Keine Verpflichtung zur Freigabe einer nachrangigen Sicherheit

Gericht

BGH


Art der Entscheidung

Revisionsurteil


Datum

03. 07. 2002


Aktenzeichen

IV ZR 227/01


Leitsatz des Gerichts

Der Sicherungsnehmer hat das Wahlrecht (§ 262 BGB), welche von mehreren selbstständigen Sicherheiten er im Falle teilweiser Übersicherung an den Sicherungsgeber zurückgibt. Er ist grundsätzlich nicht verpflichtet, sich für die Freigabe einer nachrangigen Sicherheit zu entscheiden.

Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der Kl. wendet sich gegen die Zwangsvollstreckung aus einer notariellen Urkunde als zur Zeit unzulässig. Seine Mutter übertrug ihm im Jahre 1986 ein Grundstück. Dieses war zu Gunsten der Bekl. in Abt. III mit vier Grundschulden über 60000 DM, 100000 DM, 50000 DM und 100000 DM (lfd. Nrn. 8-11) belastet. Hinsichtlich der Grundschuld III Nr. 9 hatte sich die Mutter mit Wirkung gegen den jeweiligen Eigentümer der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen. Die Grundschulden dienten als Sicherheit für zwei verzinsliche Darlehen über 186000 DM und 70000 DM, die die Bekl. den Eltern des Kl. gewährt hatte. Am 12. 6. 1987 unterzeichnete auch der Kl. eine Zweckerklärung, wonach die Grundschulden III Nrn. 8-11 alle bestehenden und künftigen Forderungen der Bekl. gegen den Vater und/oder die Mutter des Kl. besichern sollten. Im Jahre 1989 gerieten die Eltern des Kl. mit den monatlich geschuldeten Darlehensraten in Verzug. Die Bekl. kündigte daraufhin mit Schreiben vom 20. 10. 1989 ihre Geschäftsbeziehung zu den Darlehensnehmern. Gegenüber dem Kl. erklärte sie mit Schreiben vom selben Tage die Kündigung der Grundschulden. Im Juni 1990 bestätigte die Bekl. den Darlehensnehmern eine Vereinbarung über die Darlehensrückführung zu neu festgesetzten Bedingungen; im Falle regelmäßiger Ratenzahlung sollte von Vollstreckungsmaßnahmen abgesehen werden. Bis August 1994 gelang es den Eltern des Kl., das Darlehen über 70000 DM vollständig abzulösen. Für die Grundschuld III Nr. 11 erteilte die Bekl. eine Löschungsbewilligung. Hinsichtlich des verbleibenden Darlehens kam es wiederum zu Rückständen; per 30. 8. 2000 bestand ein Negativsaldo von 60093,81 DM. Im Hinblick darauf betrieb die Bekl. die Zwangsvollstreckung aus der Grundschuld III Nr. 9.

Das LG hat der Vollstreckungsgegenklage stattgegeben. Das BerGer. hat die Berufung der Bekl. zurückgewiesen. Die Revision hatte teilweise Erfolg und führte unter Aufhebung der angegriffenen Entscheidung zur Klagabweisung, soweit die Bekl. wegen eines Betrags von 60093,81 DM nebst Zinsen in das belastete Grundstück vollstreckt.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

II. 1. Die Grundschuld III Nr. 9 haftet für die vom BerGer. in Höhe von 60093,81 DM festgestellte Forderung der Bekl. Das folgt aus der vom Kl. am 12. 6. 1987 unterzeichneten Zweckerklärung. Entgegen der vom BerGer. geäußerten Zweifel ist ihr Inhalt in dem hier entscheidenden Teil nicht überraschend i.S. des § 3 AGBG und daher in den Sicherungsvertrag der Parteien einbezogen.

a) Eine Regelung in AGB darf allerdings nicht so ungewöhnlich sein, dass der Vertragspartner mit ihr nicht zu rechnen braucht. Das ist der Fall, wenn die Regelung von seinen berechtigten Erwartungen, wie sie sich nach den allgemeinen und individuellen Begleitumständen des Vertragsschlusses ergeben, deutlich abweicht. Danach kann bei Bestellung einer Grundschuld durch einen Sicherungsgeber, der nicht zugleich persönlicher Schuldner ist, die formularmäßige Ausdehnung der Haftung auch auf bestehende und künftige Verbindlichkeiten eines Dritten, die nicht Anlass für die Hingabe der Sicherheit sind, überraschend sein, zumal die Aufnahme und Erweiterung solcher Drittkredite außerhalb seines Einflussbereichs liegt (Senat, NJW 2002, 2710 = BKR 2002, 494 = LM H. 11/2002 § 1191 BGB Nr. 71 = WM 2002, 1117 m.w. Nachw.).

b) Diese Voraussetzungen sind hier jedoch nicht gegeben. Konkreter Anlass für die Sicherungsabrede vom 12. 6. 1987 waren die von den Eltern des Kl. gemeinsam aufgenommenen Kredite. Allein aus diesen beiden Darlehensverträgen hat die Bekl. ihre Ansprüche hergeleitet. Wegen der Verbindlichkeiten, die aus dem in Höhe von 186000 DM gewährten Kredit noch bestehen, betreibt sie gegen den Kl. als dem Eigentümer des belasteten Grundstücks die Zwangsvollstreckung. Das entspricht dem vereinbarten, auf bestimmte Kreditaufnahmen bezogenen Sicherungszweck und geht daher über die Vorstellungen, die der Kl. im Juni 1987 hatte und haben musste, nicht hinaus.

