Investigativer Journalismus: Fernsehbericht mit verdeckt aufgenommenem Film

Gericht

LG Köln


Art der Entscheidung

Urteil


Datum

03. 11. 2004


Aktenzeichen

28 O 731/03


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Am 2. Oktober 2003 und am 23. Oktober 2003 strahlte der NDR in der Sendung Panorama zwei Beiträge aus, die mit dem Titel "Brutstätten der Gewalt - Hass und Hetze an deutschen Koranschulen" am 2. Oktober 2003 und mit dem Titel "Heiliger Krieg am Rhein - Terrorverdacht an deutschen Koranschulen" am 23. Oktober 2003 versehen waren. Im Rahmen dieser Beiträge wurde ein Ausschnitt einer Freitagspredigt, mit versteckter Kamera gefilmt, gezeigt, in der der Prediger in der Ferne zu sehen und auf arabisch zu hören war. Darüber war ein Kommentar von Panorama gelegt, der den Text der Predigt wiedergab und zwar wie folgt: "Ihr müsst Euch um die körperliche Ertüchtigung Eurer Kinder kümmern. Bringt ihnen das Speerwerfen, das Schwimmen und das Reiten bei, damit sie stark und tapfer werden und bereit sind, in den Dschihad, den heiligen Krieg zu ziehen. Im Namen Allahs."

Im Anschluss an diesen Filmausschnitt aus der Predigt wird der Islamwissenschaftler ... eingeblendet. Dieser äußert sich dann zu der Predigt dahingehend, dass der Aufruf zum Dschihad nur eine Bedeutung haben könne, nämlich die Expansion des Islam. Es gehe nach diesem Ausspruch nur um einen aggressiven Dschihad, also einen bewaffneten Dschihad für die Ausbreitung und Verbreitung des Islam.

Die ... kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger unter dem 11. November 2003 zum 31. Januar 2004. In der Panorama-Sendung vom 23. Oktober 2003 wurde unter Bezugnahme auf die Filmaufnahmen des Klägers als Prediger in der Sendung vom 2. Oktober 2003 darauf hingewiesen, dass der Kläger zwischenzeitlich suspensiert worden sei. ...

Entscheidungsgründe


Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet.

I. Der Beklagte zu 1) ist nicht passivlegitimiert. Denn anders als der Verleger und auch der Chefredakteur, die umfassende Prüfungs- und Kontrollpflichten haben (vgl. dazu Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 51. Aufl., Rn. 14.60 und 14.64), hat der Intendant als gesetzlicher Vertreter des NDR zwar auch allgemeine, die Organisation betreffende Prüfungspflichten. Der Intendant haftet indes nur, wenn er diese Pflichten verletzt, sofern er nicht selbst am Beitrag mitwirkt. Der Beklagte zu 1) hat jedoch unstreitig nicht an dem Beitrag mitgewirkt. Anhaltspunkte für die Verletzung von Prüfungs- und Kontrollpflichten im Hinblick auf die Organisation einer zutreffenden und wahrheitsgemäßen Berichterstattung sind weder vom Kläger vorgetragen noch sonst ersichtlich. Damit scheidet eine Haftung des Beklagten zu 1) schon aus diesem Grunde aus.

II. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf immateriellen Schadensersatz wegen Verletzung seines allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus §§ 823 Abs. 1, 253 BGB i. V. m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG, § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 186 StGB.

Im Einzelnen:

