BGB Weitergehendes herleiten läßt.

Entscheidend ist jedoch, daß durch die von der Kl. demnach zu duldende Einwirkung auf ihr Grundstück nicht dessen ortsübliche Benutzung oder dessen Ertrag über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt wird (§ 906 II 2 BGB). Diese Beeinträchtigung muß zwar nach der Rechtsprechung des BGH zum (mit Wirkung vom 1. 6. 1969 neu gefaßten) § 906 BGB nicht zu einer Existenzgefährdung führen, um Ausgleichsansprüche entstehen zu lassen (so noch RGZ 159, 129), doch sind - je nach den Gegebenheiten des Einzelfalles - unter Umständen auch wesentliche Nachteile entschädigungslos hinzunehmen (vgl. Erman-Hagen, BGB, 7. Aufl., § 906 Anm. 16; BGHZ 49, 148 ff. = NJW 1968, 549 = LM § 906 BGB Nr. 26). Bei der Beurteilung der Zumutbarkeit sind sowohl die Interessen der Parteien an der Nutzung ihrer Grundstücke wie die Vorteile, die das beeinträchtigte Grundstück aus der konkreten Nutzung des anderen Grundstückes zieht, zu beachten, da es sich bei der Entschädigungsregelung letztlich um einen - ähnlich wie bei § 242 BGB - Interessenausgleich unter Billigkeitsgesichtspunkten handelt, bei dem alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen sind (vgl. BGHZ 49, 148 (153) = NJW 1968, 549 = LM § 906 BGB Nr. 26). Soweit der BGH in neuester Zeit die Grenzen bei der Bestimmung der Zumutbarkeit zugunsten des Beeinträchtigten enger gezogen hat, beruhte dies stets darauf, daß er als Maßstab für die Zumutbarkeit zwischenzeitlich ergangene Gesetze, Verordnungen oder technische Normen herangezogen hat (insbesondere das Immissionsschutzgesetz), weil hierin vom Gesetzgeber klargestellt worden sei, was als Grenze für eine entschädigungslose Beeinträchtigung anzusehen ist (vgl. z. B. BGHZ 64, 220 = NJW 1975, 1406; BGHZ 70, 212 = NJW 1978, 373; BGH, NJW 1977, 894 f.). Diese im Bereich der schädlichen Immission entwickelten Gedanken können jedoch nicht auf den vorliegenden Fall übertragen werden. Es fehlt nicht nur an einer dem Immissionsschutzgesetz vergleichbaren Regelung, sondern bereits an einer vergleichbaren Ausgangslage, da der Laubfall gerade keine gesundheitsschädigenden Auswirkungen haben kann, sondern im Ergebnis lediglich eine - u. U. erhebliche - Belästigung darstellt.

Selbst wenn man bestehende Zweifel daran zurückstellt, ob es sich bei der von der Kl. gewählten Nutzung ihres Grundstücks als Bierbar um eine ortsübliche handelt und davon zu ihren Gunsten ausgeht, ergibt die Anwendung der oben entwickelten allgemeinen Grundsätze auf den konkreten Fall und die demnach vorzunehmende Abwägung aller Gesichtspunkte, daß eine Entschädigung der Kl. nicht in Betracht zu ziehen ist: Schaffung und Unterhaltung von Grünanlagen durch die Bekl. sind aus städtebaulichen und gesundheitspolitischen Gründen notwendig, da hierdurch ein gesünderes Stadtklima, ein angenehmeres Wohnungsfeld und eine Erhöhung des Freizeitwertes für die angrenzenden Stadtteile geschaffen werden können. Insoweit dienen diese Maßnahmen der Bekl. allen Gemeindebewohnern, also auch der Kl. selbst. Die Verpflichtung zur Zahlung von Entschädigung im vorliegenden Fall hätte zur Folge, daß mit einer Vielzahl gleichartiger Ansprüche gerechnet werden müßte. Dies könnte - abgesehen von den unmittelbaren finanziellen Belastungen der öffentlichen Kassen - dazu führen, daß die erwünschte Erweiterung solcher Grünanlagen wegen der nicht kalkulierbaren zusätzlichen finanziellen Risiken nicht im bisherigen Umfang erfolgen würde. Selbst eine teilweise Abholzung bereits vorhandener Grünanlagen wäre nicht auszuschließen.

