Kindergeldanrechnung bei Volljährigenunterhalt

Gericht

OLG Düsseldorf


Art der Entscheidung

Beschluss über Beschwerde


Datum

04. 03. 2004


Aktenzeichen

8 WF 26/04


Tatbestand


Auszüge aus dem Sachverhalt:

Der volljährige Kl. lebt im Haushalt seiner Mutter, die nicht leistungsfähig ist, Volljährigenunterhalt zu zahlen. Er wendet sich dagegen, dass das AG auf den Volljährigenunterhalt, den der Bekl. schuldet, mit Beschluss vom 13. 1. 2004 das volle Kindergeld angerechnet hat.

Die Beschwerde des Kl. hatte Erfolg.

Entscheidungsgründe


Auszüge aus den Gründen:

Zu Recht wendet sich der Kl. dagegen, dass das AG auf den Volljährigenunterhalt, den der Bekl. schuldet, das volle Kindergeld angerechnet hat. Obwohl die Mutter, in dessen Haushalt der Kl. auch nach Vollendung des 18. Lebensjahrs lebt, nicht leistungsfähig ist, Volljährigenunterhalt zu zahlen, bleibt es bei der in § 1612b I und II vorgesehenen Halbteilung des Kindergeldes. Dies folgt aus einer entsprechenden Anwendung der zuvor genannten Vorschriften (OLG Hamm, FamRZ 2001, 1728; OLG Celle, FamRZ 2001, 47; OLG Brandenburg, FamRZ 2002, 1217; OLG Nürnberg, OLG-Report 2000, 63; OLG Köln, FamRZ 2003, 1408; OLG Celle, FamRZ 2003, 1408).

Die für die Analogiebildung erforderliche Regelungslücke ist gegeben.

Eine unmittelbare Anwendung der §§ 1612b I und II BGB scheitert an der Leistungsfähigkeit der Kindesmutter. Diese schuldet dem Volljährigen gem. § 1603 BGB keinen Unterhalt, so dass das Zusammenspiel der Kindergeldanrechnung gemäß den vorgenannten Regelungen, die eine beiderseitige Barunterhaltsverpflichtung voraussetzen, ausscheidet.

§ 1612b III BGB ist ebenfalls nicht einschlägig. Diese Vorschrift regelt die Anspruchs- und nicht die Bezugsberechtigung. Die Anspruchsberechtigung ist in § 63 i.V. mit § 32 I EStG geregelt. Dort wird bestimmt, welche Kinder einen Anspruch auf Kindergeld vermitteln. Danach sind im vorliegenden Fall sowohl der Vater als auch die Mutter im Hinblick auf den Empfang des Kindergeldes anspruchsberechtigt.

Die Bezugsberechtigung ergibt sich aus § 64 EStG. Sie betrifft die Frage, wer bei einer Anspruchskonkurrenz mehrerer Anspruchsberechtigter die Auszahlung des Kindergeldes verlangen kann. Gemäß § 64 II 1 EStG gilt das Obhutsprinzip. Danach ist allein die Mutter des Kl. Kindergeld bezugsberechtigt, weil der Kl. in ihrem Haushalt lebt, obwohl sie nicht leistungsfähig ist.