1. Nach Auffassung der Kammer bestehen bereits erhebliche Bedenken hinsichtlich der Erkennbarkeit des Klägers als der in den streitgegenständlichen Beiträgen gezeigte Prediger. Die erforderliche Erkennbarkeit liegt vor, wenn die Behauptung sich in individueller, seine Interessensphäre berührender Weise auf den Anspruchssteller bezieht. Eine namentliche Erwähnung ist nicht erforderlich, wohl aber die individuelle Erkennbarkeit. Es genügt, dass die Identität des Anspruchsstellers mit der angegriffenen Person sich für den sachlich interessierten Zuschauerkreis ohne weiteres ergibt oder mühelos ermitteln läßt. Die Erkennbarkeit muss mindestens für einen Personenkreis vorhanden sein, den der Betroffene nicht mehr ohne weiteres selbst unterrichten kann wie zum Beispiel die engere Familie (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Rn. 12.43 ff., 12.54 ff.). Der Kläger ist in den Filmbeiträgen indes nur ganz klein im Hintergrund zu sehen, sein Gesicht oder gar seine Gesichtszüge sind nicht erkennbar. Sein Name wird nicht genannt. Es fehlt auch an einer näheren Bezeichnung, um welchen Prediger es sich handelt. Die Begründung des Klägers, er sei deshalb zu erkennen, weil das gesendete Bild bei der Freitagspredigt zusammen mit der Übersetzung den Schluss zulasse, dass es sich um den Kläger handele, erscheint wenig überzeugend.

2. Unabhängig davon liegen indes die Voraussetzungen für einen Schmerzensgeldanspruch auch dann nicht vor, wenn man eine Erkennbarkeit in dem vorgenannten Sinne unterstellt. Ein Schmerzensgeldanspruch bei Verletzung des Persönlichkeitsrechts setzt voraus, dass es sich um einen schwerwiegenden Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht handelt und die Beeinträchtigung nicht in anderer Weise befriedigend ausgeglichen werden kann (vgl. BGH NJW 1996, 1131). Ob es sich um eine schwerwiegende Verletzung des Persönlichkeitsrechts handelt, hängt nach der Rechtsprechung des BGH insbesondere von der Bedeutung und der Tragweite des Eingriffs ab, etwa von dem Ausmaß der Verbreitung der verletzenden Aussagen, von der Nachhaltigkeit der Fortdauer der Interessen- und Rufschädigung des Verletzten, ferner von Anlass und Beweggrund des Handelnden sowie von dem Grad seines Verschuldens (vgl. BGH aaO.).

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Denn die Ausstrahlung der angegriffenen Äußerungen der Beklagten ist unter dem Gesichtspunkt der Wahrnehmung berechtigter Interessen gerechtfertigt. Die Beklagten haben jedenfalls die erforderliche journalistische Sorgfalt gewahrt. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass grundsätzlich ein strenger Maßstab anzulegen ist. Diese Strenge darf allerdings nicht überspannt, der freie Kornmunikationsprozess nicht eingeschnürt werden. Zu beachten ist die so genannte pressemäßige Sorgfalt, der genügt ist, wenn die berufsmäßigen Besonderheiten der Presse hinreichend berücksichtigt sind (vgl. BVerfG NJW-RR 2000, 1209, zum Ganzen auch Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Aufl., Rn. 6.117 ff.). Dieser journalistischen Sorgfaltspflicht haben die Beklagten genügt. Sie haben die ihnen zur Verfügung stehenden Aufklärungsmittel ausgenutzt. Insbesondere zu der hier auch vom Kläger als maßgeblich bezeichneten Frage des Verständnisses des Wortes "Dschihad" und mit welcher Bedeutung es der Kläger wohl benutzt hat, haben sie den Islamwissenschaftler ... befragt und dessen Bewertung in den Filmbeitrag aufgenommen. Der Kläger hat unstreitig die Gemeinde aufgefordert, (jedenfalls) ihre Kinder zu trainieren, damit sie am Dschihad teilnehmen können. Die Wortbedeutung von "Dschihad" mag mehrdeutig sein, worauf das von dem Kläger vorgelegte Lehrbuch des Landesinstituts für Schule und Weiterbildung NRW hindeutet. Die Bewertung durch den befragten Islamwissenschaftler ... stützt jedoch die Aussage des streitgegenständlichen Beitrags von Panorama, dass der Kläger nämlich nicht zu Anstrengungen für den Glauben und für eine kulturelle Entwicklung im Sinne einer Selbstläuterung und eines Kampfes gegen die eigene Schwäche, sondern zu kriegerischem, bewaffnetem Vorgehen gegen Ungläubige durch die Anhänger des Islam aufgerufen hat.

