Verwirkung des Ehegattenunterhalts durch Vereitelung des Umgangsrechts

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

29. 10. 1997


Aktenzeichen

12 UF 1174/97


Leitsatz des Gerichts

Eine fortgesetzte massive und schuldhafte Vereitelung des Umgangsrechts kann in schwerwiegenden Fällen zu einer (Teil-)Verwirkung des Ehegattenunterhalts nach §1579 Nr. 6 BGB führen.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Die zulässige Berufung der Bekl. ist nur z.T. begründet. Der Unterhaltsanspruch der Bekl. ist zwar wegen Vereitelung des Umgangsrechts des Kl. mit dem gemeinschaftlichen Sohn P. (geb. 29. 5. 1990) teilweise verwirkt, die im Rahmen der groben Unbilligkeit nach § 1579 BGB durchzuführende umfassende Interessenabwägung führt aber nur zu einer Herabsetzung des Unterhalts auf 2.400 DM und nicht auf einen Notunterhalt von 1.300 DM.

Im anhängigen Abänderungsverfahren geht es um die Frage, ob und in welcher Höhe der Unterhaltsanspruch der Bekl. auf nachehel. Unterhalt wegen Verhinderung des Umgangsrechts nach § 1579 BGB verwirkt ist. Die Verwirkung ist eine rechtsvernichtende Einwendung (BGH, FamRZ 1991, 670, 672), die an sich mit einer Vollstreckungsgegenklage geltend zu machen ist; nach Aufgabe seiner früheren Rspr. handelt es sich nach BGH bei der Verwirkung aber auch um eine Änderung der stets wandelbaren wirtschaftlichen Verhältnisse i.S. des § 323 I ZPO, die wie vorliegend auch mit einer Abänderungsklage verfolgt werden kann (BGH, FamRZ 1990, 1095).

In der Rspr. ist anerkannt, daß eine fortgesetzte massive Vereitelung des Umgangsrechts mit einem gemeinschaftlichen Kind einen Verwirkungsgrund nach § 1579 Nr. 6 BGB wegen eines schwerwiegenden einseitigen Fehlverhaltens darstellen kann (BGH, FamRZ 1987, 356, 357; OLG Nürnberg, FamRZ 1994, 1394; OLG München, OLG Report 1997, 45). Das Umgangsrecht dient nach § 1634 BGB dazu, dem nicht sorgeberechtigten Elternteil die Möglichkeit zu geben, sich vom körperlichen und geistigen Befinden seines Kindes in seiner Entwicklung durch Augenschein und gegenseitige Aussprache fortlaufend zu überzeugen, die verwandtschaftlichen Beziehungen aufrechtzuerhalten, einer Entfremdung vorzubeugen sowie dem gegenseitigen Liebesbedürfnis Rechnung zu tragen (BGH, a.a.O.). Der Sorgeberechtigte hat dabei alles zu unterlassen, was das Verhältnis des Kindes zu dem anderen Elternteil beeinträchtigen kann (§ 1634 I S. 2 BGB). Für eine gesunde Entwicklung eines Kindes geschiedener Eltern ist es von großer Bedeutung, auch mit dem nicht sorgeberechtigten Elternteil regelmäßig Kontakt zu halten, weshalb die ab 1. 7. 1998 in Kraft tretende gesetzliche Neuregelung des Umgangsrechts durch die Kindschaftsrechtsreform in § 1584 BGB ausdrücklich dem nicht sorgeberechtigten Elternteil nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht zum Umgang mit dem Kind auferlegt.

Die fortgesetzte Verhinderung des Umgangsrechts führt allerdings nur in schwerwiegenden Fällen zu einer Verwirkung des Ehegattenunterhaltanspruchs, in denen eine massive und schuldhafte Vereitelung des Umgangs zu bejahen ist. Das FamG hat zu Recht im vorliegenden Fall diese Voraussetzungen bejaht. Unstreitig besteht zwischen den Parteien eine Umgangsvereinbarung des FamG v. 20. 3. 1995, wonach der Kl. seinen inzwischen siebenjährigen Sohn P. an jedem zweiten Sonntag im Monat drei bis fünf Stunden ab 14.00 Uhr in seinem Kinderzimmer, bei geeignetem Wetter auch im Freien besuchen kann. Unstreitig hat der Kl. sein Umgangsrecht seit dieser Zeit nur einmal am 9. 4. 1995 wahrnehmen können. Alle weiteren Versuche einer Kontaktaufnahme scheiterten, weil sich das Kind bei Erscheinen des Kl. immer im Wohnzimmer und nicht im Kinderzimmer aufhielt, sofort unter den Tisch kroch und von dort aus den Vater beschimpfte und aufforderte, wegzugehen, während sich die Bekl., ihre Mutter sowie die 15-jährige Halbschwester von P. schützend um das Kind gruppierten und dem Kl. untersagt wurde, das Wohnzimmer zu betreten. Es liegt auch ein schuldhaftes Verhalten der Bekl. vor, da sie bereits im Scheidungsurteil ausdrücklich darauf hingewiesen wurde, daß Bedenken an ihrer Erziehungseignung bestehen, weil sie dem Kl. keinen angemessenen Umgang mit seinem Kind nach der Trennung einräumte und diese Bedenken nur durch die im Scheidungstermin vereinbarte Umgangsregelung ausgeräumt wurden. Das Umgangsrecht fand in der zunächst vereinbarten Form allerdings nie statt, weil die Bekl. durch ein von ihr erholtes ärztliches Attest verhinderte, daß P. seinen Vater jemals in dessen Wohnung besuchte und bei ihm übernachtete; es kam vielmehr nur zu gelegentlichen Treffen des Kl. mit seinem Sohn am Wohnsitz der Bekl. Die Behauptung der Bekl., P. weigere sich wegen frühkindlicher Erlebnisse, den Kl. zu besuchen, ist eindeutig widerlegt durch das Verhalten des Kindes bei seiner Begutachtung 1995 durch den Sachverständigen, bei der P. ohne weiteres mit dem Vater spielte und auch Körperkontakt suchte.