Die für die analoge Anwendung weiterhin erforderliche gleichgelagerte Interessenlage ist ebenfalls gegeben. Der Normzweck der § 1612b I und II BGB gebietet die entsprechenden Anwendung auf den vorliegenden Fall. Auch wenn der Elternteil, in dessen Haushalt das volljährige Kind lebt, gem. § 1603 BGB nicht leistungsfähig ist und deswegen keinen Barunterhalt schuldet, ändert dies nichts daran, dass er dem Kind Versorgungsleistungen erbringt und dessen Wohnbedarf deckt. Hierbei handelt es sich um Aufwendungen, die der Zweckbestimmung des Kindergeldbezugs entsprechen. Das Obhutsprinzip nach § 64 II EStG differenziert nicht danach, ob der Elternteil, in dessen Haushalt das Kind lebt, leistungsfähig ist oder nicht. Das Gesetz stellt vielmehr auf die Vermutung ab, dass diesem Kind gegenüber Unterhaltsleistungen erbracht werden, die die Bezugsberechtigung rechtfertigen. Aus diesem Grunde unterscheidet die Vorschrift auch nicht zwischen Minderjährigen- und Volljährigenunterhalt. Zwar entfällt der Betreuungsunterhalt mit der Volljährigkeit des Kindes. Daraus folgt, dass die Versorgungsleistungen des versorgenden Elternteils keine Unterhaltsleistungen darstellen, wenn dieser nicht leistungsfähig ist und deswegen keinen Unterhalt schuldet. Gleichwohl hat der nicht leistungsfähige Elternteil Baraufwendungen in Höhe der anteiligen Miet- und Verpflegungskosten. Den mit der Versorgung des Kindes auch nach dessen Volljährigkeit verbundenen finanziellen Aufwand hatte der Gesetzgeber im Auge, als er die Bezugsberechtigung auch über die Volljährigkeit hinaus an das Obhutsprinzip anknüpfte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass der das Kind unterstützende Elternteil den barunterhaltspflichtigen Elternteil durch seine Zuwendungen im Regelfall auch finanziell entlastet. Dadurch dass er das Kind in seinem Haushalt aufgenommen hat, bewirkt er, dass sich der Bedarf des Kindes gerade wegen des Zusammenlebens nach der 4. Altersstufe der Düsseldorfer Tabelle richtet und nicht mit dem festen Bedarfssatz von 600 EUR anzusetzen ist. Würde der versorgende Elternteil die Verpflegung und den Wohnbedarf des Kindes nicht sicherstellen, müsste dieser einen eigenen Hausstand begründen. Dann könnte er den festen Bedarfssatz von 600 EUR in Anspruch nehmen, den der barunterhaltspflichtige Elternteil allein aufbringen müsste. Zwar übersteigt der vom Bekl. geschuldete Tabellenbetrag gem. der 13. Einkommensgruppe und 4. Altersstufe mit 654 EUR den festen Bedarfssatz von 600 EUR. Dies entkräftet das vorhergehende Argument jedoch nicht, da es sich hier um einen typischen Fall handelt, in dem der feste Bedarfssatz bei eigenem Haushalt des unterhaltsberechtigten Volljährigen angehoben werden müsste. Dies lässt die Düsseldorfer Tabelle unter A 7 II ausdrücklich zu. Dort heißt es, dass der feste Bedarfssatz „in der Regel“ monatlich 600 EUR beträgt. Eine angemessene Anhebung wird im Ergebnis dazu führen, dass der allein barunterhaltspflichtige Bekl. auch bei Anrechnung des vollen Kindergeldes höheren Barunterhalt zahlen müsste als bei der hälftigen Anrechnung des Kindergeldes bei Zugrundelegung des Tabellenbetrags der 13. Einkommensgruppe/4. Altersstufe.

Demgegenüber ist damit die Interessenlage, die der Gesetzgeber bei der Fassung des § 1612b III BGB im Auge hatte, nicht zu vergleichen (anders aber OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1246; OLG Naumburg, FamRZ 2002, 1589; OLG Schleswig, NJW-RR 2000, 598 = FamRZ 2000, 1245; OLG Nürnberg, NJWE-FER 1999, 86 = FamRZ 1999, 1452; OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 553).

§ 1612b III BGB regelt den Fall, dass das Kindergeld an einen Dritten ausgezahlt wird, während der barunterhaltspflichtige Elternteil allein Anspruchsberechtigt ist. Diese Fallkonstellation ist z.B. dann gegeben, wenn der andere Elternteil verstorben ist und entweder das Kind das Kindergeld im Wege der Abzweigung gem. § 74 I 3 EStG erhält oder das Kindergeld gem. § 74 II 4 EStG auf Grund einer Abzweigung wegen des Sozialhilfebezugs des Kindes an den Träger der Sozialhilfe ausgezahlt wird. Gewährt das Sozialamt dem Kind Unterhalt, wird die Unterhaltsverpflichtung des allein barunterhaltspflichtigen Elternteils wegen der Subsidiarität der Sozialhilfe nach § 2 II BSHG nicht berührt. Vielmehr gehen gem. § 91 I 1 BSHG Unterhaltsansprüche Kraft Gesetzes auf den Träger der Sozialhilfe für die Zeit und in Höhe der Hilfegewährung über. Hat dieser Sozialhilfeträger das Kindergeld nach § 74 I 4 EStG abgezweigt und nimmt er den barunterhaltspflichtigen Elternteil aus übergegangenem Recht auf Kindesunterhalt in Anspruch, ist dieser Elternteil nach § 1612b III BGB so zu stellen, als hätte er entsprechend seiner Anspruchsberechtigung das volle Kindergeld bezogen. Dies stünde ihm zur freien Verfügung. Er müsste zwar den vollen Unterhalt an das Kind auszahlen, wird aber letztlich nur mit dem Differenzbetrag zwischen Kindergeld und dem geschuldeten Unterhalt belastet. Aus diesem Grunde wird das Kindergeld im Sozialhilferecht auch in vollem Umfange auf den geschuldeten Unterhalt angerechnet. Bei einer Teilanrechnung würde der Träger der Sozialhilfe mehr erhalten als ihm zustände. Über den Tabellenbetrag hinaus würde ihm nämlich noch ein Teil des Kindergeldes zur Verfügung stehen.