3. Es ergibt sich auch nichts anderes daraus, dass der Kläger die Äußerungen im Rahmen der von ihm gehaltenen Freitagspredigt gemacht hat und damit auch die Freiheit der Religionsausübung, die in Art. 4 GG gewährleistet wird, betroffen ist. Bedeutung und Tragweite des Eingriffs sind in erster Linie daran zu messen, welche Sphäre des Persönlichkeitsrechts betroffen ist (Wenzel, aaO., Rn. 9.25). Anlass und Beweggrund der Berichterstattung durch die Beklagten liegen hier nicht in der kommerziellen Ausnutzung und Zuschauerquotensteigerung, sondern vielmehr in dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Anerkannt ist, dass die Privatsphäre auch betroffen sein kann, wenn die Religionsausübung betroffen ist. So hat beim Gebet und beim Empfang des Abendmahls in einer auch der Öffentlichkeit zugänglichen Kirche jedermann - und auch Personen der Zeitgeschichte - Anspruch darauf, dass solche Momente religiösen Bekennens respektiert und nicht zum Gegenstand öffentlicher Bildberichterstattungen gemacht werden. Allein dies entspricht der in Art. 4 GG gewährleisteten Unverletzlichkeit der Religionsausübung, deren verfassungsrechtlicher Schutz auf das Zivilrecht ausstrahlt (vgl. Wenzel, aaO., Rn. 8.65). Der streitgegenständliche Filmbericht zeigt den Kläger indes weniger bei der Religionsausübung, sondern vielmehr bei politischer Agitation. Dies durften die Beklagten unterstellen, nachdem sie im Rahmen ihrer Recherchen insbesondere aufgrund der Befragung des Islamwissenschaftlers ... die von diesem gegebene Deutung der Aussagen des Klägers in seiner Predigt zugrunde gelegt haben. Für derartige Agitation ist jedoch der Schutz des Artikels 4 GG nicht gegeben.

Zu berücksichtigen ist bei der Abwägung der beiderseitigen Interessen nämlich, welchen Anlass die Beklagten hatten, die Berichterstattung vorzunehmen. Das diesbezügliche Informationsinteresse der Öffentlichkeit, dessen Befriedigung auch die Aufgabe des NDR ist, wiegt im vorliegenden Fall sehr schwer, da die islamistisch bewegten terroristischen Aktivitäten eine erhebliche Bedeutung für das Gemeinwohl haben und auch zum Zeitpunkt der Ausstrahlung hatten.

4. Schließlich ändert es auch nichts an der Beurteilung, dass die Predigt mit verdeckter Kamera aufgenommen wurde. Das BVerfG (BVerfG NJW 1984, 1741) hat klargestellt, dass die - hier möglicherweise zu unterstellende - rechtswidrige Beschaffung von Information nicht unter den Schutz von Art. 5 GG fällt, die Verbreitung dieser Information aber sehr wohl. Für die Frage der Zulässigkeit der Verbreitung kommt es darauf an, ob die wegen des erheblichen Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht dessen, von dem rechtswidrig Informationen beschafft werden, grundsätzlich unzulässige Verbreitung ausnahmsweise doch zulässig ist, weil nämlich die Bedeutung der Information für die Unterrichtung der Öffentlichkeit und für die öffentliche Meinungsbildung die Nachteile überwiegt, die der Rechtsbruch für den Betroffenen nach sich zieht. Ein solches Überwiegen ist vorliegend aus den dargelegten Gründen anzunehmen.

5. Vor diesem Hintergrund hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Feststellung, dass die Beklagten ihm zum Ersatz seines materiellen Schadens verpflichtet sind, der ihm durch die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses entstanden ist. Auch insoweit handelt denn die Beklagten jedenfalls in Wahrnehmung berechtigter Interessen, sodass es an der Rechtswidrigkeit des Eingriffs fehlt.

Rechtsgebiete

Presserecht