Reiseveranstalterhaftung für Unfalltod an ungenehmigter Wasserrutsche des Hotels
Gericht
LG Köln
Art der Entscheidung
Urteil
Datum
17. 03. 2005
Aktenzeichen
8 O 264/04
Auszüge aus dem Sachverhalt:
... Der Betreiber des Hotels betreibt seit Beginn der Saison 2001 auf dem Hotelgelände eine Wasserrutsche, die jedenfalls zum damaligen Zeitpunkt von den zuständigen Behörden nicht genehmigt war. Diese Anlage befindet sich etwas abseits vom Swimmingpool, aber in unmittelbarer Nähe zu anderen Spiel- und Sportanlagen des Hotels und ist über einen Weg zu erreichen. Die Wasserrutsche ist mittels eines Geländers eingezäunt und steht auch Personen zur Verfügung, die nicht Gäste des Hotels sind. Für die Benutzung der Wasserrutsche ist ein gesondertes Entgelt zu zahlen, dass von dem Inhaber des Hotels erhoben wird. ...
Die Wasserrutsche war in dem Reisekatalog nicht erwähnt und auch nicht abgebildet. Eine Sicherheits- oder sonstige Überprüfung der Anlage seitens der Bekl. oder der örtlichen Reiseleitung hat zu keinem Zeitpunkt stattgefunden.
Am 1. 8. 2001 benutzten die Kinder der Familie W die Wasserrutschen. Hierbei kam P zu Tode. Er wurde durch ein unterhalb des Rutschenauslaufs befindliches - nicht mit einem Abdeckgitter versehenes - Ansaugrohr mit einem Durchmesser von 12 cm, mittels dessen Wasser aus dem Becken angesaugt und zum oberen Bereich der Rutschen gepumpt wird, erfasst und mit dem rechten Arm bis zur Schulter angesaugt und festgehalten. Er konnte sich nicht befreien und ertrank. Seine Brüder wurden von einer dritten Person auf den Körper im Wasser aufmerksam gemacht. Aber auch ihnen gelang es nicht, P zu befreien. Erst mit Hilfe zweier Erwachsener konnte P aus dem Ansaugrohr gezogen werden. Wiederbelebungsversuche blieben erfolglos.
Die Klägerin, ihr Ehemann, die beiden Söhne T und E litten unter dem Unfalltod P erheblich. Bei der Kl. besteht eine posttraumatische Belastungsstörung in Verbindung mit einer Essstörung und anhaltenden Kopfschmerzen. Bis zum Januar 2003 war sie arbeitsunfähig. Mit Beginn des Jahres 2004 bezog sie befristet bis zum 31. 10. 2004 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung. Sie leidet insbesondere unter rezidivierenden schweren depressiven Störungen, Angst- und Panikattacken, erheblichen Selbstwertstörungen mit massiven Schuldgefühlen, Schlafstörungen mit Alpträumen, vereinzelt auftretenden Dissoziationen, permanenter innerer Unruhe sowie ständig auftretenden suizidalen Gedanken. Nach Auffassung der Ärzte wird die psychische und physische Belastbarkeit dauerhaft eingeschränkt bleiben.
Ihr Ehemann wird ebenfalls medikamentös behandelt und leidet unter schweren Depressionen. Er befindet sich in psychiatrischer Behandlung.
Bei T, dem älteren der Brüder, liegt eine posttraumatische Belastungsstörung mit depressiver Begleitsymptomatik und psychovegetativen Beschwerden vor. Entsprechendes trifft auf E, Zwillingsbruder von P, zu. Bei beiden Brüdern ist ein erheblicher schulischer Leistungsabfall zu verzeichnen. Sie leiden unter Ausdauer- und Konzentrationsproblemen.
Die hinter der Bekl. stehende A. Versicherung leistete auf Grund des Unfalltodes verschiedene Zahlungen an die Klägerin. Insoweit wird auf den Schriftsatz der Beklagten vom 20.1.2005 verwiesen. Auf Schmerzensgeldansprüche zahlte sie entsprechend der Aufforderung der Klägerin: Anspruch nach P 15000,- DM, E 6000,- DM, T 6000,- DM, E 3000,- DM und T 3000,- DM. ...