Gleiches gilt, wenn das Kind selbst das Kindergeld gem. § 74 I 3 EStG abgezweigt hat. Ohne Anrechnung des vollen Kindergeldes würde das Kind von dem barunterhaltspflichtigen Elternteil mehr erhalten als es seinem angemessenen Bedarf entspricht. Zur Bedarfsdeckung stünde ihm nämlich sowohl der volle Barunterhalt als auch das verbleibende Kindergeld zur Verfügung. Aus diesem Grunde ist es billig, das Kindergeld dem leistungsfähigen barunterhaltspflichtigen Elternteil zu dessen unterhaltsrechtlicher Entlastung in vollem Umfange gut zu schreiben. Dem trägt § 1612b III BGB Rechnung, in dem dort geregelt wird, dass der barunterhaltspflichtige Elternteil nur den um das volle Kindergeld gekürzten Barunterhalt zu zahlen hat.

Die Unangemessenheit der Anrechnung des vollen Kindergeldes zeigt sich auch bei dem Übergang vom Minderjährigen- zum Volljährigenunterhalt. Solange das Kind minderjährig ist, schuldet der Barunterhaltspflichtige den Tabellenbetrag abzüglich des anteiligen, ab der 6. Einkommensgruppe des hälftigen Kindergeldes. Dies bedeutet für den letzteren Fall, dass dem anderen Elternteil, der das Kind betreut, der volle Tabellenunterhalt und das hälftige Kindergeld verbleibt. Wird das Kind bei gleichen Wohnverhältnissen volljährig, ist nicht einzusehen, dass dem Elternteil, der weiterhin die Versorgung des Kindes sicherstellt, nunmehr das hälftige Kindergeld entzogen wird. Dies muss erst recht im Falle seiner Leistungsunfähigkeit gelten, die äußerst beengte wirtschaftliche Verhältnisse auf seiner Seite voraussetzt. Entzieht man diesem Elternteil auch noch das hälftige Kindergeld, wird der nicht leistungsfähige Elternteil kaum in der Lage sein, die Versorgung des Volljährigen wie bisher zu übernehmen.

Neuerdings wird allerdings die Auffassung vertreten (OLG Brandenburg, FamRZ 2003, 553), dass das Kind die Möglichkeit der Abzweigung des Kindergeldes gem. § 74 EStG hat, so dass auf Grund des sodann bestehenden Eigenbezuges eine ähnliche Interessenlage gegeben ist wie beim § 1612b III BGB. Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass eine Abzweigung an das volljährige Kind nur dann möglich ist, wenn es sich selbst versorgt. Lebt es im Haushalt eines Elternteils, der dem Kind Versorgungsleistungen erbringt und seinen Wohnbedarf sicherstellt, wird die Abzweigung des Kindergeldes verweigert. Dies entspricht der Dienstanweisung des Bundesfinanzministeriums an alle Kindergeldauszahlungsstellen (BStBl I 2000, 839; vgl. dazu auch Littmann/Hellwig, EinkommensteuerR, § 74 Rdnr. 26; Hermann/ Heuer, EStG, § 74 Rdnr. 9). Damit greift das Argument einer möglichen Abzweigung nicht, so dass sich auch daraus nicht eine den § 1612b III BGB ähnliche Interessenlage herleiten lässt.

Rechtsgebiete

Unterhaltsrecht