2. Die Bekl. ist auch nicht gehindert, gerade aus der Grundschuld III Nr. 9 in das Grundstück des Kl. zu vollstrecken.

a) Mit den Grundschulden III Nrn. 8-10 sind der Bekl. seitens des Kl. mehrere selbstständige Sicherheiten begeben worden, die nominal einen Betrag vom 210000 DM ausmachen. Dem steht eine Forderung der Bekl. von 60093,81 DM nebst Zinsen gegenüber. Nur in dieser Höhe darf sie sich aus den ihr zur Verfügung stehenden Sicherheiten befriedigen (BGH, NJW-RR 1990, 588 = WM 1990, 305 [unter II 2a]). Wegen des überschießenden Teils der Sicherheiten besteht ein schuldrechtlicher Rückgewähranspruch des Kl., den er der Bekl. einredeweise entgegenhalten kann. Die Bekl. als Schuldnerin des Rückgewähranspruchs hat aber gem. § 262 BGB die Wahl, welche Sicherheiten sie freigeben und welche sie zur Befriedigung ihrer Forderung verwenden möchte. Dieses Recht steht in seiner Ausübung allein unter dem Gebot von Treu und Glauben gem. § 242 BGB (BGH, NJW 1983, 2701 = LM Allg. Geschäftsbed. d. Banken Ziff. 19 Nr. 16 = WM 1983, 926 [unter II 5e]). Dass die Bekl. zur Wahrung ihrer Interessen als Sicherungsgeberin berechtigt ist, nachrangige Sicherheiten freizugeben und ihre Forderung über die rangerste Sicherheit abzudecken (vgl. BGH, NJW 1986, 2108 = LM § 305 BGB Nr. 40 [unter I 2]), bedeutet entgegen der Auffassung des Kl. nicht, dass sie auch verpflichtet wäre, ausschließlich die vorrangige Sicherheit zu ihren Gunsten einzusetzen. Die Vorschrift des § 1176 BGB i.V. mit § 1192 I BGB kann an dieser Stelle schon deshalb nicht herangezogen werden, weil sie nur in Ansehung eines grundpfandrechtlichen Teilbetrags gilt und auf das Verhältnis verschiedener Grundpfandrechte zueinander keine Anwendung findet (Staudinger/Wolfsteiner, BGB, 13. Bearb. [1996], § 1176 Rdnr. 3; vgl. Eickmann, in: MünchKomm, 3. Aufl., § 1176 Rdnr. 2).

b) Die Bekl. war daher nicht gehalten, aus der Grundschuld III Nr. 8 vorzugehen, bei der sich nominaler und valutierender Grundschuldbetrag weit gehend entsprochen hätten. Die Entscheidung, die Zwangsvollstreckung stattdessen aus der Grundschuld III Nr. 9 zu betreiben, ist durch ihre schützenswerten Belange als Sicherungsnehmerin gerechtfertigt. Diese sind darin begründet, dass sich die Mutter der Kl. in der Grundschuldbestellungsurkunde der sofortigen Zwangsvollstreckung mit Wirkung gegen den jeweiligen Eigentümer des Grundstücks unterworfen hatte (§§ 800 I , 794 I Nr. 5 ZPO). Die Bekl. war also der unter Umständen zeit- und kostenträchtigen Aufgabe enthoben, sich zunächst einen Duldungstitel gegen den Kl. zu verschaffen, wie es für die Grundschuld III Nr. 8 erforderlich gewesen wäre. Sie brauchte dem Kl. zuvor keine Gelegenheit zu geben, wegen der Grundschuld III Nr. 8 den Duldungsanspruch anzuerkennen. Es genügte, dass hinsichtlich einer anderen Sicherheit - der Grundschuld III Nr. 9 - ein solches Anerkenntnis in Form einer titulierten Unterwerfungserklärung bereits vorlag. Vorrangige Interessen des Kl. werden dadurch nicht verletzt.