Auszüge aus den Gründen:
Die Klage hatte Erfolg.
Der Kl. stehen aus eigenem und fremden Recht die geltend gemachten Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüche aus §§ 823 I, 844 I BGB i.V. mit § 847 I BGB in der bis zum 31. 7. 2002 geltenden Fassung zu. Gemäß Art. 40 II EGBGB (vgl. dazu BGH, NJW 2000, 1188 [1190]) kommt deutsches Recht zur Anwendung, da alle Parteien zur Zeit des Unfalltodes des Sohnes der Kl. ihren Wohnsitz bzw. Sitz in der BRep. Dtschld. hatten. Dem Grunde nach ergibt sich eine Haftung der Bekl. aus § 823 I BGB, denn der Bekl. ist die Verletzung einer eigenen, sie treffenden Verkehrssicherungspflicht vorzuwerfen.
Es ist in Rechtsprechung und Literatur anerkannt, dass einen Reiseveranstalter eine eigene Verkehrssicherungspflicht aus unerlaubter Handlung für die angebotenen Leistungen und die unter Vertrag genommenen Leistungsträger trifft. Dies folgt aus der Tatsache, dass Reiseveranstalter zumindest teilweise an sich fremde Reiseleistungen als eigene anbieten, und begründet Kontroll- und Überwachungspflichten, die auf dem Gedanken der allgemeinen Verkehrssicherungspflichten beruhen. Eine entsprechende Haftung setzt ein pflichtwidriges und schuldhaftes Verhalten von Personen im eigenen Organisationsbereich des Veranstalters durch die Verletzung von Auswahl- und Kontrollpflichten für verkehrsgefährdende Anlagen (§ 823 BGB) oder ein rechtswidriges Verhalten von Verrichtungsgehilfen durch mangelnde Auswahl oder Überwachung (§ 831 BGB) voraus (Führich, ReiseR, 4. Aufl. [2002], Rdnrn. 354ff. m.w. Nachw.). So hat nach der Entscheidung des BGH vom 14. 12. 1999 (NJW 2000, 1188) ein Reiseveranstalter dafür einzustehen, dass die zur Ausübung der in der Reisebeschreibung angebotenen Sportarten erforderlichen Clubeinrichtungen und Ausstattungen - in der Entscheidung waren es Reitpferde - in einer für den Reisenden geeigneten Weise zur Verfügung stehen, ohne dass dem Reisenden ein Personenschaden droht, wozu insbesondere die Überwachung der Einrichtungen auf die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsstandards gehört. Den Reiseveranstalter trifft damit gerade für Spiel- und Sportanlagen, die er seinen Reisenden zur Verfügung stellt, eine eigene Verkehrssicherungspflicht, die Einhaltung der erforderlichen Sicherheitsstandards zu überwachen (vgl. Führich, Rdnr. 354g m.w. Nachw.; BGH, NJW 2000, 1188; LG Kleve, RRa 2001, 157; OLG Franfurt a.M., RRa 2001, 243). Dies gilt unabhängig davon, ob der Reiseveranstalter die Spiel- und Sportmöglichkeiten als eigene Leistung anbietet oder diese in der Reisebeschreibung als gegen gesonderte Gebühr bei der Betreibergesellschaft (z.B. dem Hotel) zu buchende und gesondert zu zahlende Leistung anbietet. Auch im letzteren Falle hat der Reiseveranstalter für die Erfüllung der in seinem Prospekt angebotenen Leistungen selbst einzustehen; ihn trifft insoweit auch eine eigene Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich der in der Reisebeschreibung gegen gesonderte Gebühr zu buchenden Spiel- und Sportmöglichkeiten (BGH, NJW 2000, 1188).