Neben der Bejahung des Tatbestandes ist im Rahmen des §1579 BGB auch eine umfassende Interessenabwägung bei der Prüfung, ob und in welchem Umfang eine grobe Unbilligkeit vorliegt, durchzuführen (eingehend Wendl/Gerhardt, Das Unterhaltsrecht in der familiengerichtlichen Praxis, 4. Aufl., § 4 Rz. 614 ff.). Entgegen der Auffassung des Kl. können hierfür allerdings nur die Verstöße gegen die Umgangsregelung seit dem 20. 3. 1995 herangezogen werden, nicht gegen die frühere im Rahmen des Scheidungsverfahrens getroffene Umgangsregelung. Diese früheren Verstöße wären i.ü. auch präkludiert (§ 323 II ZPO). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, daß es sich bei P. um ein sehr schwieriges Kind mit einer stark symbiotischen Beziehung zur Mutter handelt und deshalb bereits nicht das normale umfassende Umgangsrecht mit Übernachtungen beim Kl., sondern nur ein sehr eingeschränktes Umgangsrecht in der Wohnung der Bekl. vereinbart wurde. Zu beachten war ferner, daß die Bekl. nach dem Eindruck in der Hauptverhandlung bisher nur bedingt erkannte, daß nicht der Kl., sondern sie durch ihre Überbehütung beim Kind die Ursachen für dessen Fehlentwicklung setzte. Zu berücksichtigen war ferner, daß das Kind bei der Trennung der Parteien erst ein Jahr alt war und deshalb naturgemäß zunächst nur eine feste Bindung zur Bekl. als Mutter und auch Hauptbezugsperson aufbaute. Erschwerend war zu berücksichtigen, daß durch das Verhalten der Bekl. der Kontakt zwischen dem Kind und dem Vater nach dem neuen Gutachten des Sachverständigen v. 8. 2. 1997 inzwischen so gestört ist, daß derzeit ein Umgang nicht stattfinden kann, sondern erst eine therapeutische Behandlung durchzuführen ist. Schließlich war auch zu beachten, daß einerseits die Bekl. bei dem Alter des Kindes noch nicht erwerbstätig sein muß, sie also auf den Unterhalt voll angewiesen ist, andererseits der Kl. durch die Unterhaltslast sehr beeinträchtigt ist, weil er neben der Bekl. und seinem Sohn P. auch noch seiner früheren Ehefrau und einem Kind aus seiner früheren Ehe unterhaltsverpflichtet ist. Unter Abwägung aller Umstände war es angemessen, den Unterhalt von 2.935 DM auf 2.400 DM herabzusetzen. Eine weitere Herabsetzung auf 1.300 DM wäre dagegen nicht angemessen.

Nur ergänzend werden die Parteien darauf hingewiesen, daß der verwirkte Teil des Unterhaltsanspruchs wieder aufleben kann, soweit die Bekl. auf P. so einwirkt, daß er mit seinem Vater wieder Umgang pflegt (OLG Nürnberg, FamRZ 1997, 614). Insoweit wird aber zunächst eine umfassende Familientherapie unter Einbeziehung von P. und beiden Parteien durchzuführen sein, wie sie im laufenden Umgangsrechtsverfahren vor dem AmtsG bereits vereinbart wurde und die nach Angaben der Bekl. im September auch bereits begann. Wie in der Verhandlung weist der Senat die Bekl. nochmals darauf hin, daß diese für dringend notwendig erachtete Therapie nicht nur bezwecken soll, daß sie wieder den vollen Unterhalt erhält, sondern in erster Linie, vom Kind weitere Schäden in seiner Entwicklung abzuwenden, die sonst vorgezeichnet sind. Nach dem Akteninhalt wird der Bekl. zugleich nochmals nahegelegt, eine Eigentherapie zu überdenken.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht

Normen

BGB § 1579 Nr. 6