3. Die Bekl. hat die Grundschuld III Nr. 9 und das Darlehen über 186000 DM im Oktober 1989 wirksam gekündigt. Sicherungsrecht (§ 1193 I BGB) und besicherte Forderung (§ 609 I , II BGB) sind fällig.

a) Entgegen der Auffassung des BerGer. ist zwischen den Eltern des Kl. und der Bekl. kein weiteres - bislang ungekündigtes - Darlehensverhältnis begründet worden. Ein solcher vertraglicher Neuabschluss liegt insbesondere nicht in der mit Schreiben der Bekl. vom 22. 6. 1990 bestätigten Vereinbarung. Da das BerGer. eine eigenständige Auslegung des Schreibens unterlassen hat, konnte der Senat sie selbst vornehmen (BGH, NJW 2000, 2099 = LM H. 1/2001 § 133 [B] BGB Nr. 57 [unter B I 2c]). Mit der Kündigung vom 20. 10. 1989 war das Kapitalnutzungsrecht der beiden Darlehensnehmer entfallen (vgl. BGH, NJW 1998, 602 = LM H. 7/1998 § 4 VerbrKrG Nr. 3 = WM 1997, 2353 [unter II 2a]; BGH, NJW 1995, 527 = LM H. 6/1995 § 4 VerbrKrG Nr. 1 = WM 1995, 103, jeweils z. VerbrKrG). Ein neues Kapitalnutzungsrecht ist den Eltern des Kl. bereits nach dem Wortlaut des Schreibens vom 22. 6. 1990 nicht eingeräumt worden; der Abschluss eines zweiten Kreditvertrags kommt somit nicht in Betracht. Die Parteien des gekündigten Darlehensvertrags haben sich stattdessen auf ein Abwicklungs- und Stillhalteabkommen verständigt, das im Falle regelmäßiger und ratenweiser Rückführung der Darlehensschuld die Zurückstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen seitens der Darlehensgeberin zum Ziele hatte. Dass die Schuldner dafür einen höheren Zinssatz als den ursprünglichen Vertragszins zu erbringen hatten, ergibt die Vereinbarung nicht. Im Gegenteil ist in dem Schreiben vom 22. 6. 1990 von einer Herabsetzung des Zinssatzes die Rede. Eine Entgeltlichkeit i.S. des § 1 II VerbrKrG scheidet daher aus; im Übrigen übersieht der Kl., dass das Verbraucherkreditgesetz erst zum 1. 1. 1991 - mithin nach der im Juni 1990 getroffenen Vereinbarung - in Kraft getreten ist.

Ob die Bekl. ihrer Berechnung zu einem späteren Zeitpunkt einen höheren (Verzugs-)Zins zu Grunde gelegt hat, ist in diesem Zusammenhang ohne Belang, da nicht vorgetragen ist, dass dies auf einer wechselseitigen Vereinbarung beruhte. Selbst wenn dies unterstellt wird, kann der Kl. nicht auf die besonderen Kündigungsvoraussetzungen des § 12 I VerbrKrG verweisen. Die Kredite waren über den 22. 6. 1990 hinaus u.a. durch die streitbefangene Grundschuld besichert. Dann aber geht es um Realkredite i.S. des § 3 II Nr. 2 VerbrKrG, für die die Vorschrift des § 12 I VerbrKrG keine Geltung hat.

b) Die Bekl. hat auch nach den Kündigungen vom 20. 10. 1989 in einer Vielzahl von Schreiben, die an die Darlehensnehmer und den Kl. gerichtet waren, keinen Zweifel daran gelassen, an ihrer Darlehensforderung festzuhalten und, sollten die Kreditschuldner ihren Verpflichtungen nicht ordnungsgemäß nachkommen, die ihr gegebenen Sicherheiten zu verwerten. Der Kl. und seine Eltern durften daher nicht darauf vertrauen, es werde nicht zur Zwangsversteigerung des Grundstücks kommen. Ihre aus den Kündigungen folgenden Rechte hat die Bekl. daher - entgegen der Ansicht des Kl. - nicht verwirkt (§ 242 BGB).

4. Aus der Grundschuld III Nr. 9 darf die Bekl. die Zwangsvollstreckung nur in Höhe erstrangiger 60093,81 DM betreiben. Hinsichtlich des darüber hinausgehenden Betrags der Grundschuld, die nominal auf 100000 DM lautet, ist sie - nach den Feststellungen des BerGer. endgültig - übersichert. Sie hat diesen Teil des Grundpfandrechts an den Kl. zurückzugewähren, dem insoweit eine Einwendung i.S. der §§ 1192 , 1169 BGB zusteht, durch welche die Geltendmachung der Grundschuld in dem betreffenden Teil dauernd ausgeschlossen ist. Er muss daher die Zwangsvollstreckung daraus nicht dulden (BGH, NJW-RR 1991, 759 = LM § 1191 BGB Nr. 43 = ZIP 1991, 432 [unter II 3]; BGH, NJW-RR 1990, 588 = WM 1990, 305 [unter II 2a]).

Rechtsgebiete

Bank-, Finanz- und Kapitalanlagerecht