Schließlich kommt hinzu, daß der Kl. aus der konkreten Nutzung des Grundstückes der Bekl. als Park zusätzlich erhebliche besondere Vorteile erwachsen, die bei der Frage der Zumutbarkeit Bedeutung erlangen. So wird jedenfalls in heutiger Zeit das konkrete Umfeld eines Hausgrundstücks dann als besonders wertvoll erachtet, wenn es unmittelbar an Grünanlagen grenzt und hierdurch von den üblichen Belästigungen verschont wird, von denen sonstige in Städten gelegene Grundstücke betroffen sind. Insbesondere werden Verkehrslärm und Luftverschmutzungen, die Gesundheitsbeeinträchtigungen zur Folge haben können, in diesen Gegenden wesentlich geringer gehalten. Dem entspricht es, daß Grundstücke in derartigen Lagen begehrter sind als ähnliche im sonstigen Stadtbereich und daß deshalb für derartige Grundstücke höhere Preise erzielt werden können. Sowohl bei einem Verkauf wie bei der derzeitigen teilweisen Vermietung des Grundstückes erwachsen der Kl. aus der konkreten Nutzung des beeinträchtigenden Grundstückes deshalb unmittelbare finanzielle Vorteile.

Diesen Belangen der Allgemeinheit und den zusätzlichen besonderen Vorteilen für die Kl. steht die von ihr behauptete Belastung durch einen angeblichen Arbeitsaufwand von ca. 10 Stunden pro Monat für die Dauer von 5 Monaten pro Jahr gegenüber.

Bei Abwägung der genannten Vorteile gegen die konkreten Beeinträchtigungen der Kl. erscheint der Kammer diese nicht als derart schwer, daß eine entschädigungslose Duldung für die Kl. unzumutbar wäre; im Gegenteil dürften die Vorteile gar die Nachteile überwiegen. Soweit man davon ausgeht, daß es sich bei den Parkplätzen um ein gewerblich genutztes Grundstück handelt, würden die von der Kl. behaupteten Beseitigungskosten als Aufwendungen im Rahmen eines Gewerbebetriebes anfallen, die zu einer entsprechenden Berücksichtigung im steuerlichen Bereich führen würden. Hierdurch würde die tatsächlich bei der Kl. verbleibende Belastung erheblich reduziert. Weder die Nutzung des Grundstückes noch dessen Ertrag werden durch die behauptete finanzielle jährliche Belastung von maximal 2500 DM (angeblich 5 Monate a 500 DM) über das zumutbare Maß hinaus beeinträchtigt, da diese Aufwendungen (ohne Berücksichtigung von Steuerersparnissen) weder im Verhältnis zu den sonstigen betrieblichen Kosten noch zum Wert des Grundstücks (vgl. hierzu BGHZ 49, 148 (152) = NJW 1968, 549 = LM § 906 BGB Nr. 26) schwerwiegend ins Gewicht fallen können. Geht man davon aus, daß eine ortsübliche Nutzung des Grundstückes nur als Privathaus in Betracht kommt, so erscheint der geschilderte Arbeitsaufwand ebenfalls nicht als derart erheblich, daß er als unzumutbar angesehen werden kann. Er dürfte nicht weit über das hinausgehen, was auf einem privat genutzten Grundstück im Herbst naturbedingt üblicherweise an Arbeit anfällt. In beiden Varianten müssen deshalb die Interessen der Kl. zurücktreten, ohne daß ein Entschädigungsanspruch entsteht (vgl. für einen teilweise vergleichbaren Fall auch LG Stuttgart, NJW 1980, 2087; die gegenteilige Ansicht des LG Wiesbaden, NJW 1979, 2617, geht auf die Frage der Zumutbarkeit nicht ein). Die vorhandene Beeinträchtigung wird durch die geschilderten Vorteile kompensiert, zumindest aber derart relativiert, daß von einer Unzumutbarkeit i. S. von § 906 II 2 BGB nicht die Rede sein kann.

Rechtsgebiete

Nachbarrecht; Garten- und Nachbarrecht

Normen

BGB §§ 906, 1004