Zwar waren vorliegend die Wasserrutschen unstreitig nicht in der Reisebeschreibung erwähnt. Dieser Umstand führt aber nicht dazu, dass die Bekl. insoweit eine Verkehrssicherungspflicht nicht trifft. Wie sich aus den zahlreichen Lichtbildern in der Ermittlungsakte der StA M. ergibt, war es nicht so, dass die Anlage „durch Gitter, Zäune und Mauern“ vollkommen abgetrennt war. Vielmehr war sie integraler und wesentlicher Bestandteil des Hotelkomplexes und befand sich in der Nähe von anderen Spiel- und Sportmöglichkeiten. Daran ändert auch der Umstand, dass die Benutzung der Wasserrutschen nur gegen Entgelt möglich war und dies auch durch Mitarbeiter des Hotels kontrolliert wurde, nichts. Die Bekl. konnte und musste davon ausgehen, dass diese Anlage, die gerade für Kinder innerhalb des Hotelkomplexes eine besondere Attraktion darstellen dürfte, selbstverständlich auch von ihren Kunden, insbesondere von deren Kindern, benutzt werden würde, auch wenn sich in der Reisebeschreibung ein Hinweis auf diese Anlage nicht findet. Der Reiseveranstalter ist für alle wesentlichen Einrichtungen des Hotels, zu denen die Wasserrutschen unzweifelhaft gehören, verkehrssicherungspflichtig (Führich, Rdnr. 354e), mögen diese Niederschlag in der Reisebeschreibung gefunden haben oder nicht. Anderenfalls wäre es dem Veranstalter unbenommen, seine Haftung dadurch einzuschränken, dass er bestimmte wesentliche Einrichtungen der Hotelanlage nicht in die Reisebeschreibung aufnimmt. Will der Reiseveranstalter für eine wesentliche Einrichtung des Hotels eine Haftung nicht übernehmen, so muss er seine Kunden vielmehr in der Reisebeschreibung oder auf andere Weise eindeutig und ausdrücklich darauf hinweisen (so andeutend: BGH, NJW 2000, 1188 [1189 r.Sp. unter 2c]). Aus Sicht des Reisenden gehörten die Wasserrutschen zum Hotelkomplex, mögen diese auch nur gegen gesonderte Gebühr zu nutzen sein. Die Kl. und ihre Familie konnten und durften daher darauf vertrauen, dass die Wasserrutschen ebenso wie andere wesentliche Einrichtungen des Hotels den Sicherheitsstandards entspricht und von der Bekl. bei Inbetriebnahme und später stichprobenweise kontrolliert wird.
Vorliegend hat die Bekl. ihre Verkehrssicherungspflicht schuldhaft dadurch verletzt, dass sie sich vor der Inbetriebnahme der vom Hotelbetreiber neu erbauten Anlage nicht von deren Sicherheit und der Einhaltung der erforderlichen Standards überzeugt hat. Dass die Ansaugrohre durch Abdeckgitter hätten gesichert werden müssen, ist offenkundig und wird auch von der Bekl. nicht in Abrede gestellt. Insoweit verweist die Kammer auch auf das Urteil des LG Halkidiki. Zumindest hätte sich die Bekl. bei dem Hotelbetreiber danach erkundigen müssen, ob die Anlage genehmigt und von den zuständigen Behörden abgenommen worden ist. In diesem Falle hätte sich herausgestellt, dass es sich um einen Schwarzbau gehandelt hat, der bereits deshalb von den Hotelgästen aus Sicherheitsgründen nicht hätte benutzt werden dürfen. Es kommt mithin nicht darauf an, ob das Fehlen der Abdeckungen an den Ansaugrohren bei einer Überprüfung seitens der Bekl. von dieser als Sicherheitsmangel hätten festgestellt werden können und müssen.
Die Kl., ihr Ehemann und die Kinder E und T haben gem. § 847 I BGB einen Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes. Nach Auffassung der Kammer ist jeweils ein Schmerzensgeld in Höhe von 20000 Euro angemessen.
