Nennung von Vorstrafen

Gericht

OLG München


Art der Entscheidung

Berufungsurteil


Datum

10. 05. 2005


Aktenzeichen

18 U 2411/05


Tenor

  1. Die Berufung der Verfügungsklägerin gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 16.02.2005 wird zurückgewiesen.

  2. Die Verfügungsklägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Entscheidungsgründe


Gründe:

(abgekürzt gemäß § 540 Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)


I.

Die zulässige Berufung der Verfügungsklägerin ist unbegründet. Das Erstgericht hat den Antrag der Verfügungsklägerin auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zu Recht als unbegründet zurückgewiesen. Der Verfügungsklägerin steht gegen die Verfügungsbeklagte kein Unterlassungsanspruch gemäß § 823 Abs. 1, § 1004 BGB analog zu.

Durch den auf Seite 3 der von der Verfügungsbeklagten herausgegebenen Zeitschrift ... veröffentlichten Bericht wird die Verfügungsklägerin nicht widerrechtlich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht (Art. 1 Abs. 1, Art. 2 GG) verletzt. Durch die Gestaltung ihrer Website, insbesondere durch die Darstellung der ihr zur Last gelegten Straftat und der erlittenen Untersuchungshaft ist während des Zeitraums der streitgegenständlichen Veröffentlichung der Schutz des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Verfügungsklägerin mit seinem Recht auf Schutz der Privatsphäre in der besonderen Ausprägung des Resozialisierungsinteresses entfallen. Soweit im streitgegenständlichen Artikel persönliche, der Privatsphäre zuzurechnende Lebensumstände der Verfügungsklägerin in Bezug zu ihrer Vorstrafe gesetzt wurden, bestand ein berechtigtes öffentliches Interesse an der Erörterung dieser Umstände.

Bei der Bezeichnung "vorbestraft" handelt es sich um eine Tatsachenbehauptung. Für den Durchschnittsleser steht im Vordergrund der Äußerung ein dem Beweis zugänglicher Sachverhalt, nämlich die Aussage, dass die Verfügungsklägerin vorbestraft ist, weil sie zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr 4 Monaten verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt worden ist. In dem Artikel wird ferner berichtet, dass sie wegen Versicherungsbetrugs in Untersuchungshaft saß. Die Aussage ist wahr. Unstreitig befand sich die Verfügungsklägerin wegen Versichungsbetrugs in Untersuchungshaft. Durch Urteil vom 30.06.2004 wurde sie wegen Beihilfe zum versuchten Versicherungsbetrug und wegen Vortäuschens einer Straftat zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und vier Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Sie ist damit auch im Sinn des Bundeszentralregistergesetzes vorbestraft; ein Fall von § 53 Abs. 1 Nr. 1, § 32 Abs. 2 Nr. 5 BZRG liegt nicht vor.

Bei der Güter- und Interessenabwägung zwischen der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Verfügungsklägerin ist folgendes zu berücksichtigen: Wer den Rechtsfrieden bricht, durch seine Tat Mitmenschen oder Rechtsgüter anderer oder der Gemeinschaft angreift oder verletzt, muss es neben den strafrechtlichen Sanktionen grundsätzlich dulden, dass das von ihm selbst erregte Informationsinteresse in einer nach dem Prinzip freier Kommunikation lebenden Gemeinschaft auf dem dafür üblichen Wege befriedigt wird. Das Informationsinteresse der Öffentlichkeit an einer Straftat und deren Hintergründen ist zeitlich begrenzt. Wurde ein Straftäter zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde, gebietet es das Resozialisierungserfordernis, auf eine Namensnennung zu verzichten. Straftäter sind im Allgemeinen nicht als absolute, sondern lediglich als sogenannte relative Personen der Zeitgeschichte einzustufen. Sie bleiben es nur für die Zeit, innerhalb derer die Straftat aktuell ist. Danach hat auch der Straftäter grundsätzlich wieder das Recht des "Fürsichseins". Ob ausnahmsweise eine den Täter identifizierende Berichterstattung zulässig ist, hängt wesentlich vom Sachbezug und Informationsinteresse der Öffentlichkeit ab (Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 5. Auflage, Kap. 10, Rn. 200).

Der streitgegenständliche Artikel ist nicht unmittelbar nach der Verurteilung, sondern mehr als drei Monate nach der Verurteilung der Verfügungsklägerin erschienen. Die Verfügungsklägerin wurde nur wegen zweier Vergehen und nicht wegen eines Verbrechens verurteilt. In der Berichterstattung ging es nicht vorrangig um die Auseinandersetzung mit der Tat, die der Verfügungsklägerin zu Last lag und wegen der sie verurteilt wurde. Vielmehr wurde über die Verurteilung der Verfügungsklägerin und ihre Vorstrafe im Rahmen einer kritischen Auseinandersetzung mit ihrer Selbstdarstellung und Lebensführung berichtet. Dabei wurde auf ihre Beziehung zu ihrem Lebensgefährten und Heiratspläne eingegangen.

Gleichwohl besteht ein berechtigtes öffentliches Informationsinteresse. Die Verfügungsklägerin weist auf ihrer Website (Stand 06.05.2005) in reißerischer Weise auf das streitgegenständliche Strafverfahren gegen sie hin, insbesondere auf die Hauptverhandlung wegen Versicherungsbetrugs und die erlittene Untersuchungshaft. Ihre Website enthält Fotokopien von Zeitungsartikeln mit fettgedruckten Überschriften oder Zwischenüberschriften wie "Sex unter der Knastdusche", "ich bin ein eiskaltes Luder", "Liebesbriefe an die schöne Witwe. In der Einsamkeit im Gefängnis waren sie Tatjana Gsells einziger Trost...", "Enthüllungsbuch über den Frauenknast". Bei einem Artikel ist ein Foto abgedruckt, das die Verfügungsklägerin zeigt, wie sie durch Gitterstäbe blickt. Dazu wird bemerkt: "Hinter Gittern, wie hier bei "Big Brother' ... zeigt sich Tatjana Gsell jetzt nur noch aus Spaß". In einigen wiedergegebenen Zeitungsartikeln wird erwähnt, die Verfügungsklägerin sei unschuldig sechs Monate im Gefängnis gesessen.

Die Verfügungsklägerin hat sich den Inhalt der in die Website gestellten reißerischen Zeitungsartikel zu eigen gemacht. Sie hat sich nicht distanziert, sondern die Artikel im Abdruck wiedergegeben. Dadurch bringt die Verfügungsklägerin zum Ausdruck, dass wichtige Aspekte ihres Lebens in den Artikeln zutreffend wiedergegeben werden. Sie kündigt auf der Website außerdem an, an ihrem ersten Buch zu arbeiten. Auf die Pläne, ein Buch über die Zeit im "Frauen-Knast" zu schreiben, nehmen auch mehrere der Artikel Bezug. Schließlich weist die Verfügungsklägerin auf einen Fernsehauftritt hin, den sie zusammen mit ihrem Lebensgefährten wahrgenommen hat.

Aus alledem ergibt sich, dass der streitgegenständliche Artikel die Verfügungsklägerin nicht widerrechtlich in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Zutreffend bemerkt das Landgericht, dass die Verfügungsklägerin es grundsätzlich nicht hinnehmen müsste, dass über sie mit dem "Stempel" der vorbestraften Frau ... oder vorbestraften Witwe berichtet wird. Die Verfügungsklägerin hat sich aber derzeit entschieden, der Öffentlichkeit das Strafverfahren wegen Versicherungsbetrugs als Teil ihrer Lebensgeschichte zu präsentieren. Sie muss es daher derzeit hinnehmen, dass dieser Aspekt ihrer Persönlichkeit auch von der Öffentlichkeit diskutiert wird.


II.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Vorinstanzen

LG München I, 9 O 20693/04

Rechtsgebiete

Presserecht