Nach der Rechtsprechung besteht eine Ersatzpflicht in den Fällen des Todes eines Familienangehörigen unter drei Voraussetzungen: Die normale seelische Erschütterung, die Angehörige bei der Nachricht von dem Tode eines Angehörigen erleiden, begründet regelmäßig noch keine Ersatzpflicht, weil das deutsche Recht Schmerzensgeldansprüche für bloße seelische Leiden Angehöriger grundsätzlich ablehnt. Eine andere Beurteilung kommt nur in Betracht, wenn eine traumatische Schädigung der physischen oder psychischen Gesundheit eingetreten ist, die medizinisch fassbar ist, deshalb Krankheitswert besitzt und über das normale Maß seelischer Erschütterungen bei schweren Erlebnissen hinausgeht. Außerdem muss es sich um einen schweren Unfall handeln, so dass die Schockreaktion der Angehörigen zum Krankheitswert verständlich ist. Schließlich beschränkt sich die Ersatzpflicht immer auf einen engsten Familienangehörigen (OLG Nürnberg, ZfSch 1995, 370 [371]; BGH, NJW 1989, 2317 = MDR 1989, 805; Palandt/Heinrichs, BGB, Vorb. § 249 Rdnr. 71 jeweils m.w. Nachw.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend bei dem Tode des gemeinsamen Sohnes der Kl. und ihres Ehemannes sowie des Bruders von E und T gegeben. Die psychischen Beeinträchtigungen und Depressionen der Mitglieder der Familie W, die von der Bekl. nicht in Abrede gestellt werden, haben auch Krankheitswert, wie sich aus dem unstreitigen Vortrag der Kl. sowie den vorgelegten ärztlichen Befunden ergibt.
Nach der Grundsatzentscheidung des BGH (BGHZ 18, 149 = NJW 1955, 1675; ebenso z.B. BGHZ 120, 1 = NJW 1993, 781 [782]) ist der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Er soll dem Geschädigten einerseits einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und andererseits dem Gedanken Rechnung tragen, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Bei der Festsetzung dieser billigen Entschädigung in Geld dürfen grundsätzlich alle in Betracht kommenden Umstände des Falles berücksichtigt werden, beispielsweise der Grad des Verschuldens des Verpflichteten und die wirtschaftlichen Verhältnisse beider Teile (Palandt/Heinrichs, § 253 Rdnrn. 19f.).
Unter Berücksichtigung der bisherigen Rechtsprechung, der genannten Gesichtspunkte sowie der besonderen Umstände des Einzelfalls hält die Kammer die den Kl. zugesprochenen Beträge für erforderlich und angemessen. Auf Seiten der Mitglieder der Familie W fallen die schwerwiegenden psychischen Beeinträchtigungen und Depressionen mit Krankheitswert ins Gewicht, die auch nahezu vier Jahre nach dem Unfall noch anhalten. Die Kammer sieht keine unterschiedliche Beeinträchtigung der Eltern und der Brüder des verstorbenen P. Bei den Kindern ist zu berücksichtigen, dass sie das Unfallgeschehen teilweise miterleben mussten und P mit Hilfe zweier anderer Erwachsener aus dem Ansaugrohr befreit haben. Dies und die nachfolgenden erfolglosen Wiederbelebungsversuche stellen ein einschneidendes Ereignis besonders im Leben eines Kindes dar, das schwierig zu verarbeiten ist. Eine Abstufung zu den Eltern bei der Bemessung des Schmerzensgeldes erscheint der Kammer daher nicht angemessen. In Anbetracht der genannten Umstände, der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Bekl. und in Anbetracht des Umstandes, dass der Bekl. hinsichtlich der Anlage „lediglich“ ein Überwachungsverschulden zur Last fällt, erscheint ein Schmerzensgeld in Höhe von jeweils 20000 Euro, das die Kammer bereits in einem vergleichbaren Fall zuerkannt hat, angemessen.
Der weiter geltend gemachte Betrag in Höhe von 3054,84 Euro ist aus §§ 823 I, 844 I BGB begründet. Die Höhe der Schadenspositionen hat die Kl. durch Urkunden belegt. Insoweit ist das schlichte Bestreiten der Bekl. unsubstantiiert. ...
Kanzlei Prof. Schweizer Rechtsanwaltsgesellschaft mbH © 2020
Impressum | Datenschutz | Cookie-Einstellungen